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Eine Woche lang hatte ich mir den Kopf zermartert, wer die Statue gestohlen haben konnte. Die Polizei würde der Sache ohnehin nicht weiter nachgehen. Erstens fand man im Haus keinerlei Spuren – nicht den kleinsten Hinweis – und zweitens konnte ich denen unmöglich von der Statue erzählen. Sieben Tage, in denen ich die Existenz von Alan Garu vollkommen vergaß.

Bis er mich anrief.

Wie erwartet im Befehlston. Kein bisschen charmant.

Wenn er dachte, ich sprang, sobald er es sagte, dann war er schief gewickelt. „Wage es nicht, zu trödeln. Ich bin im Augenblick stinksauer!“ Na und? War weder mein Problem noch meine Schuld. Aber gut. Eine Warnung. Möglicherweise war es also ratsam, zu tun, was er wollte. Zumindest heute.

Da er keine speziellen Wünsche äußerte, entschied ich mich für meine Röhrenjeans und ein knappes Top, dass meinen flachen Bauch betonte. Dazu schlüpfte ich in meine Bikerstiefel, über die ich mühelos die Hosenbeine ziehen konnte. Auf Make-up verzichtete ich, da es unter dem Helm sowieso verlief. Außerdem donnerte ich mich nicht für Mister Supernervig auf. Da Laura – mal wieder – nicht daheim war, schloss ich die Wohnungstür von innen ab, steckte den Schlüssel in meine Jeans, zog meine Lederjacke an, ging durch mein Arbeitszimmer in die Garage, schaltete dort die Alarmanlage an, öffnete das Rolltor, setzte den Helm auf und schwang mich auf mein Motorrad.

Was tue ich hier eigentlich?

Laura hatte nicht mal nach dem Date gefragt. Jetzt war sie sonst wo und ich durfte mich mit diesem blöden Arschloch rumschlagen. Tief einatmend startete ich die Zündung, drehte das Gas einmal voll auf, legte den Gang ein, ließ langsam die Kupplung kommen und fuhr los. Der Sensor sorgte dafür, dass sich das Tor hinter mir schloss. Dennoch blieb ich kurz stehen und vergewisserte mich.

Eine weitere Überraschung brauchte ich weiß Gott nicht.

Eine halbe Stunde später stand ich vor einem Anwesen, das dem von voriger Woche sehr ähnelte. Ein gepflegtes Grundstück mit einem penibel gestutzten Rasen. Eine helle, mit Kies aufgefüllte Auffahrt. Ein riesiges schmiedeeisernes Tor, das offensichtlich unter Strom stand. Akribisch in schnurgeraden Reihen angepflanzte Hecken und weniger symmetrisch angeordnete alte Eichen, deren Zweige sich lang ausstreckten. Sogar ein beleuchteter Springbrunnen befand sich mittig auf der Rasenfläche vor dem alten Herrenhaus. Zwei Wachen standen vor dem Tor und fragten nach meinem Namen und meinem Anliegen. „Samantha Bricks. Herr Garu hat mich angerufen und gebeten vorbei zu kommen.“ Der größere der beiden nickte. Ganz offensichtlich wurde ich bereits erwartet. Das Tor öffnete sich mit einem leisen Schnurren gerade so weit, dass ich mit dem Motorrad passieren konnte. Ich stoppte vor dem Eingang, stieg ab, platzierte den Helm auf dem Sitz und sah staunend die Fassade hinauf.

Ein umwerfender Anblick.

Überall in dem Gemäuer waren sagenhafte Stuckarbeiten zu sehen und kleine gusseiserne Balkons, die von Efeu und kleinen gelben Blüten umrankt wurden. Erst jetzt sah ich auf die Tür, fand aber keine Klingel. Ich wollte gerade klopfen, als sie einfach aufschwang und ein stinkwütender Alan mich anfunkelte. „Wurde auch Zeit. Schwing deinen Arsch hier rein.“ Welch nette Begrüßung. Da wurde einem gleich richtig warm ums Herz. „Ich freue mich auch, dich zu sehen.“, antworte ich spöttisch, was er mit einem eisigen Blick quittierte. „Komm mit.“ Anscheinend durfte ich die Stiefel anbehalten. Auch gut. Schulterzuckend folgte ich ihm die Treppe hinauf, wobei ich ausgiebig seinen wirklich tollen Hintern bewundern konnte. Wie schon bei unseren ersten Treffen steckte er auch heute in engen Jeans. Lecker.

Zugegeben, der ganze Mann war ein Festschmaus für das Auge. Aber hey, ich fand auch Fliegenpilze schön. Trotzdem käme ich nie auf die Idee, von ihnen zu kosten. Alan war auch nur ein Fliegenpilz.

Auf zwei Beinen und in Jeans.

Oben angekommen lief er den Flur bis ans Ende, öffnete linkerhand eine Tür, hinter der bereits Licht brannte, ließ mich eintreten und wies mit der Hand auf einen Stuhl vor einem Schreibtisch.

Einem sauber aufgeräumten Schreibtisch.

Kein Laptop oder Rolltop. Auch kein Telefon. Nur Papiere und zwei Füllfederhalter. „Setz dich.“ Dafür, dass Gestaltwandler die reinsten Technikfreaks waren, war dieses Zimmer eindeutig zu wenig modern. Ich zog meine Jacke aus, hängte sie über den Stuhl, setzte mich und schaute mich verstohlen um.

Überall Holz: an den Wänden, der Decke, dem Fußboden. Der Tisch war aus Holz, ebenso der Stuhl und die Tür. Schweres Holz. Ich tippte auf Eiche, wobei ich mich natürlich auch irren konnte. Auf dem Boden lag ein dicker rostroter Teppich. An den Fenstern waren Außenjalousien angebracht, aber keine Gardinen. Selbst die Deckenbeleuchtung passte perfekt in das rustikale Ambiente: schwer und klobig.

Alan legte ein Formular vor mich, das mehrere Seiten umfasste. „Unterschreib das!“ Ich mochte seinen Befehlston nicht. Schon allein deswegen nahm ich mir die Blätter, lehnte mich auf dem Stuhl mit den breiten Armlehnen zurück, schlug die Beine übereinander und begann zu lesen. Hauptsächlich, weil ich nicht einfach irgendwas unterschrieb. „Ähm, was soll ich damit?“ Ich schluckte unsicher. In der Hand hielt ich Regeln für das Rudel. Hallo? Ich gehörte nicht dazu! „Unterschreiben.“, antwortete er mit einem blasierten Grinsen. „Und das hier auch.“ Er reichte mir ein weiteres Formular, das ziemlich alt aussah, aber in gutem Zustand war. Kacke! War das sein Ernst? „Ich denke nicht daran! Ich will nicht in ein Rudel.“ Ganz besonders nicht in eins, in dem du bist! Ich hoffte, meine Stimme wirkte fester, als ich es befürchtete; denn ich zitterte leicht. Alan stand von seinem Stuhl auf, ging um den Tisch herum und stellte sich neben mich.

Super, dadurch fühlte ich mich noch kleiner.

„Du wirst das unterschreiben. Wenn wir offiziell als Paar gelten, muss ich dich ins Rudel aufnehmen.“ Er beugte sich dicht zu mir herab, so dass ich unweigerlich meinen Körper ein wenig zur anderen Seite neigte. „Glaub mir, es passt mir ebenso wenig wie dir. Unterschreib es oder ich lass euch bei Bingham auffliegen.“, fauchte er. „Sehe ich so blöd aus? Aus dem Zeug komm ich nie wieder raus. Ich weiß, dass man eine Rudelzugehörigkeit nicht aufheben kann.“ Er lächelte eisig. „Du meinst, das gilt auch für Menschen?“ Nachdenklich schüttelte ich den Kopf. „Ich wäre dadurch an ein Rudel gebunden, oder? Ich müsste deren Gesetze und Regeln anerkennen? Warum sollte ich das tun?“

„Einer der Gründe ist Bingham. Er wird das überprüfen. Er weiß, dass man in ein Rudel aufgenommen wird, wenn man gewisse… Bindungen eingeht.“

Na toll. Einfach fantastisch!

Nach einem ausgiebigen, stummen Streitgespräch mit mir selbst unterschrieb ich seufzend. Was tat man nicht alles für seine beste Freundin?

Sein triumphierendes Lächeln gefiel mir freilich nicht. Mir wurde leicht übel, aber für Reue war es zu spät. „Jetzt, da du zum Rudel gehörst, unterstehst du auch unseren Regeln und Gesetzen. Also, beantworte mir ein paar Fragen.“

„Ich bin dir gegenüber keine Rechenschaft schuldig.“

Mürrisch verschränkte ich meine Arme. So wie er das sagte, zählte ich jetzt nicht mehr als Mensch, zumindest vor keinem Gericht. Das hatte man damals bei der Festlegung der Regierung nach den zwei verheerenden Revolutionen vor gut 60 Jahren leider nicht bedacht. Rudelpolitik wurde grundsätzlich intern geregelt. Alles, was innerhalb des Rudels passierte, blieb auch im Rudel. Und da ich nun wohl oder übel dazugehörte, würde ich mich dem fügen müssen.

Oh man, alles in mir rebellierte dagegen!

Die meisten der Regeln würde ich mir die nächsten drei Monate garantiert öfter ansehen müssen. Aber wenn ich eines wusste, dann, dass ich nur dem Alpha gegenüber rechenschaftspflichtig war. Sollte der mich je etwas fragen. Konnte mich Alan überhaupt einfach so ins Rudel aufnehmen, ohne seinen Boss, den mächtigen Alpha dabei zu haben?

Verflixt und zugenäht!

Ein schrecklicher Gedanke durchzuckte mein auf Hochbetrieb arbeitendes Gehirn. Das durfte einfach nicht wahr sein! Alan war doch nicht etwa ein echter Alpha? Dass er sich wie einer aufführte, hieß doch nicht, dass er einer war, oder? Oder?

„Sag mir bitte, dass du nicht der Obermacker von dem Rudel bist.“ Er lachte leise, sein Blick blieb jedoch eisig. „Ich bin nicht der Obermacker von diesem Rudel…“, sagte er betont langsam, „… aber sag du mir, warum du diese Lüge hören willst.“ Hastig sprang ich auf, wobei der Stuhl bedrohlich wankte. „Du?“ Ich klang hysterisch, na und? „Ja, ich. Jetzt, nachdem das geklärt ist, beantworte mir eine Frage.“ Wie fand er denn neben seinem Job noch die Zeit, ein Rudel zu regieren? Da hatte ich mir aber eine verflixt beschissene Brühe eingebrockt. Und jetzt durfte ich die auslöffeln.

Das war so was von unter aller Kanone!

Ich unterstand ihm! Das hieß, seinem Gesetz! Wenn er meiner überdrüssig wurde, könnte ich einfach verschwinden, ohne dass die menschlichen Behörden eingriffen. Ich hatte dieses Stück Papier unterschrieben; als seine Partnerin. Hieß das, ich war für die nächsten drei Monate sein Alphaweibchen? Jesses, war mir schlecht. Aber blieb mir überhaupt eine Wahl? „Dann frag.“ Verdammt! „Wo ist die Statue?“ Ach du heiliges Kanonenrohr! Hatte ich mich verhört? Jegliche Farbe lief mir aus dem Gesicht in die Füße.

Ganz ehrlich, ich fühlte es.

„Was?“ Ich piepste wie ein Mäuschen, was mir gar nicht ähnlich sah. „Die Statue. Ungefähr so groß…“, er zeigte mit Daumen und Zeigefinger einen mir sehr bekannten Abstand an, „… ein Rubin, eingewunden in Gold? Klingelt da was bei dir?“

„Nö.“ Spontan schüttelte ich den Kopf. „Lüg mich nicht an.“

„Tu ich nicht.“ Sollte er mir doch das Gegenteil beweisen. Ich hatte es noch gar nicht richtig ausgesprochen, da packte er mich am Arm, und ich flog mit einem lauten Krachen gegen die Tür. Uff, mein Rücken. Ächzend landete ich mit dem Bauch voran auf dem Fußboden. Sämtliche Luft entwich meinen Lungen. Für einen winzigen Moment sah ich Sternchen. Ich hatte alle Mühe, wieder Luft zu holen, während ich versuchte mich aufzurappeln. Doch dazu kam ich gar nicht. Schneller als erwartet saß er auf meiner Taille. Seine Füße hielten meine Knöchel am Boden, so dass ich meine Stiefel nicht in seinen Rücken rammen konnte. Seine Hände hielten meine Handgelenke umfasst. „Hältst du mich für blöd?“

Darf ich lügen?

Ich entschloss mich, nichts zu sagen. Das war auch einfacher, denn noch immer bekam ich kaum Luft. „Ich frage dich noch einmal, wo ist die Statue? Ich weiß, dass du sie hast.“ Nun, jetzt musste ich nicht lügen. „Ich habe sie nicht!“, quetschte ich mühsam zwischen meinen Zähnen hervor. „Gut. An wen hast du sie verkauft?“ Zischend holte ich Luft, aber es war zu wenig. Verdammt! Woher wusste er das überhaupt? „Ich kriege keine Luft!“, japste ich, heftig nach Sauerstoff schnappend. Er rutschte ein wenig nach hinten, so dass er nun auf meinem Hintern hockte. Mehr bewegen konnte ich mich dadurch auch nicht, aber zumindest konnte ich nun etwas Sauerstoff tanken. „Antworte mir. An wen hast du sie verkauft?“

„Hab ich nicht. Ich habe diese blöde Statue nicht!“ Das entsprach der Wahrheit. „Hmm…“ In dem Moment drehte er meinen linken Arm so, dass ich dachte, er würde ihn mir jeden Moment brechen. „Sicher?“, schnurrte er, „Vergiss nicht, was ich bin und was du bist. Ich könnte dir aus Versehen den Arm brechen. Ohne Mühe. Du gehörst zum Rudel, und ich bin dessen Gesetz.“ Die Spannung in meinem Ellenbogen wuchs und ich wusste, dass er das durchaus so meinte, wie er es sagte. „Ich habe sie wirklich nicht! Lass mich los und ich sage dir, was ich weiß.“ Alan knurrte, aber die Spannung in meinem Arm löste sich. Nur los ließ er ihn nicht. Stattdessen verschränkte er meine Handgelenke vor meinem Kopf, was dazu führte, dass er fast auf mir lag. Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken. Mir war auf einmal furchtbar warm. Schweiß bildete sich auf meiner Stirn.

Angstschweiß; mit Sicherheit!

„Was tust du da?“, fragte ich irritiert und keuchte erschrocken, als er mit seiner Zunge über meinen Nacken glitt. „Was meinst du denn, was ich tue?“ Wollte der mich anmachen? Gott bewahre, ich konnte ihn nicht ausstehen!

Wieso kribbelte dann aber mein Körper, als wäre er kurz davor in Flammen aufzugehen?

„Lass das! Das ist ja eklig!“, stieß ich mühsam hervor, wobei ich mich unter ihm wandt. Diesmal lag meine schleppende Aussprache allerdings an den verwirrenden Gefühlen, die durch mich hindurch rasten. Nicht an mangelndem Sauerstoff. „Da stimme ich dir zu. Du bist eine Frau, die mir absolut gegen den Strich geht. Aber für die nächsten Monate bist du offiziell meine Partnerin. Es wäre unlogisch, wenn ich dich nicht markiere.“ Was?

Nur gut, dass er meinen panischen Gesichtsausdruck nicht sehen konnte.

Sein Kinn kratzte leicht über meinen Nacken, während er an mir roch. Dass ich eine Gänsehaut bekam, lag nur daran, dass ich es widerlich fand. Ganz bestimmt hatte das keinen anderen Grund. Ich versuchte, mich zu bewegen, aber unter ihm klebte ich regelrecht am Boden fest. „Führe mich nicht in Versuchung, dir weh zu tun!“, knurrte er, wobei seine Stimme tiefer klang als vorher. Seine Füße öffneten meine Beine; er glitt dazwischen. Seine Hüfte rieb an meinem Hinterteil und ich war mir deutlich seiner Erektion bewusst, die sich an meinen Po schmiegte. Insgeheim hoffte ich allerdings, dass es ein sehr großes Handy war. Dann biss er zu. Es tat nicht weh. Es war… anders.

Seltsam.

Dominant.

Vor allem aber lähmend.

Er ließ meine Handgelenke los, die ich, so sehr ich es auch versuchte, nicht bewegen konnte. Seine Hände stützten sich an meinen Seiten ab. Mit einem Ruck spürte ich, dass er sich zwischen meine Beine kniete, wobei sich seine Brust von meinem Rücken löste. Seine rechte Hand glitt unter mich auf mein Schlüsselbein, seine linke umfasste meine Taille. Ganz langsam zog er mich zu sich hoch, was ich zu meinem eigenen Erschrecken unheimlich erotisch fand.

Mein Gehirn musste einen Kurzschluss haben.

So verquer war ich doch gar nicht!

Sein Biss wurde kräftiger. Sämtliche Nervenenden in meinem Körper explodierten in einem kleinen Feuerwerk. Sein Atem war heiß. Seine Hände lagen schwer auf mir und pressten mich fest an ihn. Ein letztes Mal drückten seine Zähne tiefer in meine Haut, so dass ich dachte, mein Nacken würde brechen. Dann löste er sie, glitt mit der Zunge über den brennenden Biss und ließ mich so unerwartet los, dass ich auf alle vier fiel. Gerade so. Denn meine Arme und Beine fühlten sich an wie Pudding. Mich schüttelte es. Ob vor Verlangen, Wut oder weil er mir eine lehrreiche Lektion erteilt hatte, wollte ich nicht analysieren.

Als erste Reaktion hätte ich ihm gern eine Ohrfeige verpasst. Leider war ich genug damit beschäftigt auf die Beine zu kommen, wobei ich wie eine alte Frau stöhnte. Morgen wäre mein Rücken blau. Wie mein Nacken morgen aussähe, wollte ich gar nicht wissen.

Hoffentlich übertrug er keine Tollwut.

Ich unterdrückte den starken Drang, mit meiner Hand über meinen pulsierenden Nacken zu reiben. Ich wollte kein Blut an meinen Händen sehen. Es fühlte sich jedoch nicht so an, als würde ich bluten. Sehr seltsam.

Seine Aufforderung mich wieder zu setzen, nahm ich nur zu gern an. Ich war mir nicht sicher, ob mich meine Beine lang genug tragen würden. „Also, meine kleine Diebin. Rede!“ Galant lehnte er in seinem Stuhl. Pfft, seine kleine Diebin? Der tickte doch nicht mehr ganz richtig. Seine Augen funkelten träge, aber immer noch herausfordernd genug. An seinen Lippen war kein Blut. Und auch seine Zähne, die er mit einem leichten Lächeln zeigte, sahen völlig normal aus. „Du siehst aus wie ein verschrecktes Eichhörnchen.“, lachte er provokativ, was ich natürlich nicht ohne einen passenden Kommentar auf mir sitzen ließ. „Entschuldige bitte, dass ich gedanklich meine aktuelle Impfliste durchgehe.“

Sein Blick verfinsterte sich.

„Du hast ganz andere Probleme. Erzähl mir, was ich wissen will.“ Tief Luft holend erzählte ich ihm widerwillig von meinem kleinen Ausflug, der sehr wohl erfolgreich gewesen war, von dem Diebstahl während unseres Dates, von der Polizei, die ich natürlich nicht einweihen konnte und dass ich in meinem alleinigen Auftrag gehandelt hatte. „Das ist alles sehr interessant. Aber warum sollte ich dir glauben? Sie war in deinem Besitz und du sagst selbst, dass es keinen Sinn ergibt.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Bis jetzt nicht. Aber woher weißt du, dass ich die Statue hatte? Ich weiß, dass mich keine Kamera aufgezeichnet hat.“

„Stimmt. Die sind seltsamerweise alle ausgefallen, was – nehme ich an – dir zu verdanken ist. Wie auch immer. Ribberts Rudel steht unter meinem Schutz, weil sie die Wächter dieser Statue sind, die für uns von unschätzbarem Wert ist. Jetzt ist sie weg. Und die einzige Spur, die ich habe, führt zu dir. Ribbert meinte, es habe im gesamten Haus nach läufiger Hündin gerochen. Der Überfall war in der Nacht vor unserem Date. Und du hast regelrecht danach gestunken. Hast du dir eine ganze Flasche von dem Zeug über den Kopf geschüttet?“

Hatte ich.

Sicher war sicher.

Aber ich hatte im Anschluss auch ausgiebig geduscht. Zumindest in meiner naiven Annahme. „Hm, du hast das gerochen, sogar noch am Tag danach. Nachdem ich geduscht habe. Mir kann quasi jeder nach diesem Geruch gefolgt sein!“ Alan schüttelte den Kopf. „Unwahrscheinlich. Ribberts Rudel kann diesen Geruch zwar ebenso intensiv wahrnehmen wie ich, aber ist davon viel zu irritiert, um einer Spur zu folgen. Sie laufen eher im Kreis, als den Ursprung zu finden. Wie Baldrian bei einer Katze verstehst du?“ Oh ja, das kannte ich. Die wurden davon regelrecht high. Aber weshalb ließ es ihn kalt? Na ja, das nächste Mal wäre ich schlauer. Falls es ein nächstes Mal gab!

„Es ist trotzdem irgendwie… komisch. Es gibt keine Einbruchsspuren. Derjenige, der sie von mir gestohlen hat, hat nicht das ganze Haus auf den Kopf gestellt. Mein Zimmer und das Arbeitszimmer waren vollkommen verwüstet. Aber der Safe, in dem ich sie aufbewahrte, war nicht mal angekratzt. Trotzdem ist es demjenigen gelungen ihn zu öffnen und wieder zu verschließen, so dass es mir möglicherweise gar nicht aufgefallen wäre, hätte ich nicht nachgeschaut.“ Alan nickte ganz leicht. „Es ist ein sehr seltsames Timing, meinst du nicht auch?“ Ja, das war es. „Egal, sieh zu, dass du die Statue zurückholst. Wir haben gut 11 Wochen. Dann muss sie wieder in Ribberts Besitz sein. Wenn nicht, wird es richtig schlimm werden. Und du, meine Liebe, steckst mitten drin.“ Ich grinste anzüglich. „Ich muss nur ein paar Wochen mit dir aushalten, falls es schlimm wird. Was immer das bedeuten soll und was nicht heißt, dass ich es dazu kommen lasse.“

Warum lächelte er immer noch?

Theoretisch hätte er jetzt grimmig gucken müssen.

„Oh, das sollte ich dir vielleicht mitteilen. Als Mensch kommt man normalerweise schon aus dem Rudel wieder heraus. Mit einer einzigen Ausnahme…“ Ich versuchte, ganz ruhig zu bleiben, als er sich dicht zu mir beugte, so dass ich seinen Atem auf meiner Nasenspitze fühlte. „… als Alpha kannst du das Rudel nicht lebend verlassen.“ Ich schnappte entsetzt nach Luft. Oh, dieser… Steckdosenbefruchter!

Wütend ballte ich meine Hand zu einer Faust und ließ sie nach vorn in sein Gesicht schnellen. Zu dumm, dass dieser Bastard schneller war und meiner Faust ausweichen konnte. „Fordere mich nicht heraus. Privat kann ich diesen Faux Pas übergehen. Wenn ich will. In der Öffentlichkeit hingegen nehme ich ihn zu gern als Herausforderung an, kapiert?“ Ok, ich betrachtete mich als gewarnt. Was nicht hieß, dass ich ihn in meinen Gedanken nicht auf viele verschiedene Arten umbrachte. „Dann hör auf, mich zu verarschen, du arroganter Bastard! Ich komme aus diesem Blödsinn irgendwie raus. Und wenn ich dich dazu erpressen muss. Wenn ich diese scheiß Statue finde, wirst du einen Weg finden, mich aus diesem Verein auszutragen.“ Er schnalzte mit der Zunge, gab mir jedoch nicht zu verstehen, ob er mir damit zustimmte. Stattdessen wedelte er wie ein König mit der Hand und meinte, ich könne nun gehen.

Ich musste mich wirklich sehr zusammennehmen, um auf dem Weg nach unten meine Sinne unter Kontrolle zu halten. Außerhalb seines rustikalen Bereiches war das Haus mit Technik vollgestopft. Nur ein bisschen… ah, das musste warten. Selbst wenn es mir noch so sehr in den Fingern juckte. Er musste noch nicht herausfinden, wozu ich fähig war. Womöglich kam es ihm in den Kopf, meine Dienste unentgeltlich und auf Dauer für das Rudel in Anspruch zu nehmen.

Während ich den Heimweg antrat, schwirrten zwei Worte durch meinen Kopf, die sich absolut falsch anhörten und hysterische Krämpfe in mein Gesicht gruben.

Rudelzugehörigkeit. Und Alphaweibchen.

Oh man, mein Leben war irgendwie aus der Spur geraten.

Als ich wieder daheim war, stolperte ich ständig über meine eigenen Gedanken. Sie machten mir Angst. Ich war nun mal kein Gestaltwandler. Dem ungeachtet sollte ich plötzlich dazu gehören. Und das auch nicht nur für die ursprünglich vereinbarten drei Monate, sondern solang, bis ich den Löffel abgab? Bullshit!

Das alles tat ich für Laura, die schon wieder seit einer Woche mit Abwesenheit glänzte.

Sie rief zwar jeden Tag an, aber ich hatte nicht wirklich mit ihr reden können. Zum einen, weil sie mir von ihrem Freund vorschwärmte. Auch wenn ich weder Name, noch Alter, noch Beruf erfuhr, sondern lediglich wie toll, wie süß und wie romantisch er war; zum anderen von ihrer Arbeit. Sie fragte nicht nach dem Date. Ich ging also davon aus, dass sie es als erledigt betrachtete. Aber gerade heute könnte ich eine Freundin wirklich gut gebrauchen.

Meinen Eltern konnte ich davon nichts sagen. Meinen beiden Brüdern auch nicht.

Chris?

Der würde sich kaputt lachen und im Endeffekt würde ich wieder irgendeine Wette mit ihm eingehen. Ich sollte mir ein paar Fische zulegen. Die könnte ich zulabern. Allerdings war mir irgendwelches Viehzeug einfach zu viel Arbeit. Blieben noch meine Blumen. Aber die würden dank meiner Depression nur eingehen. Mit mir selbst reden, hm? Ziemlich eintönig. Freilich gab es noch Claudia und Trudi. Aber die erste wusste nichts von meinem Job und war mit ihrer Familie genug beschäftigt und die gute Trudi – eigentlich hieß sie Tamara – würde in Ohnmacht fallen, sobald ich nur den Namen Alan Garu erwähnte. Ich wettete mit mir selbst, dass sie eher früher als später bei mir anrief, sobald bekannt wurde, dass ich dessen… äh… Freundin war.

Schlecht gelaunt stieg ich unter die Dusche, wobei sich mein Rücken ächzend bemerkbar machte. Mein Nacken pulsierte immer noch, aber er tat nicht weh. Im Spiegel konnte ich nichts sehen. Logisch – ich hatte am Hinterkopf keine Augen. Ich wusch mich gründlich, auch meine Haare, rubbelte mich anschließend trocken und schlurfte in mein Schlafzimmer. Eigentlich war ich viel zu wütend und viel zu aufgewühlt, um zu schlafen. Dennoch schlief ich sofort ein.

Das Klingeln an meiner Haustür riss mich am Morgen aus dem Tiefschlaf. Ich brauchte einen Moment, um mich zu orientieren, zog mir rasch ein Shirt über. Hüpfend stieg ich in meine Jogginghosen, während ich mich schon auf dem Weg zur Haustür machte. Mit den Händen fuhr ich fix durch meine Haare, die trotzdem in alle Richtungen abstanden.

„Guten Morgen.“, begrüßte mich ein kecker Halbwüchsiger, den ich auf höchstens 14 schätzte. Seine Nase war ein wenig schief, aber sein Lächeln sehr charmant. „Für Sie.“, meinte er und drückte mir einen großen, braunen Briefumschlag in die Hand. „Alan möchte Sie heute Abend sehen. Sie werden um sechs abgeholt. Das passt Ihnen doch, oder? Er möchte nicht, dass Sie sich überrumpelt fühlen. Sie sollen sich keine Sorgen um ihre Garderobe machen. Er hat bereits welche besorgt.“ Der Junge lächelte, offenbar glücklich, dass er mir diese Nachricht brachte. Das hieß aber auch, ich musste mitspielen. „Vielen Dank. Ich freue mich.“ Er nickte schnell. „Soll ich Alan etwas ausrichten?“ Ich überlegte. „Nein, danke. Aber du könntest mir einen Gefallen tun.“ Er strahlte übers ganze Gesicht, als ich das sagte und meine Bitte aussprach.

Sein eifriges Nicken hätte genügt. Doch er beeilte sich zu versichern, dass er es so schnell wie möglich erledigen würde.

Mit einem zynischen Grinsen ging ich wieder ins Haus, den Umschlag an mich gepresst. Oh ja, der Abend wird richtig gut werden! Überrumpelung, Bevormundung und Anmaßung seitens seiner arroganten Hoheit hin oder her. Ich öffnete den Umschlag. Mein erster Impuls war der Papierkorb. Aber ich war mir sicher, dass Alan das nicht entschuldigen würde. Also las ich eifrig, was ich mir erlauben konnte und was nicht.

Klar, dass er mir die Regeln schickte. Niemand aß gleichzeitig mit dem Alpha. Abgesehen von Außenstehenden oder Gleichberechtigten. Ich hatte mit ihm gegessen. Wozu zählte ich? Keine Ahnung. Oh man, die hatten wirklich viele Regeln. Die konnte ich mir unmöglich alle merken. Aber ich fand es nützlich zu wissen, dass ich jemandem durch eine kämpferische Geste oder eine wörtliche Ansage herausforderte. Haha, perfekt. Der Junge würde mir genau das liefern, was ich brauchte, um Alan wütend zu machen, ohne dass ich ihn offiziell provozierte. Soweit ich das von dem Jungen verstanden hatte, befanden wir uns heute Abend in der Öffentlichkeit. Unter Menschen. Hah!

Alan würde sich noch wundern.

Nach einer Stunde beschloss ich, die Regelwerke beiseitezulegen. Verflixt! Warum war sowas vor den Revolutionen nicht vorhersehbar gewesen?

Damals war die Existenz meiner Spezies nachgewiesen worden. Genetische Veränderungen, die Menschen wie mich von anderen grundlegend unterschieden. Uns wurde der wissenschaftliche Name Homo sapiens movere zuteil. Es dauerte nicht lang, bis sich daraufhin die Regierung und das Militär einmischten und durch Aufwiegelung der Bevölkerung sowie staatlich angeordneter Razzien im Jahr 2051 ein zweites Salem schuf. Movere und Menschen, die dafür gehalten wurden beziehungsweise der Regierung ein Dorn im Auge waren, wurden von den normalen Menschen weggesperrt. Wenn sie nicht schon vorher spurlos verschwanden: in Erdlöchern, Laboren, Verbrennungsöfen, Militäreinrichtungen.

Dabei handelte es sich lediglich um Evolution, die nicht mit Teufelsanbetung, Hexerei oder Außerirdischen zusammen hing und keineswegs plötzlich auftauchte. Tja, selbst aufgeklärte Menschen ließen sich auf mittelalterliches Niveau zurückstufen. Ordentlich verpackt mit genug Horror für den normalen Bürger, der daraufhin ausflippte, stießen die Worte der Wissenschaftler auf taube Ohren.

Nach drei Monaten Massenhysterie, in der die veränderten Menschen eindeutig im Nachteil waren – weil die meisten mit ihren Fähigkeiten trotzdem genauso verwundbar waren, wie Menschen ohne veränderte Genetik – erschienen die echten Monster auf der Oberfläche des gesamten Planeten.

Die, die man wirklich fürchtete: Vampire, Gestaltwandler und einige andere Wesen, deren Existenz die Menschheit stets geleugnet hatte. Es kam zu einem blutigen Führungswechsel.

Die rein menschliche Regierung wurde ... abgesetzt.

In den Geschichtsbüchern stand später, dass jeder einzelne Parlamentsangehörige ersetzt wurde. Außerdem, dass die anderen Spezies nicht erst erschienen waren, sondern sich lediglich zu erkennen gaben. Nur das Entsetzen der Menschen, weil ein Schauspieler, Sänger, Geschäftsmann, Nachbar sich plötzlich als etwas anderes entpuppte, sorgte für den raschen und gewalttätigen Machtwechsel, der zehn Jahre lang für die vollkommene Unterdrückung der menschlichen Rasse sorgte.

Doch es gab viele, die damit unzufrieden waren. Besonders Gestaltwandler und Vampire, die sich stets im Rampenlicht der menschlichen Gesellschaft aufgehalten hatten, wurden ungehalten und sprachen sich gegen das bestehende Machtverhältnis aus. Damit fanden sie rasch jede Menge Anhänger. Es kam zu einer weiteren Revolution, an der auch eine nicht geringe Menge Menschen beteiligt war. Normale als auch solche mit einem gewissen Extra.

Die neu entstandene Führungsebene bestand von da an aus verschiedenen Spezies.

Jede von ihnen mit den gleichen Rechten.

Den gleichen Pflichten.

Auch wenn sie intern einige grundlegende Dinge anders regelten, so funktionierte doch das Prinzip der Gleichheit. Wurde ein Mensch auffällig, wurde er vom menschlichen Teil des Systems gerichtet. Und war es ein Vampir, dann von der vampirischen Fraktion. Für die anderen galt das gleiche Prinzip, was die Bevölkerung, egal welcher Spezies, als logisch und gerecht empfand. Und jetzt hing ich als movere im Rechtsempfinden der Gestaltwandler fest.

Dampfender Bockmist!

Tja, ändern konnte ich es nicht.

Also sollte ich aufhören mich zu ärgern und mich stattdessen an meinen Laptop zu setzen. Irgendjemand hatte die Statue; und ich kannte ein paar gute Adressen, wo man gestohlene Ware meistbietend an den Mann oder die Frau bringen konnte.

Ferner könnte ich meine vertrauliche Quelle befragen. Seine Ohren hörten mehr als die von anderen. Nur ihn zu kontaktieren dauerte seine Zeit. Niemand wusste, wann er sich wo aufhielt. Einen festen Wohnsitz kannte ich nicht. Er hatte kein Telefon, kein Internet und nichts anderes dergleichen. Ich konnte also nur ein Zeichen an dem dafür ausgemachten Ort hinterlassen und darauf hoffen, dass er sich bei mir meldete.

Was meist innerhalb von 24 Stunden passierte.

Aus dem Kühlschrank holte ich mir eine Flasche Wasser. Mit der Flasche in der Hand, an der ein paar Tropfen herab perlten, lief ich in mein Arbeitszimmer und schaltete den Laptop an. Ein altes Modell, aber er lief noch wie am Schnürchen. Mit einem Pling meldete sich das Betriebssystem und bat mich um die Eingabe meiner Daten. Ich stellte die Flasche auf den Tisch, gab Benutzername und Passwort ein, verschränkte meine Finger ineinander, dehnte meine Handflächen nach außen, bis meine Finger knackten und wartete darauf, loslegen zu können. Keine Minute später war ich online. Meine Finger flogen über die Tastatur. Meine Augen nahmen in kürzester Zeit die verschiedensten Daten wahr. Doch nach einer Stunde musste ich einsehen, dass ich dieses blöde Ding so schnell nicht fand. Als ob ich erwartete, dass jemand ein Fähnchen schwenkte oder mit einem großen, grell blinkenden Pfeil darauf hinwies.

Das wäre wirklich schön gewesen.

Ich trank einen großen Schluck, leckte über meine Lippen und versuchte noch eine letzte Seite. Allerdings nicht, ohne mich vorher davon zu überzeugen, dass meine Verbindung absolut narrensicher war. Über mehrere Proxyserver zu gehen war zwar veraltet, aber schon allein aus diesem Grund machte es kaum noch jemand. Wenn also irgendwer meinen Login zurückverfolgen wollte, würde er es erst mit den neuesten Methoden versuchen – die ihm keinen Erfolg brächten. Und ehe er bemerkte, dass die Suche im Nichts verlief, war ich schon längst wieder weg vom Fenster. Noch einmal ließ ich meine Finger knacken und begann zu tippen. Dabei behielt ich die kleine Uhr auf dem Desktop im Auge, die fünf Minuten abwärts zählte.

Die ersten drei Dateien brachten mir nichts.

Die vierte beinhaltete einen vagen Hinweis, der derartig komplex verschlüsselt war, dass ich ihn nicht filtern konnte. Die fünfte Datei allerdings war ein Volltreffer.

Mit Hilfe meines kleinen Dobermanns, einem elektronischen Hightechdieb, lud ich beide Dateien herunter und machte meine Spuren im Netz unkenntlich. Ein Blick auf meine Uhr sagte mir, dass ich noch 23 Sekunden Zeit hatte. In aller Ruhe loggte ich aus und unterbrach die Verbindung zum Netz.

Tief einatmend lehnte ich mich zurück, angelte nach der Flasche und spülte meine trockene Kehle. Ich wusste nicht, ob mir die Dateien behilflich sein würden. Aber da sie die einzigen waren, die auf beide Suchwörter reagierten, schöpfte ich Hoffnung. Nur für den Fall der Fälle übertrug ich die Dateien auf einen Mikrochip, löschte jegliche verräterischen Spuren von meinem Computer, ließ den Joggy – eine Art Tintenkiller für gelöschte Daten – extra drüber laufen und nahm den Chip aus der Konsole.

Niedliches kleines Teilchen.

Das Beste an dem Ding war seine Fähigkeit sich gut zu verstecken und fast überall zum Einsatz kommen zu können. Sogar an meiner Kaffeemaschine, an der ich mit seiner Hilfe die genaue Menge einer Koffeindosis ausrechnen konnte und wann die mir zur Verfügung stehen sollte. Wirklich praktisch das Teil. Außerdem war es wasser-, stoß- und feuerfest. Würde ich den kleinen Chip in ein Wasserglas werfen, wäre er dort genauso unsichtbar wie ein Diamant. Meine Flasche leerend stand ich auf und ging in mein Schlafzimmer, in dem irgendwo mein tragbarer Datenleser, kurz Dl, lag. Ich fand ihn nach zehn Minuten im Schubfach neben meinen Socken, steckte den Chip in die dafür gedachte Konsole und öffnete die Dateien.

Am liebsten hätte ich laut geschrien.

Nicht euphorisch oder triumphierend. Davon war ich meilenweit entfernt.

Nun: Es ging tatsächlich um eine Statue; Suchwort Nummer eins. Und um Gestaltwandler; Suchwort Nummer zwei.

Allerdings handelte es sich – bei beiden Dokumenten – bei der Statue um ein Denkmal auf dem ehemaligen Marktplatz, dass die Gestaltwandler entfernt haben wollten. Wozu zum Teufel war dann zumindest eine derart kodiert gewesen?

Grr, ich war frustriert. Der ganze Aufwand für Nichts! Das war wie Sex ohne Orgasmus. Seufzend ließ ich mich auf mein Bett plumpsen und dachte nach.

Ich war mir sicher, dass ich irgendetwas Wichtiges übersah. Aber ich hatte keine Idee, was. Alan wäre mir keine große Hilfe. Bei seinem aufgeblasenen Ego konnte er nicht weiter sehen als bis zu seinem Spiegelbild.

Ribbert, der Typ, dem ich die Statue abgenommen hatte – gestohlen klang zu dramatisch – wäre der Einzige, der jemanden angeheuert haben könnte um sie zurückzuholen. Aber wäre Alan dann nicht davon informiert? Konnte ich Alan glauben, dass Ribbert mich tatsächlich nicht anhand meines Geruchs zurückverfolgen konnte? Das musste ich ihn wohl oder übel fragen. Irgendwas an der ganzen Sache stank gewaltig zum Himmel. Es war mehr ein Instinkt als eine Erfahrung. Wenn ich wirklich vorankommen wollte, sollte ich nochmal alles ganz von vorn aufrollen.

Ich war in Gedanken gerade an der Stelle, an der ich die Statue in meinem Safe verstaute, als es an meiner Tür klingelte. Erst wollte ich es klingeln lassen, überlegte es mir dann aber anders. Eilig rannte ich nach vorn, öffnete und sah mich wieder dem Jungen gegenüber, der mir strahlend einen sorgfältig gefalteten Zettel reichte. „Du hast ihm gegenüber nichts erwähnt?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, alles anderweitig in Erfahrung gebracht. Sie sind nicht seine erste Freundin, aber die erste, die er ins Rudel aufnimmt. Sie müssen ihn wirklich beeindruckt haben. Und… ähm… naja, ich finde Sie auch toll.“

Da hatte er gerade noch seinen Kopf aus der Schlinge gezogen…

„Vielen Dank, dafür bin ich dir wirklich was schuldig.“ Winkend lehnte er ab, drehte sich um, lief auf die Straße, verfiel dort im Laufschritt und verschwand um die nächste Ecke.

Grinsend öffnete ich den Zettel, auf dem diverse Düfte standen, die Alan mochte und die er nicht mochte. Die zwei Spalten, über denen ganz fett stand: ‚Kann er nicht ausstehen‘ und ‚davon wird ihm schlecht‘ beschloss ich, mir genauer anzusehen. Vielleicht konnte man die Parfums sogar miteinander kombinieren. Haha!

Ich hoffte nur, der Junge hatte sich diskret informiert. Nicht, weil ich befürchtete, dass ich hereingelegt worden war, sondern weil ich Angst hatte, dass Alan den Jungen dafür bestrafte. Drinnen zog ich mich um, wobei ich mich für die komplette Bikerkluft entschied, stopfte den Zettel inklusive meiner Kreditkarte in die Brusttasche und machte mich auf den Weg.

Zwanzig Minuten später stand ich in der gleichen Parfümerie, in die Alan mich geschleppt hatte und probierte die Düfte, die er nicht mochte. Bei zweien davon rümpfte ich die Nase. Zwei weitere behielt ich in der engeren Auswahl. Doch vorher wollte ich noch die anderen probieren; die mit dem Hinweis: Davon wird ihm schlecht.

Eins hob sogar meinen Magen ein wenig an. Das würde ich also auf keinen Fall tragen!

Eins jedoch war brauchbar. Ich fand den zimtig-holzigen Duft sogar recht angenehm. Ich behielt das Fläschchen, das wie eine Pyramide aussah, in der Hand und entschied mich, auch eins der anderen beiden mitzunehmen. Schließlich nahm ich das, was einer silbernen Kugel glich und taperte mit beiden Flakons zur Kasse.

Dass beide sehr preisintensiv waren, störte mich heute nicht im Geringsten. Alan auf die Füße zu treten war dieses Geld nämlich definitiv wert.

Die Verkäuferin strahlte mich mit einem gewinnbringenden Lächeln an, fragte, ob ich die Düfte verpackt haben wollte und zog meine Kreditkarte durch den Leser. Ich lehnte dankend ab, obwohl ich mir durchaus vorstellen könnte, eins davon Alan zu schenken. Nur um zu sehen, wie er reagierte. Das kleine Kürzel US wies nämlich nicht darauf hin, dass die Parfüms aus den Staaten kamen, sondern dass sie für beide Geschlechter gedacht waren.

Aber wer sagte mir, dass er das Geschenk nicht in den nächsten Papierkorb warf? Ich hatte schließlich keinen Grund ihm irgendwas zu schenken, außer meiner Zeit. Und selbst das war schon zu viel des Guten.

Nein, ich würde sie selbst tragen und ihm den Abend des Jahres bescheren.

War ich nicht eine nette Person?

Punkt sechs wurde ich abgeholt. Natürlich wartete ich bereits vor der Tür. Niemand musste sehen, dass ich durch die Garage nach draußen ging. Dass Alan mich abholte, hatte ich nicht vorausgesetzt. Aber das Miss August 2114 – Chris hatte immer einen dieser Kalender – am Steuer saß, war überraschend.

„Hallo!“, begrüßte sie mich mit einem zahnpastawerbungsweißen Lächeln. „Alan schickt mich. Komm rein.“ Verdutzt öffnete ich die Beifahrertür, über deren Sitz sie sich gelehnt hatte um mich durch das heruntergelassene Fenster hindurch zu begrüßen. Ich hatte keine Ahnung, dass Models auch als Chauffeur fungieren.

Noch dazu so gut bezahlte!

Sie hielt mir die Hand hingegen, sobald ich mich angeschnallt hatte, stellte sich vor, legte den Gang ein und fuhr los. Dass sie keine Automatik fuhr, machte sie mir sympathisch. Ebenso wie die Tatsache, dass es sich um ein echtes Auto handelte. Keins dieser E-Mobile, die mit Hilfe eines personenbezogenen Chips gestartet wurden und sich an die Navigationsleitlinien – elektronische Wegweiser, die den Wagen führten, so dass man sich zurücklehnen und die Fahrt genießen konnte – der Straße hielten.

Carol war eine bildhübsche Frau mit den typischen Modelmaßen. Ihr Outfit, ein grau-blauer Overall, wirkte etwas unpassend, doch selbst darin sah sie immer noch unheimlich sexy aus.

Sogar für mich.

Und ich bin eindeutig hetero.

„Du wunderst dich sicher, weswegen ich dich abhole, stimmt’s?“ Nein, überhaupt nicht! Ich nickte. „Ich bin vernarrt in echte Autos, die man hört und deren PS man unter dem Hintern spürt. Nicht diese Elektroteile. Aber ich habe kaum Zeit sie zu fahren. Also habe ich Alans Chauffeur ein wenig… gut zugesprochen.“ Sie zwinkerte mir zu und rieb Daumen und Zeigefinger gegeneinander. „Verrat mich bitte nicht, ja? Alan wäre wütend auf mich, wenn er es erfährt. Dann würde er den Chauffeur feuern und den nächsten könnte ich nicht so einfach überreden.“ Ich versprach es ihr. Schließlich sollten Frauen zusammenhalten.

Carol fuhr sehr zügig, aber auch sicher. Sie gefiel mir. Nicht nur, weil sie ganz offensichtlich ebenso auf Geschwindigkeit stand wie ich, sondern weil sie ganz natürlich war. Wie meine Laura.

Carol benutzte einen Hintereingang zu Alans Anwesen, der ziemlich gut versteckt war. Vermutlich, weil sie nicht wollte, dass sie beim Fahren erwischt wurde. „Komm, komm.“, drängte sie mich, während wir von der unterirdischen Parkpassage durch einen breiten Tunnel liefen, der erstaunlich gut beleuchtet war. Nach nur etwa zwanzig Metern erreichten wir einen Fahrstuhl, der so gut in das Gemäuer integriert war, dass man ihn auf den ersten Blick gar nicht bemerkte.

Carol bediente die Konsole, die gut versteckt in der Wand eingelassen war. Sofort öffneten sich lautlos die Türen. Sie schaute unsicher zu mir, während sie mich hinein winkte. „Das muss Alan auch nicht wissen, ok?“

Jepp, die Frau gefiel mir. Sie hatte mich absolut überzeugt.

„Kein Problem. Von mir wird er rein gar nichts erfahren.“ Mit einem kaum wahrnehmbaren Surren fuhren wir in das Erdgeschoss, gingen vorsichtig um die Ecke zur Treppe und diese hinauf. Alans Arbeitszimmer lag geradeaus. Wir aber liefen nach rechts, vorbei an dem Geländer, dass eine fantastische Aussicht über das Untergeschoss bot und in einen weiteren Gang. Seiner Biegung folgten wir nicht, sondern traten kurz davor in ein Zimmer. Zu meiner Verwunderung musste ich feststellen, dass es mehr einem unterteilten Vorsaal glich, von dem aus man in zwei weitere Räume gelangte. Eins davon war ein Umkleidezimmer mit begehbarem Kleiderschrank, der etwa so groß wie mein Schlafzimmer war. Das andere ein Bad, das doppelt so groß war wie meins. Der Platz dazwischen besaß einen riesigen, beleuchteten Spiegel vor dem ein Schminktisch stand, wobei beides die komplette Wand einnahm.

„Ich darf dich für heute Abend zurechtmachen oder hast du was dagegen?“ Komisch. Sie tat so, als könnte ich ihre Hilfe ablehnen. „Nein, ganz im Gegenteil. Ich freue mich, wenn du mir hilfst.“ Sie strahlte heller als ein fröhlicher Morgen, als würde ich ihr damit eine große Ehre erweisen. Aufgeregt rückte sie mir den Stuhl zurecht, entschied sich dann aber, dass ich zuerst nach einer passenden Garderobe suchen sollte. Ich folgte ihr in den Kleiderschrank, in dem ich locker eine Party für zwanzig Gäste abhalten könnte.

Mit Bar.

Und DJ.

Mein Gott, die Auswahl war riesig! Es machte mich jedoch stutzig, dass die Klamotten meine exakte Größe aufwiesen. Selbst die Schuhe. Sogar Unterwäsche war vorhanden. Nein, die würde ich nicht tragen. Ich hatte meine eigene. Woher zum Kuckuck kannte Alan meine Konfektionsgröße? Hatte er irgendwann Maß genommen? Gab es hier im Haus vielleicht einen Scanner? Falls ja, hatte ich ihn nicht entdeckt. Gefiel mir gar nicht.

Carol bemerkte mein finsteres Gesicht und dachte, es läge am Sortiment. „Gefällt dir das nicht?“ Ich beeilte mich, ihr zu erklären, dass ich lediglich geschockt war, dass Alan mich so gut kannte. Sie lachte leise und griff zielsicher zu einem Ensemble, dass ich selbst ins Auge gefasst hatte. „Das hier wäre perfekt. Willst du es probieren?“ Da ich daheim frisch geduscht und mir schicke Dessous angezogen hatte, machte es mir nichts aus, mich vor Carol zu entkleiden. Ich schlüpfte in die schwarze Leinenhose, die sich wunderbar leicht und weich anfühlte. Währenddessen lief sie mit fachmännischem Blick um mich herum. „Echt knackiger Hintern.“, kommentierte sie kichernd, woraufhin ich mich graziös verneigte. Dann reichte sie mir ein wunderschönes rotes Stück Seide mit schwarzem, filigranem Muster, in das ich mich sofort verliebte. Ein hochgeschlossener Kragen, Seitenschlitze, Schlaufenverschlüsse an den Schultern. Definitiv asiatisch. „Ein Qipao.“, erklärte mir Carol, „Eigentlich müsste er knöchellang sein, aber zur Zeit ist die kürzere Variante in Mode.“

Trotzdem reichte er mir bis zur Mitte meiner Oberschenkel. Im Spiegel betrachtet fand ich mich knackig. Zum Anbeißen. Geradezu himmelschreiend sexy!

Die schwarzen Pumps, die Carol mir hilfreich vor die Füße stellte, waren ideal für dieses Outfit. Es wunderte mich nicht, dass auch die wie angegossen passten. Dabei hätte ich Alan durchaus zugetraut, dass er alles extra eine Größe kleiner bestellte. Nur, um mir zu zeigen, dass ich fett war. War ich nicht. Basta!

„Alan wird es gefallen.“, prophezeite Carol schmunzelnd. Ich nickte mit funkelnden Augen. Schon möglich, dass ihm diese Aufmachung gefiel. Doch mein Parfum würde er hassen.

Die nächste halbe Stunde verbrachte Carol damit, mein Gesicht zu reinigen, zu pudern, zu betupfen, zu bepinseln und schließlich zu formatieren.

Nein, Quatsch! Das war was anderes.

Anschließend kämmte sie meine Haare, verwuschelte sie wieder, strich sich Gel auf die Finger und zupfte alles in Form. Das Finish bestand aus einem glitzernden Spray, das meine Haare wie einen Diamanten funkeln ließ.

Wow! Noch ein paar Klunker und ein bisschen Beleuchtung, und ich wäre das perfekte Weihnachtsambiente.

Gott sei Dank verzichtete Carol darauf, mich zu Schmuck zu überreden. Aber als ich das Endergebnis im Spiegel betrachtete, war ich selbst verblüfft. Beinah kam es mir so vor, als hätte Carol meinen Geist aus meinem alten Körper heraus- und in einen völlig neuen, mit passendem Gesicht, wieder hineingestopft. Wenn ich nicht wüsste, dass ich vor dem Spiegel stand, würde ich die Frau, die mich aus diesem heraus ansah, schlichtweg beneiden. Ich murmelte ein leises Dankeschön und drückte Carol sanft an mich. Um ehrlich zu sein, ich war sprachlos. Das kleine Wort Danke übertraf nahezu meine derzeitigen Fähigkeiten. „Du siehst einfach umwerfend aus! Dabei habe ich gar nichts gemacht.“ Carol umarmte mich, wobei sie sich für ihr jetzt eiliges Aufbrechen entschuldigte. „Alan hat gedacht, ich brauche länger. Aber du hast es gar nicht nötig, dich hinter Make-up zu verstecken. Nur ein bisschen was hier, ein bisschen was da und voilà http://browse.dict.cc/franzoesisch-deutsch/VoilÃ%A0.html… fertig. Trotzdem muss ich mich beeilen. Es hat mich gefreut, dich kennen zu lernen. Wir sehen uns bestimmt.“ Sie winkte mir zu, bevor sie die Tür hinter sich schloss.

Tief einatmend ging ich zurück zu meinen Sachen, die Carol sorgfältig gefaltet und auf einen Stuhl gelegt hatte. Meine Handtasche hing über der Lehne. Zeit für ein wenig ... frische Luft. Belustigt ließ ich meine Augenbrauen hüpfen, als ich ein paar Tupfer hinter meinen Ohrläppchen, eins auf das Dekolleté, einige auf den Handgelenken und ein paar unter den Achseln verteilte. Ich wollte gut riechen – ja.

Aber nicht für Alan.

Ich verstand nicht, was er an diesem frischen, herb-süßen Duft auszusetzen hatte. Es roch kaum anders als das, was er von mir verlangt hatte zu kaufen. Nur ein wenig mehr nach Zitrone. Aber hey, was wusste ich schon, wie empfindliche Gestaltwandlernasen funktionierten?

Kaum dass ich das Parfum aufgetragen hatte, klopfte es an der Tür. Es war nicht Alan. „Hallo, Sie sind sicher Samantha. Alan kann sich wirklich glücklich schätzen, Sie an seiner Seite zu haben. Sie sehen umwerfend aus! Ich bin übrigens Sven. Kommen Sie. Sie haben doch sicher Hunger.“

Zwei Stunden lang hatte ich mir reichlich ausgemalt, wie es wohl wäre, meinen Kopf gegen eine Wand zu schlagen. Darum war ich auch das erste Mal erfreut Alan zu sehen. Ich hatte nicht gewusst, dass ein Mann Ende 30, zumindest schätzte ich Sven so ein, dermaßen schnell, ununterbrochen und viel schwatzen konnte. Nachdem er mich bereits während des Abendessens pausenlos mit kleinen Geschichten zugedeckt hatte, zeigte er mir jedes Zimmer im Haus, wobei er mir alles bis ins kleinste Detail erläuterte. Sogar Alans Schlafzimmer! Und das war weiß Gott das letzte Zimmer, was ich hatte sehen wollen. Bloß gut, dass Alan zu dem Zeitpunkt in seinem Bad gewesen war.

Laut Sven!

Nicht, dass wir nachgeschaut hätten.

Ich wusste jetzt, wann und vom wem das Haus gebaut worden, in wessen Besitz es schon gewesen war, wann die Zimmer saniert und renoviert worden waren, bei welchem Ausstatter welcher Bodenbelag, welche Tapete, welche Gardine, Lampen, Möbel und sonstiges Inventar gekauft worden war und wie viel das alles gekostet hatte. Mir schwirrte der Kopf nicht nur von den Informationen, sondern hauptsächlich von Svens lauter, fast schriller Stimme. Wenigstens galt seine Aufmerksamkeit jetzt Alan. Was nicht hieß, dass meine Ohren weniger klingelten.

Dessen Miene zeigte keine Regung bei Svens Aufzählung von Dingen, die der für ihn erledigt hatte und noch bevor er am Ende angelangt war, schickte Alan ihn fort. Mich wunderte es nicht, dass er seine Untergebenen ebenso wenig mit Nettigkeiten überhäufte wie mich.

Lediglich, dass diese bei ihm blieben.

Entweder er bezahlte sie gut oder es hing mit dieser Rudelsache zusammen. Ich konnte nämlich nicht sagen, wer ein Gestaltwandler war und wer ein Mensch. Abgesehen von den Personen, die, wie Alan, in der Öffentlichkeit standen. Ich könnte dafür eine meiner Fähigkeiten einsetzen, aber so dringlich fand ich die Angelegenheit nicht.

Erst jetzt sah ich mir Alan genauer an: Seine Garderobe passte perfekt zu meiner. Carol musste ihm einen Tipp gegeben haben. Er trug schwarze Hosen und die männliche Variante meines Oberteils: einen knöchellangen, schwarzen Changshan mit roten, filigranen Mustern; passend zu meinem Aufzug. Nur die Farben waren vertauscht. Diese lange Seidenrobe war bis zu seiner Hüfte zugeknöpft, hatte zwei Taschen und zwei seitliche Schlitze. Falls er also vorhätte, jemandem mit einem Kick ins Gesicht zu treten, würde seine Bekleidung ihn nicht daran hintern. Alan war eindeutig Sex auf zwei Beinen… aber trotzdem ein Arsch.

Er musterte mich finster. „Dreh dich um.“. So ein Idiot! „Ich denke nicht daran. Du hast zwei Beine, benutze sie.“ Er tat es nicht. Stattdessen schüttelte er den Kopf, rümpfte die Nase, drehte sich zur Tür und wies mich an, ihm zu folgen.

Vor dem Eingang stand eine weiße Limousine mit schwarzen Fenstern, deren Motor leise schnurrte. Der Fahrer öffnete mir die hintere Tür und ich war froh, als ich endlich drinnen saß. Schon das kurze Stück hatte mich frösteln lassen. Denn im Gegensatz zu Alans war mein Oberteil kurzärmelig. Mit einem ironischen Grinsen bemerkte ich dessen verzogenen Mund und seinen Entschluss, der den Fahrer die Augen aufreißen ließ. Von mir aus. Sollte er ruhig vorn sitzen.

Mehr Platz für mich!

Während der viertelstündigen Fahrt inspizierte ich ausgiebig die Inneneinrichtung des Sitzbereiches. Ich fühlte mich unbeobachtet, obwohl ich wusste, dass mich eine kleine Kamera aufzeichnete. Die getönte Glasscheibe zum Fahrerbereich war geschlossen, so dass mir zumindest Alans Anblick erspart blieb. Sollte ich die Kamera lynchen? Ich entschied mich dagegen, winkte ihr fröhlich zu und führte meinen visuellen Streifzug fort.

Wirklich edel diese Luxuskarosse.

Weiches, weißes Leder. Unter den Füßen heller Plüsch. Gold und Mahagoniverkleidung. Eine Bar, die gut gefüllt war mit erlesenen Weinen und auch härteren Getränken. Ein Flachbildschirm, die neueste Version der X-Box, ein VBSC-Player – ein Gerät, was Video- und Bildspeicherchips las – und allerlei anderer technischer Schnickschnack. Wozu waren denn die vielen Knöpfe? Ui… der große Grüne ist toll. Mein Sitz vibrierte. Kichernd ließ ich mich dagegen sinken.

Die anderen würde ich später ausprobieren, sagte ich mir, als der Wagen auch schon stoppte. Der Fahrer öffnete mir wieder die Tür, wobei er mir galant die Hand reichte, damit ich wie eine Firstlady aussteigen konnte. Alan sah mich finster an, lockerte kurz seine Schultern, knickte seinen Kopf nach links und nach rechts, schloss die Augen, holte tief Luft und war… wie gewandelt. Allerdings nur für die Öffentlichkeit.

Ein Schauer jagte mir über den Rücken, aber er ließ mir keine Zeit, dieses Gefühl zu analysieren. Seinen Arm um meine Taille geschlungen, beugte er sich zu mir herunter und flüsterte mir mit honigsüßer Stimme ins Ohr, dass ich bloß nicht vergessen sollte mitzuspielen. Er lächelte mich sehr sinnlich an, als die Fotografen rings um uns herum ein Blitzlichtgewitter fabrizierten, das mich an ein Horrorfilmszenario erinnerte. Positiv denken! Was er konnte, konnte ich schon lange. Ich legte ebenfalls meinen Arm um seine Taille, wobei ich einen winzigen Moment lang bemerkte, wie er sich versteifte. „Übertreib es nicht, Frau.“, soufflierte er mir ins Ohr, während er keinen Augenblick das perfekte Image eines verliebten Mannes ablegte. Nur sein Griff um meine Taille wurde fast schmerzhaft. Ich schenkte ihm ein verführerisch schmollendes Lächeln, blinzelte unschuldig mit den Augen und strahlte ihn an, als wäre er ein Dessert.

Optisch war er das schließlich auch.

Drinnen wurde ich von der Geräuschkulisse und dem luxuriösen Ambiente beinah erschlagen. Ich gab mir redlich Mühe mir meine Begeisterung nicht anmerken zu lassen. Zwei Damen der High Society schwebten auf uns zu, begrüßten uns mit ein paar anerkennenden Floskeln, beglückwünschten uns – wobei sie mich unverhohlen mit ihren Blicken erdolchten – und machten uns Komplimente. Alan lachte leise, weil die Frauen mich beneideten. Ha, wenn die wüssten!

Die nächste Stunde wiederholte sich das Prozedere noch etliche Male, bis ich endlich meinen ersten Drink bekam. Ausgerechnet vom Bürgermeister, dessen Frau Alan unverblümt anschmachtete und mir eine recht bissige Bemerkung schenkte.

Ich musste bald erkennen, dass sie nur den Anfang machte.

Ehrlich, falls Alan irgendwann eine Freundin gehabt hatte oder haben würde, sollte er aufmerksamer sein und sie verteidigen. Da ich jedoch nicht echt war, schien es ihn nicht zu kümmern. Er unterhielt sich prächtig mit den Frauen, die ihn umschwärmten, während ich mich am Rand der Gesellschaft aufhielt. Ich fühlte mich unwohl. All dieses aufgesetzte Getue ging mir gegen den Strich. Ich fing an, mir die Damen genauer anzusehen. Bei der ein oder anderen würde sich ein kleiner… äh… Besuch durchaus lohnen: Es blitzten Diamanten, Gold, Rubine, sogar hin und wieder Smaragde und ein paar andere interessante Steinchen. Mit denen ließen sich gute Geschäfte machen.

Oh, oh…

Mir fiel auf, dass die Frauen zwei Grüppchen um Alan bildeten. Eins lenkte ihn ab, das andere schwebte langsam aber stetig auf mich zu. Doch bevor sie mich erreichten, sprach mich ein Mann an, der mir Champagner anbot. „Die Ladys haben es wohl auf Sie abgesehen, hm?“ Sah ganz danach aus. Ich nickte, wobei ich ihn hilfesuchend ansah.

Hey, ich konnte mir selbst helfen. Aber ich sollte spielen – Anweisung von Alan. Und im Moment war ich sehr eingeschüchtert.

„Vielleicht sollten wir Alan Garu mal zeigen, dass er besser auf Sie achtgeben sollte. Ich würde eine schöne Frau wie Sie keine Minute aus den Augen lassen.“ Ich schluckte ergeben. „Meinen Sie?“ Er räusperte sich und beugte sich zu mir herunter. „Auf jeden Fall! Kommen Sie.“ Er bot mir seinen Arm und im Nu stand ich mit ihm zusammen in einem einzigen Männerpulk, der mich mit Komplimenten überschüttete. Ui, einige der Herren trugen eine Rolex. Sehr alte Uhren, aber immer noch sehr viel wert. Eigentlich so gut wie unbezahlbar. Gedanklich notierte ich mir die Namen der dazugehörigen Männer. Jepp, ein gutes Gedächtnis war Gold wert. Wortwörtlich. Sobald ich wieder daheim wäre, würde ich im Netz ein wenig recherchieren. Oh Alan, danke für diese Goldgrube! Sollte ich Skrupel haben?

Nein. Warum auch?

Die Typen wollten sich mit mir dekorieren. Sie hatten eigentlich gar kein Interesse an mir persönlich. Ich war – offiziell – mit Alan Garu liiert und das wiederum bedeutete, dass ich ihren Status noch ein Stückchen anhob.

Herrje! Alan brauchte wirklich lange, um zu begreifen, dass seine Freundin angebaggert wurde und nichts dagegen hatte. Wenigstens amüsierte ich mich. Ein paar der Anekdoten, die die alten und jungen Herren zum Besten gaben, waren wirklich großartig. Immer wieder reichte man mir ein neues Champagnerglas, als ob die Männer es darauf anlegten mich betrunken zu machen. Die wussten allerdings nicht, dass meine Alkoholtoleranz verhältnismäßig hoch lag. Einer der Gründe, warum ich gegen Chris ziemlich regelmäßig beim Wetttrinken gewann. Trotzdem… sie mussten nicht wissen, dass Alan mit einem Menschen ausging, bei dem ein kleiner Zusatz in den Papieren stand. Das wusste noch nicht mal Alan.

Und dabei konnte es meinetwegen auch bleiben.

„Puh, ich sollte nichts mehr trinken.“, lächelte ich breit zu Harry, dem jungen Mann, der mich in die Gruppe eingeführt hatte. Ich wedelte mir Luft zu und torkelte ein wenig, was er dazu nutzte, seinen Arm um meine Taille zu legen. Just in dem Moment tauchte Alan auf, legte seine Hände auf meine Schultern und küsste mich in den Nacken. „Amüsierst du dich gut, Schatz? Tut mir leid, dass ich dich so lange allein gelassen habe.“ Hoppla, er schnurrte, als würde er das tatsächlich so meinen. An die Männer gewandt bedankte er sich für deren Aufmerksamkeit, wobei seine Hände unmerklich die des anderen ablösten. „Einen schönen Abend euch noch. Es war mir ein Vergnügen!“, trällerte ich und verteilte Kusshände.

Zügig führte mich Alan von den Männern weg und zur offenen Veranda, auf der mich die Kühle der Nacht sofort umarmte. Verdammt, war das kalt! „Was sollte das? Sollen sich die Lästermäuler ihr Maul zerreißen? Du gehörst die nächsten drei Monate zu mir, nicht zu denen.“, zischte er leise mit gesenkter Stimme nah an meinem Ohr. „Entschuldige bitte!“, lallte ich, überzeugend die Beschwipste spielend, „Du warst beschäftigt! Hätte ich dich etwa die ganze Zeit anschmachten und an deiner Seite bleiben sollen? Nicht in diesem Leben! Immerhin hast du dich belagern lassen. Die Frauen hatten dich doch förmlich schon nackt ausgezogen und mich erdrosselt.“ Er lachte leise. „Eifersüchtig?“ Wie bitte? „Sonst noch einen Wunsch?“ Der Typ ging mir gehörig auf die Nerven. Aber ein paar Wochen würde ich das noch aushalten müssen.

Laura, du schuldest mir wirklich eine verdammt riesig große Menge.

„Es hat sich so angehört. Ab sofort bleibst du an meiner Seite.“ Er sah mich durchdringend an. „Und keinen Alkohol mehr.“ Ja, Papi. Seufzend nahm ich seinen angebotenen Arm und ließ mich von ihm hinein begleiten. „Oh, kein Kuss?“, bemerkte eine sehr kräftige Frau in einem blauen Sari, der ihr ein paar Nummern zu klein war. Sie erinnerte mich an eine Operndiva. Hatte sie unsere Unterhaltung gehört? Bestimmt nicht. Wir hatten beide geflüstert. „Es ist ihr peinlich in der Öffentlichkeit.“, schnurrte Alan in ihre Richtung, obwohl ich mir sicher war, dass seine Augen die Lady eiskalt anfunkelnden. Oder galt der eisige Blick nur mir? Vermutlich. Denn die Gute schien entzückt. Grr, ich hätte Alan am liebsten ins Schienbein getreten. Oder in seinen blasierten Hintern!

Stattdessen lächelte ich schüchtern, senkte meinen Blick auf den gefliesten Boden und schluckte meine Wut hinunter. Aber es ließ sich nicht vermeiden, dass mir ein ganz leise geflüstertes, triumphierendes und nur für ihn bestimmtes ‚Feigling‘ über die Lippen rutschte. Ich unterdrückte mein Lachen, denn seine Reaktion zeigte mir, dass er es verstanden hatte.

Gegen drei Uhr morgens war ich wieder daheim und hundemüde. Meine Füße taten weh, waren geschwollen und fühlten sich an wie zwei riesige Kürbisse. Ich schwor mir, nie wieder neben ihm zu stehen und zuzuhören, wie dieser Knilch angeschmachtet, begrabscht und in den höchsten Tönen gelobpreist wurde, während mich diese wunderschönen Schuhe fast umbrachten. Blasen hatte ich keine. Vom Stehen bekam man die nicht. Allerdings eine verkrampfte Beinmuskulatur. Jetzt, wo ich die Schuhe nicht mehr trug, kam es mir vor, als würde ich ständig bergauf laufen. Das, oder meine Dusche, das Haus und überhaupt alles befand sich plötzlich in Hanglage. In sämtlichen Richtungen!

Nachdem ich mich gründlich gewaschen, jegliche Farbe aus meinem Gesicht und das Gel aus den Haaren entfernt hatte, rubbelte ich mich trocken, schlüpfte ich meinen Pyjama, taperte in meine Schlafstube und huschte unter die Bettdecke. So wie ich im Bett lag, war ich putzmunter.

Sehr schön.

Ich ging also in Gedanken nochmal alle Namen durch, die mir am Abend genannt worden war und filterte sie so, dass nur die übrig blieben, bei denen wirklich ein paar gute Stücke zu holen sein würden. Zehn Personen blieben in der engeren Auswahl, wobei ich bei Harry ein wenig am Schwanken war.

Er war charmant gewesen.

Gut, immerhin noch neun.

Die eine würde mit Sicherheit dran glauben müssen. Eine stinkreiche Witwe mit langen braunen Haaren, die ihr fast bis zu ihrem wohlgeformten Po reichten. Hinter ihren Ohren, ganz klein, aber für mich sehr gut erkennbar, waren kleine Narben zu sehen gewesen. Kein Wunder also, dass sie aussah wie 17, obwohl sie sicher schon doppelt so alt war. Allerdings bei weitem noch nicht so alt wie ihr verstorbener Gemahl. Allein der Gedanke mit einem verwelkten Opi ins Bett zu gehen, selbst wenn der Millionen auf der hohen Kante hatte, brachte mich zum Würgen. Doch nicht deswegen stand sie auf meiner Liste: Sie war eine derjenigen gewesen, die mir nicht nur giftige Blicke, sondern auch ebensolche Worte zugeworfen hatte.

Nach einigem Nachdenken überrollte mich doch der Schlaf. Ich träumte von Alan, der, in einen blauen Sari gewickelt, zwischen diversen Frauen lag und von einer Operndiva ein Ständchen geträllert bekam.

Draußen regnete es. Obwohl ich schon eine Weile munter und es schon sehr später Vormittag war, hatte ich es noch nicht geschafft, mich aus meinem warmen, kuscheligen Bett zu quälen. Gähnend stutzte ich, als ich Schritte im Haus hörte. Sofort setzte ich mich alarmiert auf. Eindeutig Schritte.

Das leise Klimpern von Geschirr und Besteck aus der Küche ließ mich beruhigt aufatmen. Laura war da. Mit der musste ich dringend ein paar Takte reden.

Hastig stand ich auf, kramte mir einen Pullover aus meinem Schrank, sah mich währenddessen nach meiner Jeans um, die noch genau da lag, wo ich sie gestern hingeworfen hatte, und zog mich an. Auf einem Bein hüpfend schlüpfte ich in die Socken. Noch während ich den Reißverschluss der Hosen schloss, stürmte ich aus meinem Zimmer direkt in die Küche. Laura sah mich verdattert an. „Oh, du bist da? Ich dachte, du bist bei dem Model!“ Aha, waren die News also schon bis zu ihren Ohren vorgedrungen.

Sie deutete auf einen Stuhl, angelte umständlich nach einer Tasse und goss mir Kaffee ein. „Erzähl, wie ist er?“ Ich rollte mit den Augen. „Ein Snob. Ein dämlicher, arroganter, widerlicher Snob.“ Laura riss überrascht ihre Augen auf. „Wieso gehst du dann mit ihm aus?“ Ups, hatte Alan mich nicht gewarnt, es für mich zu behalten? Aber Laura war meine Freundin… verdammt! Außerdem tat ich es ja irgendwie auch für sie.

Andererseits, wenn sie es ihrem Freund erzählte und der wiederum ... Nein, das wäre übel. Also log ich. „Laura, das war ein Scherz. Er ist umwerfend. Charmant, aufregend. Ach, ich weiß gar nicht, wie ich ihn beschreiben soll.“ Ich seufzte theatralisch, während ich verträumt an meinem Kaffee nippte.

Ich wusste wirklich nicht, wie man diesen Kerl beschreiben sollte. Außer arrogant und gut aussehend fiel mir keine Charakteristik ein, die ihm gerecht wurde. Toll! Ich hatte es verbockt. Ich log meine Freundin an. Ich hoffte nur, sie würde sich irgendwann erkenntlich zeigen, sobald ich diese Farce mit Alan beendet hatte. Im Moment jedoch freute sie sich für mich. Wenigstens eine, die sich freute.

Doch ich fand es irritierend, dass sie gar nichts anderes sagte. Zum Beispiel, dass er nicht in ihr Männerbild passte – immerhin wäre Alan ihr Date gewesen. Aber ich schob es darauf, dass sie frisch verliebt war. Da dachte man nicht mehr klar und handelte gleich recht nicht logisch. Es war also kein Wunder, dass sie es als Selbstverständlichkeit und sogar als entzückend betrachtete, dass ich mit diesem Widerling ausging. Obwohl sie weder Gestaltwandler noch Vampire mochte.

Dass er so war wie er war, konnte sie freilich nicht wissen.

Ich zog mich geschickt aus der Affäre und fragte sie, wie ihre Woche verlaufen war. Statt wie üblich von ihrer Arbeit zu schwärmen, erzählte sie mir von einem geplanten Urlaub mit ihrem angehenden Freund. Auf meine Frage, wann ich den ominösen Fremden denn endlich kennenlernte, wich sie aus. Naja, sie kannte mich eben und wollte sicher nur vermeiden, dass ich ihn mir selbst vorknöpfte um Klarheit für Laura zu schaffen. Sie feixte. „Also mal ehrlich, er ist schon unglaublich sexy.“ Diese Worte aus ihrem Mund, wow!

Sie kräuselte ihre Nase, so wie ich es an ihr mochte und stupste mir verstohlen mit dem Ellenbogen in die Rippen, bis ich begriff, dass sie von Alan sprach. „Ja, das ist er. Schlechten Geschmack kannst du mir nicht vorhalten.“, flunkerte ich, streckte ihr die Zunge heraus und nippte weiter an meinem Kaffee. „Ach, bevor ich’s vergesse. Du hast Post.“ Oh, ich war wichtig?

Cool.

Bestimmt eine Rechnung.

Vielleicht auch eine Mahnung. Ich war manchmal eben ein bisschen vergesslich.

Schulterzuckend nahm ich den Brief entgegen und wusste schon auf den ersten Blick, dass es nichts dergleichen war. Meine zuverlässige Quelle kontaktierte mich? Normalerweise war es andersherum. Und ich hatte noch gar keine Zeit gefunden mich bei ihm bemerkbar zu machen. Also, wenn das kein Wink des Schicksals war ...

Ich riss den Brief auf, überflog den Einzeiler, sah an die Uhr, dann entschuldigend zu Laura und beeilte mich so schnell wie möglich in die Spur zu kommen. Mit etwas Glück hätte ich keine Verspätung. Falls kein Stau war. Und nirgends eine Baustelle. Oder eine Demo.

Argh!

Ich hätte den Teufel nicht an die Wand malen sollen. Es gab eine Baustelle auf der Strecke. Und eine Demo.

Ich war nicht paranoid. Also hielt ich es ganz einfach für Zufälle; nicht für eine Verschwörung. Augenrollend stellte ich mein Motorrad auf ein Privatgrundstück, drückte dem skeptisch dreinschauenden älterem Herrn einen Hunderter in die Hand und versprach ihm, nicht länger als zwei Stunden in seiner Auffahrt zu parken. „Mit der Kohle kannst du von mir aus auch 12 Stunden parken. Ich pass gut auf das Schätzchen auf!“ Ich nickte dankbar und machte mich zu Fuß auf den Weg.

Ich joggte durch die Demonstranten, die es nicht störte, dass ich den ein oder anderen anrempelte, schlängelte mich durch die Bauabsperrung, was mir einige Drohungen, aber auch den ein oder anderen anerkennenden Pfiff einbrachte und war innerhalb einer viertel Stunde in der Stadt. Die letzten hundert Meter lief ich in normalem Tempo, stellte mich an die vereinbarte Ecke, stopfte meine Hände in die Lederjacke, winkelte ein Bein an und lehnte mich an die Wand. Wiesel würde bald auftauchen.

Nicht, dass er tatsächlich ein Wiesel war.

Nein, er war ein Mensch. Ein ganz normaler. Ohne Zusatz.

Aber er sah aus wie ein Wiesel mit seinen eng nebeneinanderstehenden, kleinen, schwarzen Augen, der spitzen Nase und dem spitzen Kinn. Sogar seine Haarfarbe würde passen, würde er sich nicht kahl rasieren. Seine Ohren waren mit dutzenden Ringen gespickt, wobei ich mich manchmal fragte, ob das getarnte Abhörvorrichtungen waren. In Wirklichkeit war Wiesel aber eine miese Ratte – sinnbildlich ausgedrückt – die nichts umsonst tat. Er lebte davon Informationen zu sammeln und diese zu verkaufen. Wie er das anstellte, war mir egal. Ich wusste nur, dass er gut war in dem, was er tat. Bis jetzt hatte er mich kein einziges Mal falsch informiert oder gar übers Ohr gehauen.

Wieso also um alles in der Welt kontaktierte er mich? So lief das normalerweise nicht. Es musste wirklich wichtig sein.

Erneut schaute ich auf die Uhr. Als ich wieder aufblickte, stand er vor mir. Ich war mit meinen knapp 1,65 wahrlich nicht die Größte, aber er war sogar noch kleiner als ich. Mit seiner braunen Jacke und den wenigen Stoppeln in seinem Gesicht sah er aus wie ein jugendlicher Herumtreiber, der in einer dunklen Ecke seine Designerdrogen vertickte.

Yeah. Und ich wie sein Dealer.

„Lass uns was essen gehen. Ich brauche was im Magen.“, knurrte er. Ausgeglichen wie immer der Gute. Ich nickte und folgte ihm, die Hände weiter in meinen Jackentaschen vergraben. Man, war das kalt! Ich war froh, als er in einen Imbiss schlenderte, statt wie üblich vor einem etwas zu bestellen. „Zum hier essen oder mitnehmen?“, fragte die blecherne Stimme des Computers, in dem Wiesel seine Bestellung eingetippt hatte. In seiner gewohnt mürrischen Art drückte er auf die entsprechende Taste und teilte mir mit, dass ich die Rechnung zahlte. Arschloch. Noch ehe ich etwas erwidern konnte, drückte er die Taste für eine zweite Bestellung, so dass ich um das Zahlen gar nicht mehr drum herum kam. Ich bestellte also ebenfalls, denn von Kaffee allein konnte ich mich sowieso nicht ernähren; und daheim würde nichts Warmes auf mich warten.

Es sei denn, Laura würde plötzlich einen Anfall von Kochwut bekommen und immer noch anwesend sein, wenn ich heimkam. Zu schade, dass Laura überhaupt nicht kochen konnte. Sie würde es sogar schaffen, einen Topf mit Wasser anbrennen zu lassen. Zu ihrer Entschuldigung sei gesagt, dass ihr Ordnungsfimmel das wieder wettmachte.

Ich bezahlte, nahm das Tablett aus dem Automaten und balancierte es zum Tisch in der hintersten Ecke, in der Wiesel genüsslich einen Burger verspeiste, setzte es geräuschvoll ab und nahm Platz. „Lass es dir schmecken.“, murmelte ich bissig, was ihm wie erwartet am Hintern vorbeiging. „Hm.“, war seine kauende Antwort, gefolgt von dem Wedeln seiner Hand, das ich essen sollte. Innerhalb von nicht mal zehn Minuten verputzte er zehn Burger, wobei ich mich nicht das erste Mal fragte, wohin er die aß. Wiesel besaß die kleine, schlanke Statur eines Teenagers. Vor dem Wachstumsschub.

Aber immerhin stopfte auch ich fünf Burger in mich, bevor ich satt war. Zufrieden lehnte ich mich zurück und wartete, dass Wiesel mir den Grund unseres Treffens mitteilte. Doch ehe er anfing, tupfte er sich wie ein weltgewandter Bürger in einer sehr vornehmen Art den Mund mit der Serviette ab, zerknüllte sie und warf sie auf sein Tablett. „Du kannst dir sicher denken, warum du hier bist.“ Ähm, weil er Hunger hatte? Ungeduldig wedelte er mit der Hand, wobei er sich tief über den Tisch beugte, um meinem Gesicht näher zu sein. „Du bist jetzt das Liebchen von Garu, hm?“ Nur für die nächsten Wochen, aber das musste Wiesel nicht wissen. Sein nächster Satz enthüllte allerdings genau das. Mist!

Ich vergaß immer wieder, dass er von Geheimnissen lebte. Vermutlich wusste er sogar, dass ich nicht mehr im Besitz der Statue war.

Ich versuchte, ruhig zu bleiben, auch wenn ich innerlich sehr nervös geworden war. „Sagen wir mal, ich erwähne gegenüber niemandem, dass du und dein Loverboy Schindluder mit Bingham treiben. Was bist du bereit dafür zu tun?“ Oh, jetzt wusste ich ganz genau, warum wir nicht auf der Straße waren. Wiesel hoffte, dass ich in einem Geschäft kein Aufsehen erregen würde. Tja, da hatte er falsch gedacht. „Du miese, kleine Ratte!“, zischte ich, packte ihn am Kragen und zog ihn noch näher an mich heran. Dass dabei der Tisch wackelte, war mir vollkommen egal. „Willst du, dass ich das tue? Du musst es nur sagen. Komm schon, mir ist danach irgendwas kaputt zu machen.“, bettelte ich, aber Wiesel starrte mich nur mit seinen dunklen Knopfaugen an und lächelte grimmig. „Das willst du nicht tun, Sam. Bingham würde es sich einiges kosten lassen zu wissen, dass ihr ihn hintergeht.“ Da war was dran. Außerdem brauchte ich Wiesel noch. Es war nicht einfach, jemanden zu finden, der einem gelegentlich brauchbare Tipps gab.

Aber nicht einfach, hieß noch lange nicht unmöglich.

Wiesel wusste das.

Er musste also einen Grund haben, diese miese Tour bei mir abzuziehen. Ich hoffte nur, ich irrte mich nicht. „Tu was du willst. Ich für meinen Teil bin weg.“ Ohne Hast ließ ich ihn los, rückte seinen Kragen zurecht, strich das braune Oberteil über seiner schmalen Brust glatt, zupfte ein imaginäres Fussel ab, stand auf und ging. Das kleine Glöckchen über der Tür bimmelte leise, als die Tür hinter mir zufiel.

Draußen zog ich die Jacke zu, schaute in den Himmel, der sich zusehends mit dunkelgrauen Wolken einkleidete, stopfte die Hände in die Tasche und machte mich langsam auf dem Weg zu meinem Motorrad. Wiesel gab ich maximal zehn Minuten. Er musste etwas von mir wollen. Denn eigentlich war er nicht der Typ, der seine Leute mit Informationen erpresste. Oder ich war bisher nicht in den Genuss dieser miesen Masche gekommen.

Meine schweren Lederstiefel donnerten auf dem Gehweg, obwohl ich auch absolut geräuschlos laufen konnte.

Wenn ich wollte.

Und wenn ich nicht sauer war.

Wiesel brauchte nur vier Minuten. „Bleib doch mal stehen.“, schnaufte er, offenbar beleidigt, weil ich ihn hatte sitzen lassen. Stehen blieb ich nicht, aber ihm zuliebe lief ich ein wenig langsamer. Dabei verdiente er das gar nicht. „Was willst du noch?“, blaffte ich ihn an, „Wir sind fertig miteinander.“ Mit seinen kurzen Beinen hatte er Mühe mit mir mitzuhalten. „Sam, ich wollte doch nur einen kleinen Handel vorschlagen. Kein Grund gleich wütend zu sein.“, jammerte er vorwurfsvoll, was mich dazu brachte doch anzuhalten. Ich stemmte die Hände die Hüften. „Ach ja? Was springt für mich dabei raus?“ Wiesel fuhr sich tief Luft holend mit beiden Händen durch die nicht vorhandenen Haare. „Dein Geheimnis ist bei mir sicher.“ Also wollte er mich doch erpressen.

Ich ließ meine Hände wieder in die Jackentaschen verschwinden und setzte an zu gehen. „Sam, nein, warte. Du bekommst die nächsten zwei Infos gratis. Was meinst du?“ Das klang doch schon besser. „Die nächsten fünf.“ Ich konnte an seinem Gesicht sehen, wie angestrengt er nachdachte. „Drei.“ Ich überlegte, entschied mich aber, dass drei eine ganz gute Zahl sei. Also schlug ich ein. Auf der Straße galt ein Handschlag ebenso viel wie eine Unterschrift. Wenn man sich in der heutigen Zeit auf etwas verlassen konnte, dann auf die Gesetze der Straße. „Ok, was willst du?“

Wiesels Miene verzog sich in verschiedenen Erregungsstufen. Erst wirkte er bedrückt, dann verärgert und jetzt nur noch angepisst. „Devereaux ist dir ein Begriff, oder?“ Ja, war er. Schon ein komischer Zufall, dass mich die Witwe Devereaux - oder vielmehr deren geerbten Reichtümer - momentan ebenfalls interessierten.

„Gordon Devereaux, der vor kurzem verstorbene Multimillionär. Nur, dass wir auch vom selben sprechen.“, bestätigte Wiesel mein Kopfnicken. „Ja, ich weiß, wen du meinst. Er ist tot. Selbst ich kann ihn nicht mehr lebendig machen.“, zuckte ich mit den Schultern. Wiesel grinste bitter. „Eben. Aber er hat noch Schulden bei mir. Straßenschulden. Du weißt, es gibt nichts Schriftliches. Aber seine Witwe, diese Nicoletta, will davon nichts wissen. Sie hat mich einen Bettler und Hausierer genannt. Diese aufgeblasene, Schwanz lutschende Schlampe!“ Wütend spuckte er aus. „Vielleicht hättest du etwas anderes anziehen sollen?“, überlegte ich laut, was mir einen feindseligen Blick einbrachte. Angewidert schüttelte er den Kopf. „Meinst du, ich kenne die Etikette nicht? Hältst du mich für blöd? Nur weil ich auf der Straße nicht mit Anzug rumrenne, heißt das nicht, dass ich keinen besitze.“ Getroffen zuckte ich zusammen. Er hatte Recht, aber manchmal war mein Mund eben schneller. „Nichts für ungut.“, murmelte ich entschuldigend, was Wiesel mit einem weiteren Handwinken abtat. „Die Sache ist die Sam… ich will mein Geld. Ob mit oder ohne ihr Einverständnis. Wenn du zusagst, hast du morgen die Pläne. Es wäre nett, wenn du ...“ Ich lächelte zynisch. „Wenn ich ihr klarmache, dass die Gesetze der Straße für jeden gelten?“ Wiesels Augen blitzten auf, was für mich die gleiche Bedeutung hatte wie ein Nicken. „Wie viel schuldet er dir?“

„Zwei Sätze.“ Das hieß, zwei Informationen zum Normaltarif. Eine ordentliche Summe. „Geht klar.“ Erfreut zog er seine Augenbrauen nach oben und nickte bestätigend. „Besorg mir die Pläne, den Rest erledige ich. Bis dann.“ Er tippte sich zum Gruß die Finger an den Kopf. „Yo, later. Es war mir wie immer eine Freude mit dir Geschäfte zu machen, Sam.“

Wiesels Pläne wären ihr Geld wert, wenn ich welches hätte bezahlen müssen. Und da ich diesmal zwei Fliegen mit einer Klappe – mein eigenes Vorhaben und einen Job – kombinieren konnte, strich ich wiederholt ehrfürchtig über das Papier.

Devereaux’ Anwesen war eine Festung.

Allein die Einfahrt besaß sieben Bewegungsmelder, ein Tor, zehn Kameras und acht Wachen. Im Innenbereich liefen weitere Wachleute mit Hunden ihre Runden. Um das Anwesen herum waren ebenfalls Bewegungsmelder angebracht. Außerdem Infrarotkameras und Geräusch- und Vibrationsdetektoren auf den Außenmauern. Da hinein kam noch nicht mal eine Maus unbemerkt. Zu blöd: Ich musste da hinein!

Hah, nur gut, dass ich ein paar klitzekleine Asse im Ärmel hatte. Beziehungsweise in den Genen. Mit denen konnte es keine Technik aufnehmen. Das Problem bestand nur darin, nah genug an das Zeug ranzukommen. Ich hatte zwar einen guten Radius von knapp zwanzig Metern vorzuweisen, aber die Vibrationsdetektoren hatten einen weitaus größeren Bereich, den sie abdecken konnten.

Wah, mich fröstelte. Ging diese blöde Heizung wieder nicht? Es wunderte mich nicht, dass ich meine Hand an der Heizung nicht verbrannte. Ich sollte einen Fachmann anrufen. Verflixt, das hatte ich schon vor zwei Wochen tun wollen! Irgendwann würde ich mir doch diese Wärmewände einbauen lassen. Zusätzlich zu einer Fußbodenheizung. Wenn es nicht so viel Lärm machen würde und mein Heim währenddessen nicht zu einer Baustelle umfunktionierte – ganz zu schweigen von dem vielen Dreck – würde ich mir das nicht schon seit drei Jahren vornehmen.

Zähne knirschend stand ich auf, griff mir das Telefon und blätterte durch das Menü. Ah, da stand was von Installateuren. Ich suchte, bis ich die Spezialisten für Wärmeanlagen fand, drückte auf bestätigen und wartete auf die Verbindung. Kurz dudelte im Hintergrund eine nervige Musik. Dann führte mich eine monotone Bandansage durch ein weiteres Menü, bis ich endlich jemanden am Hörer hatte. Na bitte, geht doch. Bevor der gute Mann oder die gute Frau hereinschneite, sah ich zu, dass ich die Pläne außer Sichtweite räumte.

Die waren nur für meine Augen bestimmt.

Keine zwei Stunden später saß ich wieder vor dem Plan, kam aber einfach nicht weiter. Ich lehnte mich auf der Couch zurück und verschränkte die Arme hinter meinem Kopf. Woran könnte der alte Devereaux nicht gedacht haben? So wie der Lageplan aussah, hatte er sämtliche Eventualitäten im Auge behalten. Glatt würde ich ihn für paranoid halten; wenn er nicht schon tot wäre. Denn das meiste seiner Millionen hatte er sicher nicht in einer Socke versteckt, sondern lagerte gut behütet in einer der Banken. Ich fand einfach kein Schlupfloch. Aber verdammt nochmal, es musste eins geben!

Ich rieb mir meine Schläfen, legte die Füße auf den Tisch und rief mir jede Einzelheit ins Gedächtnis. Es gab nur einen Haupteingang, keine Nebeneingänge. Das Haus selbst hatte zwar einen Eingang für die Angestellten, aber da es innerhalb der Mauer stand, war das zweitrangig. Auch die Hunde machten mir Sorgen. Anders als Gestaltwandler dürften die selbst mit dem Zeug von Wiesel auf die eine oder andere Art reagieren. Was wiederum den Hundeführern sagen würde, dass etwas nicht stimmte.

Das war kniffliger, als ich gedacht hatte.

Ich besaß zwar nicht nur eine angeborene Fähigkeit, aber eine meiner anderen Begabungen beinhaltete gewisse Nachteile, die ich bei einem Einbruch nicht gebrauchen konnte. Nachdenklich trommelte ich mit den Fingern auf meine Oberschenkel und nippte an meinem kalt gewordenen Kaffee. Der Lösung kam ich keine Spur näher. Verflucht noch mal! In dem was ich tat, war ich die Beste. Abgesehen davon, dass mich selbst jemand beklaut hatte und ich keine Ahnung hatte, wo ich nach der vermaledeiten Statue suchen sollte. Nicht mal den Ansatz einer Ahnung! Würde mir Alan damit nicht im Nacken sitzen, würde ich es auf sich beruhen lassen. So wichtig war sie mir nicht. Selbst wenn sie noch so viel Kohle eingebracht hätte.

Ich seufzte schwer, als mir einfiel, dass ich Wiesel hatte fragen wollen. Herrje, ich wurde alt. Das Vergessen ist nur das erste ernstzunehmende Anzeichen.

In meinem Kopf war ich festgefahren. Ich kam keinen Schritt weiter. Also entschied ich mich für ein wenig Entspannung. Ein heißes Bad und ein Glas Rotwein würden Wunder wirken. Und wenn nicht?

Morgen war schließlich auch noch ein Tag. Wiesel hatte mir keinen Termin gegeben, also konnte ich mir so viel Zeit lassen, wie ich wollte. Dumm war nur, dass ich sicher keine anderen Informationen von ihm bekäme, solange sein Auftrag nicht erledigt war. Und ich brauchte Informationen über diese blöde Statue, von der ich mir wünschte, ich hätte sie niemals in die Finger bekommen.

Das Bad entspannte mich tatsächlich.

Ich war so entspannt, dass ich in meinem Fernsehsessel vor meinem riesigen Flachbildschirm mit Blueray, HD, xyz und sämtlichem anderen Trallala einschlief.

Allerdings nicht lange. Als erstes fiel mir die Fernbedienung aus der Hand und fast im gleichen Moment klingelte es an der Tür. Aus dem Tiefschlaf gerissen zu werden, ist absolut nicht empfehlenswert.

Wirklich nicht!

Normalerweise zeigte ich bei solch reflexartigem Aufwachen die Reaktion eines toten Neandertalers. Heute nicht.

Ich war so durch den Wind, dass ich völlig vergaß, dass ich mich nach dem Bad in meinen Bademantel gewickelt und im Sessel die Decke um mich geschlungen hatte, so dass es mich jetzt der Länge nach auf den Fußboden legte. Meine Ellenbogen, die ich instinktiv an mich gezogen hatte, damit die Decke nicht runterrutscht – ja, ich weiß, ich hätte sie loslassen sollen – vibrierten ebenso schmerzlich wie mein Kiefer. Ich war mir sogar sicher, dass meine Zähne einen Cancan tanzten.

Vorsichtig befühlte ich mein Kinn, aber das war noch dran.

Erneut klingelte es; diesmal länger. „Ich komm ja schon.“, brummte ich, obwohl ich wusste, dass der Klingler es nicht hörte. Fluchend biss ich die Zähne zusammen. Mein Kopf war ein einziges Summen. Ich wickelte mich aus der Decke, die sich regelrecht um meine Beine geknotet hatte und lief – mein Kinn festhaltend – zur Tür, die ich ungehalten aufriss. Wenn das ein Zeitungsvertreter wäre ...

„Du?“ Wow, also heute musste mein Glückstag sein! Erst der Plan, der mir nicht weiterhalf und der, wie mir gerade klar wurde, sehr offen auf meinem Tisch lag. Dann das Dilemma mit der Decke und jetzt auch noch Alan. Das Universum musste mich wirklich hassen.

„Lässt du mich nicht rein?“ Vor hatte ich das nicht, aber er drängte sich an mir vorbei nach drinnen. „Zieh dir was an, ich muss mit dir reden!“, befahl er barsch, obwohl er in meinem Haus war. Ha, der konnte mich mal kreuzweise!

„Ich bin angezogen. Wenn du mit mir reden willst, mach es so kurz wie möglich und dann verschwinde. Oder lenkt dich mein Anblick so ab?“ Alan sah mich ernst an. „Ablenken? Du hast eine zu hohe Meinung von dir.“ Von mir aus. Nonchalant zuckte ich mit den Schultern. Wieso schloss er seine Augen und schnüffelte? „Fichtennadel.“, sagte ich. „Was?“

„Es riecht nach Fichtennadel.“ Ich badete zu gern mit dem grünen Zeug. „Nein. Hund.“ Öhm… was? „In meiner Wohnung gibt es keine Hunde.“ Na ja, abgesehen von ihm. Auch wenn Gestaltwandler mehr Wolf als Hund waren, machte das für mich keinen Unterschied. Ich mochte weder das eine noch das andere. „Das mag sein. Aber es riecht danach. Mit welchem Rudel verkehrst du noch?“ Moment mal, das ging ihn gar nichts an. Auch wenn ich mir keiner Schuld bewusst war. Vielleicht der Heizungsmensch?

Heizungsgestaltwandler klang irgendwie ... dämlich.

„Die Frage muss ich dir nicht beantworten. Das ist mein Haus und es geht dich einen feuchten Kehricht an.“

„Falsch. Du gehörst zu meinem Rudel. Wenn du dich mit einem anderen triffst, geht mich das sehr wohl etwas an!“

„Woher zum Kuckuck soll ich wissen, wann mir einer wie du gegenüber steht? Ihr könntet euch ja Halsbänder umschnallen, damit Menschen euch erkennen.“ Die Aussage schien ihn nicht zu befriedigen. „Meine Güte, ich hatte jemanden wegen der Heizung hier. Ich frage doch nicht, zu welchem Rudel der gehört. Oder ob überhaupt!“ Es wäre mir ohnehin piepegal. Solange derjenige meine Heizung baute. „Welche Heizung?“ War der paranoid? Seufzend wies ich ihn zur Wohnstube, sah aber zu, dass ich zuerst dort ankam und den Plan wenigstens zusammenfalten konnte. Während er mit geschlossenen Augen und zurückgelegtem Kopf schnupperte, versteckte ich den Plan unauffällig. Was wäre besser geeignet als die Decke, die noch immer auf dem Fußboden lag? Ich legte sie sorgfältig zusammen, schob den Plan in die Mitte und platzierte sie auf meinem Fernsehsessel.

Tadaa, Gefahr beseitigt.

Alan spazierte aus meiner Wohnstube, ging in die Küche, ins Bad, in mein Arbeitszimmer und schließlich sogar in mein Schlafzimmer. „Gehst du bei Leuten immer ohne deren Einverständnis durchs Haus?“ Statt meine Frage zu beantworten, stellte er selbst eine. „Du lässt den Monteur in jedes Zimmer. Sogar hier rein?“ Da er mit dem Finger auf mein Zimmer deutete, wusste ich nicht, ob er den Raum oder das Bett meinte. Aber welches davon auch immer, ich verstand es nicht. „Nein, er war nur in der Wohnstube.“

„Mit wem warst du dann im Bett?“ Also da hörte der Spaß aber auf! „Hör mir mal zu Mister Ich-weiß-alles-besser-weil-ich-eine-Supernase-habe, du irrst dich! Außerdem geht dich das überhaupt nichts an. Noch weniger als nichts! Wir tun nur so, als ob wir ein Paar sind. Vor anderen. Nicht, wenn wir allein sind.“ Er drehte sich so schnell zu mir um, dass ich erschrocken rückwärts taumelte. Sein Gesicht war eine einzige Kriegserklärung.

„Es interessiert mich nicht, welchen und wie viele Kerle du vögelst. Aber wenn du mit einem anderen Gestaltwandler ins Bett gehst, werde ich das nicht tolerieren!“ Gut, dass er mir das sagte. Hieß das, mein letzter Kerl war ein Gestaltwandler? Hätte ich das bemerken müssen? Nein, stopp. Warum dachte ich überhaupt darüber nach? Aber im gleichen Moment wurde ich etwas blass. „Wie lange kannst du einen Geruch riechen?“ Er neigte den Kopf schief und musterte mich, als hätte ich eine wirklich dumme Frage gestellt. „Ungefähr eine Woche. Wenn er stark genug ist.“ Eine Woche?

Mir wurde etwas mulmig. Zitternd lehnte ich mich gegen die Wand, wobei ich große Mühe hatte, meine Übelkeit in Zaum zu halten. „Es war nur Laura hier, meine Mitbewohnerin. Bevor du fragst, sie ist ein Mensch.“ Alan schüttelte den Kopf. „Außer ihr war noch jemand hier. Und dieser jemand war in allen Zimmern hier unten. Ich wette mit dir, er war auch oben. Kann sie hier gewesen sein, als du nicht da warst?“ Ich nickte. „Aber bestimmt nicht mit einem von euch! Sie hat panische Angst vor euch. Und vor Vampiren.“ Darum war ich auch dermaßen irritiert gewesen, dass sie Binghams Agentur aufgesucht hatte.

„Dann bist du hier nicht sicher. Du bist meine Alpha. Du ziehst zu mir. Am besten schon gestern!“ Hoppla, war ich das, die so hysterisch kicherte? „Ich habe gerade… gehört… dass ich zu dir ziehen soll… ist das nicht… ein Brüller…?“, quetschte ich lachend und immer wieder nach Luft schnappend zwischen meinen Lippen hervor. „Schön, dass du das lustig findest. Jetzt zieh dich an und pack ein paar Sachen. Du kommst mit.“ Meine Augenbrauen schnellten nach oben. Ich war mir sicher, hätte ich keinen Haaransatz, wären sie direkt an die Decke gesprungen.

„Warum? Wenn du meinst, ich bin hier nicht sicher, kann ich auch in ein Hotel ziehen.“ Widerwillig verschränkte ich die Arme vor der Brust, aber Alan blieb hart. „Ein Hotel, hm? Was meinst du, steht dann in der Presse? Und Bingham? Bist du so dumm oder siehst du nur so aus?“ Überheblicher Armleuchter, blöder! Einer von uns beiden würde entweder durchdrehen oder es nicht überleben. Ich hatte die schwache Vorahnung, dass ich dieser jemand wäre.

„Dann tauche ich auf der Straße unter. Da findet mich niemand!“ Noch nicht mal du! „Wie ich vermutet habe. Schalte endlich den Kopf ein! Der hat nämlich eine Funktion.“

„Ja. Im Gegensatz zu deinem, der nur zur Dekoration dient!“

Ich dachte nämlich sehr wohl. Wenn ich bei Alan wäre, konnte ich den Job nicht durchführen. Und wenn ich ihn nicht durchführen konnte, stand ich mit leeren Händen vor Wiesel. Nichts mit Informationen zur Statue. Außerdem durfte Alan den Plan nicht finden. Wer garantierte mir denn, dass der bei ihm irgendwo sicher wäre? Vor Alan! Ich würde nicht bei ihm einziehen.

Unter gar keinen Umständen!

Bei Chris zu wohnen war ein Fehler. Aber das würde ich nie zugeben. Chris war… eben Chris. Er vögelte alles, was nicht bei drei auf den Bäumen war und dabei beschränkte er sich nicht aufs Bett. Normalerweise brauchte ich nicht viel Licht, um deutlich sehen zu können. Doch morgens brachte ich meine Augen nicht notwendigerweise zur gleichen Überzeugung wie meinen Kopf. Also war ich in den letzten Tagen über mindestens vier Frauen gestolpert. Wortwörtlich.

Die anderen hatten immerhin auf der Couch gelegen oder irgendwo, wo man sie vorher sah. Sogar über Chris war ich einmal drüber gefallen. Er hatte es nicht bemerkt; die Frau in seinen Armen auch nicht. Ich wusste nicht, ob sie von irgendwelchen Drogen, Alkohol oder vom Sex dermaßen erledigt waren, dass sie nichts mehr mitbekamen.

Man, ich wusste, dass Chris chaotisch war.

Aber das überstieg selbst meine Vorstellungskraft.

Um ehrlich zu sein, war ich froh, dass Alan mich heute sehen wollte. Dass er mich nur per Handy erreichen konnte, ärgerte ihn maßlos. Aber ich hatte nicht vor ihm zu sagen, wo ich mich aufhielt. Es wäre mir nämlich peinlich, wenn er hier hereinplatzen würde. Nicht, dass er mich mit Chris bei irgendwelchen Intimitäten in flagranti erwischen würde. Dafür waren wir nicht geeignet. Chris war wie ein Onkel für mich.

Ein chaotischer, verrückter Onkel.

Mit einem Hang zur Selbstübertreibung.

Er würde sich glatt als gut aussehend, muskulös, zielsicher und dynamisch beschreiben. Bei gut aussehend ging unsere Meinung ein wenig auseinander. Mit seinem schütteren blonden Haar zählte er nicht zu den Männern, bei denen ich ins Schwärmen geriet. Früher war er sicher einmal muskulös gewesen, inzwischen war er… stämmig. Und zielsicher und dynamisch war er nur, wenn es um Frauen ging, was mich – Gott sei Dank – nicht einschloss. „Sammy? Gehst du aus?“ Chris torkelte mit zerzaustem Haar und nur mit Boxershorts bekleidet aus der Küche. „Ja. Ich weiß nicht, wann ich zurück bin. Könnte spät werden.“ Er gähnte und nickte langsam. „Du weißt, wo der Schlüssel ist.“ Schlurfend machte er sich auf dem Weg ins Bad, obwohl es schon vier Uhr nachmittags war.

Oder erst.

Je nachdem, aus welchem Blickwinkel man das Ganze betrachtete.

Ich rief ihm hinterher, er solle mich nicht zu toll vermissen, was er mit einem heiseren Lachen quittierte. Ich lief durch den kleinen Vorsaal, schloss die Tür hinter mir, eilte die Treppen hinunter und war froh, als ich endlich im Freien stand. Es regnete zwar nicht, aber es war saukalt. Mitte Oktober und es roch nach Schnee.

Seufzend griff ich nach dem Helm, stülpte ihn über den Kopf, nahm die Handschuhe aus meinem Rucksack, den ich gleich darauf auf meinem Rücken platzierte, zog sie an, schwang mich auf den kalten Ledersitz und hoffte, dass mir mein Hintern nicht einfror.

Wirklich, ich war dämlich. Ich hatte schließlich eine Bikermontur. Aber die trug ich nur selten. Viel lieber steckte ich in Jeans, einem bequemen Shirt, meiner Lederjacke und natürlich meinen Bikerstiefeln. Die waren der Coolnessfaktor schlechthin.

Alan erwartete mich.

Dachte ich zumindest. Stattdessen öffnete mir Sven und nahm mich sofort mit seinem unablässigen Quasseln in Beschlag. Irgendjemand sollte ihm den Mund zukleben. Wie hielt Alan diesen Mann nur aus? Nicht, dass Alan mir deswegen leidtat. Ganz sicher nicht!

Nach einem gefühlten Jahrhundert, auch wenn es vielleicht nur eine halbe Stunde war, wurde ich sauer. Sven redete ohne Unterbrechung und von dem werten Herrn Garu nirgends eine Spur. Wenn er mich nur her zitiert hatte, um zu sehen, ob ich seinem Befehl folgte, konnte er sich was anhören. Irgendwie glaubte ich Sven nicht, dass Alan eine unvorhergesehene Besprechung hatte.

Selbst wenn Sven das glaubte.

Plötzlich fing mein Hintern an zu vibrieren, kurz bevor meine Gesäßtasche einen uralten Song von jemandem intonierte, den man früher den King genannt hatte. Ich liebte dieses Lied! Egal, was andere von mir dachten.

Erfreut über diese Ablenkung fischte ich es heraus und nahm, mich bei Sven entschuldigend, das Gespräch entgegen. Ich schwöre bei allem, was mir heilig war: Hätte ich einen roten Stift und einen Kalender zur Hand gehabt, hätte ich das heutige Datum mit drei Kreuzen markiert.

Dicken, fetten, blinkenden Kreuzen!

Wiesel benutzte tatsächlich ein Telefon, um mich anzurufen. Es geschahen noch Zeichen und Wunder. Noch besser war allerdings die Neuigkeit, die er mir überbrachte. Ich hätte ihn küssen können. Na ja… eher doch nicht. „Danke dir, jetzt wird die Sache ein Klacks.“, beendete ich das Gespräch und klappte mein Handy zu. Jetzt war mir sogar egal, dass Sven augenblicklich wieder auftauchte und seine Erzählungen fortsetzte. Ich grinste wie ein Kleinkind, dem man uneingeschränkten Zugang zur Spiel- und Süßwarenabteilung gewährte. Am liebsten hätte ich ein lautes ‚Juhu‘ durch Alans Haus geschmettert. Das würde gewiss gigantisch nachhallen. Da ich aber nicht bereit war, meine Hochstimmung erklären zu müssen, ließ ich es bleiben. Mit diesen neuen, unbezahlbaren Informationen könnte ich Wiesels Job morgen Abend durchziehen und anschließend Fragen nach der Statue stellen.

Immerhin lief mir bei der die Zeit davon.

Sven räusperte sich und verstummte, als Alan aus einem der unteren Zimmer trat. Sein Haar war zerzaust, sein Hemd zerknittert und er noch dabei es in seine Hose zu stopfen. Gelangweilt sah er zu mir, wobei etwas in seinen Augen aufblitzte, dass ich nicht zu definieren vermochte. Hinter ihm schwebte eine schmale Gestalt aus der Tür, die ihren kurzen Rock zurechtrückte. Aha, die Art von Besprechung also.

Hätte ich mir auch denken können.

Sollte ich das dumme, naive Frauchen spielen oder die eifersüchtige Freundin. Ich entschied mich für dumm und naiv; immerhin hatte ich sie nicht in flagranti erwischt. Als die Frau mich in der Halle stehen sah, schaute sie erst unsicher zu mir, dann zu Alan, bevor sich auf ihrem Gesicht ein diebisches Grinsen ausbreitete. Huch? Wie sollte ich denn das interpretieren?

„Ruf mich an, wenn du noch was brauchst.“, verabschiedete sich Alan von ihr, bevor er ihr die Hand in den Rücken legte und sie zur Tür brachte. Dann endlich wandt er sich mir zu. „Ich habe nicht viel Zeit.“, erklärte er in einem barschen Ton, der augenblicklich meine Wut zurückbrachte. „Ich auch nicht. Du wolltest mich sehen!“ Ohne auf meinen Einwurf einzugehen, packte er mich am Oberarm und zerrte mich an dem verblüfften Sven vorbei in den kleinen Salon – wobei klein eher relativ war.

Bevor er mit einem lauten Knall die Tür hinter sich schloss, rief er Sven zu, dass dieser gehen könnte. Wem wollte er eigentlich etwas vormachen? Wusste Sven denn nicht Bescheid? Ich runzelte die Stirn. Nein, das Risiko würde Alan kaum eingehen wollen.

Ich setzte mich ohne zu fragen auf die Couch, schlug die Beine übereinander und wartete, dass er mir sagte, was immer er auch zu sagen hatte. „Morgen Mittag gehen wir essen. Ins Fiorino. Ich nehme an, du hast keine geeignete Kleidung?“ Was genau verstand er unter geeignet? Vielleicht sollte er das definieren. „Woher soll ich das wissen? Ich war noch nie in dem Laden.“ Alan schnaufte, als wäre das ein unverzeihliches Argument. „Natürlich nicht.“ Ja, reib mir nur unter die Nase, dass ich nicht zu den oberen Zehntausend gehöre. Als ob mich das interessieren würde. Ich posaunte meinen Kontostand nun einmal nicht derart ungeniert in die Öffentlichkeit, wie es gewisse andere Personen machten.

Wortlos öffnete er eine Kommode, nahm eine kleine Tasche mit einem einschlägigen Logo darauf heraus und warf sie mir zu. „Das wirst du tragen. Und…“, er kam näher, „… du wirst dieses Parfum nicht mehr tragen. Benutz gefälligst das, was du mit mir gekauft hast.“ Dachte er, er konnte mich herum kommandieren? „Nein. Ich bin nicht dein Eigentum. Du kannst mir nicht vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe.“

„Doch! Vorübergehend kann ich das.“

„Sagt wer?“

„Ich bin dein Alpha. Du hast genau das zu tun, was ich dir sage.“ Ich schnaubte protestierend. „Weißt du, es kommt mir so vor, als hättest du mich diesen dämlichen Vertrag nur unterschreiben lassen, damit du mich schikanieren kannst.“

„Und du scheinst dir nicht darüber im Klaren zu sein, welche Ehre das für dich ist.“

Ehre? Wollte er mich eigentlich verarschen? „Die kannst du dir sonst wohin stecken!“, zischte ich wütend. Es kam mir so vor, als hätte er ein Patent darin, mich ständig auf die Palme zu bringen. „Sei vorsichtig, was du sagst.“, drohte er finster. „Sonst was?“

„Werde ich dir Manieren beibringen.“ Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen. Auch nicht meinen Kommentar. Denn wenn einer von uns beiden keine Manieren besaß, dann war doch wohl er das.

Ich hatte es noch gar nicht richtig ausgesprochen, da lag ich mit dem Gesicht voran auf dem Boden; er hockte auf mir. Hoffentlich wurde das nicht zur Gewohnheit. „Ich sollte dich daran erinnern, zu wem du gehörst!“, fauchte er, bevor er an meiner Jacke und meinem Shirt riss. Mein Nacken lag somit frei, und ohne Vorwarnung biss er zu.

Es ging alles so schnell, dass ich mich nicht wehren konnte. Ich hasste ihn dafür. Noch mehr hasste ich das Kribbeln, was sich in mir ausbreitete. Das war mir ebenso schleierhaft wie seine Erektion, die an meinem Hintern klopfte. Machte es ihn an, mich zu unterwerfen oder war er einfach nur dauergeil? Ich war wie betäubt… bewegungsunfähig. Als er ein letztes Mal seinen Biss verstärkte, glaubte ich, etwas knacken zu hören. Meinen Nacken? Mein Rückgrat? Meine Handgelenke? Der Gedanke, dass er sich einen Zahn ausgebissen haben könnte, war tröstlicher.

Vermutlich aber auch reines Wunschdenken.

Er löste sich von meinem Nacken. Aber er stand nicht auf, sondern drehte mich auf den Rücken, wogegen ich nichts unternehmen konnte. Ohne Gegenwehr drängte er meine Beine auseinander und legte sich dazwischen. Meine Handgelenke hielt er mit einer Hand fest umklammert, mit der anderen öffnete er meine Jacke sowie die wenigen Knöpfe meines Shirts, so dass mein Dekolleté frei lag. Ich fühlte mich wie eine Gummipuppe. Warum er mich weiterhin festhielt, war mir ein Rätsel. Ich konnte mich gar nicht bewegen. Alan senkte seinen Kopf auf meinen Hals. Ich spürte, wie seine Zunge darüber glitt. Seine Lippen, die länger verweilten. Zähne.

Knabberte er an mir?

Sein Mund wanderte weiter, während er mit der Hand den Ausschnitt des Shirts nach unten schob, damit er freien Zugang hatte. Immer wieder fühlte ich seine Zunge, seine Lippen, seine Zähne, die bis zu meinem Brustansatz vordrangen, während er seine Hüfte so eng an mich presste, dass ich mir nicht sicher war, ob er dort festwachsen würde. In meinem Inneren rang die Panik gegen eine verstörende Leidenschaft, die ich mir nicht erklären konnte. Und dann war es vorbei.

Alan stand über mir und fixierte mich wie ein Raubtier auf Beutezug. Unwillkürlich jagte mir eine Gänsehaut über den Körper, während ich mühsam wieder auf die Beine kam, unbeholfen meine Klamotten richtete und mich auf die Couch plumpsen ließ. Ich sagte nichts, obwohl mir ein paar passende, unschöne Worte auf der Zunge lagen.

Aber dafür hätte ich einen Teil – wenn auch nur einen winzigen – meines bibbernden Körpers bewegen müssen. Nach dem Akt mich auf die Couch zu hieven, fehlte mir dafür die Kraft. Er grinste eisig. „Jetzt weißt du es wieder. Wenn du in der Lage bist zu laufen, verschwinde. Und sei morgen pünktlich. Ich erwarte dich um elf.“ Damit drehte er sich um und ließ mich allein.

Verdammt!

Verdammt, verdammt, verdammt!

Fassungslos sah ich auf das Kleid in meiner Hand und dann auf mein Spiegelbild. Dieser Mann hatte mich markiert! Im wahrsten Sinne des Wortes. Mein gesamter Hals abwärts bis zum Brustansatz war mit dunkelroten Knutschflecken übersät, die ich mit dem Kleid nie und nimmer würde verstecken können. Das Ding hatte Spaghettiträger! Außerdem reichte es mir nicht mal bis zu den Knien. Sollte ich erfrieren? Ich würde aussehen wie ein halbfertiger Nachthimmel auf Eisbeinen. Ein Hauch von Nichts in Schwarz.

Halb durchsichtig und glitzernd, sobald Licht darauf fiel.

Einfach – ich holte angespannt Luft – umwerfend.

Was machte ich nur mit den Flecken? Mein Abdeckpuder würde nicht helfen. Ich müsste in dem Zeug baden, damit die Dinger auch nur ansatzweise verdeckt wären. Ich seufzte Augen rollend. Wieso erfand niemand etwas gegen solche Peinlichkeiten? Vielleicht würde Zahnpasta helfen. Irgendwo hatte ich das mal gelesen. Einen Versuch war es wert, obwohl es ziemlich eklig war. Ich verbrauchte eine ganze Tube davon, zog mein Pyjamaoberteil darüber und ging ins Bett.

Ich blöde Kuh hätte sofort danach schauen sollen.

Stattdessen hatte ich mir nochmal Devereaux’ Grundstücksriss angesehen. Das Hineinkommen war jetzt, nachdem Wiesel mir die guten Neuigkeiten durchgegeben hatte, das reinste Kinderspiel. Natürlich hatte ich mir – gleich nach dem Verlassen von Mister Knutschfleck-Desasters Haus – das Anwesen auch vor Ort betrachtet, obwohl Wiesels Recherchen sehr präzise waren. Ich wusste, wie ich morgen reinkäme, wann, was ich holen konnte, wo ich es fand und wie ich wieder rauskäme.

Ein Klacks.

Sofern ich das Mittagessen mit Alan überlebte.

Ich war schon kurz vor sieben aus dem Bett gekrochen. Nicht, weil ich munter war, sondern weil mich die eingetrocknete Zahnpaste auf Hals und Dekolleté in den Wahnsinn trieb. Ich hatte geduscht, mich angezogen, mir Kaffee gemacht. Laura angerufen, sie eine halbe Stunde lang von der Arbeit abgehalten und es mir dann vor dem Fernseher bequem gemacht. Inzwischen war es kurz nach zehn, ich war nicht sonderlich guter Laune und weiß Gott hundemüde. Trotzdem schleppte ich mich zurück in mein Zimmerchen und zog mich um. An allem war nur Alan schuld.

Dieser… eingebildete… Lackaffe!

Ich zählte die Tage, bis ich ihn endlich los wäre. Zumindest als meinen nicht ganz freiwilligen Partner. Ein größeres Problem stellte meine ebenso unfreiwillige Rudelzugehörigkeit dar. Aber da ich bis jetzt nichts dafür hatte tun müssen, wäre es vielleicht gar nicht so schlimm. Abgesehen davon dass ich Alan als Alpha zu akzeptieren hatte.

Rein theoretisch!

Unglücklich sah ich in den Spiegel. Ein Anblick zum Heulen. Das Kleid passte. Wie angegossen. Ich sah darin sogar sexy aus. Abgesehen von allem, was oberhalb des Kleides lag. Und damit meinte ich nicht mein Gesicht. Das Abdeckpuder, was ich aus dem hintersten Winkel des Spiegelschranks gekramt hatte, war ein Reinfall. Wenigstens fand ich ein Tuch, was ich mir um die Schulter drapieren konnte. Somit war wenigstens ein Teil der Abscheulichkeit nicht mehr zu sehen. Rasch schlüpfte ich in meinen Wollmantel, zog die Pumps an, die Alan ebenfalls besorgt hatte und schaute zum wiederholten Mal aus dem Fenster. Da auch heute das Wetter einen Vorgeschmack auf den Winter lieferte, hatte ich mir für halb elf ein Taxi bestellt.

Es war halb.

Aber weit und breit kein Taxi in Sicht.

Endlich, zehn Minuten später, kam das gelbe Fahrzeug in Sichtweite. Ein letztes Mal flitzte ich ins Bad, spritzte mir noch ein wenig mehr des Parfums, dass ich eigentlich nicht tragen sollte, auf und eilte nach draußen. Chris hatte ich einen Zettel hingelegt, obwohl ich nicht glaubte, dass es ihn interessierte, wann ich heimkam oder ob ich überhaupt ausging.

Ich hatte nicht erwartet, dass es dem Taxi verboten sein könnte auf Alans Anwesen zu fahren. Aber es war so. Tja, also musste ich bis vor die Tür laufen.

Auch auf die Gefahr hin, dass ich mir alles abfror.

Wenigstens sahen mich die beiden Wachmänner mitleidig an. Durch deren gemurmelte Entschuldigung wurde mir nicht wärmer, aber sie konnten sich schließlich auch nicht gegen die Anweisungen ihres Chefs durchsetzen. Ich war froh, dass Sven mich bereits an der Tür erwartete. „Samantha, um Gottes Willen, Sie sind ja halb erfroren!“ Pflichtbewusst wie Sven nun mal war, holte er mir eine Decke, die er um meine Schultern hängte, nachdem er mir aus dem Mantel geholfen hatte. „Alan erwartet Sie bereits.“ Mit einem Nicken wies er auf eine Tür, die sich in diesem Moment öffnete. Alan winkte mich zu sich. Missbilligend betrachtete er die Decke, bevor er Kopf schüttelnd seufzte und etwas murmelte, dass wir Menschen zu empfindlich seien.

Pah! Der hatte gut reden.

Er saß in einem warmen Zimmer, mit langen Hosen, langärmeligen Hemd, einer Weste und einem Sakko. Er konnte sich wirklich nicht beklagen.

Seine Nasenflügel blähten sich und er funkelte mich – wieder mal – wütend an. Würde ich darüber eine Strichliste führen, wäre meine Hand schon nach zwei Stunden taub und ein ganzer Schreibblock aufgebraucht. In einem zuckersüßen Tonfall teilte er mir mit, dass ich mich seinen Anweisungen widersetzte. Mit einem Lächeln, was sämtliche Alarmglocken in mir schrillen ließ, nahm er das Telefon, drehte sich mit dem Rücken zu mir und führte ein sehr kurzes Gespräch. Vermutlich in Italienisch. Aber was wusste ich schon.

So wie er aufgelegt hatte, drehte er sich wieder zu mir, legte den Kopf schief, verschränkte seine Arme und trommelte mit den Fingern auf seinen Bizeps. „Was soll ich nur mit dir tun, hm? Ich sage dir, benutz das Parfum nicht und du trägst es trotzdem.“ Er schien die Ruhe selbst zu sein. Aber meine Alarmglocken bimmelten sich nicht umsonst halb zu Tode.

„Ach Mist, das hab ich ganz vergessen.“, log ich hoffentlich überzeugend. „Vergessen?“ Ich nickte schnell, weil ihn das zu besänftigen schien. „Nun, das nächste Mal wirst du es nicht vergessen, nicht wahr?“ Na aber sicher doch! „Ja.“, murmelte ich. Mit seiner rauchig, samtigen Stimme fuhr er fort. „Nimm die Decke weg.“ Das tat ich, denn hier war es wirklich angenehm warm. „Warum trägst du dieses Tuch? Nimm es ab.“ Ich riss entsetzt meine Augen auf; kam seinem Befehl jedoch nach.

Hätte ich geahnt, was er vorhatte, wäre ich aus dem Zimmer gestürmt. Aber ich ignorierte meine innere Stimme. „Sehr schön. Und nun das Kleid.“

„Wie bitte?“

„Das Kleid. Zieh es aus.“

„Ich denke nicht dran. Bist du bescheuert?“ Er grinste, kam auf mich zu, umfasste meine Taille und warf mich über seine Schulter. „Wie du willst.“ Ich zappelte und kreischte, wofür ich mir einen deftigen Klaps auf den Po einfing. „Autsch! Lass mich runter, du Halbaffe!“, brüllte ich, was mir einen weiteren Schlag einbrachte.

Das würde er mir büßen.

Ich krallte meine Nägel in seinen Hintern, woraufhin er knurrte. Allerdings ließ er sich dadurch überhaupt nicht von seinem Vorhaben abbringen. Wenig später stand ich wieder auf meinen Füßen.

In seinem Bad.

„Zieh dich aus. Unter die Dusche mit dir.“, fauchte er. „Erst, wenn du raus gehst.“ Wieder grinste er. „Ich denke nicht dran. Es soll dir eine Lehre sein.“ Entschlossen schüttelte ich den Kopf. „Auf gar keinen Fall!“

Eine viertel Stunde später war ich fertig. Er war tatsächlich aus dem Bad gegangen, obwohl ich mir sicher war, dass er nichts lieber getan hätte als mich zu demütigen. „Mein Tuch.“, bat ich ihn zerknirscht, was er rigoros ablehnte. „Du gehörst zu mir. Es wird erwartet, dass ich dich kennzeichne.“

Wütend kniff ich die Lippen zusammen und huschte in meinen Mantel, den er bereits geholt hatte. „Das nächste Mal werde ich dich schrubben. Persönlich. Vergiss das nicht!“, zischte er. Oh, das würde ich nicht. Aber ich würde auch nicht unbedingt das tun, was er von mir erwartete. Wenn er dachte, dass er mich eingeschüchtert hatte, war er schief gewickelt.

Ich war lediglich stinksauer!

Kurz nach fünf hatte ich mit einem Taxi sein Anwesen verlassen, auch wenn er darauf bestand, mich zu fahren. Hah, damit er wusste, wo ich untergeschlüpft war?

Auf gar keinen beschissenen Fall!

Gott war ich froh, dass ich nicht Alans echte Freundin war.

Das Essen war gut gewesen, die Unterhaltung… eisig, wenn auch mit einem entspannten Gesichtsausdruck und einem fast echt wirkenden, verliebten Lächeln. Der Mann hätte Schauspieler werden sollen! Ähm… als Model war er das wohl auch.

Irgendwie.

Was weniger schön gewesen war, waren die Reporter und Schaulustigen, die einem echten Paar mit Sicherheit den Appetit geraubt hätten. Aber indem wir uns in der Öffentlichkeit zeigten, würde ich nicht damit rechnen müssen von Paparazzi auf offener Straße angefallen zu werden – zumindest versicherte er mir das. Was das betraf, war es ein Vorteil, dass Alan ein Gestaltwandler war. Nach dem fast zweistündigen Mittagessen war er mit mir in ein Museum gegangen, in dem uns die Reporter in Scharen hinterher liefen und tonnenweise Fotos schossen. Wenigstens hielten sie sich ein wenig im Hintergrund, so dass sie unsere Unterhaltung nicht hatten hören können. Vermutlich nahmen sie sogar an, dass er mir verliebte Dinge zuflüsterte und das ein oder andere Museumsstück erklärte.

Hah! Meilenweit daneben.

Er hatte mir nur weitere Anweisungen gegeben. Inklusive der Einladung zu einer Galaveranstaltung am heutigen Abend, die ich nicht versäumen dürfte. Ebenso verlogen wie er hatte ich ihn angelächelt und ihm zugesäuselt, dass mir das leider – ach, wie schade – nicht möglich sei, weil ich einen Job zu erledigen hatte. Inzwischen wusste er, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiente. Woher auch immer. Vielleicht hatte er eins und eins zusammengezählt. Oder hatte auch er Möglichkeiten, an Informationen zu kommen. „Du…“ Seine Augen hatten sich für einen Moment verfinstert. „Du tust das nicht, solange du zu meinem Rudel gehörst!“ Ich hatte ihn am Kragen zu mir heruntergezogen – ein toller Vorteil, wenn er mitspielen musste – und ihm die Meinung gegeigt. Ich hatte ihm erklärt, dass ich ohne den Job nicht an Informationen für die Statue käme und die, wenn ich sie denn fand, sicher auch nicht durch eine freundliche Bitte in meine Hände hüpfte. Außerdem sollte er sich damit abfinden, was ich war. Schließlich hätte er mich nicht ewig an der Backe, wenn er eine Möglichkeit fände, mich aus dem Rudel zu entlassen. Lebend!

Sein anerkennendes Nicken war ausnahmsweise echt gewesen. Aber ob ich sein anschließendes Kompliment auch als solches aufzufassen hatte, wusste ich nicht. Was war gut daran, dass ich eine fantastische Alpha abgäbe?

Ich schaute an die Uhr. Es war jetzt um sechs. Ich beschloss, mich bis Mitternacht aufs Ohr zu hauen, vielleicht auch etwas länger. Meine Sachen lagen bereit. Das Wetter spielte mit. Es war zwar kalt, aber trocken, was sich in den nächsten Tagen auch nicht ändern sollte. Chris war ausgegangen, so dass es herrlich ruhig war. Gähnend kuschelte ich mich unter die Bettdecke, wo mir wenig später die Augen zufielen.

Homo sapiens movere ~ gebunden

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