Читать книгу Schaaf ermittelt - R. J. Simon - Страница 4
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Оглавление„Und, was ist nun mit dem Selbstmord von gestern?“, begrüßte ihn der Dezernatsleiter Herr von Bredow nach einer knappen Begrüßung in dessen Büro. „Haben sie den Fall gleich abgeschlossen?“
Von Bredow präsentierte sich wie ein Fotomodell aus einem Bekleidungskatalog für Herrenmode. Überkorrekt mit dunklem, passgenauem Anzug, Hemd und farblich ideal abgestimmter Krawatte gekleidet, das Einstecktuch in identischem Muster, thronte er hinter seinem Schreibtisch. Durch sein sehr jugendliches Aussehen wirkte er allerdings mehr wie ein Konfirmand, als ein Dezernatsleiter.
Die Antwort, die Schaaf nun geben musste, würde seinem Chef nicht gefallen. Schaaf würde damit den alten Konflikt heraufbeschwören. Er konnte aber doch auch nicht dem Frieden zuliebe lügen oder die Tatsachen ignorieren.
Für von Bredows geliebte Statistiken wäre es freilich hervorragend, wenn der Fall direkt als Selbstmord abgeschlossen werden würde.
„Es war Mord und kein Selbstmord“, bestand Kriminalhauptkommissar Schaaf in aller Ruhe, selbstsicher und bestimmt, auf das Ergebnis seiner Untersuchung. Schaaf wusste, dass er sich damit einmal mehr auf Konfrontationskurs mit seinem Chef begab. Aber was sollte er tun?
„Wie, es war Mord? Wie kommen sie denn darauf? Die Umstände sind doch eindeutig!“
Ebenso hätte Schaaf seinen Vorgesetzten fragen können, wie der auf Selbstmord kam. Sagte stattdessen aber: „Die Umstände sehen eindeutig aus! Aber es gibt einige Punkte, die mich zweifeln lassen. Ich ermittle bereits in dem Fall.“
„Schaaf, sie sehen Gespenster. Sie verrennen sich! Nicht jeder Tote ist ermordet worden! Schließen sie den Fall ab, damit der vom Tisch ist!“
Von Bredow sprach zu Schaafs Verwunderung unaufgeregter als bei gleichen Gelegenheiten früher. Er nahm sich tatsächlich ein wenig zurück. Das war eine gute Voraussetzung vernünftig miteinander zu reden.
„Herr von Bredow das kann ich nicht! Es war Mord, soll ich etwa ignorieren was mich stutzig macht, diese Ungereimtheiten, und dadurch den Mörder unbestraft davonkommen lassen? Ich werde es beweisen. Als dieser Richard Lang sich damals im Gefängnis in den Tod stürzte, das war Selbstmord. Diesen Fall habe ich auch so gesehen und schnell abgeschlossen. Aber hier geht es um Mord!“
Kriminalhauptkommissar Schaaf ließ sich nicht von seiner Meinung abbringen und unterstrich das im Tonfall und Gestik. Er war in dieser Beziehung wie ein Bluthund. Wenn Schaaf die Witterung aufnahm, verfolgte er die Blutspur, bis hin zum Täter, trieb ihn in die Enge und überführte ihn letztlich. Das musste von Bredow akzeptieren.
„Wäre ja noch schöner, wenn sie sogar dort im Gefängnis eine Verschwörung gesehen hätten. Der kam einfach mit seiner Tat nicht klar und damit, dass er eingesperrt war“, brummte von Bredow. „Sie haben das GO für drei Tage! Dann will ich Ergebnisse haben“ reagierte von Bredow leicht gereizt.
„Ich habe das GO“, murmelte der Kommissar. Das war wieder so ein gehasster Anglizismus. Die erregten ihn stets aufs Neue, wenn sie benutzt wurden. Warum konnte sein Chef nicht einfach sagen „Sie haben drei Tage“? Was soll das: „Ich habe das GO! Dann gehe ich halt“, dachte sich Schaaf und drehte sich auch schon um und ging Richtung Tür.
„Was bringt sie denn überhaupt zu dieser Erkenntnis?“ rief von Bredow ihm nach.
Doch Kriminalhauptkommissar Schaaf ignorierte die Frage seines Chefs, ließ sich nicht aufhalten und ging davon ungerührt weiter zur Tür. Einen geordneten Rückzug hielt er nun für angebracht. Hätte er von Bredow die Fakten, die für ihn unplausibel sind aufgezählt, müsste er über jeden einzelnen davon bis ins Detail diskutieren. Für jeden davon würde ihm sein Chef konfuse Gegenargumente aufzählen und sie nicht gelten lassen. Dieser Zeitaufwand war es Schaaf nicht wert.
Bevor er die Tür öffnete sagte er noch über die Schulter als Friedensangebot: „Ich werde mich beeilen“.
„Ich habe sie etwas gefragt!“
„Ja, ich bin schon unterwegs“, überging Kriminalhauptkommissar Schaaf auch den erneuten Versuch seines Vorgesetzten, mehr von ihm dazu zu erfahren. Dass von Bredow nun hinter seinem Schreibtisch kochte, nahm er in Kauf. Schaaf wollte seine Erkenntnisse vorläufig für sich behalten und diese niemandem mitteilen. Und sich schon gar nicht mit seinem ahnungslosen Chef über seine Vermutungen auseinandersetzen, der jeden Punkt davon nicht verstehen und anzweifeln würde. Denn wie sollte Schaaf im sein Gespür erklären? Das würde von Bredow niemals verstehen und nachvollziehen können.
Dazu kam, sollte Schaaf seinen Chef gegen alle Erwartungen von dem Mord überzeugen können, würde der diese sensationelle Entdeckung sicherlich medial ausnutzen wollen. Von Bredow riefe unverzüglich eine Pressekonferenz ein, um seine Abteilung ins beste Licht zu stellen. Dabei plauderte der eifrige Chef sehr sicher Einzelheiten aus, die noch nicht in die Öffentlichkeit getragen werden durften. Das konnte Schaaf für seine Ermittlungen in diesem Stadium absolut nicht gebrauchen.
Der Einzige, der ein wenig eingeweiht war, blieb sein Assistent Busch. Doch auch ihm teilte Kriminalhauptkommissar Schaaf längst nicht alle Fakten mit, die er bereits erkannte.
Die vorgegebenen drei Tage würden nicht ausreichen, das wusste Kriminalhauptkommissar Schaaf schon in dem Moment, als er das Büro seines Chefs verließ. Denn die Beerdigung des Toten würde für die Ermittlungen wahrscheinlich interessant werden, und die erfolgte ganz sicher erst später. Vielleicht reichte Schaaf die Frist wenigstens um Fakten zu sammeln, mit denen er seinen Chef überzeugen konnte, dass er auf der richtigen Spur war. Auch wenn das misslang und das seinem Chef nicht passte, war es Schäfchen gleichgültig. Er erfüllte gewissenhaft seinen Job so, wie er es für richtig hielt und wie er es dem Opfer schuldete. Der Tote besaß ein Recht darauf, dass seine Mörderin ihre Strafe erhielt. Das ersah Schaaf als seine Pflicht. Um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, gab es Menschen wie ihn.
Von diesem Credo ließ Schaaf sich niemals abbringen. Selbst wenn sein Chef versuchen würde ihn zu zwingen davon abzuweichen, hielt Schaaf das nicht auf. Dagegen war er härter und beständiger als Diamant. Das bewies er früher schon beeindruckend.
Schon in jungen Jahren, als er seinen Dienst noch nicht bei der Mordkommission erfüllte, ermittelte Schaaf so, wie er es für richtig hielt und wie es seiner Einstellung und selbst auferlegten Verantwortung entsprach, ohne dem Behördendruck und Machteinfluss anderer nachzugeben.
Einst fiel ein zwielichtiger Geldfluss mit hohen Beträgen auf, dessen Ursprung im Rotlichtmilieu und der lokalen Drogenszene lag. Die Abteilung für Betrug und Geldwäsche wurde darauf aufmerksam und begann zu ermitteln. Schaaf gehörte zu den Beamten, die mit diesem Problem beauftragt wurden. Damals traf Schaaf auf genau diese Konstellation, gegen die er sich unbeugsam stellte.
Alle Spuren liefen am Ende bei einem hochrangigen Lokalpolitiker zusammen. Der stand für Gerechtigkeit, soziales Engagement und Gesetzestreue. Gab sich in der Öffentlichkeit als Ehrenmann, der Korruption anprangerte und umgab sich gerne mit Hilfsbedürftigen, denen er seine Unterstützung zusagte. Wöchentlich durfte man ihn bei wohltätigen Veranstaltungen in die Kameras der Presse lächeln sehen.
Schaaf hatte noch keine Beweise, aber für ihn stand es zweifellos fest, dass dieser Mann in der scheinbar sauberen Weste hinter all den illegalen Geschäften steckte, die da im Verborgenen abgewickelt wurden. Schaaf nahm den Politiker direkt ins Visier seiner Ermittlungen und wurde bereits einen Tag nachdem er dem Saubermann einen unfreundlichen Besuch abstattete von ganz oben zurückgepfiffen.
Schaaf ignorierte die Anweisung und suchte weiter im Umfeld des Politikers. Er sammelte Fakten, die allerdings durch undurchsichtige Kanäle flossen und er so noch nicht beweisen konnte, dass der Politiker tatsächlich dahintersteckte.
Erneut erntete er einen Anpfiff der sich gewaschen hatte, mit deutlicher Androhung ernsthafter Konsequenzen, wenn er sich dem Politiker noch einmal nähern sollte, oder sich seine Familie und Freunde durch Herrn Schaaf weiter belästigt fühlen sollten. Was auch dafür galt, dass Schaaf keine falschen Behauptungen verbreiten dürfe.
Schaaf dachte keine Sekunde daran seine Ermittlungen einzustellen, klein beizugeben, und trat dem Herrn weiter auf die Füße, blieb ihm auf den Fersen, in seinem Umfeld präsent und befragte offen Menschen über ihn. Dabei bewusst solche, von denen Schaaf sich sicher war, dass die den Saubermann deswegen anriefen, sobald Schaaf ihnen den Rücken zudrehte. Schaaf spürte, dass die Nervosität bei dem ehrenhaften Politiker anstieg. Er lag richtig und bohrte ungebremst weiter in dem schmutzigen Schlamm unter der weißen Decke.
Daraufhin sprach der Staatsanwalt eine Einstweilige Verfügung gegen Schaaf aus, die ihm untersagte sich dem hochverdienten Politiker zu nähern. Wenn Schaaf nicht sofort seine Nachforschungen gegen diesen beenden würde, drohte ihm als Konsequenz seinen Job zu verlieren, der Rauswurf aus dem Staatsdienst und dass er sich damit womöglich sein ganzes Leben verderben konnte. Eine offene und klare Androhung.
Schaafs Gespür stimmte und das war für ihn glasklar. Trotz der offen ausgesprochenen Warnungen, die sein Leben sehr zum Negativen ändern würden, gab Schaaf nicht nach. Der Kerl hing tief verstrickt in den Geschäften, die Menschen ausbeuteten und kontrollierten. Er steuerte mit brutaler und gewissenloser Hand eine kriminelle Vereinigung. Er war der Macher dahinter und trug das saubere Politikerimage nach außen als Tarnung, unter dessen Deckmäntelchen er seine miesen Machenschaften bisher ungestört betreiben konnte.
Den Androhungen und des Drucks von oben widerstand Schaaf eisern. Für ihn war der Verdächtige schuldig und ganz sicher würde er das irgendwann beweisen können.
Sein damaliger Chef, der soweit es ging ohne selbst ernsthafte Probleme zu bekommen, hinter Schaaf stand, unterstützte ihn, musste ihn aber offiziell aus dem Verkehr ziehen. Er glaubte, anders als von Bredow, bedingungslos an den Scharfsinn von Schaaf, den dieser bereits sehr oft unter Beweis stellte. Er gestand ihm, dass er bereits ernsthafte Probleme bekam, weil er Schaaf nicht bremste.
Also nahm Schaaf Urlaub, um der Suspendierung zuvor zu kommen und ermittelte ab sofort als Privatperson weiter. Sein Chef sagte ihm inoffiziell, dass er sich melden solle, wenn er konkrete Beweise und Belege habe, mit denen er dann höhere Stellen einschalten könne. In Wahrheit stand er auf Schaafs Seite. Was natürlich schwer funktionieren konnte, wenn Schaaf nicht ermitteln durfte und seine Befugnisse eingeschränkt waren. Seine Kollegen hielten ebenfalls zu Schaaf, vorrangig Bert, und versorgten ihn heimlich mit Informationen, an die er als Privatmann nicht herankam.
Schaaf trug alle Fakten zusammen, recherchierte und wühlte im korrupten Dreck. Suchte und fand Personen, die davon wussten und ihm Tipps geben konnten, wo er graben musste, die aber selbst offiziell schwiegen und niemals eine Aussage machen würden. Der Politiker war ihnen zu mächtig und keiner wollte ihm in die Quere kommen. Anders als Schaaf.
Der deckte so alte Seilschaften und Verbindungen auf, die Zusammenhänge klar darlegten. Er zerlegte Stein für Stein die Trotzburg, die um die Geschäfte und den Politiker herum errichtet war und das nach außen hin anständige und saubere Leben des Herrn Politikers. Bis er endlich unstrittige Unterlagen und Dokumente in den Händen hielt, die dessen Machenschaften letztendlich offenlegten.
Schaaf kam mit einem Paukenschlag aus der Deckung zurück, schaltete direkt den Innenminister ein, der sich darum kümmerte, dass keiner mehr die laufenden Ermittlungen beeinflusste oder Beweise verschwinden lassen konnte. Schaaf bekam so die Rückendeckung die er brauchte, um dann offiziell die letzten Schritte vorzubereiten, um den Schuldigen zu guter Letzt hinter Gitter zu schicken.
Auch der Staatsanwalt, der vorher reichlich Druck auf Schaaf ausübte musste seinen Posten räumen, weil der die Ermittlungsansätze von Schaaf gegen den Politiker unterband, wie dieser das bereits seit Jahren tat, wenn Nachforschungen in Richtung dieser geheimen Machenschaften gingen. Der Staatsanwalt stand selbst auf der Gehaltsliste des Politikers und war einer seiner Handlanger. Ließ sich kostenlose und ausschweifende Dienste im Bordell spendieren, erhielt Autos und Urlaube und deckte im Gegenzug den Politiker bereits früher schon gegen Untersuchungen, indem er entsprechende gefälschte Erhebungen bestätigte, die angeblich die Nichtbeteiligung des Politikers an den Vorwürfen bewiesen. Ein perfektes Netz mit doppeltem Boden das damit endlich, dank Schaaf, zerbröselte.
Vom Büro seines Chefs von Bredow aus holte Kriminalhauptkommissar Schaaf seinen Assistenten Busch ab, um mit ihm zusammen den Pathologen Dr. Krawczick aufzusuchen. Um diese Zeit versprach der, dass die Ergebnisse vorliegen würden.
„Wie sehen sie denn aus?“, fragte Schaaf als er ins Büro kam und Busch entdeckte. Bis dahin hatte er seinen Assistenten an diesem Morgen noch nicht gesehen.
„Haben sie die Nacht durchgeweint?“, lachte Schäfchen.
„Ach das. Nein. Als ich heute Morgen Deodorant nehmen wollte und die Dose wie gewohnt vorher schüttelte, stand ich zu nah am Türrahmen. So schlug ich mit dem Drücker gegen das Eck des Rahmens und das Deo sprühte mir direkt in die Augen. Das brennt vielleicht kann ich ihnen sagen!“
„Sie machen Sachen!“ weitere Kommentare dazu hielt Schaaf zurück.
Die Kollegen Bert und Schneider machten sich bereits ausführlich über das neueste Missgeschick von Busch lustig. Er musste dazu schon einiges an Häme erdulden. Bei der Erklärung für Schaaf konnte man wiederum Kichern hören.
Kriminalhauptkommissar Schaaf startete die Ermittlungen für diesen Tag unverzüglich.
„Bert, hier ist die Telefonnummer und Adresse von der Haushälterin des Ehepaars Arbel. Bitte besuch sie und versuche einmal herauszubekommen, wie es bei den Arbels privat aussah. Du weißt schon!“
„Ja klar. Wird erledigt.“
Bevor Busch mit seinem Chef das Büro verließ, übergab Schaaf noch das Handy von Herrn Arbel an Schneider.
„Hier habe ich was für dich!“
„Wow, das neueste und geilste Gerät das es zurzeit gibt. 4K Kamera. Saustark. Danke.“
„Schneider, das ist aus einem Fall, das sollst du untersuchen. Wir brauchen alles, was da drauf zu finden ist.“
„Oh, ja klar. Wird erledigt.“
Busch lachte gehässig. War es doch jetzt einmal Schneider der sich blamierte und nicht immer nur er selbst.
„Busch, nicht übermütig werden“, grinste der seinen Kollegen kurz an, „du bringst es ja sogar fertig über ein WlanKabel zu stolpern!“
Busch brütete über den Satz und noch bevor er verstand, dass es sowas gar nicht gab, war Schneider außer Sichtweite.
Als Kriminalhauptkommissar und Busch wenig später im Labor von Dr. Krawczick eintraten, saß der Pathologe an seinem Schreibtisch und tippte etwas in seinen Computer ein.
„Hallo, ich grüße sie.“
„Hallo Herr Schaaf. Hallo Herr Busch. Ich bin mit den Untersuchungen fertig.“
„Und was können sie mir Schönes erzählen?“
„In den Resten der Tasse habe ich Cytisin gefunden. Das gehört zu der Gruppe der Chinolizidin-Alkaloide und dazu den Wirkstoff Domperidon, was ein Antiemetika ist.“
„Fachchinesisch! Hört sich an, wie ein Champagner aus China. Erklär mir das so, dass ich weiß, von was du sprichst. Ich bin doch nur ein dummer Kommissar“, stapelte Schaaf tief.
Im direkten Gespräch ging Kriminalhauptkommissar Schaaf bei den Kollegen meist zum Du über. Das nahm ihm niemand übel und akzeptierte das, ohne jedoch selbst den Kommissar zu duzen. Vor ihm hatte jeder Ehrfurcht.
Dr. Krawczick lachte. „Cytisin ist ein Gift. Das kommt bei uns zum Beispiel im Goldregen vor und da ist es in den Früchten sehr konzentriert. Bei Vergiftung damit übergibt man sich gewöhnlich sehr heftig und lange. Domperidon ist dagegen ein Antibrechmittel“, übersetzte Dr. Krawczick sein Wissen.
„Das soll heißen, normal hätte er sich übergeben müssen und wäre wahrscheinlich nicht gestorben. Aber durch das Antibrechmittel blieb das Gift im Körper und er starb?“
„Ja. Wahrscheinlich hätte er überlebt, wenn er sich erbrochen hätte. Aber das Gift ist ziemlich stark und die Konzentration in der Tasse war sehr hoch.“
„Aber die Chance die Vergiftung zu überleben wurde ihm auf jeden Fall genommen?“
„So sieht es aus, ja.“
„Hat er gelitten?“
„Sehr! Hattest du schon mal Migräne?“
„Ja die plagte mich früher öfter.“
„So ähnlich müssen seine Kopfschmerzen gewesen sein. Nur 10-mal stärker. Oder, wie wenn man den Kopf auf die Tischplatte haut, nur ohne die erlösende Ohnmacht… gell Busch“, grinste Dr. Krawczick ihn an, in Erinnerung an Buschs selbst zugefügtem KO, als er beim Niesen sich die Stirn auf die Schreibtischplatte knallte. Auf dessen stark gerötete Augen ging der Pathologe nicht ein. Trotzdem sie ihm sofort auffielen.
„Und die Organe“, fuhr Dr. Krawczick mit seiner Erklärung fort, „jedes einzelne, fühlte sich an, wie wenn Kinder sich gegenseitig Brennnessel machen.“
„Brennnessel machen?“ fragte Busch unwissend.
„Kennen sie das nicht? Das ist bei Schulkindern beliebt.“
Zur Erklärung packte er Busch ungefragt am Unterarm. Dr. Krawczick legte beide Hände mit einem Abstand von wenigen Zentimetern nebeneinander um Buschs Arm, und verdrehte sie entgegengesetzt.
„Au“, schrie Busch sofort auf und Dr. Krawczick beendete seine Demonstration.
„Und diese Schmerzen hatte er vielfach stärker an jedem einzelnen Organ! Er wollte außerdem atmen und da ging nix. Er sah nichts mehr. Nur hören wird noch gegangen sein. Also ein sehr qualvoller Tod.
„Das Bild wird deutlicher. Danke dir.“
Im Umdrehen und Weggehen, winkte Kriminalhauptkommissar Schaaf dem Pathologen noch über den Kopf hinweg zu und verließ auch schon wieder das Labor. Busch folgte ihm sofort, als er den abrupten Aufbruch auch als solchen erkannte. Zuerst stand Busch noch einen Moment dumm im Raum und hielt sich den brennenden Unterarm.
Für Dr. Krawczick war dieses Verhalten nicht ungewöhnlich. Er wusste, dass der Kommissar sich nicht mit unnötigen Floskeln aufhielt, wenn er dem Täter auf der Spur war. Schaaf sah nichts als seinen Fall und fokussierte sich einzig darauf. Das nahm er ihm nicht übel, denn auch Dr. Krawczick wollte, dass der Mörder gefasst wurde. Und wenn das einer schaffte, dann Schäfchen.
Noch auf dem Gang rief Kriminalhauptkommissar Schaaf Schneider von seinem Handy aus im Büro an. „Schneider, erstelle mir einen kompletten Lebenslauf von der Witwe. Ich will alles über sie wissen. Sogar, wie sie ihren Kaffee nimmt!“
Schneider versprach sich direkt darum zu kümmern, und Schäfchen ließ sich von ihm an Bert weiter reichen.
„Bert, bitte überprüfe den Chef von Frau Arbel. Wie ist sein Familienstand, Kinder, was treibt der so, wie ist er so, gibt es Hinweise auf ein Verhältnis mit Frau Arbel? Geldprobleme?“
Als Bert zusagte das zu erledigen, fragte Schäfchen weiter: „Sieh mal bitte auf dem Speiseplan der Kantine nach, was es zu Essen gibt. Wenn ich mich nicht täusche, soll es Nudeln in Sahnesoße geben?“
„Moment…. Ja das ist richtig, das steht für heute auf der Karte“, meldete sich Bert nach wenigen Sekunden zurück.
„OK, danke, das möchte ich nicht essen. Ich brauch ein Stück Fleisch“, teilte er seinem Freund und Kollegen mit, der still lachte, bevor Schäfchen das Gespräch beendete.
„Busch wollen sie jetzt Mittagspause machen?“
„Ja, ich würde gerne das Essen in der Kantine zu mir nehmen.“
„Gut. Dann fahren sie jetzt zurück ins Kommissariat und lassen mich am Speisewagen aussteigen. Kommen sie nach der Mittagspause bitte direkt zum Imbissstand und holen mich dort ab. Wir fahren dann gemeinsam in die Firma des Toten“.
„Und“, fragte Busch kurz nach, „meinen sie immer noch, dass es die Ehefrau war?“
„Natürlich! Ohne Zweifel. Giftmorde sind überwiegend die Handschrift von Frauen. Wenn starke Liebe plötzlich ins Gegenteil umschlägt, ergibt das extremen Hass. Sie wollte ihn quälen und Leiden lassen. Da muss in jüngster Vergangenheit etwas Einschneidendes passiert sein. Was das war müssen wir herausfinden.“
„Vielleicht aber auch ein Kollege, der ihn als Konkurrenten gesehen hat?“
„Ich sagte doch gerade es war eine Frau“, wiederholte Kriminalhauptkommissar Schaaf.
„Vielleicht ist der schwul!“
„Busch bitte!“
„Ich werde da sein“, gab Busch schnell nach, bevor er den Unmut seines Chefs weiter auf sich zog.
Kriminalhauptkommissar Schaaf wusste genau, dass die Ehefrau von Herrn Arbel ihm das Gift verabreichte, durch das er starb. Aber das musste Schäfchen noch beweisen. Er brauchte weitere Fakten, die unbestreitbar waren und mit deren Hilfe er die Mörderin in die Enge und im besten Fall zu einem Geständnis treiben konnte. Dazu brauchte es einiges an Gehirnakrobatik. Wo genau er diese Hintergründe finden konnte wusste Schaaf noch nicht, aber er würde jeden Ansatzpunkt der sich bot nutzen.
Busch ließ seinen Chef am Imbisstand „Speisewagen“ aussteigen und fuhr wie besprochen zurück ins Präsidium. Schon beim Öffnen der Autotür stieg Schäfchen ein Duft in seine Nase, der seinen Appetit förderte. Kriminalhauptkommissar Schaaf gönnte sich ein Steakbrötchen mit extra viel gerösteten Zwiebeln.
Die modernen und allgemein beliebten Imbissvarianten wie Hot Dog, Hamburger oder gar Döner lehnte Schäfchen ab. Er brauchte etwas Handfestes wie eben dieses Steakbrötchen, ein Schnitzelbrötchen, oder eines mit einer Scheibe Fleischkäse. Dazu am besten noch eine Portion geröstete Zwiebeln oben drauf, dann war er zufrieden. Eine Gulaschsuppe fand er auch prima. Und hier wurde genau das gereicht, was ihm schmeckte.
Mit seinem Essen, welches ihm in einer Serviette eingeschlagen übergeben wurde, stellte sich Schäfchen an einen der Stehtische und genoss sein Mittagessen. Es gab auch die Möglichkeit sich an eine der Bierzeltgarnituren zu setzen, die in einem kleinen, an die Verkaufsbude angebauten Zelt aufgestellt waren. Doch das Wetter war schön und Schaaf stand lieber an der Luft, wo der laue Wind seinen Kopf durchlüftete und wo er auch besser das Treiben um sich herum im Blick hatte. Die Menschen zu beobachten war ein unvermeidbarer Urinstinkt von Schaaf. Das funktionierte mit einem Automatismus, den er nicht abstellen konnte.
Es gab zwei weitere Männer, die wie er, etwas aßen. Einer trank ein Bier dazu. Schaaf tippte auf einen Handwerker, denn er trug fleckige Jeans und ein staubiges T-Shirt. Dennoch wirkte er nicht ungepflegt. Seine Hände verrieten, dass diese arbeiten gewohnt waren. Den anderen Mann ordnete Schaaf in der IT Branche ein. Der war modern, etwas exzentrisch gekleidet und trug eine Nerdbrille. Sein Äußeres sehr gepflegt und jugendlich, obwohl er selbst offensichtlich nicht mehr so jung war. Jeder stand alleine für sich an einem der Stehtische.
Schaaf erinnerte sich. Zu Südfrankreich, Nizza, war der Platz hier absolut kein Vergleich. Keine Palmen. Kein Meer in Sichtweite. Ganz andere Luft und Gerüche. Auch die Menschen traten völlig anders auf und die Kleidung unterschied sich. Dort verhielten sich die Menschen offener und weniger zurückhaltend. Das war schön gewesen und Schaaf merkte, dass er das ein wenig vermisste.
Kriminalhauptkommissar Schaaf schluckte gerade den letzten Bissen, da fuhr schon Busch mit dem Dienstwagen vor und hielt am Straßenrand genau in der Höhe des Tisches, an dem sein Chef stand. Schaaf zerknüllte die Papierserviette und ging zum nächsten Mülleimer, um diese zu entsorgen. Auch hier hielt er Ordnung und hätte seine Überreste niemals einfach liegen lassen, oder diese gar verächtlich auf den Boden geworfen. Leute, die sich so verhielten verachtete er zutiefst.
Es konnte doch kein Problem sein die wenigen Schritte bis zum nächsten Müllbehälter zu gehen und seinen Abfall dort hineinzuwerfen. Für Schaaf bedeutete diese Unart einen weiteren Beweis für den zunehmenden Egoismus in der Gesellschaft. Manche meinten, es wäre ihnen nicht zuzumuten aufzuräumen und delegierten das an andere weiter. Denen, wer auch immer das im Einzelfall und in deren Ansichten war, muteten sie das dann zu.
Busch wartete geduldig, bis sein Chef das Auto erreichte und zu ihm hinein stieg. Den Motor hatte Busch abgestellt. Als Schäfchen die Tür zuschlug startete er den wieder.
„Sie haben vorhin erwähnt, dass der Giftmord von der Ehefrau verübt wurde?“
„Ja, ganz sicher war es ein Giftmord und noch sicherer war sie es. Wir müssen das jetzt nur noch beweisen. Es wird schwer werden die Ehefrau dazu zu bringen zu gestehen.“
Busch verstand unter diesen Umständen nicht, warum der Kriminalhauptkommissar jetzt zu der Firma des Toten fahren, die Beerdigung besuchen wollte und auch weiter in alle erdenklichen Richtungen ermittelte, wenn man sich doch besser um die Ehefrau kümmerte.
„Warum dieser Aufwand, wenn sie sich sicher sind, dass es die Ehefrau war, die ihn vergiftet hat? Warum gehen wir dann zum Arbeitsplatz des Toten?“
„Weil wir Anhaltspunkte brauchen warum sie es tat und ich noch nicht weiß, wo wir die finden können. Zu wissen, dass sie es war ist die eine Sache. Es ihr zweifelsfrei nachzuweisen ist die andere. Wo liegt das Motiv? Gab es vielleicht einen Ehevertrag und er plante sich scheiden zu lassen? Was verbirgt sich da im Dunkeln, das sie dazu brachte ihren Mann zu vergiften? Wir müssen einfach alles abklopfen und irgendwann wird sich etwas finden, womit wir sie überführen können. Sie ist schlau und wenn wir nichts Konkretes in der Hand haben, wird sie uns auslachen und wohl auch davonkommen.“
„Ah verstehe“, begriff Busch das Vorgehen seines Chefs jetzt besser.
„Gut! Also fahren sie los. Mal sehen, was uns sein Arbeitgeber und die Kollegen berichten können.“