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2116 A.D.

Mit Humphrey zusammen zu leben war einfach. Daran zu denken, dass es nicht auf Dauer war, weniger. Doch solange es anhielt, genoss ich es. In dem Labyrinth der Katakomben unter der Stadt war es kein luxuriöses Wohnen, aber ein gemütliches.

Humphrey war mein Fels in der Brandung.

Ein bisschen wie mein Lauraengel.

Nur, dass ich ihn dazu vielleicht ein wenig zu sehr mochte. Jeden Tag ein kleines bisschen mehr. Außerdem war er kein Engel. Ich hatte die leise Ahnung, dass sich unter seiner nach außen hin präsenten Ruhe ein sehr schlagkräftiger, gefährlicher Charakter verbarg. Bisher hatte er sich mir zwar stets als mein Held präsentiert, doch ich war keine 16 mehr. Mit zunehmender Lebenserfahrung war ich einen Großteil meiner Naivität losgeworden.

Welcher Spezies Humphrey angehörte, war mir nach wie vor schleierhaft. Anfangs hatte ich geglaubt, er sei ein Vampir; seine Energiepunkte sagten etwas anderes. Ich konnte nur hoffen, dass er es mir irgendwann anvertraute. Ansonsten würde ich eben dumm sterben.

Spezies hin oder her: Es hatte schon einen gewissen Vorteil direkt bei der Quelle nützlicher Informationen zu wohnen. Nachdem ich meinen Gips losgeworden war, konnte ich direkt an die Arbeit gehen. Humphrey ließ mich weder für die Miete noch seine Hinweise bezahlen. Dennoch versicherte er mir, dass wir beide unseren Nutzen daraus zogen. Meiner Meinung nach zog nur ich einen Nutzen daraus. Es sei denn…

Ach was, er sah in mir keine potentielle Partnerin.

Wohl eher ein kleines Mädchen, das er gern in seiner Nähe wusste. Im Augenblick saßen wir an seinem Tisch. Er hatte mich das erste Mal gebeten ihm zu berichten, was im Dezember passiert war. Vermutlich hatte er gespürt, dass ich bereit war, darüber zu sprechen. So bereit, wie ich eben sein konnte.

Darin, meine Gefühlslage zu erkennen, war Humphrey nämlich verdammt gut.

Vor uns standen zwei Tassen mit dampfendem Tee, der noch viel zu heiß war, um getrunken zu werden. Interessiert lauschte Humphrey meiner Erzählung, bis ich zu dem Tag gelangte, an dem ich mit zu ihm gegangen war. Humphrey kniff die Augen zusammen, hob vorsichtig die Tasse an seinen – ziemlich hinreißenden – Mund, pustete in den Tee und trank einen Schluck. „Du sagst, jemand hat deine Erinnerung gelöscht? Einfach so, ohne sie durch etwas anderes zu ersetzen? Das finde ich merkwürdig.“ Ich räusperte mich schnaubend. „Du findest es merkwürdig? Frag mich mal, wie ich mich dabei fühle.“ Abermals führte er sich den heißen Tee an die Lippen, was ein sicheres Zeichen dafür war, dass er nachdachte.

Das tat er oft.

Humphrey war nicht der Typ, der redete, ohne nachzudenken.

Er sagte mir trotzdem – oder vielleicht auch genau deswegen – nicht nur die Sachen ins Gesicht, die ich hören wollte. Dahingegen wusste er auch sehr genau, wann er zu schweigen hatte.

Vielleicht war das ein Grund, warum ich bei ihm untergeschlüpft war. Er hatte mir nach Lauras Tod nicht gesagt, dass alles wieder gut werden würde. Dass das Leben weiter ginge.

Selbst wenn es noch so wahr war. Ich hatte es nicht hören wollen. „Vertraust du mir?“ Humphreys stahlgraue Augen fixierten mich über dem Rand seiner Teetasse. Augen, in denen ich irgendwann ertrinken würde. Besonders wenn er mich auf diese Art und Weise ansah. „Ist das eine Fangfrage?“ Ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt jemandem vertrauen sollte. Egal ob ich diesen Jemand zufällig sehr mochte. „Ich meine die Frage durchaus ernst, Kleines.“ Ein unsicheres Lächeln huschte über mein Gesicht. „Ich weiß es nicht.“ Humphrey nickte. „Verstehe.“ Abermals führte er die Tasse an seine Lippen und trank. „Ich könnte es versuchen, Kleines.“ Was meinte er damit? „Ich höre deine Gedanken.“, tadelte er mich mit einem amüsierten Räuspern.

Ah ja, das vergaß ich ständig.

Humphrey hielt sich zwar meistens zurück, aber anscheinend brüllten ihm meine Gehirnaktivitäten pausenlos etwas zu. Vielleicht wedelten sie auch mit den Händen und schnitten Grimassen, hm?

Wir wohnten seit fast sechs Wochen zusammen, was ihn seine Zurückhaltung – was das Kommentieren meiner Gedanken betraf – oft genug vergessen ließ. „Ich könnte versuchen dir deine Erinnerungen wieder zu geben.“ Überrascht riss ich meine Augen auf. „Wirklich?“ Er bewegte ganz leicht den Kopf. Ein kaum merkliches Schwenken. Dennoch sagte mir das, dass er mir keine Garantie gab.

Es war, wie er sagte – ein Versuch.

Ein Versuch konnte nicht schaden, oder?

Er verschwieg mir nicht, dass mir missfallen könnte, woran ich mich erinnerte. Tja… ene, mene, muh… Wer nicht wagt…

„Also gut, ich vertraue dir.“ Humphrey nickte, stellte die Tasse ab und dirigierte mich zum Bett. Er setzte sich, rutschte etwas nach hinten, zog mich zwischen seine Beine und bat mich, mich zu entspannen.

Scherzkeks!

Als ob ich das ohne weiteres könnte, wenn er mir dermaßen nah war und mein Herz im Rausch seiner Gegenwart wie wahnsinnig trommelte. Tief atmete ich ein, wobei mir sein vertrauter, angenehmer Duft in die Nase stieg. Er erinnerte einige Regionen meines Körpers daran, dass sie ab und an mehr brauchten, als ich ihnen geben konnte.

Seine warmen, großen Hände lagen sanft auf meinen Schultern, bevor er begann mich langsam zu massieren, so dass ich mich ganz allmählich lockerte. „Gut so. Schließ deine Augen, Kleines.“ Seine Hände verließen meine Schultern und legten sich auf meine Schläfen.

Warm.

Prickelnd.

Einem sanften Stromstoß ähnlich, drang seine Energie in mich ein, als wollte diese mein Gehirn neu starten.

Und genau das passierte auch…

ein Neustart…

Ich erinnerte mich…

An alles.

Schluckend betrachtete ich den Film, der sich vor meinem inneren Auge abspielte…

Das Fernsehprogramm war langweilig. Also schnappte ich mir ein Buch und futterte nebenbei meine Schokolade. Ich kannte das Buch bereits; hatte es schon einmal gelesen. Deshalb war ich wirklich froh, dass mich das Telefon davon abhielt weiter zu lesen.

Doch ich war entsetzt, als ich Lauras panische Stimme vernahm.

Jemand war bei ihr im Bürotrakt. „Sam, bitte, du musst herkommen. Hier ist jemand. Und er weiß, dass ich hier bin. Er ruft mich! Es ist keiner meiner Kollegen; auch nicht Kevin.“

Sie keuchte.

Sogar ich hörte, wie jemand nach ihr rief. Oh Gott, mein Herz trommelte wie wild. Wie musste sich erst Laura fühlen? „Ich beeile mich. Ich komme zu dir!“

Beeil dich, Sam. Bitte.“ Sie unterdrückte ein Schluchzen. Gerade wollte ich ihr sagen, dass sie um Himmels Willen nicht auflegen sollte – da war die Leitung tot. Mein erster Impuls riet mir, allein zu fahren. Doch eine innere Stimme knurrte, dass ich Alan mitnehmen sollte. Zu zweit hatten wir bessere Chancen. Mit zittrigen Händen wählte ich Alans Handynummer. Ich war noch nie dermaßen froh gewesen, dass der bereits nach dem zweiten Klingeln ranging.

Na gut, ich konnte mich nicht erinnern, wann ich ihn überhaupt je aus freien Stücken angerufen hätte. Nur gut, dass ich inzwischen seine Handynummer kannte. „Vermisst du mich schon?“ Na klar doch. Und wie! „Du musst mir helfen, Alan. Jemand ist bei Laura im Bürogebäude. Sie ist völlig panisch. Es ist keiner ihrer Kollegen, aber er kennt ihren Namen. Ich hab ihn rufen hören, Alan. Er lockt sie, er spielt mit ihr. Mit ihren Ängsten!“ Kurzes Schweigen folgte. Schließlich versicherte er mir, er sei in zehn Minuten da.

Das war er auch.

Umgehend sprang ich in sein Auto.

Alan fuhr wie der Teufel. Mehr als einmal kniff ich mit angehaltenem Atem die Augen zu, unterstand mich aber, zu kreischen. Ich war ihm viel zu dankbar. Sollte er ruhig sämtliche Verkehrsregeln missachteten. Egal. Hauptsache, wir wären schnell genug bei Laura.

Nach nur einer viertel Stunde kamen wir an dem flachen Bürotrakt an. Schon von außen sahen wir, dass nur noch in einem Büro Licht brannte. Hoffentlich war das Lauras.

Mit klopfendem Herzen folgte ich Alan nach drinnen, wo er seinen Kopf in den Nacken legte und witterte. „Hier ist niemand mehr, Sam.“ Er sagte es sehr leise. Trotzdem wollte ich mich vergewissern. Doch nach einer halbstündigen Suche stand auch für mich fest, dass niemand im Gebäude war. Abgesehen von uns.

Laura war nicht heimgegangen.

Dann wäre ihre Handtasche nicht mehr in ihrem Büro. „Kannst du sagen, ob sie zu Fuß weggebracht worden ist?“ Alan schüttelte den Kopf. „Nein. Oder hast du draußen andere Spuren gesehen? Ich nämlich nicht.“ Stimmte… jetzt, wo er es sagte… Im Schnee, der sich hartnäckig hielt, hätte man Spuren erkennen müssen. Fluchend fuhr ich mir durch die Haare und ließ mich in Lauras Bürostuhl plumpsen. Was nun? Alan hob warnend die Hand und ging zur Tür.

Jetzt hörte ich es auch.

Schritte, die aufs Büro zugerannt kamen. „Laura, Schatz, bist du da?“, hörte ich eine atemlose Stimme, die zweifellos Kevin gehören musste.

Wenig später folgte dem Rufen ein junger Mann, der einen teuren Anzug trug und völlig außer Atem war. „Oh, hallo.“, begrüßte er uns. „Sind Sie Kevin, Lauras Freund?“ Er nickte. „Sie sind Sam?“ Schnell erzählte er mir, dass er in einem Meeting war, als Laura ihm die SMS geschickt hatte, dass jemand sie verfolgte. „Sie ist nicht mehr hier, nur ihre Tasche.“ Kevin wurde blass.

Richtig blass!

Ich befürchtete fast, dass er jeden Moment umkippte. „Ich muss sie suchen.“ Alan legte seine Hand beruhigend auf die Schulter des Mannes. „Nein. Wenn jemand eine Chance hat, dann wir. Wir halten sie gern auf dem Laufenden. Fahren Sie heim. Vielleicht hat sie die Möglichkeit bei Ihnen anzurufen. Wenn sie das tut, kontaktieren Sie uns.“ Mit dem Vorschlag einverstanden, gab ich Kevin meine Handynummer; er mir seine. Als ich wieder in Alans Auto saß, hüllten wir uns beide in Schweigen.

Wie sollten wir Laura finden?

War seine Nase so gut?

Egal!

Wenn er sagte, wir fänden sie, dann würden wir das!

An dem Abend unternahmen wir jedoch gar nichts. Uns fehlten ein paar Ansatzpunkte.

Doch in der Nacht kam mir eine fantastische Idee, die ich Alan umgehend mitteilte. Mir schnuppe, dass ich ihn damit aus dem Schlaf riss. Wenn er schon seine Termine für mich absagte, dann sollten wir keine Zeit verlieren. Außerdem: Laura hatte keine Zeit und ich konnte sowieso nicht schlafen.

Nicht, wenn meine allerbeste Freundin in Gefahr war.

Der Gedanke, sie anhand ihres Energiemusters zu finden, war gut. Allerdings hatte ich Laura in letzter Zeit nicht allzu oft um mich gehabt. Zu allem Übel hatte ich so gut wie nie darauf acht gegeben.

Wir suchten die gesamte Nacht, den ganzen Vormittag, über den Mittag hinweg, bis ich schließlich am Nachmittag plötzlich eine sehr intensive Spur wahrnahm. Wir fuhren aus der Stadt hinaus.

In einen Wald hinein.

Tatsächlich fanden wir eine alte Papierfabrik.

Sie war dort. Und – mein Herz stolperte – zusammen mit diesem scheiß blöden Wandler.

Mit eintausendprozentiger Sicherheit.

Doch das Risiko, Alan in die Nähe des Wandlers zu bringen war viel zu hoch. Wir brauchten einen anderen Plan.

Dringend.

Verdammt! Ich war so nah dran.

Unverrichteter Dinge fuhren wir heim, was meine Laune nicht sonderlich steigerte. Dort angekommen, kam uns die geniale Idee, Ribbert am folgenden Morgen einzuweihen. Der würde keine Probleme haben dem Wandler gegenüber zu treten.

Daraufhin suchte ich in der Nacht sämtliche Pläne für die Papierfabrik aus dem Internet, druckte sie aus und überlegte gemeinsam mit Alan, was der beste Weg in das Gebäude wäre.

Am nächsten Morgen fuhr Alan allein zu Ribbert.

Warten war keineswegs meine Stärke.

Ganz besonders nicht mit angefressenen Nerven. Ich war mir sicher, Rillen in den Teppich zu laufen. Viele Rillen. Tiefe, unzählige Rillen. Aber hey, es war mein Teppich. Ich konnte damit machen, was ich wollte.

Erst gegen Mittag tauchte Alan wieder auf. Zu meiner Erleichterung versicherte er mir, dass wir am Abend aufbrächen. Am Abend!

Das waren noch Stunden – gefühlte Jahrhunderte – bis dahin. Wie sollte ich das aushalten? „Warum nicht tagsüber?“, fragte ich. „Weil er wahrscheinlich genau das erwartet. Aber nachts haben wir das Überraschungsmoment und die Möglichkeit mit der Dunkelheit zu verschmelzen. Ich will auch Roman dabei haben. Ich fahre jetzt zu ihm. Willst du mitkommen?“ Wow, er fragte mich? Ich war erstaunt. Ein guter Grund wortlos zu nicken.

Ich kannte Romans Anwesen bereits. Dennoch war ich wie schon beim ersten Mal überwältigt.

Roman war charmant. Als wolle er wieder gut machen, was er und Alan das letzte Mal verkackt hatten. Wie Männer nun mal waren, hatte Roman das schwache Menschlein – also mich – auf Alans Geheiß ausgeschaltet. Während die zwei sich in eine brenzlige Situation begaben, schlief ich tief und fest. Natürlich traf alles genauso ein, wie ich es den beiden vorhergesagt hatte.

Roman bot mir Kaffee an, den ich dankbar annahm. Meine Nerven waren eh schon zum Zerreißen gespannt. Da konnte der Kaffee nicht mehr viel verderben. Ich wollte nur meine Laura wieder bei mir haben. Dafür nähme ich sogar einen Koffeinschock in Kauf. Alan erklärte Roman in aller Ruhe, was wir planten. Der Vampir nickte zustimmend.

Nun… selbst wenn er wie ein Irrer den Kopf geschüttelt hätte, wäre das kein Grund für mich gewesen, meine beste Freundin im Stich zu lassen. Geschweige denn meinen Plan aufzugeben.

Notfalls würde ich allein dorthin gehen.

Ich war froh, dass Alan mit Ribbert gesprochen hatte. Hoffentlich war der nicht allzu sauer auf mich. Ich schluckte, weil mir unerwünschte, hässliche Szenarien in den Kopf schossen, die Ribbert sich für mich ausdenken könnte. Schließlich war es seine Statue gewesen, die ich… äh… entwendet hatte. Sein Anwesen, in das ich problemlos eingebrochen war.

Ich atmete tief ein.

Für diese Aktion brauchten wir Ribbert. Nur so konnte ich garantieren, dass Alan weit weg von diesem dämlichen Wandler wartete. Wobei ich mir kaum vorstellen konnte, dass Alan freiwillig Däumchen drehte. Hatte er deswegen Roman dabei?

Äh… nein.

Der sollte bestimmt auf mich aufpassen. Mich notfalls beschützen. Sowohl vor dem Wandler als auch vor Ribbert. Schließlich hatte ich die ganze Sache erst ins Rollen gebracht. Ein Vampir als Rückendeckung war nicht unbedingt das, was ich unter beruhigend verstand. Aber seine Rückendeckung war besser als gar keine.

Kurz vor zwei nahm ich Alans Ratschlag, dass ich mich noch eine Weile hinlegen sollte, an. Schließlich wäre ich in meinem gegenwärtigen, müden Zustand keine großartige Hilfe für Laura. Als ich nach gut drei Stunden wieder zu den beiden kam, war von Aufbruchsstimmung noch nichts zu bemerken. Dabei war es schon dunkel. Höchste Zeit, dass wir in die Spur kamen.

Warum hatte Alan mich nicht geweckt? Wie lange mussten wir noch auf Ribberts Leute warten?

Kurz vor sechs wurde ich langsam hibbelig. Immer wieder schaute ich auf die Uhr. „Alan, wann kommen die endlich?“ Alan sah erst mich an, dann Roman, der aufstand und zielstrebig zu mir kam. Irgendwas sagte mir, dass etwas nicht stimmte. Ganz und gar nicht stimmte.

Hätte ich mal auf mein Bauchgefühl gehört…

Denn noch bevor ich aufspringen konnte, hatte Roman sich neben mich auf die Couch gesetzt, meinen Kopf in beide Hände genommen und sah mir tief in die Augen. Alans Worte klangen verhöhnend in meinen Ohren. Er sagte sie leise. Dennoch hatten sie auf mich die Wirkung eines Vorschlaghammers. „Ich kann das Rudel nicht gefährden, Sam. Auch nicht für deine Freundin. Wir werden sie nach dem Ritual holen.“ Was ging mich sein beschissenes Rudel an? Ich wollte ihn anbrüllen, ihn treten, schlagen, das Gesicht zerkratzen, ihm sämtliche Knochen brechen. Anschließend diesem blöden Vampir, der ihn unterstützte.

Ich hätte es auch getan, wenn ich mich hätte bewegen können! „Samantha, du wirst dich an nichts von alledem erinnern. Nicht, dass Laura weg ist. Nicht, dass ihr geplant habt sie zu retten oder dass du weißt, wo sie ist.

Alan ist aus dem Haus gegangen, du hast die letzten zwei Tage mit allen möglichen Dingen verbracht, die du sonst auch tust. Du hast Laura angerufen und sie hat dir kurz angebunden mitgeteilt, dass sie ein wenig Zeit für sich braucht. Sie hat dir gesagt, dass sie gekündigt hat.

Du verstehst das.

Heute Morgen hast du dich einsam gefühlt. Also hast du ausfindig gemacht, wo Alan sich aufhält und bist zu ihm gegangen. In seiner Garderobe seid ihr mehr oder weniger übereinander hergefallen, aber Alan hat dich aus Zeitmangel auf später vertröstet. Immerhin bist du die Eine für ihn. nicht nur ein kurzer Fick für zwischendurch.

Ich bringe dich jetzt nach Hause. Mach dich hübsch für ihn. Zieh dir ein paar schicke Dessous an. Du willst ihn. Verführe ihn!“ Während Roman eindringlich mit mir sprach, lief in meinem Kopf eine Art Film ab. So, als würde ich diese letzten Tage im Zeitraffer betrachten. Irgendwann gingen das Gesagte und der vor meinem inneren Auge ablaufende Film in ein statisches Rauschen über. Tausende Ameisen schienen über meine Ohren und Augen zu krabbeln.

Ich wollte nicht vergessen!

Wozu sollte das gut sein? Laura brauchte mich doch!

Und warum sollte ich Alan verführen? Sogar Dessous sollte ich anziehen. Was dachte sich Roman mit dieser Aktion? Waren die zwei völlig von allen guten Geistern verlassen?

Dann stand ich barfuß auf meiner Terrasse, mein Kopf war völlig leer und ich fror…

Tja, und das war der Punkt, an dem ich wieder zu mir gekommen war. Ohne die falsche, aber leider auch ohne die echte Erinnerung. Tränen liefen mir übers Gesicht: Laura hatte mich angerufen. Sie hatte mich um Hilfe gebeten. Alan hatte mich erst in Sicherheit gewogen und dann für sein Rudel hintergangen.

Eiskalt. Zusammen mit Roman!

Ich hatte geglaubt, dass er sich eins und eins zusammengereimt hätte. Dass er jedoch von vornherein wusste, dass Laura in den Händen des Wandlers gewesen war… „Er hat mich verarscht!“ Entsetzt schüttelte ich den Kopf. „Wie konnte er nur?“ Humphrey saß nach wie vor hinter mir, seine Arme um meine Schultern geschlungen und hielt mich, während ich schluchzend um einen klaren Gedanken und eine logische Antwort kämpfte.

2 Wochen später…

Müde und ausgezehrt kam ich von meinem Streifzug zurück. Von einem äußerst erfolgreichen. Die Edelsteine hatten einen beachtlichen Wert. Meine Gürteltasche nicht wie üblich unter dem Kopfkissen verstauend, sondern in meinem bereits gepackten Rucksack, streckte ich mich und kreiste mit den Schultern, die ein knackendes Geräusch von sich gaben. Ich war wahrhaftig in einem knackigen Alter. Wehmütig sehnte ich mich nach einem heißen Bad und meinem eigenen Bett.

Morgen.

Morgen würde ich heimkehren. Humphrey wusste Bescheid. Meinen Bruder hatte ich ebenfalls angerufen.

Ich musste zurück. Schließlich konnte ich mich nicht ewig verstecken.

Gott, wie sehr ich das Haus vermisste.

Wie sehr ich Laura vermisste!

Zwei Monate waren einfach nicht genug, um meine Trauer zu begraben. Oder meine Wut auf einen ganz bestimmten Mann. Einen Mistkerl. Einem, der nicht nur ein- oder zweimal mein Vertrauen missbraucht hatte, sondern gleich drei Mal.

In nicht mal zwei Monaten.

Dass die letzten beiden unmittelbar mit Laura zusammen hingen, war unverzeihlich. Nicht nur, dass er und Roman meine Erinnerungen manipuliert hatten, sondern auch die von Kevin. Doch sie vergaßen in ihrer manipulativen Selbstüberschätzung, dass die beiden ein Paar waren. Dass Kevin Laura erneut suchen würde. Liebe fand ihren Weg.

Das hatten weder Alan noch Roman einkalkuliert.

Mich dazu zu bringen mich Alan anzubieten war aus demselben Grund gescheitert. Hoffte ich zumindest.

Zu dumm, dass ich zu dem Zeitpunkt, als Kevin mich das erste Mal auf Handy anrief, nicht auf der Höhe war und Alan das Gespräch angenommen hatte.

Was für ein glücklicher Zufall – für Alan.

Natürlich hielt er es selbst dann noch nicht für notwendig, seine Entscheidung zu überdenken.

Hatte er ohne jegliche Skrupel Lauras möglichen Tod in Kauf genommen?

Die Antwort war niederschmetternd: Ja, hatte er.

Noch einmal ließ ich mir durch den Kopf gehen, woran ich mich seit zwei Wochen erinnerte. Doch noch immer konnte ich es nicht fassen. Mein anfängliches Entsetzen, hatte sich, übergehend in blankes Entsetzen und völlige Taubheit, in rasende Wut verwandelt.

Der sollte mir in die Quere kommen!

Für mich war dieser Armleuchter von einem Mann gestorben!

Ab sofort waren wir wieder per Sie!

Hoffentlich vergaß ich das nicht, sobald ich ihm gegenüber stand. Denn früher oder später würde das passieren.

Sicherlich schäumte er vor Wut, weil seine Alpha – nämlich ich – abhanden gekommen war.

Der arme Kerl. Jetzt musste er bei seinen Partys allein aufkreuzen. Ganz zu schweigen von den Rudeltreffen, die ich versäumte.

Wenigstens hatte er mich weitgehend aus der Presse heraus gehalten. Ansonsten könnte ich mich bestimmt auf etwas gefasst machen.

Und das Rudel?

Sah ich irgendwie pelzig aus, hatte Reißzähne und Klauen? Leuchteten meine Augen fanatisch, weil ich mich wie eine Irre freute zu diesen Fellärschen zu gehören? Trotzdem gehörte ich dazu. Leider. Laut den Regeln durfte ein Mitglied des Rudels aus Unpässlichkeit abwesend sein. Es wurde nicht genau definiert, ob das meinen Status mit einschloss und war somit ein Punkt, auf den ich mich jederzeit berufen konnte.

Unpässlich war ich nämlich in vielerlei Hinsicht.

„Bist du dir sicher, dass du heimwillst? Du kannst gern noch bleiben.“ Humphrey lehnte lächelnd an dem provisorisch angebrachten Türrahmen des zweiten Zimmers, das ich die letzten acht Wochen bewohnt hatte. Es glich dem ersten fast bis aufs Haar: Ein Feldbett, ein Tisch, Steinwände, Decken vor den Türen, damit es nicht zu kalt wurde, dicke Teppiche auf dem Boden, zwei Stühle, ein Heizstrahler. Doch anstelle des Herdes, der in dem anderen Zimmer stand, besaß dieses eine altmodische Dusche. „Ja. Nein. Ich weiß nicht. Aber ich muss zurück. Ich bin das Verstecken allmählich leid. Laura kommt davon nicht wieder, weißt du?“

Humphrey nickte mit einem zaghaften Lächeln. „Du bist mir jederzeit Willkommen, Kleines.“ Ich dankte ihm, indem ich dem großen, manchmal sehr wortkargen Mann um den Hals fiel. „Danke, für alles.“, murmelte ich an seiner Brust, denn höher reichte ich nicht. „Gern geschehen.“ Humphrey küsste meine Stirn, wozu er sich doch glatt ein wenig zu mir herunter beugen musste. „Gute Nacht, Kleines. Wir sehen uns.“ Ja, da war ich mir sicher. „Wir sehen uns. Ach, Humphrey?“ Er drehte sich noch mal um. „Hm?“ Verstohlen biss ich mir auf die Unterlippe und flüsterte, dass ich ihm vertraute. Ein Lächeln huschte über sein schönes Gesicht, was auch die Narbe für mich nicht entstellte. „Danke.“

Er drehte mir den Rücken zu, tippte sich mit zwei Fingern zum Abschied an die Schläfe und schloss leise hinter sich die Tür. Schwer schaukelnd fiel die Decke in ihre richtige Position, so dass von der Tür nichts mehr zu sehen war. „Gern geschehen.“, flüsterte ich, streckte meine müden Glieder und legte mich schlafen.

Mit Klamotten.

Ohne Dusche.

Als ich am späten Vormittag aufwachte und in das andere Zimmer lugte, war Humphrey längst unterwegs. Ich ging zurück, warf mir ein wenig Wasser ins Gesicht, kämmte mir die Haare, schulterte meinen Rucksack und verließ die Katakomben auf dem Weg, den ich in den letzten acht Wochen verinnerlicht hatte. Eins war sicher – hier unten würde ich mich nie mehr verlaufen.

Wenige Stunden später war ich daheim, ordentlich in einer heißen Badewanne aufgeweicht worden, pappsatt und rundum zufrieden. Nicht glücklich… nur zufrieden. Ich war sauber, im Haus war es warm und die Couch war die reinste Offenbarung. Nur die Stille im Haus und die Gewissheit, dass ich allein war, waren beinah unerträglich.

Also schaltete ich den Fernseher, die Stereoanlage und das Radio in der Küche an und begann mich mit mir selbst zu unterhalten.

Jeder, der das sähe, würde mich für plemplem halten. War mir egal. Würde eh keinen interessieren. Es war mein Elend.

Mein Verlust, mit dem ich klarkommen musste.

Homo sapiens movere ~ geopfert

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