Читать книгу Kommissar "Anders" & das Haus der weißen Katze - R. S. Volant - Страница 4
Schatten der Vergangenheit
ОглавлениеJerry lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück, verschränkte die Hände hinter seinem Kopf und sah sich frustriert den Stapel Papiere und Akten an, die auf seinem Schreibtisch verteilt herumlagen. Er wusste, dass es eine lange Nacht werden würde, eine sehr langweilige, lange Nacht! Nichts hasste er so, wie Schreibkram, aber irgendwann musste auch das erledigt werden und so machte er sich schließlich tief seufzend über seinen ersten Bericht her.
Zwei Stunden später holte er sich einen Kaffee, setzte sich erneut hinter den Schreibtisch und nippte gedankenverloren an der heißen Brühe. Dabei schweifte sein Blick hinüber zum Fenster und eine ganze Zeitlang beobachtete er nur die Regentropfen, die unaufhörlich gegen die Scheibe fielen und kleine Rinnsale hinterlassend, daran heruntertropften. Wie eine Spur aus Tränen, dachte er ein Wenig wehmütig und wandte sich seufzend der nächsten Akte zu.
Es war bereits nach Mitternacht, als er endlich den PC herunterfuhr und sich erschöpft mit beiden Fäusten die müden Augen rieb. Sollte er heute noch nach Hause fahren? Oder einfach mal wieder die Nacht hier verbringen, auf der alten Couch, die ihm schon so oft als Schlaflager gedient hatte.
Scheiß an, zu Hause wartet eh keiner auf dich, ging es ihm durch den Kopf und so schlurfte er hinüber in den kleinen Aufenthaltsraum und ließ sich einfach auf das abgewetzte Sofa fallen.
*
„Des ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Jerry? Jerome! Wach auf! Hast du schon wieder hier gepennt?! Oh Mann“, erklang es über ihm und Jerry blinzelte verschlafen zu seinem Partner hoch. „Guten Morgen!“, rief der auch schon übertrieben freundlich und laut. Viel zu laut, für Jerrys morgendlichem Empfinden und er quittierte es mit einem Stinkefinger und einem sehr zynischen Grinsen.
„Du mich auch“, zischte er dabei abfällig und Malik lachte auf.
„Hey, echt Mann, was kann ich dafür, dass du lieber hier schläfst, als bei dir zu Haus? Und dann jedes Mal scheiße drauf bist! Du bist echt der seltsamste Kerl, der mir je über den Weg gelaufen ist!“, erwiderte er, noch immer zu laut und Jerry setzte sich langsam auf. „Und, der ungepflegteste! Hey, Mann, Alter, du stinkst!“, setzte er noch nach, während er die Kaffeemaschine in Gang setzte.
„Scheiß Türke“, murmelte Jerry nur und rieb sich über das verschlafene Gesicht.
„Scheiß Deutscher“, konterte Malik und grinste frech. „Außerdem bin ich kein Türke, sondern Perser, wie oft denn noch!“
„Ok, dann halt, scheiß Perser“, zischte Jerry in dessen Richtung, bevor er aufstand und neben ihn trat. „Danke auch“, schnurrte er honigsüß, nahm Malik die Kaffeetasse ab und nippte vorsichtig daran.
„Bitte schön“, antwortete der sarkastisch und schenkte sich eine neue Tasse ein.
„Und?“
„Was, und? Hey, Mann, wir sind hier bei der Polizei und haben einen neuen Fall! Sollten eigentlich schon weg sein! Eine Joggerin ist überfallen worden, wir sollen sie dazu befragen, im Krankenhaus“, gab Malik zurück und Jerry nickte.
„Könnten wir kurz noch bei mir zuhause vorbeifahren, würd` mich gern duschen“, murmelte Jerry ohne aufzusehen und sein Partner nickte, die Nase rümpfend.
„Unbedingt! Aber echt, du hast ein Zuhause?“
„Arsch! Stell dir vor“, fauchte Jerry ihn an, was seinen Partner erneut auflachen ließ.
„Ok! Dann los, bin echt gespannt, auf deine Räuberhöhle“, meinte der noch und beide machten sich auf den Weg.
Malik verzog unwohl sein Gesicht, als sie vor dem heruntergekommenen Wohnhaus parkten. „Hier, wohnst du?“, fragte er ungläubig und Jerry grinste ihn an.
„Kannst ja im Auto warten“, antwortete er achselzuckend, schnallte sich ab und stieg aus, ohne auf eine Antwort zu warten.
„Naa, echt nicht! Was is`n das, für ein Gruselhaus! Mann, Alter!“, murmelte Malik und sprang regelrecht aus dem Wagen. „Hast du `n Vogel? Hier bleib ich nicht alleine!“, rief er und eilte Jerry hinterher, der bereits zielstrebig den verwahrlosten Hauseingang ansteuerte. Überall lag Müll herum, alte Klamotten quollen aus zerrissenen Plastiksäcken und die Wände waren mit irgendwelchen Sprüchen und schlechten Graffitis besprüht.
Hastig lief er Jerry nach, die dreckige Treppe hinauf, bis der endlich im dritten Stock vor einer Tür haltmachte und diese aufsperrte. „Wie kannst du nur hier leben, Fuck! Was für eine Bruchbude“, sagte Malik angewidert und folgte Jerry in die düstere Wohnung. „Machst du irgendwann auch mal das Fenster auf? Boah, hier stinkts vielleicht“, meckerte er weiter, ging auch schon schnurstracks auf die Balkontüre zu, zog den Rollladen hoch und öffnete die Türe sperrangelweit.
„Muss alles verrammeln, sonst sehen es meine lieben Nachbarn als Einladung“, antwortete Jerry trocken, die Achseln zuckend und ein zynisches Schmunzeln überflog kurz sein recht ansehnliches Gesicht.
„Echt, Mann, wieso wohnst du dann noch hier?“, meinte Malik und sah sich beinahe fassungslos in dem nur spärlich möblierten Raum um. Neben einer verschlissenen Dreiercouch, gab es nur noch einen alten, gefliesten Wohnzimmertisch und einen riesigen, uralten Ohrensessel, dessen Bezug dermaßen verblichen und fleckig war, dass es Malik unmöglich war, die ursprüngliche Farbe zu erkennen. In einer Ecke gammelte ein dürrer Gummibaum vor sich hin und er war augenblicklich versucht, der armen Pflanze Wasser zu geben. Kopfschüttelnd drehte er sich um und sein Blick fiel auf ein Bücherregal, in dem ein gerahmtes Foto stand. Es zeigte eine junge, sehr schöne Frau, mit langem, rotem Haar und ein glückliches Lächeln umspielte ihren sinnlichen Mund. Dieses Bild, war das einzig Schöne in dieser Drecksbude und wirkte so deplatziert, wie eine Rose auf einer Müllkippe.
„Kannst dir was zu trinken nehmen, in der Küche, Kühlschrank, müsste noch Wasser sein, hab` grad nichts anderes“, raunte Jerry noch, bevor er im engen Flur verschwand.
Malik trat an das Regal heran, nahm das Foto in die Hand und betrachtete es fasziniert. Unwillkürlich stahl sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen und er strich beinahe liebevoll mit dem Finger die Umrisse dieses schönen Gesichtes nach. „Wow“, murmelte er leise und stellte es zurück.
Seufzend ließ er erneut seinen Blick durch das sogenannte Wohnzimmer schweifen, ging zurück zur Balkontüre, verschloss diese wieder und schlenderte in die kleine Küche, die unerwartet sauber und sogar einigermaßen aufgeräumt erschien. „Wenigstens was“, meinte er zu sich selbst, öffnete die Kühlschranktüre und holte sich eine kleine Flasche Mineralwasser heraus. Mit der geöffneten Flasche schlurfte er zurück in den Wohnraum und lehnte sich gelangweilt mit dem Rücken an eine der kahlen Wände. Wieder zog ihn das Foto der fremden Frau in den Bann und er ertappte sich dabei, wie er mit dem Gedanken spielte, wie es wohl mit ihr wäre… Wow, so feuerrotes Haar! Er hatte noch nie etwas mit einer Rothaarigen gehabt, die sollen ja bekanntlich besonders temperamentvoll sein, sinnierte er weiter, als Jerry endlich wieder zurückkam.
„Wieso hast`n dich nicht hingesetzt?“, fragte er und Maliks Kopf fuhr zu ihm herum.
„Hm? Ach so, naa, lieber nicht, wollte meine Hose nicht ruinieren“, antwortete er und Jerry zog ihm eine schnippische Grimasse.
„Vollidiot!“
Malik warf ihm eine Kusshand zu und Jerry quittierte es, indem er so tat, als würde er sich den Finger in den Hals stecken, was seinen Partner laut auflachen ließ. „Echt Mann, du bist echt der liebevollste Partner, den man sich vorstellen kann!“, meinte er und Jerry stieß einen tiefen Grunzer aus.
„Du mich auch“, brummte er und wieder brachte er damit Malik zum Lachen.
Mit einem Kopfschütteln stieß der sich von der Wand ab und spazierte mit einem Fingerzeig auf das gegenüberliegende Bücherregal zu. „Echt heiße Schnitten, die Kleine, wer is`n die?“, fragte er, nahm erneut das Bild an sich und hielt es hoch.
„Was?“ Jerry drehte sich verwirrt um und erstarrte für einen Augenblick. „Niemand!“, antwortete er beinahe feindselig. Ja, Niemand, nur ein Teil deines verkorksten Lebens, dein ein und alles, dein ganzes Glück… „Stell es bitte wieder zurück“, versuchte er seiner Stimme einen etwas freundlicheren Klang zu verleihen, doch Malik war die kurze, heftige Reaktion nicht entgangen.
„Was is`n los, mit dir? Ist die Kleine deine Freundin? Oder `ne Verflossene?“, wollte er grinsend wissen.
„Nein! Ich sagte doch, sie ist Niemand!“, raunte Jerry und drehte sich halb weg.
„Wieso hast dann a Foto, von ihr?“
„Keine Ahnung, so halt“, knurrte Jerry zurück, „stell es einfach wieder hin, ja?“
„Du bist echt ein komischer Kauz“, hörte er Malik murmeln und wandte sich wieder zu ihm um.
„Ich kannte sie, von früher, ok? Aber sie gibt es nicht mehr!“
Malik hob erstaunt seine Augenbrauen, warf ihm einen nachdenklichen Blick zu und musterte erneut das Portrait. „Irgendwie, seht ihr euch ähnlich… Ihr habt die gleichen Augen, die Gesichtszüge… bis auf die roten Haare“, meinte er plötzlich. „Könnte deine Schwester sein! Ich dachte, du wärst ein Einzelkind?“
Jerry schüttelte den Kopf. „Eher sowas, wie `ne entfernte Verwandte, `ne Cousine halt, bist du jetzt zufrieden?“
„Oh! Okay“, erwiderte Malik gedehnt und stellte das Foto zurück. „Na dann, kannst du sie mir mal vorstellen? Wäre genau meine Kragenweite! Die ist echt `ne Bombe! Sind die Haare echt? Sie ist aber viel jünger, als du, oder?“
Jerry sah kurz zu Boden. „Das Bild ist schon älter, da war sie gerademal neunzehn, glaub ich“, antwortete er achselzuckend. „Das ist schon einige Jahre her!“ Genau sieben, nein, fast acht Jahre! rechnete er in Gedanken nach. „Und glaube mir, sie wäre ganz sicher, nichts für dich!“, schnaubte er recht zynisch.
„Wieso nicht?“, fragte Malik überrascht. „Das kannst du doch nicht wissen! Ich finde sie echt süß und ehrlich Mann, die ist wunderschön! Ich würde sie echt gerne kennenlernen“, sagte er fast bittend und erntete daraufhin wieder einmal einen von Jerrys sarkastischen Blicken.
„Naa, lass mal, die wäre nichts für dich!“, meinte er grinsend, „und außerdem sagte ich doch schon, sie gibt’s nicht mehr!“
„Wie jetzt? Ist sie etwa… tot?“, fragte sein Partner betroffen.
„Nein!“, wieder schüttelte Jerry kurz den Kopf und fuhr sich nervös mit den Fingern durch sein kurzes, dunkelblondes Haar. „Sie ist einfach weg, verschwunden, mehr nicht! Ich weiß nicht, was mit ihr ist! Ok?“, knurrte er genervt. „Können wir jetzt gehen?“
„Ja, klar, wow! Gilt sie als vermisst?“, nervte Malik ihn weiter und Jerry verdrehte die Augen. Wie konnte er da nur wieder rauskommen?
„Hör zu! Sie ist damals einfach abgehauen und hat alles hinter sich gelassen! Hat einfach den Kontakt abgebrochen, ok?! Ende, aus!“, antwortete er angekratzt, packte Maliks Arm und stieß ihn grob Richtung Ausgang.
Eine Weile schwiegen sie beide, als sie im Auto saßen, dann sah Malik ihn wieder interessiert an. „Jetzt erzähl mir halt a bisserl was, über sie“, forderte er neugierig.
„Über wen?“, fragte Jerry, ohne ihn anzusehen.
„Na, über die Rothaarige!“
„Da gibt’s nix, zu erzählen!“
„Mei, bist du wieder gut drauf! Des hab ich schon immer am meisten an dir gemocht, deine immer währende gute Laune und deine Redseligkeit“, brummte Malik sarkastisch.
„Haha! Kannst jetzt bitte ruhegeben, ich muss mich konzentrieren“, raunte Jerry zurück.
„Konzentrieren? Worauf?“, fragte Malik überrascht.
„Auf den Verkehr!“
„Aha! Dann lass mich halt fahren“, meinte Malik.
„Naa, meinen Mustang, fahr nur ich!“, antwortete Jerry schnippisch.
„Als ob ich den nicht fahren könnt! Dann nehmen wir das nächste Mal eben wieder den Dienstwagen“, murrte Malik und Jerry warf ihm einen kurzen Blick zu.
„Bist jetzt wieder beleidigt?“, fragte er belustigt und sein Partner sah zum Seitenfenster hinaus. „Mei, Malik, freilich kannst du den fahren, aber ich mag des halt nicht!“
„Und warum?“
„Darum!“
„Mei, bist du ein Depp!“, antwortete Malik und schüttelte den Kopf. „Und so einer, ist mein Partner!“
„Wenn`st mich so wenig magst, dann frag halt den Peter, ob er dir nicht einen anderen Partner geben kann!“, sagte Jerry angekratzt. „Ich hab mir dich nicht ausgesucht und bin dir einfach zugeteilt worden!“
„Naa, lieber nicht! Womöglich ist des dann ein noch größerer Depp, als du“, raunte Malik gehässig zurück und Jerry warf ihm erneut einen schiefen Blick zu.
„Danke!“
„Bitte!“
„Scheiß Türk!“
„Ich bin Perser! Sag a mal, hörst du mir eigentlich zu? Des hab ich dir jetzt schon hundert Mal erklärt! Und außerdem, ist meine Mutter Deutsche und eine gebürtige Münchnerin! Genau, wie ich!“, regte Malik sich mal wieder auf.
„Echt?“, fragte Jerry, gespielt überrascht. Er liebte es, Malik damit zu ärgern.
„Ja, echt, du scheiß Deutscher!“, fuhr der ihn auch gleich an und Jerry schmunzelte vor sich hin.
*
Nach der Vernehmung der Joggerin, die vorwiegend von Malik geführt worden war, fuhren sie zusammen zurück aufs Revier und erledigten recht schweigsam ihren Papierkram. Malik hatte während der Rückfahrt noch einige Male versucht etwas über die unbekannte Schöne herauszufinden, doch Jerry hatte einfach nicht mehr geantwortet und so hatte Malik irgendwann eingeschnappt Ruhe gegeben.
„Ciao, dann und noch einen schönen Feierabend!“, zischte er schließlich über den Schreibtisch hinweg und stand auf.
„Mann, Malik, jetzt sei doch nicht beleidigt“, meinte Jerry entnervt und lehnte sich zurück.
„Ich? Oh Mann, ich bin nicht beleidigt, ich habe einfach nur die Schnauze voll, von dir! Wir kennen uns jetzt drei Jahre! Drei scheiß Jahre, arbeiten wir nun schon zusammen! Was heißt hier eigentlich, zusammenarbeiten?! Die ganze Zeit über, musste ich dich ertragen, deine Scheißlaune, deinen ewigen Zynismus, deinen miesen Charakter, ohne zu murren! Und jetzt meinst du einfach, sei nicht beleidigt“, äffte Malik ihn übertrieben nach, „was ist eigentlich los, mit dir?!“
Jerry stieß schnaubend die Luft aus seiner Nase aus. „Ich, ach Scheiße, Malik, nichts, ist los, mit mir!“ Gar nichts, außer, dass dich das alles ankotzt.
„Warum, erzählst du mir nie was, von dir? Ich weiß so gut wie gar nichts, über dich! Ich wusste bis dato, noch nicht einmal, wo du wohnst! Ok, darauf hätte ich echt verzichten können, aber sonst, ich meine, was machst du so oder was du so treibst, in deinem Leben! Manchmal frage ich mich echt, wer du eigentlich bist! Wer bist du, Jerry?“, platzte es aus Malik heraus.
Jerry schloss für einen Moment die Augen. „Ich will einfach nicht darüber reden, ok? Über meine Vergangenheit und ansonsten, treibe ich gar nichts, ok? Ich finde mein Leben eben nicht gerade berauschend!“, raunte er wieder einmal triefend vor Hohn.
„Wenn dich der Job so angekotzt, wieso machst du ihn dann, hm? Warum, bist du eigentlich Polizist geworden?“, fuhr Malik ihn an.
„Weil“, Jerry verengte betroffen die Augen und strich sich unbehaglich mit den Fingern das Haar zurück, „weil ich es ihr versprochen habe“, sagte er leise.
„Versprochen? Wem?“
„Valerie“, kam es leise und schmerzvoll über Jerrys Lippen. Unwillkürlich senkte er dabei den Blick und schnaufte gequält durch.
„Valerie, aha! Ist sie das, die Rothaarige?“
Jerry schüttelte leicht den Kopf. „Nein“, flüsterte er jetzt fast, „Valerie war mein…, Romys beste Freundin.“
„Und wer ist Romy?“, wollte Malik mit vor der Brust verschränkten Armen wissen.
„Sie!“
„Wer, die Rothaarige?“ Es war eher eine Feststellung dieses Mal, als eine Frage und als Jerry leicht nickte, nickte auch Malik erkennend. „Aha! Sie heißt also Romy und das konntest du mir vorhin nicht sagen, hm? Wieso?“
Jerry neigte den Kopf zur Seite. „Bitte Malik, lass es gut sein, ich kann einfach nicht darüber sprechen. Es hat was mit meiner verdammten Vergangenheit zu tun und reißt einfach nur alte, längst verheilte Wunden, wieder auf. Romy, existiert nicht mehr, für mich“, antwortete er bitter und blinzelte, tief durchschnaufend.
„Sag bloß, du heulst gleich“, brummte Malik und biss sich bestürzt auf die Unterlippe, als er Jerrys feuchte Augen sah.
Jerry schüttelte leicht, was beinahe verträumt wirkte, den Kopf und ein kleines, schüchternes Lächeln, umspielte seinen Mund. „Es tut mir leid“, hauchte er leise und seine sonst so raue Stimme war kaum wieder zu erkennen, klang sanft und samtig weich.
„Ist schon gut, Mann“, murmelte Malik und kratzte sich verlegen an der Stirn. „Sie muss dir viel bedeutet haben, diese Romy, hm?“
„Ja“, antwortete Jerry und sah ihn an. „Sehr viel, sogar. Sie war mein Leben“, sagte er noch, stand auf und eilte hinaus.
Er stürzte geradewegs auf sein Auto zu, schloss auf, warf sich ins Innere und knallte die Türe zu. Wie hatte das passieren können? Warum war er so blöd gewesen, Malik mit zu sich nach Hause zu nehmen? Wie konnte er nur so dumm sein und dieses verdammte Foto aufheben! Weil es alles war, was ihm noch von ihr geblieben war, nur dieses eine Bild und… Er hätte es wegwerfen sollen, so wie alles andere auch, dass er weggeworfen hatte, genauso weggeworfen, wie sein Leben…
Romy. Sie existiert nicht mehr, aus, Ende, alles vorbei, ist nur noch eine Erinnerung, Vergangenheit, meine Vergangenheit. Oder? Könnte ich sie zurückholen, vielleicht nur noch ein einziges Mal, für einen einzigen Tag? Nein! Sie kann, sie darf, nicht zurückkehren…
Er wischte sich über die tränenfeuchten Augen und als er Malik über den Parkplatz kommen sah, startete er den Wagen und raste los. Wohin? Nur nicht nach Hause!
Jerry steuerte die Innenstadt an, parkte seine Rostlaube, ein alter Ford Mustang, vor seiner Stammkneipe und holte noch einmal tief Luft. Ok, ganz ruhig! Alles wieder gut, Alter! Du schaffst das!
Mit dem für ihn so typischen Gesichtsausdruck, einer Mischung aus angewiderter Langeweile und mürrischem Zynismus, betrat er das kleine Lokal und gesellte sich zu den hier üblicherweise verkehrenden Gästen, an die Bar. Sofort wurde der Wirt, der gerade ein frisches Bier zapfte, auf ihn aufmerksam und nickte ihm freundlich zu.
„Hey, Jerry! Auch mal wieder da, was darf es sein, das übliche?“, rief er und Jerry nickte grinsend zurück.
„Servus, Loisl, sei so gut“, erwiderte er und lehnte sich lässig an die Theke. Er war gerne hier, niemand kümmerte sich um sein Privatleben, oder stellte dumme Fragen hierzu.
„Jerry?“, rief sogleich ein anderer Mann und er drehte sich zu der ihm nur zu gut bekannten Stimme um.
„Niklas! Schön, dich zu sehen, altes Haus! Wie geht’s, wie stehts“, gab Jerry zurück und reichte seinem Gegenüber die Hand.
„Gestern gings noch! Und bei dir, alles fit, im Schritt?“
„Klaro! Lange nicht gesehen, wo hast`n dich rumgetrieben?“, wollte Jerry wissen und griff gleich nach seinem Bier.
„Du weißt ja, bei meinem Job bin ich viel unterwegs, komm gerade von `ner Messe. Du, ich hab` ein paar echt gute Flaschen Wein mitgebracht, die warten nur darauf geköpft zu werden“, meinte Niklas augenzwinkernd und stellte sich neben ihn.
„Jederzeit“, antwortete Jerry und prostete ihm zu.
„Ok, wie wäre es mit nächstem Wochenende, ach nein, geht leider nicht, da hab ich schon was vor, aber die Woche drauf?“, meinte Niklas und stieß mit ihm an.
„Gern, wenn ich keinen Dienst habe, ich ruf dich nochmal an, ja?“, sagte Jerry gutgelaunt und machte einen langen Zug. Er mochte Niklas, sie kannten sich schon von der Schule her, waren damals sogar richtig gut befreundet gewesen, bis, ja, bis Romy in Jerrys Leben getreten war und er ihretwegen sein altes Leben und alle damaligen Freunde aufgegeben hatte und in eine andere Stadt gezogen war.
Weit weg, von seinem früheren Leben.
Vor zwei Jahren, waren er und Niklas sich zufällig wiederbegegnet und hatten sich auf Anhieb wieder gut verstanden. Mit ihm konnte Jerry einfach nur er selbst sein, einfach nur herumblödeln und auch einfach nur mal so herrlich albern sein, wie zu ihren Jugendzeiten. Seit sie sich wieder getroffen hatten, verband sie nun zumindest wieder eine lockere Freundschaft und meistens endeten ihre Treffen in einem Saufgelage.
„Du, ich muss dir unbedingt was erzählen“, raunte Niklas und stieß ihn kameradschaftlich an. „Ich hab da jemanden kennengelernt, aus dem Internet, die ist voll der Hammer! Schau mal“, sagte er begeistert und tippte auch schon auf seinem Handy herum. „Da, geile Braut, hm? Lissy, heißt sie und wir treffen uns am Wochenende bei ihr, zum ersten Mal und ich denke, dass es dann auch unser erstes Mal, werden wird! Die ist echt voll scharf“, grinste er augenzwinkernd.
Jerry lehnte sich zu ihm hinüber und warf einen Blick auf das Bild, das eine durchaus hübsche, etwas üppige Blondine in einem sehr offenherzigen Dirndl zeigte. „Nicht schlecht, Alter, aber über `ne Partnerplattform? Wer weiß, wie die in echt ausschaut und was weißt du, über sie?“, meinte er und Niklas nahm verständnislos seinen Kopf zurück.
„Mann, Alter, jetzt mach aber mal `nen Punkt! Du und dein Polizistenmisstrauen! Einmal Bulle, immer Bulle, oder was?“, sagte er und verdrehte dabei seine Augen.
„Ich mein ja nur! Also ich, würde mich erstmal an einem neutralen Ort verabreden, zum ersten Date! Ins Kino, zum Essen oder so, halt unverfänglich! Was, wenn sie dir doch nicht gefällt? Oder sie die volle Nervensäge ist? Dann kannst du wenigstens danach abhauen“, meinte Jerry.
„So `n Quatsch! Wieso sollte sie mir nicht gefallen? Wir schreiben uns schon seit ein paar Wochen und ich finde sie echt geil! Ins Kino“, raunte Niklas kopfschüttelnd. „Mit so einer, geht ma nicht ins Kino, sondern in die Kiste! Ich will die flachlegen und nicht heiraten!“
„Wo lebt sie? Und wie heißt sie?“, bohrte Jerry dennoch nach.
„Irgendwo in Niederbayern, hinter Passau, in der Nähe der Grenze zu Österreich, in irgend so einem Kaff, ziemlich abgelegen. Ist wohl ein alter Bauernhof, den sie geerbt hat. Ich glaub, sie hat `ne Pension draus gemacht. Vermietet Fremdenzimmer, an Touris. Lissy Baierl, heißt sie. Wieso?“
„Nur so“, antwortete Jerry abwinkend, „hast wohl doch recht und mein Schnüffler Instinkt schlägt mal wieder durch“, sagte er flapsig und beide lachten auf.
„Oh Mann, Jerry! Aber echt, manchmal kann ich es immer noch nicht glauben, dass du Polizist geworden bist! Ausgerechnet du! Kriminalkommissar Jerome Anders! Und ich dachte immer, du wärst sicher Künstler geworden, Sänger oder Tänzer, nachdem du damals einfach nach München abgehauen bist! Weißt du noch, was das damals für ein Getratsche über dich war? Als du dir die Haare gefärbt hast? Rot!“, lachte Niklas sich krumm.
„Tja, mein Freund, C´est la vie! Hätte ich mir auch nicht träumen lassen, nie und nimmer!“, meinte Jerry, seinem Freund den Rücken klopfend und wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln.
„Hat mich echt umgehauen, als wir uns wiedergetroffen haben und du mir erzählt hast, dass du `n Bulle geworden bist!“
„Mich auch, dass kannst du mir glauben“, grinste Jerry zurück und trank sein Bier aus.
„Noch eins?“, fragte Niklas vergnügt, doch Jerry winkte verneinend ab.
„Lieber nicht! Bin mit dem Auto da und hab morgen Dienst, das verschieben wir wohl auf nächste Woche, ok?“
„Nichts da, Junge! Eins geht scho noch!“, rief Niklas ohne auf den Einwand achtend und bestellte neu.
Aus zwei Bieren wurden schließlich fünf und noch einige Schnäpse später, lagen sich die beiden lachend in den Armen und tanzten gekonnt zu einem neuen Hit eine Mischung aus Tango und schnellem Foxtrott, wobei sie vom lautstarken Gejohle der anderen Gäste begleitet wurden.
„Ich muss jetzt echt, nach Hause“, meinte Jerry, noch immer leicht lachend und nach Luft schnappend, als Niklas ihn nach einer letzten eleganten Drehung, aus seinen Armen entließ. „Werd mir wohl ein Taxi rufen müssen. Loisl, zahlen!“, rief er über die Theke hinweg und der Wirt nickte grinsend.
„Echt schad, dass du schon gehen musst“, lallte Niklas ihn an und zog ihn noch mal in eine kameradschaftliche Umarmung. „Bin echt froh, dass wir uns wiedergetroffen haben, hab das echt vermisst, die letzten Jahre“, sagte er in einem Anflug von Gefühlsduselei. „Bis nächste Woche, ja? Freu mich schon und dann quatschen wir mal wieder!“
„O ja, mein Freund! Und dann will ich alles wissen, über deine neue Eroberung“, erwiderte Jerry mit einem frechen Augenzwinkern, bezahlte seine Zeche und verabschiedete sich von seinem alten Kumpel.
Zuhause ließ er sich erstmal auf die alte Couch fallen und ließ sich den Abend noch mal durch den Kopf gehen. Niklas war schon ein richtiger Herzensbrecher! Ok, in ihrem Alter brauchte man sich gewiss noch nicht fest binden, allerdings, so musste er sich eingestehen, hätte er selbst schon gerne Jemanden, an seiner Seite. Jemand, der einfach für ihn da war, mit dem er über alles reden konnte und der ihn so nahm, wie er war. Mit all seinen Fehlern und Schwächen. Und, der mit seiner Vergangenheit zurechtkam.
„Hör auf zu träumen!“, murmelte er sich selbst zu, „so jemanden, gibt’s nicht!“ Ja, wer würde so einen wie ihn, schon haben wollen! Niemand! Niemand, würde ihn jemals so akzeptieren, wie er wirklich war!
Und trotzdem, schön wäre es schon, wenn er abends nach Hause kommen und jemand auf ihn warten würde. Mit dem er alles teilen konnte, Jemand, der ihn einfach nur festhalten würde und nicht bedrängte und, der, Verständnis dafür hätte, für ihn und sein verkorkstes Ich. Jemand, dem es nichts ausmachen würde, dass er so anders war.
Vielleicht sollte er doch einmal zu einem Therapeuten gehen und dem das alles erzählen, alles, was ihn so sehr quälte. Und vielleicht, würde der ihm endlich erklären können, was mit ihm los war und warum er so anders war.
Aber wie würde das dann aussehen? Wie würde er dann dastehen, vor seinen Kollegen, vor Malik? Die hätten sicher kein Verständnis, dafür und er hatte wirklich keine Lust darauf, als Psycho abgestempelt zu werden. In den Jahren, in denen er bei der Polizei arbeitete, hatte er oft genug mitbekommen, wie die meisten seiner Kollegen dort tickten! Er konnte sich noch gut genug daran erinnern, als sich mal einer von seinen früheren Mitanwärtern auf der Polizeischule als schwul geoutet hatte und wie die anderen darauf reagiert hatten. Nur mit Hohn und Spott und einige hatten dem damaligen Kollegen fortan regelrecht das Leben zur Hölle gemacht, bis der sich dann tatsächlich hatte versetzen lassen.
Dabei war er gar nicht schwul, er war einfach nur anders. Doch wie genau, dass wusste er selbst nicht. Eigentlich hatte das Geschlecht nie wirklich eine Rolle für ihn gespielt und er hatte immer nur den Menschen gesehen, der dahintersteckte, wenn er denn mal jemanden kennengelernt hatte, für den er sich wirklich hätte interessieren können. Und, mit dem er sich mehr hätte vorstellen können, vielleicht sogar ein gemeinsames Leben… Warum, konnte er nicht einfach so sein, wie alle anderen? Wenn er selbst nicht mal verstand, wie er tickte, wie sollten es dann erst seine Mitmenschen kapieren? Die würden ihn fertigmachen!
Nein, das wollte er wirklich nicht, alles, was er wollte, war in Ruhe gelassen zu werden. Vielleicht sollte er sich eine Katze anschaffen, dann wäre er wenigstens nicht mehr ganz so allein.
*
Die nächsten Tage verliefen alle im selben Trott, nur mit dem Unterschied, dass Malik eine kühle Distanz zwischen ihnen aufgebaut hatte, was Jerry nur recht war. Ihre einzige Unterhaltung belief sich von nun an ausschließlich rein dienstlich und beide verloren kein Wort mehr, über ihre Privatleben, was er, wie er insgeheim zugeben musste, doch ein Wenig bedauerte. Er hatte immer gerne dabei zugehört, wenn Malik über seine große Familie gesprochen und ihm so manche amüsante Anekdote über sie erzählt hatte. Über die Großeltern, seine drei Schwestern und deren Ehemännern, seinen Eltern, die sich immer so liebevoll zankten, oder irgendwelchen anderen Verwandten, die gerade mal wieder geheiratet oder ein Kind bekommen hatten. Malik war der einzige Sohn und noch dazu der jüngste in seiner Familie und wurde von seinen Eltern und seinen Schwestern geradezu abgöttisch geliebt und umsorgt, obwohl der bereits neunundzwanzig Jahre alt war. Immer wieder hatten sie versucht, bisher vergebens, ihn zu verkuppeln, natürlich ebenfalls mit einer Perserin, meistens eine entfernte Cousine, was Malik jedes Mal wieder aufs Neue zur Weißglut trieb. Und doch, liebte auch er seinen Clan, wie er es nannte, über alles und wohnte sogar noch zu Hause, bei seinen Eltern.
Ja, Jerry wusste alles, über seinen Partner, kannte die Namen von dessen Familienangehörigen und wusste über jeden, noch so kleinen und unbedeutenden Vorfall in dessen Familie Bescheid. Oftmals hatte er sich dann gewünscht, auch ein so behütetes Leben inmitten einer so liebevollen Familie zu führen und doch hatte er stets unter irgendeinem Vorwand die regelmäßigen Einladungen zu einem der vielen Familienfeste oder auch nur zu einem Grillabend bei Maliks Eltern, abgesagt.
Ohne es bewusst mitzubekommen, saß er nun schon fast eine halbe Stunde nur so da und starrte grübelnd auf den schwarzen Bildschirm vor sich, der längst in den Energiesparmodus gefahren war. „Ist das jetzt deine neue Art, die Zeit hier totzuschlagen?“, riss ihn Maliks Stimme zurück in die Wirklichkeit.
„Was?“
„Du sitzt jetzt schon `ne Ewigkeit so da und starrst den leeren Bildschirm an! Alles klar?“
Jerry nickte langsam. „Ja, alles klar“, antwortete er monoton.
„Ja, sicher, wie immer!“, raunte Malik noch, drehte sich um und ging.
Jerry blickte ihm nach, nahm sein Smartphone und wählte Niklas` Nummer. Er hatte schon mehrmals versucht ihn in den letzten Tagen zu erreichen, doch nie war sein alter Freund rangegangen und schließlich war das Handy sogar ganz ausgeschaltet gewesen, genau wie jetzt. Seltsam, dachte er, langsam den Kopf schüttelnd und spielte gedankenverloren mit dem Handy auf dem Tisch herum. Morgen war Freitag und sie hatten sich doch für dieses Wochenende verabredet, wieso ging Niklas nicht ran? `Bitte melde dich´, schrieb er zum wiederholten Male und machte sich schließlich selbst auf den Heimweg.
Am Wochenende fuhr er mehrmals zur Wohnung seines Freundes, klingelte und klopfte an dessen Haustür, ohne Ergebnis und befragte sogar eine Nachbarin, die auf der gleichen Etage wohnte, über Niklas` verbleib, doch die wusste nichts darüber und erzählte ihm nur, dass sie Niklas das letzte Mal wohl vor etwa zwei Wochen gesehen hätte, aber dass das bei dem normal sei, da der beruflich immer viel unterwegs wäre.
Trotzdem. Jerry wurde das Gefühl nicht los, dass da irgendetwas nicht stimmte. Niklas hätte ihm doch zumindest abgesagt, da war er sich vollkommen sicher! Und warum ging er nicht ans Handy? Am Montagmorgen, war er bereits sehr früh zur Arbeit gefahren und wartete nun voller Ungeduld auf Malik. Er hatte sogar schon frischen Kaffee gemacht und schenkte sich gerade eine Tasse voll, als sein Kollege endlich hereinkam.
„Was`n mit dir los? Schon da, oder verbringst du jetzt schon deine Wochenenden hier?“, fragte Malik höhnisch und nahm sich seinen Becher aus dem Regal.
„Nein, bin heute einfach mal früher dran, konnte nicht schlafen“, brummte Jerry und ärgerte sich mal wieder über Maliks neuerdings so feindseligen Tonfall. Ok, vielleicht hatte er es wirklich nicht anders verdient, schließlich war er selbst nie so richtig freundlich zu dem gewesen. Aber doch nur… Ja, warum eigentlich? Um sich selbst zu schützen! Wovor? Romy.
„Ich hab Kaffee gemacht, mit einer Prise Zimt und Kardamom, so wie du ihn gerne magst“, kam es wirklich freundlich, fast ein Wenig einschmeichelnd, über Jerrys Lippen.
„Was sind das denn für neue Töne? Hey, ich hab heute nicht Geburtstag und selbst wenn, hat`s dich eh nie interessiert!“, erwiderte Malik angesäuert und schenkte sich seine Tasse voll.
Jerry zog betreten den Kopf ein, doch dann schnaufte er tief durch. „Du Malik, können wir reden?“, fragte er vorsichtig.
„Klar, obwohl ich nicht wüsste, worüber“, kam es ziemlich barsch zurück. „Es sei denn, dass du was Neues über den Joggerinnen Fall weißt! Warst jetzt noch a mal, bei der?“
Jerry schüttelte den Kopf. „Lass uns ins Büro gehen, ja“, überging Jerry die neuerliche Provokation und ließ Malik vorgehen, der sich auch gleich in seinen Bürostuhl setzte, sich zurücklehnte und die Hände gelassen hinter dem Kopf verschränkte, was ihn ziemlich arrogant wirken ließ.
Jerry ließ sich nichts anmerken, obwohl er langsam anfing, innerlich zu kochen und setzte sich ihm gegenüber, in seinen eigenen Stuhl.
„Also, schieß los“, sagte Malik eher gelangweilt und trank von seinem Kaffee.
„Ich vermisse meinen Freund“, fing Jerry an und Malik hob auch gleich beide Augenbrauen. „Nein, schmarrn, net so!“, sagte Jerry schnell und hob abwehrend die Hände. „Also, ich meine, ich vermisse ihn anders, ich möchte ihn als vermisst melden!“
„Ach, und warum?“
„Weil er weg ist? Was fragst `n so blöd! Hör zu, Malik, es ist mein Ernst! Also nochmal, mein Freund, ein Freund, und ich…“
„Du hast tatsächlich einen Freund?“, unterbrach Malik ihn höchst überrascht und Jerry holte tief Luft.
„Stell dir vor! Lässt du mich jetzt ausreden?“
„Klar! Ich meinte ja nur, also der muss echt gute Nerven haben und eine Engelsgeduld, wenn er dich Kotzbrocken zu seinen Freunden zählt“, meinte Malik gelassen.
„Ok! Ich hab`s kapiert, ja? Hörst du mir jetzt zu?“, schnauzte Jerry zurück. „Also, er heißt Niklas Brunner, ist ein alter Schulfreund von mir und wir sehen uns ab und zu mal. Letztes Wochenende, hatten wir eigentlich eine Verabredung, doch ich konnte ihn einfach nicht erreichen! Seit drei Tagen, versuche ich ihn anzurufen und war auch schon bei ihm zuhause, aber nichts rührt sich! Da stimmt was nicht, hast du verstanden?“
„Klar, ich bin weder taub, noch doof“, antwortete Malik unbeeindruckt.
„Aber anscheinend immer noch beleidigt“, brummte Jerry und sein Gegenüber zuckte die Achseln. „Man, Malik, jetzt krieg dich wieder ein! Ok, ich bin vielleicht nicht der netteste Kollege, aber wir haben doch immer gut zusammengearbeitet, oder?“, versuchte er es erneut, doch Malik zeigte ihm nach wie vor, die kalte Schulter.
„Und? Was geht das mich an?“
„Malik! Ich mache mir Sorgen, um ihn! Ich kenne ihn, er würde mich nicht einfach so versetzen! Er hätte mich angerufen, verstehst du? Ich möchte doch nur, der Sache nachgehen! Fahr mit mir zu seiner Wohnung und wir sehen mal nach, ok?“, sagte Jerry nun schon sehr bittend.
„Wie stellst du dir das vor, wir können doch nicht einfach die Tür aufbrechen“, meinte Malik verständnislos.
„Deswegen möchte ich ihn ja als vermisst melden und eine ganz offizielle Untersuchung durchführen. Du bist mein nächster Vorgesetzter, also bitte ich dich, darum“, erwiderte Jerry, jetzt schon sichtlich genervt.
Malik kratzte sich am Hinterkopf. „Na dann, erzähl mir mal was, über deinen `Freund´“, sagte er spöttisch und Jerry hatte das Gefühl, gleich zu platzen.
„Weißt du was, du kannst mich mal!“, schrie er plötzlich über den Schreibtisch hinweg, „du bist doch nichts weiter, als einer von diesen verwöhnten Prinzen! Dein ganzes Leben lang, bist du von deiner Familie verwöhnt und verhätschelt worden und denkst echt, dass die Sonne aus deinem Arsch scheint und dir alle Welt zu Füßen liegt! Du sagst, dass du mich die letzten drei Jahre ertragen musstest? Ha! Und was ist mit mir? Jeden Tag, musste ich deine scheiß gute Laune ertragen, schon am frühen Morgen! Ich bin nun mal kein Frühaufsteher und trotzdem habe ich nie gemeckert und habe dieses arabische Gedudel ertragen, wenn wir im Auto unterwegs waren! Und dann singst du auch noch, dazu! Und wie! Völlig falsch, du triffst nicht einen Ton und manchmal hätte ich mir am liebsten die Ohren zugehalten!“
„Ach!“, brüllte Malik zurück, „aber du, singst besser! Hm?“
„O ja! Bei weitem, das sage ich dir! Mein Freund, ich, kann singen!“, brüllte Jerry und lehnte sich dabei über den Tisch.
„Du singst?“, kam es verdutzt zurück.
„Ja, o ja! Nein! Nicht mehr, aber…“, Jerry setzte sich wieder zurück und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, „ist doch egal“, brummte er und schnaufte tief durch.
„Warum hast du nie was gesagt? Wir müssen nicht meine Musik hören“, meinte Malik völlig überrascht.
„Ich hab ja auch nichts dagegen, echt nicht“, antwortete Jerry einlenkend.
„Nur, gegen meinen Gesang, hm?“
Ein kleines Lächeln ließ Jerrys Mundwinkel nach oben zucken und er hob die Schultern. „Und vielleicht, nicht so laut“, sagte er schmunzelnd. „Können wir jetzt über Niklas reden?“
„Ok, dann erzähl“, antwortete Malik grinsend und Jerry berichtete ihm die Details dazu.
„Hm“, machte Malik danach, stützte seine Ellenbogen auf den Tisch und legte die Fingerspitzen aneinander. „Das wird nicht reichen!“
„Und wieso?“ Jerry starrte ihn entgeistert an.
„Dein Kumpel ist ständig auf Achse, du sagtest, dass er als Einkäufer einer großen Weinhandlung arbeitet und oft auf Messen oder irgendwelchen Weingütern unterwegs ist, auch oft im Ausland. Vielleicht ist er ja einfach nur beruflich unterwegs und hat eure Verabredung einfach vergessen?“
Jerry schüttelte entschieden den Kopf. „Niemals! Er hätte mir wenigstens `ne Nachricht geschickt!“
„Vielleicht ist der Akku leer und er kann`s nicht aufladen?“
„Blödsinn!“, schnaubte Jerry und warf sich ärgerlich im Stuhl zurück.
„Die einzige Spur, die du hast, ist also diese Lissy und dass die echt scharf ist“, grübelte Malik vor sich hin und tippte dabei mit den Fingerspitzen gegen seinen Mund. „Die scharfe Lissy. Mehr nicht.“
„Deshalb möchte ich ja in seine Wohnung! Vielleicht finden wir ja was, über sie! Eine Nachricht, Adresse oder so“, meinte Jerry mal wieder genervt.
„Vielleicht hatte er ja einen Unfall?“
„Ich hab schon nachgeschaut, nichts, was am Wochenende oder davor, im Raum Passau gewesen wäre“, antwortete Jerry kopfschüttelnd.
„Ok, dann schau`n wir halt mal nach, wenn´s dich beruhigt“, sagte Malik endlich.
„Danke!“, rief Jerry erleichtert aus und sprang auch schon auf.
Malik erhob sich seufzend, nahm seine Jacke und folgte ihm leise, arabisch schimpfend, nach.
Während der Fahrt, schwiegen sie die meiste Zeit über, Jerry saß am Steuer und Malik beobachtete ihn grübelnd. „Is was?“, fragte Jerry schließlich.
„Nein!“
„Kannst ruhig Musik anmachen“, brummte Jerry.
„Naa, mag nicht“, brummte Malik zurück und sah aus dem Fenster.
„Boah! Beleidigte Leberwurscht!“
Malik zuckte nur die Schultern und verschränkte die Arme vor der Brust. „Hättest ja einfach mal den Mund aufmachen können, wenn`s dich stört.“
„Hab ich nie gesagt!“
„Naa, gebrüllt hast es! Du hast mich angeschrien“, brummte Malik beleidigt und Jerry stieß genervt die Luft aus.
„Meinst nicht, dass es jetzt langsam wieder gut ist! Ich meinte deine Singerei!“
„Dann sing ich halt nicht mehr! Und du, wo hast du denn so, gesungen?“
„Im Kirchenchor!“
„Ach! Und jetzt?“
„Sing ich nicht mehr!“
„Warum?“
„Weil ich da nicht mehr reingepasst habe, damals, rein Optisch gesehen.“
„Ach, echt?“
„Ja! So, wir sind da! Da wohnt er“, sagte Jerry und deutete auf das gepflegte Wohnhaus.
„Na Gott sei Dank, ist des nicht bei dir, in der Nähe“, murmelte Malik und beide stiegen aus.
„Was soll`n das wieder heißen?“, fragte Jerry empört nach und erntete nur einen vielsagenden Blick.
„Lass mich reden“, meinte Malik, als sie vor der Haustür standen. „Also, erstmal läuten wir bei ihm, ok?“
Jerry nickte nur und nachdem sich nach mehrmaligen Klingeln nichts rührte, läutete Malik an einer anderen Klingel und der Türöffner summte. Beide traten ein und ein älterer Mann lugte aus der Parterrewohnung.
„Grüß Gott, wir sind von der Kriminalpolizei und würden Ihnen gerne ein paar Fragen stellen, zu Ihrem Nachbarn, dem Herrn Brunner. Kennen Sie den?“, fragte Malik höflich.
„Woos! Die Kriminalpolizei!“, kam es völlig schockiert aus dem Mund des Rentners, der die Augen genauso aufriss, wie seine Wohnungstür.
Malik hob sofort beschwichtigend beide Hände. „Jetzt erschrecken`s nicht, ist nur eine Routineuntersuchung!“
„Hat der Brunner was ausgefressen? Des hab ich immer gewusst, dass der was auf dem Kerbholz hat!“
„Nein! Wir suchen ihn nur, weil wir ihn was fragen wollen“, antwortete Malik und Jerry verdrehte die Augen. „Also, wissen Sie vielleicht, wo der gerade ist?“
„Naa! Aber der ist eh ständig unterwegs“, antwortete der Mann und deutete nach oben. „Aber die Mayer, die weiß eventuell was, die kümmert sich immer um sei Wohnung, wenn er nicht da ist und gießt die Blumen.“
„Ja, des ist ja sehr schön! Danke, vielmals“, meinte Malik lächelnd und wandte sich zur Treppe um, die Jerry schon hinauflief. Erst vor der Tür, an der ein etwas vertrockneter und vergilbter Hopfenkranz hing und in dessen Mitte groß `Mayer´ stand, hatte er ihn eingeholt und warf ihm wieder einmal einen seiner vorwurfsvollen Blicke zu. „Hättest ja warten können!“
„Jetzt bist ja da, ich hab schon geklingelt“, erwiderte Jerry zynisch und baute sich vor ihm auf. „Jetzt red` ich, klar?“
Die Türe öffnete sich einen Spalt und eine dickliche Frau spähte misstrauisch heraus. „Ja?“
„Grüß Gott!“
„Grüß Gott, san Sie von der Telekom? Endlich! Mei Fernseher geht gar nicht mehr!“, legte die Frau los und Jerry musste zwangsläufig lachen.
„Nein, wir sind von der Polizei, erschrecken`s nicht, es ist nichts passiert, wir wollen Ihnen nur ein paar Fragen stellen, wegen Ihrem Nachbarn, dem Herrn Brunner, der geht seit ein paar Tagen ab und der nette Herr von unten, meinte, dass Sie uns vielleicht weiterhelfen könnten“, sagte Malik schnell und schob sich vor Jerry.
„Der da unten, nett? Ha, dass ich net lache! Der oide Grisgram“, meckerte Frau Mayer und machte eine abwertende Kopfbewegung nach unten. „Dann sind Sie wieder nicht, von der Telekom? Polizei? Ja, warum des? Der Herr Brunner ist ein ganz Netter, der hat sicher nix angestellt, des sag ich Ihnen! Aber der da unten, der macht immer nur Ärger und hat Streit, mit dem ganzen Haus, weil er nix mit sich anzufangen weiß, seit er in Rente ist!“
„Ach! Ja, also, dürfen wir Ihnen ein paar Fragen stellen?“, meinte Malik verdattert und die Mayer nickte. „Ja, ähm, Sie gießen die Blumen, von dem Herrn Brunner, wenn er nicht da ist? Haben Sie vielleicht einen Schlüssel, zu seiner Wohnung?“
„Naa, hab i net, den gibt er mir nur, wenn er verreist! Wissen`s, der Herr Brunner handelt mit Wein und ist viel unterwegs und dann bringt er mir manchmal ein ganz besonderes Flascherl mit, des ist so ein netter, junger Mann, der Niklas! Und den da, den hab ich auch schon a mal hier gesehen, der war schon bei dem Niklas, übers Wochenende. Da ward`s aber sehr laut, ihr zwei“, sagte Frau Mayer tadelnd an Jerry gewandt und der zog unwillkürlich den Kopf ein.
„Entschuldigung, er hatte Geburtstag“, rechtfertigte er sich und Malik starrte ihn vorwurfsvoll an.
„Aha! So is des! Zu dem, gehst schon, zum Geburtstag!“, raunte er nickend und verschränkte trotzig die Arme vor seiner aufgeplusterten Brust.
„Jetzt geh, Malik, net jetzt!“, brummte Jerry genervt.
„Is scho gut! Dich lade ich eh nicht mehr ein!“
„Dann lasst es eben, in Zukunft, du Depp! Können wir jetzt fortfahren?“
Malik warf ihm noch einen tödlichen Blick zu und wandte sich wieder an Frau Mayer. „Hat der Brunner vielleicht irgendwas zu Ihnen gesagt, wo er hinwollte, also vorletztes Wochenende?“
„So ein Schmarrn! Du weißt doch, dass er zur Lissy wollte“, warf Jerry dazwischen.
„Jetzt halt a mal die Klappe! Ich red jetzt, kapiert!“, fuhr Malik ihn an. „Entschuldigung, aber der bringt mich manchmal zur Weißglut, des ist mein Kollege, wissen`s?“
Frau Mayer nickte entgeistert. „Also, der Niklas hat nix gesagt, dass er fortfahren wollte. Vorletztes Wochenende? Ja mei, des ist ja schlimm! So lange, ist der scho weg und keiner weiß was“, brabbelte sie entsetzt. „Der arme Niklas, ja hoffentlich ist ihm nix passiert!“
„Sag ich doch, genau, meine Rede“, grummelte Jerry vor sich hin.
„Ja, dann, danke schön, für Ihre Hilfe“, meinte Malik nur und zog Jerry am Ärmel hinter sich her, die Treppe hoch.
„So, und wie willst jetzt da reinkommen?“, fragte Jerry überheblich.
„Weiß net, vielleicht hamma Glück und die Tür ist nur zugezogen? Ich versuch`s mal, mit `ner Karte“, sagte er und kramte in seiner Brieftasche herum.
„Geh, des funktioniert doch eh nicht! Des geht immer nur im Film!“, meinte Jerry.
„Jetzt lass mich halt, wollte des schon immer mal ausprobieren“, erwiderte Malik und nestelte vergeblich an der Tür herum.
„War wohl nix“, grinste Jerry ihn an und Malik gab auf. „Und jetzt, Herr Oberkommissar?“
„Warte mal, ich hätte noch `ne andere Idee“, murmelte der und holte ein kleines Etui aus seiner Tasche. Als er es öffnete, machte Jerry große Augen und trat einen Schritt zurück.
„Was is`n das? Einbrechereinstiegsset, oder was?“, sagte er und Malik zog ihm eine Grimasse.
„Hab ich mal geschenkt bekommen, von einem Bekannten“, murmelte er nur und versuchte den ersten Dietrich.
„Persischer Schlüsseldienst, hm?“, brummte Jerry, doch Malik kümmerte sich nicht weiter darum. Er versuchte es erneut und die Türe ging auf.
„Was sagst jetzt, ha?“
„Naturtalent, würd` ich sagen“, meinte Jerry und stieß die Wohnungstüre ganz auf. „Niklas?“, rief er und beide betraten vorsichtig die Wohnung.
„Der ist nicht da“, raunte Malik und sah sich um. „Und des schon seit längerem!“, meinte er dann und deutete auf die Fensterbank.
„Hm?“
„Die Blumen, des sieht man doch, dass die schon länger nicht gegossen worden sind, die lassen schon die Blätter hängen!“
„Ach! Ok, lass uns mal nachsehen, vielleicht finden wir was“, erwiderte Jerry und beide machten sich ans Werk.
Nachdem sie die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt und sämtliche Schubladen durchwühlt hatten, trafen sie sich schließlich wieder im Wohnzimmer. „Also nach einem Einbruch, sieht des nicht aus“, meinte Malik nachdenklich.
„Jedenfalls nicht, bevor wir hier waren“, grinste Jerry und begann den Laptop abzukabeln.
„Was machst denn da? Den darfst du aber nicht mitnehmen!“, sagte Malik.
„Wieso nicht? Ich borg ihn mir nur! Schließlich ist Niklas mein Freund und ich geb` ihm den dann zurück, wenn er wieder auftaucht“, antwortete Jerry achselzuckend und rollte das Kabel zusammen.
„Sollen wir vielleicht noch die Blumen gießen?“, fragte Malik und betrachtete mitleidig die welken Pflanzen.
„Spinnst jetzt, wieso?“
„Weil die sonst eingehen? Die armen Dinger, geht ja nicht jeder so lieblos um, mit seinen Pflanzen, wie du“, sagte Malik vorwurfsvoll.
„Was meinst jetzt wieder?“, wollte Jerry schnippisch wissen.
„Dein Gummibaum! Der schaut echt aus, wie ein Todeskandidat!“
„Was is des? Ein Gummibaum? Die blöde Staud`n?“
„Ja, Ficus Elastica! Gehört zur Familie der Feigen“, antwortete Malik besserwisserisch.
„Echt jetzt? Woher weißt`n du sowas?“, fragte Jerry verblüfft.
„Weil ich dir den geschenkt hab! Als du bei uns angefangen hast, als Willkommensgeschenk!“, zischte Malik.
„Des hässliche Ding, ist von dir? Kann mich gar nicht erinnern!“
„Ja, weil du besoffen warst!“, knallte Malik ihm hin, marschierte in die Küche, holte eine Gießkanne und begann die Blumen ordentlich zu wässern.
„Du spinnst echt!“, murmelte Jerry verständnislos und fläzte sich in einen Sessel. „Bist du bald fertig? Ich hab Hunger!“
„Ja, gleich! So, ihr Armen, jetzt habt ihr erstmal genug zu trinken“, meinte er freundlich an die Pflanzen gerichtet und Jerry verdrehte kopfschüttelnd die Augen.
„Können wir jetzt was Essen gehen?“
„Ja, klar, wie wäre es mit Döner?“, erwiderte Malik begeistert.
„Nicht schon wieder!“, maulte Jerry und klemmte sich den Laptop unter den Arm. „Können wir nicht mal woanders essen?“, fragte er gequält, als sie beide zum Ausgang schlenderten.
„Was hast`n gegen Döner? Ich dachte, du magst Döner?“, fragte Malik überrascht und zog die Tür hinter sie zu.
„Aber nicht ständig! Tag ein, Tag aus, jedes Mal, wenn wir unterwegs sind, gibt’s Döner! Können wir nicht mal, zum Macy gehen?“, nörgelte er, während sie die Treppe hinabstiegen.
„Ich mag des Zeug aber nicht! Ich esse keine Hamburger!“, sagte Malik angewidert, „da wird man fett von!“
„Und von Döner nicht, oder?“, grinste Jerry, legte den Laptop auf die Rücksitzbank und stieg mit Malik ins Auto. „Dann iss halt mal einen Chickenburger, oder `nen Fischmac!“
„Ich mag keinen Fisch! Ich mag gar nichts, von dem Zeug“, sagte Malik trotzig und Jerry verschränkte die Arme, vor seiner Brust.
„Weißt du was, jetzt reicht`s mir endgültig! Du sagst, ich wäre ein Kotzbrocken und dass du ständig meine Launen ertragen müsstest! Und du? Du nörgelst ständig herum, magst dies nicht und isst das nicht und ständig dein, das darf ich nicht essen, wegen meiner Religion und so weiter! Ich, muss und soll, ständig auf dich Rücksicht nehmen! Dabei führst du dich doch hier auf, wie die größte Diva! Und erst, wenn du deinen Ramadan hast! Dann bist du kaum zu ertragen, weißt du das?!“, schnauzte er Malik an.
„Ach ja? Na dann, entschuldige bitte vielmals, dass ich meine Religion wenigstens halbwegs zelebriere! Du glaubst doch eh, an gar nichts! Aber bitte schön, dann werde ich beim nächsten Ramadan halt Nachtdienst machen!“, keifte Malik zurück.
„Oh, super Idee! Dann muss ich dich da wenigstens nicht mehr ertragen, scheiß Perser!“, schrie Jerry und startete den Wagen.
„Ok, scheiß Deutscher! Bitte schön, abgemacht! Und jetzt?“
„Fahren wir zur Dönerbude!“
*
Als Jerry am Abend in seine Wohnung kam, goss er zunächst einmal den verkümmerten Gummibaum und schloss anschließend Niklas` Laptop wieder an. Stundenlang versuchte er vergebens das Passwort zu knacken und gab schließlich frustriert auf. „Wo steckst du nur?“, murmelte er übermüdet und ging ins Bett.
Am nächsten Tag nahm er Niklas` Laptop mit ins Büro und versuchte weiterhin verzweifelt, sehr zu Maliks Unmut, das Ding zum Laufen zu bringen.
„Das bringt doch nichts“, sagte der schließlich und Jerry blickte auf.
„Ich probiere es wenigstens, während du immer nur rummeckerst!“, keifte er über den Schreibtisch.
„Jetzt hör mal, ich hab mit Peter geredet und der hat auch gesagt, dass wir im Grunde genommen nichts unternehmen können. Dein Freund kann sich sonstwo rumtreiben! Aber wenn es dich beruhigt, ich habe mal bei seiner Familie angerufen und die haben mir gesagt, dass er sich noch letzte Woche bei ihnen gemeldet hätte“, sagte Malik beruhigend und Jerry fuhr hoch.
„Wie bitte? Und das sagst du mir erst jetzt? Wann?“
„Heute Morgen!“
„Nein! Wann, hat er sich gemeldet?“, hakte Jerry aufgebracht nach.
„Letzten Dienstag, also genau vor einer Woche, und da klang er ziemlich gesund und munter und hätte seiner Mutter gesagt, dass er jemanden kennengelernt hätte und so weiter. Kann doch sein, dass dein Kumpel einfach mal ein paar Tage Auszeit nimmt und sich mit der Tussi prächtig amüsiert!“
„Nie und nimmer! Niklas hätte sich bei mir gemeldet!“, beharrte Jerry weiterhin auf seine Meinung und Malik lehnte sich kopfschüttelnd zurück.
„Jerry, ich sag das nicht gerne, aber es reicht! Ja, ich bin dein direkter Vorgesetzter und ich sage, jetzt ist Schluss! Wir haben noch andere Sachen zu erledigen und nachzugehen! Echte Fälle, kapiert? Und du wirst jetzt gleich, damit loslegen! Die Sache mit der Joggerin, zum Beispiel!“
„Das machst du doch nur, um mir eins auszuwischen! Und weißt du was? Du kannst mich mal, ich nehme ab morgen, meinen Urlaub!“, brüllte Jerry ihm ins Gesicht, stand abrupt auf und verließ die Tür hinter sich zuknallend, das Büro.
„So eine verdammte Scheiße“, schimpfte er noch vor sich hin, als er den Parkplatz überquerte und vor Wut kochend direkt nach Hause fuhr.
Als erstes machte er sich ein Bier auf, dann warf er sich auf die Couch und starrte zunächst nur minutenlang sein Handy an. Er wischte über das Display und klickte auf Playstore, um sich die gleiche Flirt-App, die Niklas benutzt hatte, herunterzuladen und durchsuchte eine Zeitlang die verschiedenen Seiten, der weiblichen Nutzer.
„Bingo“, knurrte er schließlich und machte einen Schluck von seinem dritten Bier. Da war sie, er hatte sie endlich gefunden. Lissy!
Dieses Luder hatte ihren Account noch nicht mal gelöscht und schien weiterhin munter nach einem passenden Dating-Partner zu suchen! Jerry musste also nur noch Kontakt mit ihr aufnehmen und das tat er auch augenblicklich.
„Und auf sowas, stehst du?“, murmelte er vor sich hin, als er sich die restlichen Fotos, die Lissy gepostet hatte, ansah. Eines zeigte sie in sehr knappen Dessous im Heu, ein anderes ließ von hinten erkennen, dass sie keine Unterwäsche, oder nur einen Tanga unter dem Mini-Dirndl trug und er betrachtete mit Abscheu ihre prallen, fast fetten, Arschbacken. Irgendwie erinnerten ihn diese Bilder an diese früheren, schlechtgemachten `Auf der Alm, da gibt’s koa Sünd´ Pornofilmchen aus den Siebzigern und er musste zwangsläufig schmunzeln. Kurzerhand machte er ein Selfie von sich und schickte es an die angegebene Mailadresse. Jetzt konnte er nur noch abwarten, er trank sein Bier aus und legte sich schlafen.