Читать книгу Homo sapiens movere ~ geopfert - R. R. Alval - Страница 5
2
ОглавлениеEine Woche war vergangen. Jemand vom Rudel musste mein Haus beobachtet haben. Denn meine Klamotten, die sich bis dato bei Alan befunden hatten, waren wieder bei mir. Maya hatte sie mir vorbei gebracht. Sie war nur kurz geblieben. Hatte noch andere Verpflichtungen zu erledigen. Sie versprach mir jedoch, mich baldmöglichst zu besuchen.
Langsam gewöhnte ich mich an das Alleinsein.
Ich hatte sogar begonnen, mir regelmäßig etwas zum Lesen zu besorgen. Aus einem ganz bestimmten Grund: Ich stand in der Zeitung! Oh yeah. Ich bin berühmt! Nun ja, nicht direkt. Mein Name wurde nirgends erwähnt, dafür hatte die Presse mir einen Beinamen zugeteilt, an den ich mich nicht gewöhnen wollte. ‚Der graue Mann’. Pah! Wer schrieb denn solchen Müll? Weder trug ich grau noch war ich ein Mann.
Tja… sollten die ruhig im Dunkeln tappen.
Solange sie über meine Streifzüge berichteten, verdrängte ich sogar Artikel über Alan Garu – weltbekanntes Topmodel und riesiger Arsch, der zufällig in derselben Stadt lebte wie ich – auf eine andere Seite. Rein zufällig war Alan Garu auch der Alpha eines bestimmten Rudels. Blöderweise hatte er mir die Position als Frau an seiner Seite zugedacht.
Wo war ich stehen geblieben?
Ach ja – meine Streifzüge.
Meine sehr erfolgreichen Streifzüge, die mir eine ordentliche Stange Geld einbrachten – wenn ich das hinzufügen durfte. Als ob es denen, denen ich es entwendete, etwas bedeutete!
Ich nahm nie von jemandem, dem es wehtun würde, wenn ein kostbares Kleinod fehlte. Bekam ich einen Auftrag, der das verlangte, lehnte ich ab. Obwohl es nicht ehrenhaft war auf diese Weise seinen Lebensunterhalt verdienen, so konnte ich zumindest noch mit ruhigem Gewissen schlafen gehen. Vielleicht lag es auch daran, dass ich einiges davon spendete.
Apropos Alan Garu.
Ich war mir sicher, dass er wusste, wer hinter dem Synonym des grauen Manns steckte. Solange er das jedoch für sich behielt, war mir das egal.
Ich wollte diesen Typ vergessen.
Dass ich seine Alpha war und obendrein seine einzig wahre – würg – Gefährtin, machte die Sache etwas schwierig.
Aber nicht unmöglich.
Es war mir immerhin die letzten zweieinhalb Monate sehr gut gelungen ihm aus dem Weg zu gehen. Ich hoffte, das würde auch so bleiben; bis Juni. Dann stünde ein neues Ritual zur Bannung uralter, böser Seelen an, was ich trotz meiner Abneigung diesem Mann zu begegnen, nicht versäumen konnte.
Hatte ich erwähnt, dass ich zu Alans Rudel gehöre?
Als Mensch!
Mit Zusatz.
Nun ja, es war nicht schwer zu erraten, nachdem ich schon sagte, dass ich seine Alpha war. Das hieß noch lange nicht, dass ich es akzeptierte. Er hatte mich damit überrumpelt. Ganz so, wie es seine Art war. Tja, ohne mich. Ich war keine Frau, die sich Vorschriften machen ließ. Allerdings musste ich mich an die eine oder andere Regel des Rudels halten, um weniger erfreulichen Konsequenzen aus dem Weg zu gehen. Andere Anweisungen meines Alphas – Gott, das klang so absurd – ignorierte ich mit ausgestrecktem Mittelfinger, ähm… mit einem Lächeln. Außerdem hatte ich mit ihm noch ein Hühnchen zu rupfen … beziehungsweise einen ausgewachsenen Strauß.
Humphrey, bei dem ich die letzten Wochen untergetaucht war, hatte es geschafft, meine ‚Amnesie’ aufzulösen. Was er mir dabei enthüllt hatte, war alles andere als gut für den unfehlbaren Alan.
Oder für seinen Freund Roman.
Jedes Mal wenn ich daran dachte, fühlte ich einen Anflug von Bitterkeit in meinem Mund, der sich nach unten ausbreitete und als Stein in meinem Magen liegen blieb.
Ich hatte diesem, diesem… Mann… vertraut!
Ich faltete die Zeitung zusammen und legte sie auf den Altpapierstapel, auf dem unter anderem auch vier ungeöffnete Briefe von Alan ihr Dasein fristeten.
Nachdem was ich inzwischen wusste, sah ich keinerlei Anlass diese Briefe zu öffnen.
Die Zeitungen könnte ich aufheben. Jeden Artikel, der sich auf mich bezog, akribisch ausschneiden und an die Wand kleben oder penibel in einem Hefter sammeln. Ich war bloß nicht wild darauf, dass jemand die logischen Schlüsse daraus zog, sobald er diese kleine, fröhliche Sammlung entdeckte.
Gut… Gäste hatte ich in letzter Zeit… äh… weniger.
Aber man konnte nie wissen.
Ich traute Alan einiges zu, obwohl die Idee reichlich grotesk war. Trotzdem: Solange ich nichts aufbewahrte, egal ob Zeitungsartikel oder Wertsachen, konnte mir auch niemand etwas nachweisen.
Wenn ich etwas in meinem Leben gelernt hatte, dann, dass movere automatisch als erstes in den Kreis der Verdächtigen aufgenommen wurden. Und auch als zweites.
Und zwar so ziemlich alle, die a die möglichen Fähigkeiten besaßen, b eingetragen waren – also den Zusatz im Pass nachweisen konnten und c in der Nähe wohnten. Oh, fast vergessen: d, die einem einfach nicht in den Kram passten. Ich selbst hatte das Spielchen schon ein paar Mal hinter mir.
Jedoch nie in einer Sache, derer ich tatsächlich schuldig gewesen wäre.
Ja, ich war ein eingetragener movere. Wie alle movere in den letzten 30 Jahren. Nur so bekam man den Zusatz im Pass.
Davor hatte man es nicht publik machen müssen. Jetzt allerdings war es Vorschrift, sich als das kenntlich zu machen, was man war. Von mir aus. Diese Kennzeichnung sagte lediglich, dass ich mich genetisch von anderen Menschen unterschied, indem ich in die Schublade der Telekinese gesteckt worden war.
Im weitesten Sinne waren alle movere Telekinetiker, da sie Dinge beeinflussten. Sei es durch Bewegung oder Manipulation. Ich selbst kannte vier, die allesamt in derselben Schublade steckten wie ich. Telekinese war ein Wort, was für so ziemlich alle möglichen Fähigkeiten stand, für die es keinen Namen gab; die man dennoch irgendwie katalogisieren musste. Claude, ein movere, mit dem ich in die Schule gegangen war, hatte die Gabe das Feuer zu beherrschen. Nicht nur das: Er konnte es durch seinen Willen entfachen. Auf seinen bloßen Händen! Im Prinzip tat auch er nichts anderes als Teilchen zu beeinflussen. Er fiel in den Bereich der Pyrokinetik.
Sascha, ein anderer movere, konnte das Gleiche; allerdings mit Wasser. Da es dafür keinen Namen gab… Nun, er war einer der erwähnten vier, die mit mir in der Schublade der Telekinese hofierten.
Dabei war oftmals nur eine von mehreren Fähigkeiten angegeben. Bisher hatte die Regierung sich für kein Gesetz entschieden, das vorschrieb, dass man alle Fähigkeiten anzugeben hatte.
Zumindest nicht einstimmig.
Welch ein Glück!
Ich persönlich war dagegen, dass präzise Angaben gemacht wurden. Nicht, weil ich selbst ein movere war, sondern weil ich es unnötig hielt. Wie unter allen Menschen, egal ob mit oder ohne Zusatz, gab es gute, weniger gute und echt durchgeknallte Typen. Bei einem Verbrechen, egal welcher Art, war es auch jetzt schon so, dass als erstes immer die movere verdächtigt wurden. Selbst fast 60 Jahre nach den großen Revolutionen. Wenn dann auch noch aufgeschrieben werden würde, was welcher movere anstellen könnte, hätten wir bald ein drittes Salem.
Jeder movere war zwangsläufig gefährlich; wie jeder andere Mensch auch.
Nehmen wir Claude: Natürlich konnte er ein Feuer legen und – wenn er das wollte – jemandem aus reiner Boshaftigkeit die Haare versengen. Oder denjenigen selbst in Brand stecken. Aber war er dadurch gefährlicher als ein normaler Mensch mit Brandbeschleuniger und Feuerzeug oder gar mit Pistole?
Wohl kaum.
Man sollte die Relationen im Auge behalten.
Das Potential zur Gewalt war überall vorhanden. Egal bei welcher Rasse. Meist jedoch waren die am aggressivsten, die sich bedroht fühlten. Die der Meinung waren, ihre Existenz vor Gefahren retten zu müssen oder einen um sich greifenden Rachefeldzug starteten. Die Geschichte hatte uns das mehr als einmal bewiesen.
Was würde also passieren, wenn wir movere uns bedroht fühlten?
Wären wir so zurückhaltend wie unsere Vorfahren zur Zeit der zwei großen Revolutionen, aus Angst, dass man uns für Monster hielt?
Ich hatte erhebliche Zweifel daran.
Eine Tasse Tee in der Hand ging ich aus der Küche. Dabei warf ich einen kurzen Blick die Treppe hinauf, auf deren Absatz ein Engel milde lächelte. Ich hatte die knapp einen Meter hohe Statue meiner Freundin Laura schenken wollen.
Leider hat Laura das letzte Weihnachten nicht mehr erlebt.
Mit einem leichten Kloß im Hals schlurfte ich in die Wohnstube, in der ich mich auf die Couch plumpsen ließ – nachdem ich den Tee abgestellt hatte – um meiner momentanen Lieblingsbeschäftigung nachzugehen: Dem Fernsehen.
Wie sollte ich bloß den Sommer überstehen, ohne eine einzige Grillparty mit meiner Laura?
Aber hey, noch war nicht Sommer und alles war besser als schon jetzt daran zu denken.
Draußen dämmerte es bereits. Obwohl es heute Morgen sonnig ausgesehen hatte, war der Tag mit Wolken verhangen gewesen, die letztendlich doch ihre Schleusen öffneten. Der Regen prasselte so laut ans Fenster, dass er sogar den Fernseher übertönte. Sollte mir recht sein... ich saß im Trockenen. Während ich an meiner Teetasse nippte, überlegte ich, seit wann ich eigentlich abends mit Tee da saß anstatt mit Kaffee.
Heilige Waldfeegroßmutter!
Mutierte ich zur feinen Lady oder schlimmer – zur alternden Dame vom Land? Fehlte nur noch, dass ich mir einen Dackel zulegte und Strickzeug.
Ich hasste stricken!
Argwöhnisch schaute ich in die Tasse und entschied mich, endlich wieder die zu werden, die ich gewesen war.
Dazu gehörte auch Kaffee; eine ganze Menge davon.
Beinah hätte mich der Schock einen Meter in die Luft springen lassen, als mitten in meinem Vorhaben in die Küche zu gehen, Bingham Senior in meiner Wohnstube auftauchte.
Schluckend und meine Stirn runzelnd betrachtete ich den jungen Mann, der älter war als ich, meine Brüder und meine Eltern zusammenaddiert. Sein Blick war eisig, sein Lächeln nicht echt. Verflixt, warum ich?
Konnte der alte Vampir nicht irgendwo anders zum Teekränzchen auftauchen?
„Guten Abend, Samantha. Wie geht es Ihnen?“ Wow, so was von freundlich! Die Worte waren gut gewählt, aber in der Art, wie er sie sagte, hätte er mich auch fragen können, wem ich gern mal das Gesicht streicheln wollte ... mit einem Vorschlaghammer. „Danke, ganz gut. Und Ihnen? Was… verschafft mir die… ähm, Ehre Ihrer Anwesenheit?“
Hoffentlich nicht noch ein Wandler. Von denen hatte ich die Schnauze gestrichen voll.
„Nun, ich möchte mich mit Ihnen unterhalten, meine Liebe.“
Irgendwas an seinem Auftreten war nicht ganz koscher. Ich wusste nur nicht was. Im Bruchteil einer Sekunde stand er hinter mir. Sein Arm lag um meinen Hals. Er hielt mich so, dass ich mich nur bewegen könnte, sofern ich vorhatte mich zu strangulieren. „Eigentlich bevorzuge ich gar nicht zu reden. Sie haben kein Recht zu leben, Samantha. Eine Mörderin wie Sie muss bestraft werden. Aber ich habe nicht die erforderliche Geduld, um auf die langsam mahlenden Mühlen des Gesetzes zu warten.“ Keuchend schnappte ich nach Luft, als er seinen Arm lockerte, wobei er mit seiner Linken in meine kurzen Haare griff und meinen Kopf zur Seite riss. „Es könnte schnell gehen. Aber ich will, dass Sie leiden.“
Mir schwante nichts Gutes.
Besonders weil ich keine Möglichkeit fand, mich gegen ihn zu wehren. Ich musste seine Energiepunkte schon sehen, um ihre Namen zu erkennen. Denn in meiner Panik erinnerte ich mich blöderweise an keinen einzigen. Doch da er hinter mir stand – und ich keine Augen am Hinterkopf besaß – war das unmöglich.
Ich versuchte zu sprechen, zu schreien, zu brüllen ... doch kein Wörtchen entrang sich meiner Kehle. Mein Herz klopfte derart laut in meinen Ohren, dass ich darauf gefasst war, dass es jeden Moment aus meinem Brustkorb sprang.
Oder aus meinen Ohren.
Um kreischend im Zickzack in die Sicherheit zu hüpfen.
Und dann traf mich unvermittelt ein stechender, ziehender Schmerz. Bingham gaukelte mir nicht einmal vor, dass sein Biss etwas anderes war als das. Ich hörte das Schmatzen, als er mein Blut trank. Das hämmernde, rasende Klopfen meines Herzens, das immer lauter wurde, obwohl ich das nicht für möglich gehalten hätte. Ich fühlte den pochenden Schmerz an meinem Hals, an dem seine Zähne meine Haut durchbohrten. Zur Bewegungslosigkeit verdammt, konnte ich nichts dagegen unternehmen.
Ich lag an seiner Brust wie eine Strohpuppe.
Obwohl ich wusste, dass seine Zähne eigentlich nur etwa zwei Zentimeter lang – und außerdem verdammt spitz – waren, fühlte es sich an, als reichten sie bis zu meinen Fußsohlen.
Ebenso der Schmerz, der wie ein reißender Fluss durch meinen Körper raste. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis er endlich von mir abließ. Wie ein Sack Zement knallte ich auf den Boden. „Auf das Sie in der Hölle schmoren mögen.“, zischte er leise, bevor er auf dieselbe Weise verschwand, auf die er gekommen war.
Schnell und lautlos.
Verdammt!
Warum ich?
Was hatte ich denn getan, dass ich sowas verdiente?
Es war einem Vampir bei Strafe verboten, einen movere zu beißen. Bingham hatte sich jedoch nicht nur an mir genährt, er hatte mich bestraft. Nur ... wofür? Warum ging er dafür nicht den Weg des Gesetzes? Ein Missverständnis, ganz sicher.
Wen sollte ich seiner Meinung nach denn ermordet haben?
Ich könnte nicht sagen, wie lange ich meinen Fußboden ansah, der – nebenbei bemerkt – ein interessantes Holzmuster besaß. Fast so, als würden einen Augen anschauen. Jedenfalls schaffte ich es irgendwann, mich aufzurappeln. Ich war am Verdursten. Außerdem machte es mich verrückt, dass das Haus begann, sich um mich zu drehen.
Ich taumelte, mehr als dass ich aufrecht lief, in Richtung Küche. An deren Eingang musste ich mich kurz am Türrahmen anlehnen. Mein Kopf fuhr Karussell.
Links herum.
Mein Körper in die entgegengesetzte Richtung.
Jeder kann sich vorstellen, was für ein Gefühl sich dadurch in der Halsgegend bildete.
Ich holte Luft oder versuchte es zumindest, aber der Sauerstoffgehalt meiner Wohnung schien auf ein Minimum gesunken zu sein. Obendrein war ich undicht: Ich tropfte.
Ich spürte das warme Blut deutlich, das an meinem Hals nach unten lief und mein Shirt versaute. Vielleicht könnte ich die Löcher irgendwie stopfen? Ach was, die… ein Tuch vielleicht?
Egal, erstmal trinken.
Es fühlte sich an, als würde mein Mund eine Wüste beherbergen.
Keuchend schleppte ich mich zur Anrichte, angelte mit klammen Fingern ein Wasserglas und hielt es zitternd unter den Wasserhahn. Leider scheiterte ich sowohl daran, den Wasserhahn zu öffnen als auch daran das Glas festzuhalten. Nicht nur, weil meine Hände glitschig waren von meinem eigenen Blut. Mir fehlte jegliche Kraft dazu. Scheppernd fiel das Glas in die Spüle und zersprang in tausend Stücke.
Angestrengt schaute ich auf die Scherben, in denen sich das Licht spiegelte; dieses funkelnd zurückwarf. Die Farben, die sich dabei bildeten, konnten unmöglich echt sein. Besonders nicht, da sie anfingen, wie Dampf aufzusteigen und durcheinanderzuwirbeln. Das Kichern, das aus meiner Kehle drang, klang erstickt und blechern. Mühsam zwang ich meine immer tauber werdenden Beine, sich aufrecht zu halten, schätzte die Entfernung zu meinem Küchentisch, der seltsam schwankte und waberte, stieß mich von der Anrichte ab und torkelte auf diesen zu.
Unendlich erleichtert ihn endlich erreicht zu haben, ließ ich mich auf den Stuhl sinken, legte die Arme und den Kopf auf den Tisch und versuchte meine Atmung zu beruhigen. Würde ich einen Marathon rennen, wäre ich nicht mal annähernd so fertig.
Darauf könnte ich einen Eid schwören.
Ich könnte den sogar auf die Bibel schwören. Ehrenwort. Ich war fix und alle und fertig.
Warum hatte Bingham mich gebissen? Wen sollte ich umgebracht haben? Mich durchzuckte die Idee, dass er Nicoletta Devereaux gemeint haben könnte.
Es fiel mir zusehends schwerer, einen klaren Gedanken zu fassen. Mein Oberkörper war sicher mit Blei gefüllt. Möglicherweise stand ein Baufahrzeug auf meinem Rücken.
Oder der gesamte Fuhrpark einer Baufirma.
Verflixt!
Ich wollte nicht sterben.
Nicht so.
Nicht mit gerade mal 29.
Mein Atem rasselte, als hätte ich einen Teich mit Fröschen leer getrunken, die sich jetzt alle in meiner Kehle versammelten. Meine Augen gaukelten mir seltsam hüpfende Lichter vor, bevor ich sie für eine Sekunde schloss. Es war viel zu anstrengend sie offen zu halten. Meine Beine und Arme fühlte ich gar nicht mehr. Würde ich nicht sitzen, kämen mir Zweifel, ob ich überhaupt ein Hinterteil besaß. Zu spät fiel mir ein, dass ich jemanden anrufen könnte. Aber das Telefon lag in der Wohnstube.
Glaubte ich zumindest.
Im nächsten Moment war ich mir nicht einmal mehr sicher, was ein Telefon eigentlich war.
Mein Gehirn war ein einziger Brei, der in meinem Kopf hin und her schwappte. „Sam, mach die Augen auf.“ Ein hysterisches Glucksen kroch aus meinem Mund, als ich ihre Stimme hörte. Denn das bedeutete, dass ich entweder schon tot war oder halluzinierte. „Sam, na los. Sieh mich an! Du lässt dich von ein bisschen Vampirgift doch nicht unter die Erde bringen.“ Mit einem Kraftakt, der ans Gewichte stemmen erinnerte, hob ich die Augenlider.
Sie stand vor mir.
Mit einem besorgten Lächeln und ihren strahlend blauen Augen. „Laura?“ Mein Mund war trocken. Eine Wüste voller Sand, der auf meiner Zunge rieb. „Ja. Ich bin hier. Komm Süße, setz’ dich richtig hin. Wir müssen reden.“ Ja, genau. Das mussten wir.
Aber nicht jetzt.
Ich war beschäftigt.
Mit wach bleiben.
Mit Luft holen.
Lauter solchem Zeugs.
Konnte ich nicht von ihr fantasieren, wenn ich nicht kurz davor war den Löffel abzugeben? „Sammylein, setz dich richtig hin! Ich weiß, es ist anstrengend, aber tust du das bitte für mich?“
Zitternd richtete ich mich auf, was mehr von einer Marionette hatte, als mir lieb war. Mit einem Ruck zog ich erst meinen linken, dann meinen rechten Arm vom Tisch, so dass sie wie Teigrollen in meinen Schoß glitten.
Waren das meine Arme? Sie fühlten sich nicht so an. Aber sie hingen an meinen Schultern, also mussten sie es wohl sein. „Sam, sieh mich an!“ Sie sagte das so einfach.
Das war es nicht.
Mein Kopf wog grob geschätzt eine Tonne, saß aber auf einem Hals, der maximal einen Zentimeter breit war. Ein äußerst schwieriger Balanceakt, der meine ganze Konzentration erforderte.
Was tat ich hier eigentlich?
Ich saß an meinem Küchentisch und hörte auf meine Laura, die vor drei Monaten gestorben war. Das war…
Etwas glitt kitzelnd über meine Wangen, als sie mir gegenüber Platz nahm, ihre Hände nach meinen ausstreckte – die ich erst auf meinen Schoß hatte fallen lassen und die nicht mehr wirklich zu mir gehörten. Doch jetzt bewegten die sich von ganz allein auf die Mitte des Tischs zu, wo sie Lauras Hände berührten. Ich sah es, konnte es aber nicht fühlen. „Nicht weinen, Sam. Ich bin hier.“ Ich weinte? Komisch, dass ich es nicht spürte.
„Bin ich tot?“ Mein Kopf weigerte sich gegen diese Vorstellung. Wenn ich es wäre, würde mir doch nicht alles wehtun, oder? „Nein. Du stehst auf der Schwelle. Ich bin hier, um dich davon abzuhalten sie zu überschreiten.“
„Warum?“ Hey, ich wollte absolut nicht sterben. Aber so wie sich mein Körper anfühlte oder eher nicht anfühlte, wäre mir sogar der Tod recht. Mir tat alles weh. Gleichzeitig spürte ich nichts.
Absurd.
Als wären meine Gliedmaßen an den völlig falschen Stellen angewachsen, nachdem sie mir das Gift vom Körper getrennt hatte. Meine Nerven übertrugen zwar die Gewissheit, dass sie schmerzten, aber waren damit überfordert, den Rest zu übermitteln. „Sam, deine Zeit ist noch nicht um. Du hast noch einiges zu tun. Ich werde Hilfe für dich holen.“
Hilfe.
Für mich?
Super.
Wäre ich nicht damit beschäftigt gewesen gedankenverloren in ihre Augen zu sehen, hätte ich mich auch erinnert, wofür ich Hilfe brauchte.
Ist heute Montag? Wollte ich etwas erledigen?
„Sam, konzentriere dich auf das Wesentliche.“
Das Wesentliche... geht klar... Was war das gleich nochmal?
Ich runzelte die Stirn – hoffte ich. Mein Kopf war viel zu groß; meine Haut viel zu straff gespannt.
Bin ich beim Zahnarzt gewesen? Bestimmt. Die Spritzen, die man dort bekam, hatten einen ähnlichen Effekt. Nur, dass mir trotzdem alles wehtat.
Wieso ist Laura nicht auf Arbeit? Hat sie Urlaub?
Die Fragen, die sich in meinem Kopf überschlugen und ineinander verhedderten ergaben keinen Sinn. Irgendetwas lief hier gerade völlig falsch.
Nur dass ich keinen Schimmer hatte, was. „Alan wird gleich hier sein. Du wirst dir von ihm helfen lassen!“
Alan? Der Name tuckerte durch meine Gehirnwindungen wie eine Dampflok.
Wer ist das? Ein Freund? Ein Arzt? Vielleicht der Zahnarzt?
„Er kommt nicht allein.“
Wieso kommt der Zahnarzt hier her? Vielleicht ist er gar kein Zahnarzt, sondern mein Chef? Herrje, habe ich was Dummes angestellt? Bringt er Kollegen mit? Mein Kopf dröhnte und es wischten Hände über mein Gesicht. Ich glaubte nicht, dass es meine waren.
Warum hängen die dann an meinen Schultern?
Hier lief definitiv etwas ohne mich ab! „Ich glaube, mit mir stimmt was nicht.“, flüsterte ich angestrengt. Meine Stimme ging allmählich auf Tauchgang. Laura lächelte. „Vertrau mir Sam, es kommt alles in Ordnung. Du musst dir nur helfen lassen.“
Gut. Ich vertraute Laura. Wenn sie sagte, dass alles wieder gut wurde, würde es schon stimmen. Hoffentlich wusste sie, wo meine richtigen Arme abgeblieben waren.
Ein dümmliches Grinsen kräuselte meine Lippen, doch ich konnte es nicht abstellen. Ebenso wenig die Tränen.
So sehr ich mich auch anstrengte.
Starke Arme hoben mich vom Stuhl, nachdem etwas Raues über meinen Hals gehuscht war. Glaubte ich zumindest. Mein Kopf fiel gegen eine breite Brust, und ich hing in diesen Armen wie eine überdimensionale, gekochte Makkaroni.
Kurz darauf wurde ich in ein Bett gelegt. Meine Augen fielen von ganz allein zu. Irgendjemand strich mir sanft über die Stirn. Vielleicht war es auch nur ein Windhauch.
Die Matratze hinter mir sackte leicht ab und dieselben Arme, die mich hochgehoben hatten, zogen mich an sich.
Ein Mann.
Ein gut riechender Mann.
Ein anderer Mann begann zu sprechen. Und eine Frau. Kannte ich die beiden? Sie sagten seltsame Dinge. Noch mehr Stimmen kamen hinzu und verfielen in eine Art Sprechgesang.
Warum brachten mein Chef und mein Zahnarzt mir ein Ständchen? Hatte ich Geburtstag? Laura hörte ich nicht.
Ist sie doch zur Arbeit gegangen? Sie hätte mir bestimmt sagen können, warum die vielen Leute hier waren und ich so müde, als hätte ich seit Tagen nicht geschlafen.
„Sam, ich bin hier. Vertrau mir. Höre auf das Rudel. Seine Magie wird dir helfen. Alan wird deinen Geist festhalten, solange die Magie wirkt. Wehre dich nicht dagegen.“
Ok, Laura war also noch da.
Ich wollte sie fragen, wieso dieser Alan meinen Geist festhalten sollte. Ich hatte keinen Geist. Noch nicht mal einen winzig kleinen Hausgeist, der für mich Ordnung machte.
An so was glaubte ich nicht…
… was zum Henker!
Wo war ich?
Ein Traum?
Offensichtlich…
Denn als ich an mir nach unten sah, trug ich ein weißes, hauchdünnes Kleidchen. Ich wusste immer noch, wer ich war, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich hierher gelangt war. Und wo dieses Hier überhaupt war.
Neben mir stand Laura. Auch sie trug ein weißes Kleid. „Was tun wir hier?“ Laura lächelte, setzte sich auf die Wiese und bat mich, neben ihr Platz zu nehmen. Überall war Gras. Saftiges, grünes Gras bis zum Horizont. Bunt betupft mit winzigen, farbenfrohen Blüten. „Wir ruhen uns aus.“
„Wovon?“
„Vom Leben.“ Oh. Bin ich tot? „Nein Sam, du bist nicht tot. Wenn die Magie wirkt, wirst du leben. Aber du musst Alan hier hereinlassen.“ Wie meinte sie das? Wieder lächelte sie. „Das hier, das alles…“, sie beschrieb mit ihren Armen einen riesigen Kreis, „…ist der Ort, an den du dich zurückziehst. Ich kann hier sein, weil ich deine Freundin bin. Gegen Alan hingegen wehrst du dich. Lass ihn herein, Sam. Bitte!“ Alan.
Ja, jetzt fiel es mir wieder ein.
Dieser selbstgefällige Blödmann, der, der mich hintergangen hatte – den sollte ich hierher lassen?
Auf gar keinen beschissenen Fall!
„Laura?“ Sie ist doch tot, oder? „Mein Körper ist tot. Er war nur eine Hülle.“ Ich verstand, was sie mir sagen wollte. Gott, ich hatte so viele Fragen an sie. „Später Sam, du kannst mich später fragen. Jetzt musst du mir vertrauen, bitte! Lass Alan zu dir.“ Ich tat es ausschließlich für Laura.
Nur für sie.
Für sie würde ich alles tun.
Immer.
Laura verschwand. In dem einen Moment saß sie noch neben mir, im nächsten war sie verschwunden. Na super. Jetzt saß ich allein auf einer Wiese mitten im Nirgendwo.
Oho, Korrektur!
So ganz allein war ich doch nicht.
Am Rand der Wiese tauchte ein Kalb auf.
Das ist doch ein Kalb, oder?
Blinzelnd versuchte ich zu erkennen, was da auf mich zukam. Nein, kein Kalb. Die Größe kam zwar hin, aber so wie sich das Tier bewegte, war es etwas anderes. Etwas Gefährliches.
Ein Raubtier.
Ich würde gern behaupten, mein Herz klopfte bis zum Hals. Doch ich musste leider feststellen, dass ich keinen Herzschlag besaß. Langsam bewegte sich die riesige Katze auf mich zu. Sie war schwarz. Abgesehen von ein paar Rosetten, die ich sehen konnte, sobald die Sonne direkt auf ihr Fell schien. Ein Panther? Meine Finger kribbelten. Etwas in mir wollte dem Tier übers Fell streichen. Bloß, weil ich wissen wollte, ob es sich so samtig anfühlte, wie es aussah. Andererseits: Ich wollte nicht wissen, ob meine Finger dem Gebiss dieses Raubtiers gewachsen waren.
Goldgelbe Augen fixierten mich.
Eigentlich wäre jetzt der Zeitpunkt panisch ums Leben zu rennen. Aber die Katze wäre schneller als ich, und nirgends gab es eine Möglichkeit sich in Sicherheit zu bringen. Lautlos und geschmeidig glitt der Panther auf mich zu, blieb vor mir sitzen und legte schließlich seinen riesigen Kopf in meinen Schoß.
Ich tat das einzige, was mir in den Sinn kam: Ich legte meine Hände auf sein weiches Fell und glitt streichelnd darüber.
Weich.
Warm.
Genießend schloss ich meine Augen, spürte das seidige Fell zwischen meinen Fingern, hörte das Brummen der Insekten, das Zirpen der Grillen, das Zwitschern der Vögel, das Rauschen des Grases.
In diesem Augenblick fühlte ich mich vollkommen.
Doch etwas zupfte an mir; wollte mich von hier wegzerren. Der Panther hatte seinen Kopf gehoben und stupste mich an. Du musst zurück, Sam.
Jetzt!
Lauras Stimme.
Und Alans.
Komisch, ich hatte ihn gar nicht gesehen…
Mir war kalt.
Furchtbar kalt.
Als hätte ich eine Nacht in einem Gefrierhaus verbracht. Mein Körper zitterte unkontrolliert. Ich schmiegte mich noch enger an den warmen Körper hinter mir. „Hallo Sam, da bist du ja wieder.“ Matthes. Langsam öffnete ich die Augen.
Was war passiert?
Nach und nach fiel mir alles wieder ein.
Sogar meine idiotischen Überlegungen in der Küche. War Laura wirklich da gewesen? Sie hatte gesagt, wir könnten später reden. Das war nicht gelogen, oder? Keine Wunschvorstellung?
„Du hast uns einen ganz schönen Schreck eingejagt.“ Maya. Ein schwaches Lächeln glitt über mein Gesicht. „Das war verdammt knapp.“ Josh. Noch mehr Gestaltwandler aus Alans Rudel traten an mein Bett. Wo war Alan?
Oh ... er war doch nicht…
„Ist dir kalt?“ Ich schluckte. Natürlich würde er sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, mit mir in einem Bett zu liegen. Am liebsten hätte ich wie eine Furie um mich geschlagen, aber es war schon eine Kraftanstrengung gewesen mich an ihn zu kuscheln. Egal!
Selbst wenn es Alan war, er war warm. Und mir war furchtbar kalt. Ich nickte, weil ich befürchtete, mir auf die Zunge zu beißen, sollte ich versuchen wollen zu sprechen. „Maya, lass ihr ein Bad ein. Ein heißes.“
War er bescheuert? Ich würde jämmerlich ersaufen! So sehr wie ich zitterte, war mir klar, dass ich meinen Körper kein bisschen unter Kontrolle hatte.
Nach und nach verließ das Rudel mein Zimmer.
Vermutlich auch mein Haus.
Nur Matthes und Alan blieben. Und Maya. Aber die war in meinem Bad. „Matthes, dreh die Heizungen auf. Alle. Auch oben.“ Heizung.
Heizung klang gut.
Viel vernünftiger als ein Bad, obwohl auch das sehr verlockend schien. Nur würde ich allein nicht aufrecht sitzen können. Maya könnte mich festhalten. Ja, das wäre einleuchtend.
„Sam, ich werde dich ausziehen.“
‚Untersteh dich’, wollte ich fauchen. Aber welche Sprache auch immer ich dabei fabrizierte, sie war nicht mal in meinen Ohren verständlich. „Schsch, ganz ruhig. Ich werde die Situation nicht ausnutzen. Versprochen.“ Wenigstens hatte Alan nicht verlangt, dass ich ihm vertraute.
Er zog mich so behutsam aus, als wäre ich zerbrechliches Porzellan. Sofort war mir noch kälter. Aber er nahm mich auf seine Arme und wickelte eine große Decke um uns beide. Mein Kopf rollte gegen seine Brust.
Ah, die kannte ich.
Er hatte mich also vorhin auch schon getragen. Nur dass ich jetzt wieder einigermaßen klar denken konnte, mich nicht mehr wie eine Nudel al dente fühlte – oder zumindest nicht mehr allzu sehr – und ich beziehungsweise wir beide vorhin sicher nicht nackt gewesen waren. Mit leisen Worten scheuchte er Maya aus dem Bad. „Handtücher liegen auf dem Stuhl. Ich setze ihr noch einen Tee an, dann gehe ich.“ Alan nickte.
Oh hey… er bedankte sich sogar!
Meine Ohren mussten kaputt sein.
„Sam, kannst du dich an mir festhalten?“ Er machte wohl Scherze. Immerhin schaffte ich es, meine Augen vor Entrüstung weit aufzureißen: Ganze zwei Millimeter!
Die Idee, mit ihm in die Wanne zu klettern war gar nicht so schlecht, fand ich. Er hatte genug Kraft, um mich nicht untergehen zu lassen.
Nur der Gedanke, mich an ihm festzuhalten war absurd. Dazu müssten meine Arme nämlich gebrauchsfähig sein. Das waren sie nicht. Genauso wenig wie meine Beine. Selbst mein Kopf war viel zu schwer. Mein Körper war eine einzige Mischung aus Beton und Gelee. Ein katastrophaler Zustand, von dem ich mich hoffentlich bald erholte.
Herrlich warmes Wasser umspülte mich. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie Alan mit mir in die Wanne gestiegen war. Er saß hinter mir, die Arme über meinen Brüsten verschränkt, sein Gesicht in meiner Schulterbeuge vergraben. Es war mir ein Rätsel, weshalb ich nicht protestierte. Es fühlte sich richtig an. Als ob es genau so sein müsste. Wahrscheinlich war mit meinem Gehirn auch nicht alles in Ordnung.
Das Zittern ließ allmählich nach.
Ob das am warmen Wasser oder an Alans beruhigendem Streicheln lag, war mir einerlei. Hauptsache war, dass es funktionierte. Mir war zwar noch kalt, aber nicht mehr so sehr. Vorsichtig hob Alan mich aus der Wanne, setzte mich langsam auf den Stuhl – hey, ich konnte tatsächlich ganz allein sitzen – rubbelte mich sorgfältig und behutsam trocken, nahm dann das zweite Handtuch und trocknete sich ebenfalls ab. Seine Blicke, die voller Sorge, aber auch Zärtlichkeit auf mir ruhten, sagten mehr als Worte. Sowie er fertig war, nahm er mich wieder auf die Arme, hüllte uns in die Decke und trug mich zurück ins Bett, in dem er hinter mich glitt, mich fest an sich zog und uns zudeckte.
Es dauerte nicht lang und ich fiel in einen tiefen Schlaf.
Als erstes bemerkte ich, dass etwas Pelziges auf meiner Zunge saß. Schmatzend versuchte ich es, zu vertreiben. Doch das Biest hielt sich hartnäckig.
Als zweites stellte ich fest, dass ich derart durstig war, dass ich einen See hätte leer trinken können.
Oder zwei.
Als drittes fiel mir auf, dass ich allein im Bett lag und meine Arme und Beine wieder funktionierten. Zu gern hätte ich mir eingeredet, dass alles nur ein Traum gewesen war. Leider wusste ich es besser.
Bedächtig glitt ich mit den Fingern zu meinem Hals, an dem die Wunde, die Bingham hinterlassen hatte, träge pulsierte. Noch immer konnte ich nicht begreifen, weshalb er das getan hatte oder warum Alan dazu in der Lage gewesen war mir zu helfen. Möglicherweise zählte ich auch einfach zu den zehn Prozent der movere, die die Attacke eines Vampirs überlebten.
Jawohl!
Und jetzt nennt mich Zahnfee!
Nein, ich war mir sicher, dass es etwas mit dieser Rudelsache auf sich hatte. Der Panther… war das Alan gewesen?
Obwohl es mir überhaupt nicht in den Kram passte, würde ich mich bedanken müssen.
Langsam schälte ich mich aus dem Bett und betrachtete gedankenverloren meine nackten Zehen, die nicht in das Bild mit den gelben Enten passen wollten. Ich erinnerte mich an Lauras Lachen, als wir diesen Teppich gekauft hatten und ich ihr erklärt hatte, dass ich die Enten toll fand. Sie passten zu den blauen Vorhängen – hatte ich betont. Jetzt war ich mir da nicht mehr so sicher. Prüfend richtete ich mich auf.
Yeah, ich kann stehen!
Ganz allein. Auf meinen Beinen.
Na gut, sie trugen mich. Trotzdem schlurfte ich wie eine alte Omi zu meinem Kleiderschrank. Hey, immer schön langsam, sagte ich mir. Ich lebte noch. Alles andere war erstmal zweitrangig. In aller Ruhe zog ich mich an, schlüpfte in meine Pantoffel und trottete zur Küche. Ich hatte nicht nur riesigen Durst, ich hatte auch einen Bärenhunger.
Es wunderte mich nicht, dass ich Alan in meiner Küche vorfand. Er hatte Eierkuchen gemacht, einen riesigen Stapel davon und stellte mir eine Tasse kalten Tee vor die Nase. Wow, konnte Alan hellsehen? Heißen Tee hätte ich nämlich ausgeschlagen. „Maya hatte ihn für gestern Abend gedacht.“
Ooh-kay? Möglicherweise konnte er nicht hellsehen, sondern Gedanken lesen. Woher hatte er eigentlich gewusst, dass ich kurz davor gewesen war, die Radieschen von unten anzusehen? Natürlich hatte er gewusst, seit wann ich wieder im Haus war. Davor hatte ich nämlich keine Post von ihm bekommen.
Ich konnte also davon ausgehen, dass jemand das Haus bewacht hatte.
Aber Bingham war nicht durch die Tür gekommen!
„Laura war hier.“, murmelte ich. Vielleicht, weil ich seine Reaktion sehen wollte. Vielleicht auch, weil ich bestätigt haben wollte, dass es unmöglich war. „Ich weiß.“ Ähm, hoppla! Mit dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet. „Du hast sie auch gesehen?“ War das möglich? „Nein. Aber sie hat mich gerufen. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte. Das ganze Rudel hat es gespürt. Aber ich hatte keine Ahnung, dass es dich betraf. Bis Laura mich um Hilfe bat.“ Also war sie wirklich hier gewesen. Aber wie war das möglich? „Sie ist tot.“ Und das ist deine Schuld! Meine Gedanken schrien es so laut, dass ich mir unsicher war, ob ich es doch aussprach. „Ich weiß.“ Gut. Trotzdem hatte ich sie gesehen. Alan hatte sie gehört.
Und sie hatte mir versprochen, mit mir zu reden.
Leise setzte er sich mir gegenüber an den Tisch. Den Teller mit den Eierkuchen hatte er in die Mitte gestellt, einen leeren Teller vor mich. Ebenso Besteck, Zucker, Marmelade und Sirup. „Danke.“, murmelte ich, während ich mir einen Eierkuchen auf den Teller legte, ihn mit Zucker bestreute, einrollte, ein großes Stück abschnitt und in meinen Mund schob. Himmlisch. „Wofür?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Für das Essen. Den Tee. Das ich noch lebe.“
„Keine Ursache.“ Während ich kaute, betrachtete ich sein Gesicht. Er wirkte selbstzufrieden. Beinah schon glücklich. „Hey, wenn du denkst, ich stehe damit in deiner Schuld, vergiss es. Ich bin dir dankbar. Wirklich. Aber ich vergesse nicht, was du mir angetan hast. Das kann ich dir nicht verzeihen.“
„Du redest von der Sache mit Laura, oder?“
„Auch. Aber ich meine das, was vorher passiert ist.“ Alan runzelte die Stirn und fauchte leise. „Was meinst du? Dass ich dich zu meiner Alpha gemacht habe? Geht es darum? Oder dass ich dich für mich beanspruche? Verdammt Sam, wenn Roman mich nicht entführt hätte, wärst du mit mir ins Bett gegangen! Freiwillig.“ Ich lachte bitter. „Ja, und hinterher hätte ich mir dafür in den Hintern gebissen. Ich sollte dem Wandler wirklich dankbar sein, findest du nicht?“
Den Kopf schüttelnd stopfte ich ein weiteres Stück in den Mund, kaute, schluckte es hinunter und sprach weiter. Hm, meine Energie kehrte zurück. Sehr gut! „Warum Alan? Ich hätte Laura da rausholen können! Du hättest mir nur vertrauen müssen. So wie ich dir vertraut habe. Ich war so blöd! Ich bin zweimal auf dich und Roman hereingefallen. Warum hast du das getan?“ Alan schluckte, sichtlich geschockt, weil ich ihn damit konfrontierte. „Du weißt es?“
Oh ja, und ob ich das tat. „Roman hat mich vergessen lassen. Kevin und den Angestellten der Versicherung hat er andere Erinnerungen gegeben. Aber bei mir hat das nicht geklappt, stimmt’s? Darum konnte ich mich an nichts erinnern. Ich weiß, woran ich mich hätte erinnern sollen, wenn es denn funktioniert hätte. Warum ausgerechnet diese Erinnerung und wieso der Plan, dass ich bei dir einziehe? Eigentlich ist das nebensächlich. Vermutlich, dass du dir sicher sein kannst, dass ich dein Spiel nicht doch durchschaue. Die wichtigste Frage ist doch: Warum hast du mir nicht vertraut? Ich hätte Laura helfen können. Mein Plan war perfekt. Du weißt das! Genauso habe ich nämlich auch dich rausgeholt. Das, Alan, kann und werde ich dir nicht verzeihen. Niemals.“
Er hatte mir ruhig zugehört. Ein bisschen, als wäre er versteinert. Jetzt holte er tief Luft, stand auf und lief wie ein hungriges Raubtier in der Küche auf und ab. „Ich hatte meine Gründe. Herr Gott nochmal, ist das wichtig?“ Während ich langsam den Kopf schüttelte, aß ich weiter. „Jetzt nicht mehr. Ich habe dir das Leben gerettet, du mir. Wir sind quitt.“ Alan schnaubte. „Noch nicht. Du packst ein paar Sachen und kommst mit mir. Ich kann das Risiko dich zu verlieren nicht eingehen. Ich werde mit Bingham reden und ihn dazu auffordern herauszufinden, welcher Vampir dich gebissen hat. Derjenige wird sich dem Rudel gegenüber verantworten müssen.“ Ich verschluckte mich doch wahrhaftig an meinem Eierkuchen! Hastig trank ich den Tee, damit auch der letzte Krümel aus meiner Kehle verschwand. Besorgt legte Alan eine Hand auf meinen Rücken, die ich reflexartig von mir schüttelte. „Fass mich nicht an!“, zischte ich, immer noch hustend, bevor ich endlich wieder richtig atmen konnte.
„Gestern Nacht hat dich das nicht gestört.“, erwiderte er leicht belustigt. „Gestern Nacht war ich halbtot und mein Kopf zu nichts zu gebrauchen. Ich dachte, du bist mein Zahnarzt!“ Auf sein fragendes Gesicht hin winkte ich ab. „Du isst, ich packe deine Sachen.“ Oh nein, so nicht! Ich war froh, dass sie alle wieder hier waren. „Vergiss es. Ich ziehe nicht zu dir. Und spar dir die Mühe, Bingham zu fragen. Es war Bingham. Senior. Er meinte, ich sei eine Mörderin und das ich bestraft werden müsse.“ Alans schöne Gesichtszüge entglitten, bis sie etwas beunruhigend Fratzenhaftes an sich hatten. Das Tier in ihm saß sehr nah unter der Oberfläche. „Alan?“ Ich verspürte leichte Panik. „Er hat was?“
Viel zu ruhig diese Stimme.
Die Gefahr, die von ihm ausging, war nahezu greifbar. Doch ich wusste, dass nicht ich diese Wut zu spüren bekäme.
Ich erzählte ihm, was vorgefallen war; was Bingham mir gesagt hatte. Nachdem ich geendet hatte, ging er wortlos aus der Küche in den Flur, wo ich ihn wenig später telefonieren hörte.
Was er am Telefon sagte, gefiel mir ganz und gar nicht.
Zeit für einen Kaffee. Einen großen, nicht entkoffeinierten, heißen Kaffee. Ich brauchte dringend einen klaren Kopf. Ohne Koffein war es nach dieser Nacht schlichtweg unmöglich. Selbst auf die Gefahr hin, dass ich dadurch noch nervöser und aufgedrehter wurde, was ich mir jedoch kaum vorstellen konnte.
Ich hatte den Biss eines Vampirs überlebt.
Möglicherweise nur durch die Hilfe des Rudels, aber ich hatte überlebt. Nur, zu welchem Preis? Bingham würde es wieder versuchen, oder nicht? Wen hatte ich in seinen Augen umgebracht, abgesehen von dem Wandler, dass ich es verdient hatte zu sterben?
Hatte der Wandler ihn damals so weit unter Kontrolle gehabt, dass er nicht mehr unterscheiden konnte? Weshalb hatte er so lang gewartet? Ich war mir sicher, dass er mich hätte finden können. Auch als ich bei Humphrey untergetaucht war.
Während ich geistesabwesend die Kaffeemaschine füllte und Alan am Telefon Befehle bellen hörte, kreisten unaufhörlich Fragen in meinem Kopf, auf die ich keine Antworten wusste. Eine davon betraf Laura.
Ich wünschte, ich hätte eine Antwort. Doch leider konnte die mir niemand geben.
Während das Wasser geräuschvoll in die Maschine gluckerte, schloss ich die Augen und versuchte mich an ihre Worte zu erinnern.
An ihre Gesten.
Ihre Stimme.
Alles schien so weit weg. Dennoch war ich mir ganz sicher, dass ich mir Laura nicht eingebildet hatte. Sie würde mit mir reden. Früher oder später. Vielleicht in meinen Träumen. Oder wenn ich mal wieder ohnmächtig war? Lieber wäre es mir, wenn sie sofort auftauchen und vor allem bleiben würde.
Letzteres war unmöglich; ich wusste das.
Seufzend nahm ich eine Tasse aus dem Schrank und füllte sie mit dem köstlich riechenden, dampfenden Getränk, dessen wohlwollendes Aroma verlockend an meinen Sinnen zupfte. Die Maschine hatte ihn auf meine Programmierung hin bereits mit Milch und Zucker versetzt. Ich brauchte heute Zucker. Viel davon! Außerdem war mir nach einem riesigen Steak und diversen anderen Dingen, die ich allesamt nicht vorrätig hatte. Und dass, nachdem ich bereits eine riesige Ladung Eierkuchen vertilgt hatte. Missmutig schielte ich auf den leeren Teller, der auf dem Tisch stand. Mein Magen knurrte hungrig. Anscheinend mutierte ich durch meine Nahtoderfahrung zu einem gefräßigen Etwas.
Der Kaffee belebte meine Sinne, rollte weich und heiß über meine Zunge, meine Kehle hinunter und durchflutete mich mit wärmender Energie.
Himmlisch.
Seufzend trank ich einen weiteren Schluck und stellte mir vor, wie es wäre ihn unter schöneren Umständen zu genießen.
Es gelang mir nur kläglich.
Zu viele Dinge schwirrten in meinem Kopf herum, die jegliche, wundervolle Illusion zerstörte. Alans Stimme riss mich aus dem Versuch, wenigstens eins der schönen Trugbilder aufrecht zu erhalten. „Ich habe sämtliche Jobs der nächsten Wochen abgesagt. Bingham wird sich dafür verantworten müssen.“ Schön. Sämtliche Jobs, ha. Dass ich nicht lache. Wenn er einen in zwei Monaten annahm, war das schon fast eine Premiere. Kein Wunder, bei dem Geld was man ihm für einen Job anbot. Besonders, da sich sämtliche Agenturen um ihn rissen.
Glaubte Alan ernsthaft, er könnte Bingham aufspüren?
Ich bezweifelte es.
Noch mehr bezweifelte ich, dass Bingham in seinem burgähnlichen Anwesen auf die Rache des Gestaltwandlers wartete. Mehr als ein schwaches Nicken brachte ich nicht zustande. Wo sollte ich mich vor Bingham verstecken?
Was, wenn er es nochmal tat?
Was, wenn er es diesmal nicht auf die langsame Art versuchte, sondern mir gleich das Genick brach?
Ich schauderte bei dieser Vorstellung.
Gleichzeitig schauderte es mich bei dem Gedanken, wieder bei Alan wohnen zu müssen. Gab es denn keine andere Lösung? „Er wird es bereuen, meine Gefährtin angegriffen zu haben.“
Alan sprach so leise, dass sich bei mir sämtliche Nackenhaare aufstellten. Ah... die Sache mit der Gefährtin. Noch eine dieser unerfreulichen Angelegenheiten, die ich gern verdrängte. Bingham hatte das sicher nicht gewusst.
Was brachte es Alan also, jetzt das Kriegsbeil auszugraben?
Genau das hatte er am Telefon nämlich getan.
Nicht, dass ich Bingham verteidigen wollte, aber ich hatte die untrügerische Vermutung, dass der Wandler ihn möglicherweise mehr unter Kontrolle gehabt hatte, als wir alle vermuteten. Jetzt rächte er sich für dessen Tod. Möglicherweise hatte er gesehen, wie ich den Wandler, der Romans Aussehen angenommen hatte, ins Jenseits gesprochen hatte. Gesprochen – jawohl. Als movere besaß ich unter anderem die Fähigkeit, die Namen von Energiepunkten zu erkennen. Mit Hilfe meiner Stimme konnte ich durch das Aussprechen eben dieser Namen gewisse Vorgänge aktivieren beziehungsweise erzwingen. Selbst den Tod.
Hm.
Nein.
Das Aussehen des Wandlers schien keine Rolle zu spielen. Roman Bingham hatte ich kein Haar gekrümmt, was Bingham Senior wissen müsste. Gab es sonst jemanden, den ich massakriert haben könnte?
„Sam, du wirst mit mir kommen. Ich werde es nicht riskieren, dich diesem Vampir auszuliefern. Einen weiteren Angriff wirst du nicht überleben.“ Das war mir auch klar.
Doch alles in mir sträubte sich, mich von ihm bevormunden zu lassen. Oder ihn pausenlos um mich herum zu haben.
Ohne Freiraum.
Er beanspruchte mehr von mir, als ich bereit war ihm zu geben. Zumindest auf geistiger Ebene. Mein Körper hatte in seiner Nähe die Tendenz meine Vernunft zu übertrumpfen. Ich erinnerte mich sehr wohl an den Abend, an dem Roman – unter dem Einfluss des Wandlers – Alan aus seinem Haus entführt hatte. Wäre das nicht geschehen, wäre ich mit ihm im Bett gelandet. Oder gleich auf dem Teppichboden des kleinen Salons. Eine leichte Röte überzog meine Wangen, als ich mich daran erinnerte. Hoffentlich fiel das Alan nicht auf. „Nein, werde ich nicht. Ich habe andere Möglichkeiten.“ Humphrey zum Beispiel. „Mach dich nicht lächerlich, Sam. Du wirst mitkommen. Ohne Diskussion.“ Er träumte wohl! „Nein. Du kannst mich nicht zwingen.“ Alan schnaubte anzüglich. „Kann ich nicht?“ Schneller als ich blinzeln konnte, stand er hinter mir und biss mir in den Nacken, so dass mir die Tasse mit dem Kaffee klirrend aus den Händen fiel. Meine Knie gaben nach. Hätte er mich nicht festgehalten, wäre ich der Tasse gefolgt.
Mir war zum Heulen zumute.
Ich hasste es, wenn er das machte.
Ich hatte einen freien Willen, verdammt nochmal!
Doch durch seinen Alphastatus beziehungsweise seine Fähigkeit als Gestaltwandler, raubte er mir diesen, indem er mir einfach meine Bewegungsfähigkeit nahm.
Beinah so wie Bingham, der mir die Möglichkeit genommen hatte mich gegen ihn zu wehren. Konnten sie das nur tun, weil ich ein Mensch war?
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass Alan auch andere Möglichkeiten hatte mich zum Gehorsam zu zwingen.
Ohne mit der Wimper zu zucken oder das Chaos in meiner Küche zu beseitigen, warf Alan mich über seine Schulter und trug mich nach draußen. Dort ließ er mich auf den Beifahrersitz seines Autos plumpsen und schnallte mich an. Er rannte zurück zum Haus, verschloss die Tür, kam zurückgerannt, riss die Fahrertür auf, hob vorsichtig meinen Kopf an, der nach vorn gefallen war – weil ich ihn nicht aufrecht halten konnte – streichelte mit dem Daumen über meine Wangen und lehnte meinen Kopf vorsichtig an die Stützen. Er sagte kein Wort, als er das Auto startete und wie ein Irrer durch die Stadt bis zu seinem Anwesen raste.
Noch immer konnte ich mich nicht rühren und auch nichts dagegen unternehmen, dass er mich erneut wie einen Kartoffelsack über seine Schultern warf und mit mir ins Haus stürmte, in dem er mich direkt in den kleinen Salon auf die Couch verfrachtete. Obwohl ich unfähig war zu sprechen, sagte ihm mein Blick hoffentlich mehr als tausend Worte. „Ich werde mich dafür nicht entschuldigen, Sam. Hasse mich, wenn dir dabei wohler ist. Aber zweifle niemals meinen Entscheidungen an. Ich bin nun mal, was ich bin.“ Als ob mich das interessierte!
Hatte mich jemand nach meiner Meinung gefragt?
Nein!
Hatte ich ein Mitspracherecht?
Offensichtlich nicht.
Verflucht, was war nur mit meinem Leben passiert? Was war meine Existenz wert, wenn ich nicht mehr selbst entscheiden durfte?
Sicher: Alan war ein Hingucker von einem Mann. Groß, mit den richtigen Proportionen, langen Beinen, einer breiten Brust, wohl definierten Muskeln, einem göttlichen Gesicht, beeindruckenden Augen, sinnlichen Lippen und einer Stimme wie Samt und Honig. Sex, verpackt in einer stattlichen männlichen Hülle, unter deren Oberfläche die Gefahr lauerte.
Im Moment brodelte die so deutlich, dass ich liebend gern einige Kontinente zwischen uns gehabt hätte. Doch es loderte noch etwas anderes in ihm. Etwas, von dem ich wusste, dass es mich früher oder später übermannen würde. Eine derartig verzehrende Gier, gepaart mit einer Leidenschaft, für die es kein Entrinnen gab.
Oh, oh!
Ich hatte mich in den letzten acht Wochen keinen Deut darum geschert, wann ich meine heißen Tage hatte. So nannten die Gestaltwandler die fruchtbaren Tage einer Frau. Ich konnte mich nicht mal erinnern, wann ich meine Periode gehabt hatte. Vor einer Woche? Vor zwei? Mit etwas Glück hatte ich noch ein wenig Zeit, bis ich in Schwulitäten geriet. Ich wollte nämlich definitiv nicht mit ihm schlafen. Na ja, vielleicht ein bisschen. Aber dann bildete er sich womöglich ein, dass ich ihm zustimmte; in allem. „Du wirst dich nicht von mir entfernen! Sollte ich verhindert sein, wird jemand auf dich aufpassen. Wenn es nötig ist, binde ich dich irgendwo fest. Haben wir uns verstanden?“ Der Drang ihm meinen Mittelfinger zu zeigen, war überwältigend. Leider reagierten meine Muskeln noch immer nicht auf meine Befehle. Wieso eigentlich nicht? Es hatte doch sonst nie so lang gedauert! Lag es an Binghams Biss?
Hatte Alan irgendeinen Nerv erwischt?
Oh Gott, was, wenn ich gelähmt bliebe?
Panik überrollte mich und drohte mich zu ersticken. „Sam, du musst mir vertrauen. Ich werde alles Mögliche tun, damit Bingham dir nie wieder zu nah kommt.“ Vertrauen? Für Witze war ich definitiv nicht zu haben.
Wusste er überhaupt, welche Bedeutung dieses Wort hatte? „Ich kann es nicht zulassen, dass er sich ungestraft an Mitgliedern meines Rudels vergreift. Gleich recht nicht an meiner Alpha. Er wird dir nichts antun können, solange du das tust, was ich dir sage.“ Da war ich mir nicht sicher. Was, wenn Bingham jetzt auftauchte? Würde Alan es bemerken, bevor der Vampir ihn angriff? Roman hatte er an dem einen Abend auch nicht kommen gehört. Konnte Bingham Alan umbringen?
Um ehrlich zu sein, ich wollte es nicht wissen.
Es waren nur Überlegungen, die mich davon abhielten, mich meiner Panik hinzugeben oder Alan weiter zuhören zu müssen. „Finde dich damit ab. Ich lasse dich nicht sterben. Dafür bist du mir zu viel wert.“ Ja klar. Als zukünftige Gebärmaschine für seine Kinder. Tja, ohne mich. Da konnte er sich auf den Kopf stellen.
Nackt.
Auf dem Himalaya.
Denn selbst wenn ich vergessen hatte darauf zu achten, wann meine fruchtbaren Tage waren, so hatte ich doch inzwischen dafür gesorgt, dass ich nicht mit einer ungewollten Schwangerschaft konfrontiert wurde. Immerhin war ich nicht so dumm mir einreden zu wollen, dass ich seiner Anziehungskraft gegenüber immun war. Es war mir klar gewesen, dass sich unsere Wege früher oder später wieder kreuzen würden.
Allerdings hatte ich eher mit später gerechnet.
Jetzt hoffte ich nur darauf, dass ich mich dennoch nicht mit ihm einließ. Mit ihm ins Bett zu steigen war gleichbedeutend mit einem willigen Zugeständnis, dass ich ihm keinesfalls geben wollte.
Bitte lieber Gott, lass meine Hormone in Tiefschlaf fallen!
Eigentlich war ich nicht gläubig. Aber es konnte nicht schaden. Mir waren alle Mittel recht, wenn sie nur diese verflixten kleinen Biester in meinem Körper davon abhielten, Alan um den Hals zu fallen und ihn anzubetteln mich endlich flachzulegen.
Um ehrlich zu sein, ich verhütete nicht nur, weil ich bei Alan schwach werden könnte. Es gab einen anderen Mann. Und bei dem schrie mein Verstand nicht nein. Zu schade, dass er noch keinerlei Versuche unternommen hatte – vermutlich auch nie unternehmen würde – und ich dafür einfach zu blöd war.
Zumindest wenn es um ihm ging.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, die Alan neben mir auf der Couch sitzend und meine Wangen streichelnd verbracht hatte, fühlte ich endlich nicht mehr diese Taubheit in meinen Gliedern.
Sie erwachten mit einem grauenvollen Kribbeln allmählich wieder zum Leben. Wie hatte er es geschafft, dass ich so lange nicht dazu in der Lage war mich zu bewegen? War das Absicht gewesen oder ein Unfall? Es wurmte mich, dass ich die Antwort nicht kannte und auch nicht von Alan erfahren würde. „Nimm deine Finger aus meinem Gesicht!“, fauchte ich schleppend, bevor ich mich unbeholfen aufrichtete und keuchend gegen die Lehne des Sofas fallen ließ. Eine Kraftanstrengung, die fast so schlimm war, wie das gestrige Laufen von meiner Küchenanrichte zum Küchentisch. „Wie du willst. Aber du wirst mich noch anbetteln, meine Finger zu spüren.“ Leise Worte, die mehr nach einer Drohung als nach einem Versprechen klangen und die in mir ein irrsinniges Lachen ausbrechen ließen. „Na eher friert doch die Hölle zu, du…“
Schneller als mir lieb war, hatte er mich unter sich auf der Couch begraben. Ich hätte nicht einmal sagen können, wie er das angestellt hatte. Eine Hand hielt meine Handgelenke umklammert, mit der anderen stützte er sich neben mich ab. „Ich verstehe dich nicht. Andere Frauen verzehren sich nach mir. Sie betteln mich an, dass ich sie vögel. Du unterdrückst dein Verlangen, obwohl ich spüre, dass du mich willst. Ich kann es riechen! Warum lehnst du mich ab, Sam?“
Verflixt, wie sollte ich antworten, wenn er auf mir lag, mit Pheromonen um sich warf und seine freie Hand begann meine Seite zu streicheln? „Antworte mir.“, raunte er in mein Ohr, was mir ein höllisches Kribbeln durch die Adern bis in meinen Bauch rauschen ließ. „Weil ich dich nicht ausstehen kann. Ich hasse dich!“, fauchte ich, angewidert von meinem eigenen Verlangen. „Aber du willst mich.“, flüsterte er in mein Ohr, während sich seine Hand unter meine Taille schob und er sich zwischen meine Beine drängte.
Gott sei Dank waren wir beide angezogen.
Denn so wie ich wimmerte, als er begann, seine Hüften kreisend gegen mein Becken zu bewegen, hätte ich für nichts garantieren können. Zu meinem Glück war sein Stolz größer als sein Verlangen. „Ich könnte dir alles geben, wonach du dich sehnst. Ich könnte dir unzählige Orgasmen verschaffen. Ich könnte dich nehmen; auf der Stelle. Hart. Tief. Ich könnte dich lecken, bis du dich vor Lust windest. Sofort. Nur ein Wort von dir und ich nehme dich auf eine Art, wie du noch nie genommen worden bist. Aber…“, seine Zunge schnellte über meine Lippen, „… du willst mich ja nicht.“ Mir einen schnellen Kuss stehlend, sprang er auf, richtete seine Erektion und musterte mich. Ich war viel zu benebelt und zitterte vor Verlangen, als das ich geeignete Worte fand, die ich ihm hätte an den Kopf werfen können. Mein Mund war staubtrocken. Seiner hingegen versprach die Erlösung, nach der ich mich sehnte.
Meine Augen schließend schüttelte ich den Kopf.
Was um Himmels Unwillen dachte ich denn da? Hatte Bingham nicht nur mein Blut, sondern auch mein Gehirn ausgesaugt? Die Vermutung lag nah; auch wenn ich wusste, dass das unmöglich war.
Mein gesamter Körper bebte. Ich kämpfte darum, mich annähernd graziös aufzurichten, möglichst gelassen auf der Couch zu sitzen und diesem dämlich grinsenden Bastard hasserfüllte Blicke zuzuwerfen.
Ich wollte nicht hier sein.
Aber ich hatte die böse Vorahnung, dass sämtliche Argumente der Welt nicht ausreichen würden ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Ich selbst wusste schließlich auch, dass ich vermutlich nirgends sicherer war als bei ihm. Abgesehen von Humphrey, dem ich das ebenfalls zutraute.
Ich hatte allerdings meine berechtigten Zweifel daran, dass Alan mich zu Humphrey gehen ließe. In Alans Augen gehörte ich zu ihm – ob mir das nun passte oder nicht – und es war seine Pflicht, mir beizustehen. Dabei spielte es keine Rolle, ob ich das wollte.
Nach einer einstündigen Diskussion mit Alan hatte ich mehr oder weniger eingewilligt vorübergehend bei ihm zu bleiben. Unter der Voraussetzung, dass ich das Gästezimmer benutzen durfte.
Es wunderte mich, dass er dem so schnell zustimmte.
Seine Darlegungen, die meinen sehr ähnelten, hatten dazu beigetragen mich von der Notwendigkeit dieser temporären Lösung zu überzeugen. Verdammte Scheiße!
Ja, ich hatte Angst.
Bingham konnte mir jederzeit erneut auflauern. Egal, ob ich mich für eine Weile versteckte oder ob ich im Haus blieb. Bei Alan hingegen konnte Bingham zwar ebenfalls auftauchen, würde aber mit einem Wer konfrontiert sein.
Einem verdammt wütenden, wenn ich das hinzufügen durfte.
So kam es, dass ich nach fast drei Monaten, die ich Alan aus dem Weg gegangen war, wieder dazu verdammt war mit ihm zusammenzuleben. War es nur Glück, dass Bingham mich angetroffen hatte oder hatte er nach mir gesucht? Mir fiel ein, dass das nun eher zweitrangig war. Ich würde meinen Job ruhen lassen müssen, bis Bingham entweder unschädlich gemacht oder von seiner hirnrissigen Idee mich zu bestrafen abgebracht worden war. Denn er hatte mein Blut getrunken.
Ein unfehlbarer Wegweiser für ihn.
Eine Leuchtreklame, die ihn jederzeit zu mir führen konnte.
Ich hatte das zwar schon vermutet, doch Alan bestätigte es mir.
Wie schön!
Dabei hatte ich so sehr gehofft, dass sich mein Leben endlich wieder in die richtigen Bahnen lenkte.
Auch ohne Laura.
Zu meiner Überraschung war Sven nicht da.
Dafür zwei andere Angestellte. Der ältere Herr wurde mir als Scott vorgestellt, die junge, recht hübsche Frau als Elaine. Nun, im Gegensatz zu Sven schien Scott von der ruhigen Sorte zu sein. Seine Augen blickten mit einer Ruhe zu mir herab, dass ich mir wie ein kleines Kind vorkam. In ihnen blitzten Intelligenz und eine Weisheit, die das Alter wohl mit sich brachte. Grob geschätzt vermutete ich ihn irgendwo um die 70. Er trug einen Frack und verhielt sich auch sonst recht förmlich und steif, so dass er wie der Butler eines stinkreichen Lords wirkte.
Ähm ... in gewisser Weise war er das wohl auch.
Elaine hingegen trug eine Dienstmädchenuniform, die beim Waschen eingelaufen war. Ich fragte mich, ob ihr Busen in diesem winzigen Kleidchen blieb, wenn sie sich bückte. Sie musterte mich, als müsse sie einen Katalog meiner Vorzüge und Nachteile erstellen. Eine Musterung, die mir sehr herablassend erschien.
Meinetwegen.
Ich musste sie schließlich nicht mögen.
„Wo ist Sven?“ Alan schaute mich an, als hätte ich ihm ein Messer in die Brust gerammt. „Wir hatten Differenzen.“ Das sollte wohl beiläufig klingen, tat es jedoch nicht.
Eher als würde er es bereuen. Denn dass Sven von zwei Personen ersetzt wurde, sagte einiges über dessen Kompetenz aus.
Beziehungsweise die seiner Nachfolger.
Obwohl mir die nächste Frage bereits auf der Zunge lag, ließ ich es bleiben. Es ging mich nichts an, welcher Art Differenzen der Personalwechsel zu verdanken war.
Elaines Frage, ob sie das kleine Gästezimmer vorbereiten sollte, beantwortete Alan mit einem mürrischen Wischen seiner Hand. „Das große, nicht das kleine.“ Da ich wusste, dass beide gleich groß waren, fragte ich mich, wieso sie die zwei Zimmer nicht einfach in das linke und rechte teilten. Zuletzt hatte ich im hintersten Zimmer gewohnt, also dem rechten. Wo war der Unterschied? „Sachen findest du genug im Ankleidezimmer. Oder bestehst du auf deine persönliche Garderobe? Ich kann sie dir holen lassen.“ Ich überlegte nur kurz.
Es wäre zwar nett, meine eigenen Klamotten zu haben, aber ich entschied mich aus zwei Gründen dagegen: Ich wollte erstens nicht, dass jemand sich durch meine Wäsche wühlte. Zweitens: Sollte ich schnell von hier verschwinden müssen, würde es nicht Wochen dauern, bis ich meine persönlichen Sachen wieder bekam. „Essen für zwei. Bringen Sie es in mein Arbeitszimmer. Das obere.“ Scott senkte leicht den Kopf. „Sehr wohl, mein Herr.“ Ui.
Ich war baff.
Das hörte sich an wie tiefstes Mittelalter. Oder zumindest frühes 19. Jahrhundert.
„Sie sind sich sicher, dass ich das große Zimmer herrichten soll?“, fragte Elaine argwöhnisch, wobei sie Scotts entrüsteten Blick ignorierte. Alan bedachte sie mit einem Stirnrunzeln. „Tun Sie, was ich Ihnen sage. Und stellen Sie nie wieder meine Anweisungen in Frage.“ Das hatte gesessen. Schuldbewusst senkte sie den Kopf, machte einen leichten Knicks und stürmte die Treppen hinauf. Scott war längst verschwunden. Absolut lautlos. Fast wie ein Geist. Der Gedanke an Laura durchzuckte mich. Würde sie wirklich mit mir reden oder hatte ich mir das alles nur zusammen fantasiert?
„Komm mit.“ Alan hielt mir seine Hand entgegen, die ich kühl lächelnd ignorierte. Ich konnte die verdammte Treppe allein hochsteigen.
Ein amüsiertes Glitzern huschte durch seine Augen, bevor er sich umdrehte und vor mir nach oben ging. Was für ein hinreißender Anblick. Schnell schob ich meine gierigen Fantasien beiseite, die mir seine knackige Kehrseite vorgaukelte.
Nie im Leben!
Hoffte ich.
Aber verdammt nochmal, der Typ war heiß!
Eine erschreckende Gegebenheit, die meine Nerven aufs äußerste strapazierte und diese verflixten kleinen Biester in mir zu ihrer Höchstform antrieb, die einem verheerenden Amoklauf glich. Reiß dich zusammen! Er ist nur ein Mann. Ein schöner, ja, aber ein Arschloch. Ein blödes, hinterhältiges, widerliches, rechthaberisches, selbstgefälliges, eingebildetes, testosterongesteuertes Arschloch! Ich fühlte mich gleich viel besser.
Kurzfristig.
„Setz dich.“ Mit einer schnellen Handbewegung zeigte er auf den Sessel vor seinem Arbeitstisch, bevor er sich auf eben diesen Tisch setzte und hinter sich griff. Zum Vorschein kamen einige Schreiben, die offenbar versiegelt gewesen waren.
Wie altmodisch war das denn? „Warum hast du auf meine Briefe nicht reagiert?“ Auf die, hm, mal überlegen… „Weil ich mit dir nichts mehr zu tun haben möchte.“ Tief Luft holend seufzte er, vermied jedoch eine Äußerung. „Lies.“
Damit hielt er mir die Schreiben entgegen, die er eben vom Tisch geangelt hatte. Mit gerunzelter Stirn überflog ich die Papiere, die allesamt mit einer feinen Handschrift aufgesetzt waren und alle denselben Wortlaut besaßen:
Hiermit fordern wir Sie, Alan Garu, Alpha des Rudels der Bannenden, Samantha Bricks wegen Mordes an einem der Unsrigen innerhalb von drei Monden auszuliefern.
Hochachtungsvoll, Reesmann
i. A. d. CdPir
Das erste Schreiben stammte vom Dezember des Vorjahres.
Da musste ein Irrtum vorliegen.
Der Clan der Pir vertrat die hiesige Vampirgemeinde. Ich hatte definitiv keinen Vampir umgebracht. Das wüsste ich doch! Außerdem war ich eine Diebin; keine Mörderin. Ich war mir ganz sicher, keine Herz-Lungen-Maschine geklaut zu haben. Brauchten Vampire so was überhaupt?
Waren die nicht so gut wie unsterblich und vor menschlichen Krankheiten gefeilt? Ich grub in meinem Gedächtnis… nein – ich hatte keinen Blutsauger auf dem Gewissen.
Wieso forderten sie dann meine Herausgabe? Sollte ich vor das Gericht der Vampire gestellt werden? Deren Gesetze waren viel zu verworren für mich. Würden die mich als Mensch verurteilen oder als Gestaltwandler?
Herrje, was dachte ich da eigentlich?
Ich hatte keinem Blutsauger das Licht ausgeknipst!
Doch irgendwie hielten sie mich dafür fähig. Sowohl dieser Vampirrat als auch Bingham bezeichneten mich als mordverdächtig.
Bingham hatte mich sogar schon bestraft.
Abermals überflog ich eines der Schreiben, doch es änderte sich nichts an dem absurden Inhalt. „Soll das ein Scherz sein?“ Alans Gesichtsausdruck blieb unergründlich. „Ich fürchte nicht. Was meinst du, wieso ich versucht habe dich zu kontaktieren? Aus Spaß? Aus Sehnsucht?“ Er lachte leise, was ich nicht verstand. Hatte er keine Sehnsucht gehabt? Nicht mal ein kleines bisschen? Dabei schien er doch der festen Überzeugung zu sein, dass ich zu ihm gehörte!
Waren wohl zweierlei paar Schuhe.
Ich hatte ihn schließlich ebenfalls weder vermisst noch irgendeine Sucht nach ihm verspürt.
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich dachte, du willst dich einschleimen. Warum hast du nicht angerufen?“ Zugegeben: Ich hätte seinen Anruf ignoriert. Er hätte sich totbimmeln können. Aber der Anrufbeantworter hätte es auch getan. Oder er hätte jemanden vorbeischicken können, der mir die absurde Hiobsbotschaft überbrachte.
Denn ihm persönlich hätte ich vermutlich die Nase vor der Tür zugeschlagen. Maya hingegen hätte ich angehört.
Wahrscheinlich.
„Ich muss mich an Formalitäten halten, Sam.“
Oh, achso. „Ich frage dich das ungern, aber welchen Vampir hast du getötet?“ Na da wurde doch das Huhn in der Pfanne verrückt! Er glaubte wirklich, dass ich einen Vampir umgebracht hatte?
Ich?
Für wen hielt er mich denn?
Für Superwoman?
Selbst bei dem tollen Trick mit den Energiepunkten knockte mich diese Fähigkeit hinterher blöderweise aus. Sofern der Vampir still hielt! Wäre ich also auf die hirnrissige Idee gekommen, einen Vampir auf diese Weise zu erledigen, wäre ich direkt neben der Leiche gefunden worden.
In tiefster Bewusstlosigkeit.
Für alle anderen Methoden, die möglicherweise zum Ableben eines Vampirs führten, war ich als Mensch gänzlich ungeeignet. Blutsauger waren einfach zu schnell für mich. Zu stark.
Noch dazu hatte ich keinen Grund einen zu töten. Na ja ... selbst wenn ich einen hätte, würde ich mir vermutlich eher in die Hosen machen. Ich hatte nicht wirklich Angst vor ihnen, aber ungeheuren Respekt. Sie waren gefährlich für mich.
Für movere im Allgemeinen!
Entsetzt starrte ich Alan an, klappte meinen Mund auf und wieder zu.
Schluckte.
Versuchte, geeignete Worte zu finden. „Spinnst du jetzt völlig?“
Unwirsch wedelte ich mit den Schreiben. „Das hier ist absoluter Schwachfug! Wenn du mir das zutraust, sorry, dann kennst du mich kein bisschen. Wen soll ich denn eigentlich umgebracht haben? Hast du eine Ahnung, wie viele Vampire ich kenne? Zwei! Beide heißen Bingham.“ Oho, Moment! In meinem Gehirn ratterte es wie in einem großen Uhrwerk. Bingham hatte mich als Mörderin bezeichnet. Hieß das, er glaubte, dass ich seinen Sohn umgebracht hatte?
Nein. Stopp.
Roman war am Leben.
Hatte er vielleicht geglaubt, der Wandler sei Roman?
Unwahrscheinlich. Schließlich hatte Roman sich im gleichen Raum aufgehalten. Jeder der Anwesenden musste ihn dort gesehen haben. „Genau. Und Roman ist seit dem Abend verschwunden.“ Wie bitte? „Dafür kann ich doch nichts. Vielleicht war ihm alles zu viel und er hat Urlaub genommen?“ Die Möglichkeit bestand durchaus. Schließlich hatte auch ich mich eine Weile von der Welt abgekapselt. „Glaubst du, dass sie Roman meinen? Müsste sein Vater ihn nicht spüren? Du weißt schon, dieser Vampirkram?“
Alan schnalzte mit der Zunge. „Tatsache ist, Roman ist weg. Er vernachlässigt seine Geschäfte. Niemand kann ihn erreichen. Und offensichtlich ist Bingham der Meinung, dass das deine Schuld ist. Nur hätte ich nicht gedacht, dass sein Vater dich ohne Gericht bestrafen würde. Das verstößt gegen die Gesetze des Clans. Er wird sich dafür verantworten müssen. Vor seinem und vor unserem Gericht.“ Ha, wie schön. Und was nützte mir das? „Hör mal, ich habe ihn nicht umgebracht. Das weißt du doch.“ Sein distanzierter Blick gefiel mir nicht. „Tut mir leid, Sam. Ich weiß es nicht. Falls du dich erinnerst, ich war nicht ganz ich selbst. Als du mich zurückgeholt hast, lehnte ein toter Roman an der Wand und du bist auf einen Kopf zugetaumelt. Ich fürchte, ich bin kein guter Zeuge, was diesen Abend betrifft.“
Ich spürte, wie mein Kiefer nach unten klappte, konnte aber nichts gegen meine Sprachlosigkeit tun.
Ribbert wusste, dass zwei Romans dort gewesen waren, oder nicht? Und die anderen? Die mussten doch auch etwas gesehen haben. Richtig? „Für die Zeit, bis das Ultimatum abläuft, bist du in meinem Gewahrsam. Es ist dir nicht gestattet, das Anwesen zu verlassen. Zu deinem Schutz, das verstehst du doch, oder Sam?“
Na aber sicher doch ... So viel also zum Thema Vertrauen.
Wäre ich nicht derart perplex, würde ich hysterisch lachen und ihm eine knallen. Aber mein Körper war erstarrt. Es gelang mir kaum, einen zusammenhängenden Satz zu formulieren. „Du lässt das zu?“ Er fuhr sich müde über das Gesicht, stand auf, kam auf mich zu, kniete sich vor mich und legte seine Hände auf meine Oberschenkel. „Mir sind die Hände gebunden, Sam. Als Alpha muss ich das tun, was für das Rudel gut ist. Wenn die Pir dich ausgeliefert haben wollen, muss ich das tun. Ob es mir gefällt oder nicht. Ein Krieg ist das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können.“
Verdammt, er hatte mich reingelegt! Er konnte keinen Krieg gebrauchen? In meiner Wohnung am Telefon hatte er ganz anders geklungen. Er hatte mir nichts davon gesagt, dass er glaubte, dass ich einen Vampir abgemurkst hatte und Bingham lediglich Rache für seinen Sohn übte. Ich könnte ihm das nicht verübeln, wenn ich Roman wirklich umgebracht hätte.
Was für ein Spiel spielte Alan eigentlich?
Erst machte er einen auf besorgt, dann auf verführerisch und jetzt auf Lieferant? Also ... Sam-Auslieferant ... sozusagen.
Ohne mich.
So hatten wir nicht gewettet!
Ich dachte, er wollte mich vor Bingham schützen und herausfinden, was diesen gegen mich aufgebracht hatte. Jetzt musste ich erfahren, dass er es bereits wusste und dass er vorhatte, mich an die Vampire auszuliefern, um sein geliebtes Rudel zu schützen!
War ich nicht auch Teil des Rudels?
Ich blöde Kuh hatte doch tatsächlich geglaubt, es sei ihm wichtig, dass ich in Sicherheit war. Ich hätte mich ein weiteres Mal darauf eingelassen, ihm zu vertrauen.
Nur gut, dass er bereits jetzt die Karten auf den Tisch legte. So käme ich gar nicht erst in Verlegenheit enttäuscht zu werden. Leider, so musste ich zugeben, war das dennoch der Fall. Ich war zutiefst erschüttert. Mein Gehirn war geschockt von dem, was er mir eröffnet hatte.
Er verteidigte mich mit keiner Silbe.
Er zog nicht in Erwägung, dass ich unschuldig war.
Er machte keinen Vorschlag, die Sache aufzuklären oder Beweise für meine Unschuld zu sammeln.
Ribbert wollte er nicht hineinziehen, da dieser dann ebenfalls angeklagt wäre. Immerhin hatte der den Wandler – der zufällig aussah wie Roman – einen Kopf kürzer gemacht.
Es war beinah so, als würde alle mit dem Finger auf mich zeigen und schreien: Die war’s!
Ja, genau.
Ich war es.
Ich hatte den Wandler aufgehalten.
Und was hatte ich jetzt davon? Eine Anklage vom Clan der Pir, dem hiesigen Vampirobermackerchefclan. Die höchste Instanz der Vampire. Richter und Henker in einem.
Toll, einfach toll!
„Dann nützt es nichts, wenn ich hier bei dir rumsitze. Wir müssen etwas unternehmen. Roman ist dein Freund. Habt ihr nicht irgendein geheimes Zeichen? Irgendwas, womit ihr euch im Notfall erreichen könnt?“ Falls es sich wirklich um Roman handelte. Aber da ich keinen anderen Vampir kannte, musste es um ihn gehen. Außerdem hatte ich, abgesehen von dem Wandler, noch nie jemanden getötet. Weder mit Absicht noch aus Versehen. Wie kamen die Vampire nur auf diese Idee?
Und Alan?
Ich verstand ihn nicht.
Auf der einen Seite war ich seine Alpha und seine unersetzbare Auserwählte. Auf der anderen Seite wollte er mich ausliefern. „Haben wir nicht. Es sieht ihm nämlich nicht ähnlich, sich einfach so aus dem Staub zu machen, ohne sich hin und wieder zu melden. Oder zumindest erreichbar zu sein.“ Das hieß im Klartext, er stimmte mit den Vampiren überein.
Er traute es mir zu!
„Dann sollten wir etwas unternehmen, um ihn zu finden. Ich gehe ganz sicher nicht freiwillig zu irgendwelchen Blutsaugern.“ Alan nickte. „Verständlich, angesichts deiner… Unannehmlichkeiten. Aber es lässt sich nicht ändern. Wie ich schon sagte, mir sind die Hände gebunden.“ Er wirkte ziemlich zerknirscht. Verdammt nochmal: Wollte er tatsächlich Däumchen drehen? „Noch ein Grund mehr ihn zu suchen und den Vampiren klar zu machen, dass ich niemanden umgebracht habe. Das ich dazu gar nicht fähig bin.“
„Das bist du sehr wohl. Du hast die Möglichkeit dazu.“ Ich schnaubte empört. „Klar. Na sicher doch. Dann hätte ich aber neben dem Opfer gelegen. Außerdem, wie kann man mich des Mordes anklagen, wenn es kein Opfer gibt? Gibt es doch nicht, oder?“
„Die Verbindung zu ihm ist abgetrennt. Ich gehe wirklich davon aus, dass sie Roman meinen. Keine Verbindung heißt so viel wie, er ist tot.“
„Oder dass er nicht gefunden werden will?“, spekulierte ich mit klopfendem Herzen. „Auch das ist möglich, aber eher unwahrscheinlich.“ Wütend sprang ich auf. „Schön. Schiebt es ruhig in die Schuhe des blöden Menschen. Der Vampir hat seine Jahrhundertdepression oder was auch immer und ich darf dafür meinen Kopf hinhalten? Ohne mich! Du kannst mich mal. Ihr blöden Andersweltler könnt mich alle mal! Ihr hättet in euren Löchern bleiben sollen, wo ihr hingehört!“ Ich hatte es gründlich satt als Sündenbock abgestempelt zu werden, sprang wütend auf und schritt energisch zur Tür.
„Was hast du gesagt?“ Alan kam mir bedrohlich nahe. „Du hast mich doch gehört.“ Eingeschüchtert streckte ich hinter meinem Rücken die Hand nach der Türklinke aus, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie ich diese öffnen konnte, ohne einen Schritt auf Alan zumachen zu müssen. „Ihr Menschen denkt, ihr seid die Besten, hm? Ihr denkt, ihr seid die Intelligentesten. Ihr denkt, ohne euch ginge die Welt zu Grunde. Besonders ihr movere. Dabei seid ihr nichts. Noch weniger als nichts! Alle Menschen. Man sollte euch alle…“ Alan kniff die Augen zu, presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und winkte ab. „Man sollte uns alle…? Was? Sprich dich ruhig aus.“
Zum Teufel! Ich war so wütend. „Nichts, vergiss es. Geh in das Gästezimmer und bleib dort!“
Oh, der konnte mich mal so was von gern haben! „Nein. Na los Alan, ich will es wissen. Was sollte man mit uns? Sag es.“
Sein Gesicht verzog sich zu einer raubtierhaften Grimasse, die mir Angst einjagte. „Euch von der Oberfläche verschwinden lassen. Euch in eure überheblichen Ärsche treten. Ihr seid nichts weiter als Vieh. Man sollte euch Manieren beibringen und Gehorsam. Euch zusammentreiben und einsperren, zu unserer Belustigung. Wer sich dem nicht fügt, verschwindet. So wie ihr es mit euren Haustieren macht, wenn sie nicht mehr zur Einrichtung passen.“ Seine Nasenflügel blähten sich auf, seine Augen glitzerten bedrohlich. Gut, wenigstens kannte ich jetzt seine Meinung über mich. Über Menschen und movere im Allgemeinen.
Ich hatte es ja unbedingt wissen wollen.
Ich nickte.
Zu Wörtern war ich nicht fähig.
„Geh in dein Zimmer. Jetzt sofort!“ Jawohl mein Herr und Meister! Was bildete sich dieser Kotzbrocken eigentlich ein? Der würde sich noch wundern. Ich würde zwar in das besagte Zimmer gehen, aber auf keinen Fall dortbleiben. Dann lieber lief ich Bingham in die Arme, als dass ich mich mit einem Mann unter demselben Dach aufhielt, der solch eine Meinung von mir hatte. Klar, ich hatte ihm auch ein paar unschöne Dinge an den Kopf geworfen. Aber gegen das, was er mir entgegengeschleudert hatte, war meines doch recht harmlos gewesen.
Tapfer schluckend verließ ich sein Arbeitszimmer, bog um die Ecke und öffnete die Tür zum Gästezimmer. Als erstes fiel mir das Bett ins Auge, dass – im Gegensatz zu meinem früheren Zimmer – für zwei Personen geeignet war.
Ansonsten glich es dem hinteren Zimmer wie ein Ei dem anderen. Dunkles Parkett, helle Teppiche, weiße Tapete mit dezentem Muster, eine einladende Couch, ein riesiger Flachbildfernseher, zwei gemütliche Sessel, ein marmorierter Tisch, ein viertüriger Kleiderschrank, ein Badezimmer mit Dusche, Wanne und WC. Wütend riss ich das Fenster auf und fuhr erstaunt zusammen. Okaaay, das ist nicht wie in dem anderen Zimmer.
Das war wirklich die Krönung!
Wollte er mich hier wahrhaftig einsperren?
Entgeistert sah ich mir die flackernden Linien an, die das Fenster mit einem verwirrenden Muster zierten. Dabei hatte ich vorgehabt, so schnell wie möglich zu verschwinden. Die paar Meter nach unten machten mir als movere nichts aus. Diese Lichtschranken allerdings – falls es nur Lichtschranken waren – würden sofort einen Alarm oder wer-weiß-was auslösen. Waren es jedoch keine Schranken, sondern Lichtgitter, würden die alles, was ihren Weg kreuzte, in Flammen aufgehen lassen.
Wie weit war Alan bereit zu gehen? „Oh, du hast es also schon entdeckt. Ich an deiner Stelle würde nicht testen, ob sie einen Alarm auslösen. Du brauchst deine Hände sicher noch.“ Dieses Arschloch! Ich hatte ihn nicht mal hereinkommen gehört. „Du wirst nicht lang hierbleiben. Der Clan der Pir ist bereits informiert und auf dem Weg hierher. Du kannst vorher etwas essen.“
Für meinen Geschmack ein wenig unsicher, stellte er einen herrlich duftenden, reichlich gefüllten Teller auf den Tisch. Dachte er, ich würde damit nach ihm werfen, wenn er nicht aufpasste?
Der Kerl hatte echt keine Ahnung!
Am liebsten hätte ich ihm in seinen aufgeblasenen Hintern getreten. Es kostete mich einiges an Selbstbeherrschung, mich zurückzuhalten. Ich bedankte mich nicht, bedachte ihn keines weiteren Blickes, ließ das Fenster offen und ging regungslos an ihm vorbei ins Bad, dessen Tür ich mit einem lauten Rumps hinter mir zu krachte.
Er hatte die Vampire schon informiert!
Weshalb hatte er mich erst gerettet, wenn er mich jetzt an sie auslieferte? Hätte er mich nicht einfach sterben lassen können? Ich war doch sowieso schon fast hinüber gewesen. Ich wäre jetzt bei Laura.
Meine Hände zitterten.
Die Frau, die mich aus dem Spiegel heraus ansah, sah mir überhaupt nicht ähnlich. War ich so blass, weil ich dermaßen entsetzt war oder war die Blässe nur eine Nachwirkung des gestrigen Erlebnisses? Wie konnte Alan mir das antun? Wenn ich Teil des Rudels war, wie er sagte, warum unternahm er dann nichts? Weshalb bat er nicht darum, die Sache aufklären zu dürfen? Warum verteidigte er mich nicht? Warum glaubte er nicht an mich? Wollte er Rache, weil ich mich die letzten Wochen nicht als seine Alpha präsentiert hatte?
Super, ich heulte!
War das denn zu fassen?
Wütend drehte ich das kalte Wasser auf, wusch mir damit das Gesicht, trocknete mich ab, kämmte flüchtig mit den Händen durch meine Haare, straffte meinen Rücken, holte tief Luft und trat wieder in das Zimmer.
Alan war weg.
Nur um mich zu vergewissern, dass er wirklich der Arsch war, den ich glaubte, in ihm zu sehen, drückte ich die Türklinke nach unten. Sie war abgesperrt.
Wie ich vermutet hatte.
Zu dumm, werter Herr Garu, dass du nicht alle meiner Fähigkeiten kennst, hm?
Er wusste, dass ich Chakren beeinflussen konnte. Außerdem war ihm bekannt, dass ich Energiezuflüsse unterbrechen konnte und diverse gesteigerte Bewegungsmöglichkeiten besaß. Dass mich jedoch weder verschlossene Türen noch andere Sicherheitssysteme aufhalten konnten, wusste er glücklicherweise nicht.
Was glaubte er, wie ich meinen Job verrichtete? Dachte er, ich hätte nur mit Kameras und Bewegungsmeldern zu tun?
Vermutlich.
Immerhin hatte er keine Ahnung, dass ich auch schon einigen Museen und verschiedenen anderen, extrem hoch gesicherten Einrichtungen, einen Besuch abgestattet hatte. Lächelnd drehte ich mich zum Fenster, schloss die Augen und suchte den Anfangspunkt des geschickt gewebten Musters. Dass es sich dabei um ein geklügelt ausgedachtes Netzwerk handelte, was menschliche Technik und echte Magie miteinander verwob, war mir einerlei. Ich musste nur den Ursprung finden. Und der dürfte bei einem Lichtgitter nicht weit entfernt sein.
Bingo!
Zwei Runen zitterten, als ich sie mit meinen Energiesensoren berührte und mit deren Hilfe außer Kraft setzte. Magie ... Pah! Dass ich nicht lachte. Da musst du dir schon was Besseres einfallen lassen, du aufgeblasener Fellarsch. Er war sich anscheinend derart sicher, dass ich hier – gezwungenermaßen – brav wartete, dass er weder an einen Bewegungsmelder noch an eine Kamera gedacht hatte. Auch nach unten konnte ich nichts dergleichen spüren. Um ganz sicher zu gehen, überprüfte ich die Umgebung auf weitere magische Felder oder irgendeine versteckte Technik.
Doch da war nichts.
Gar nichts.
Wie schön für mich!
Zu schade, dass Scott und Elaine nur halb so effektiv waren wie Sven. Ansonsten hätte ich mir wenigstens eine Strickjacke anziehen können. Tja, es musste auch ohne gehen. Gott sei Dank war es nicht mehr allzu kalt.
Mich ein letztes Mal vergewissernd, kletterte ich auf die niedrige Fensterbank und sprang in die Tiefe. Als normaler Mensch hätte ich mir sämtliche Knochen gebrochen.
Ähm ... als normaler Mensch wäre ich gar nicht erst in diese Zwickmühle geraten ...
Statt das Anwesen auf direktem Weg zu verlassen, lief ich hinter das Haus, dicht an der Mauer entlang, schaltete jeweils für ein paar Sekunden die Kameras aus, die sich dort befanden und sprang schließlich über die beinah fünf Meter hohe Außenmauer. Niemand hatte mich gesehen. Also nahm ich meine Beine in die Hand und rannte, als wäre der Teufel persönlich hinter mir her.
In gewisser Weise war er das auch.