Читать книгу Ich wünsche mir ... einen Prinzen - Rachel Hauck, Rachel Hauck - Страница 6
ОглавлениеProlog
Königreich Brighton
1834
Es war eine mondlose Nacht, tintenschwarz, kein einziger Stern funkelte am Firmament. Schnee stob durch die kalte, frische Luft.
Die Alten nannten eine solche Finsternis den Stiefel Gottes. Aber für Prinz Michael gab es keine Dunkelheit. Der Glanz der Gaslaternen, die die Palastanlagen säumten, und die hell strahlende Liebe in seinem Herzen leuchteten ihm den Weg.
Lady Charlene war eine Herausforderung. Und er beabsichtigte, sich dieser zu stellen.
Michael rannte außerhalb der Reichweite des Lichts entlang. Sein Ziel war die Pembroke Chapel und ihr berüchtigter Glockenturm.
„Mick, alter Kamerad, was ist denn mit dir los?“, erklang hinter ihm die Stimme seines Freundes Paulson. „Die Musik, das Essen, das gute Bier und all die hübschen Damen sind hinten im Ballsaal. Letztere warten darauf, dass wir mit ihnen tanzen.“
„Halt mich nicht auf, Pauls. Ich habe vor, die Glocke zu läuten.“ Michael mühte sich an dem schweren Eisenriegel der Pforte des Glockenturms ab, bis sie aufsprang.
„Was? Du machst Witze. Und welche nichts ahnende Dame wird das Objekt deiner unerwünschten Zuneigung?“ Paulsons Schritte näherten sich. Er atmete schwer, und seine Laterne spendete etwas Licht.
„Wenn ich es dir sage, wo bleibt dann das Geheimnis?“ Michael begann, im Dunkeln die rutschigen Stufen des Glockenturms hinaufzusteigen. Er ertastete seinen Weg und versuchte, mit der Hand auf dem klapprigen Holzgeländer sein Gleichgewicht zu halten.
Heute Abend wollte er nichts lieber, als um Mitternacht die Glocke der Kapelle zu läuten – ganz der Tradition des Erntefests entsprechend –, um dadurch seine Liebe zu Lady Charlene sowie seine Absicht, sie am Weihnachtsmorgen zu heiraten, zu verkünden.
Einhundertundzweiundachtzig Stufen weiter würde er auf der Turmspitze ankommen.
Paulsons Stimme echote unter ihm. „Wenn du diese Glocke läutest, wird jeder wissen, wer deine Zukünftige ist. Du wirst nicht davonkommen, alter Knabe. Was ist mit deinem Vater? Der wird das eine oder andere zu sagen haben.“
„Der wird die Wahrheit am Weihnachtsmorgen herausfinden. Genau wie alle anderen auch. Wer bin ich, dass ich mit einer guten Tradition Brightons bräche, indem ich den Namen meiner Angebeteten schon vorher preisgebe?“
Oben angekommen, warf sich Michael gegen die Tür der Glockenkammer und zwang die rostigen Scharniere nachzugeben, bis er unter der vierhundert Jahre alten Glocke stand.
Paulson traf einen Augenblick später ein. Die Laterne baumelte in seiner Hand, und das goldene Licht spiegelte sich in seinem breiten Grinsen. „Da ist sie, deine Glocke. Was hält dich auf, mein Guter?“ Er zeigte auf den Glockenstrang. „Oder bist du wieder zu Verstand gekommen, als du dich gegen die Tür geworfen hast?“
„Der Strang …“ Michael ruckte an dem verdrillten Hanfseil, das an einem Haken in der Steinwand befestigt war. „Er rührt sich nicht. Er ist eingefroren.“
„Dem Himmel sei Dank, du bist gerettet.“
„Ich will nicht gerettet werden.“ Michael rieb entschlossen seine Hände, umklammerte das Seil und stemmte sich mit aller Kraft gegen den Zug.
„Mick, hör auf, denk nach. Was wirst du tun, wenn du die Glocke geläutet hast und dir bewusst wird, dass du die Frau heiraten musst, die du im Überschwang umwirbst? Brightons Traditionen sind bald so heilig wie die Heilige Schrift, will ich meinen. Du wirst es dir nicht mehr anders überlegen und dich auf Feigheit oder Derartiges berufen können.“
„Meine Füße sind hinreichend warm, besten Dank auch. Ich werde meine Angebetete am Weihnachtsmorgen in der Watchman Abbey heiraten. Wie es die Tradition verlangt. Es wird von meiner Seite her keinen Traditionsbruch geben. Und jetzt mach dich einmal nützlich. Hilf mir.“
Mit Paulsons Hilfe befreite Michael den Strang, der an einem Haken an der Wand befestigt war, als die herrlichen Kirchenglocken in Brightons Hauptstadt Cathedral City zu läuten begannen.
Wenn der letzte Ton verklungen war und den Anbruch eines neuen Tages verkündet hatte, das Ende der Ernte und den Beginn der Weihnachtszeit, würde Michael die Glocke der Kapelle läuten, und der Klang der einzelnen Glocke würde aller Welt sagen, dass es am Weihnachtsmorgen eine königliche Hochzeit geben würde.
Wenn denn der tapfere Prinz das Herz seiner schönen Maid gewinnen konnte.
„Du bist irre geworden, Mann.“ Paulson stampfte mit dem Fuß auf. Das Geräusch hallte in der frostigen Luft wider. „Wie viele arme Seelen, übrigens alles Prinzen und Adlige, sind diese Stufen heraufgeeilt? Und haben ihre wahre Liebe verkündet, nur um ohne Braut und, wenn ich das mal so sagen darf, ohne Stolz vor der Watchman Abbey zu warten, während die Presse sich über sie hermachte?“
Michael lehnte sich mit dem kalten Seil in seinen verschwitzten Händen an die Wand und zählte die Glockenschläge der Kathedralen der Stadt.
Vier … fünf …
„Mein Schicksal ist nicht wie das der anderen.“
„Hier ist doch irgendetwas im Gange. Heraus damit.“ Paulson stellte die Laterne auf dem Sims des zur Stadt hin offenen Fensterbogens ab. „Für wen läutet diese Glocke?“
„Charlene.“ Im flackernden Licht der Laterne erwiderte Michael den Blick seines Freundes. „Aber nun bist du zur Geheimhaltung verpflichtet. Kein Wort, zu niemand.“
Paulson trat Michael gegenüber, so nahe, dass er ihn beinahe anrempelte, und riss ihm das feuchte, abgenutzte Seil aus den Händen. „Lady Charlene of Clounnaught?“ Sein Gesichtsausdruck, sein Tonfall, seine Haltung passten sich schlagartig dem Gebäude an – wurden eiskalt, hart wie Stein. „Willst du mich herausfordern?“
Die Luft vibrierte im hallenden Glockengeläut der Kathedralen der Stadt.
Sechs … sieben …
„Dich herausfordern? Was um alles in der Welt …?“ Michael bekam den Strang zu fassen und nutzte all seine Kraft, um ihn Paulsons Händen zu entwinden. Doch ohne Erfolg.
„Charlene und ich sollen einander versprochen werden. Das weißt du doch.“
„Ich weiß nichts Derartiges. Wenn deine Worte wahr sind, warum hat dein Vater dann noch nichts angekündigt? Warum seid ihr euch dann noch nicht versprochen? Ihr seid beide volljährig.“
„Alles zu seiner Zeit. Ich habe zuerst noch wirtschaftliche Angelegenheiten zu klären und meine Position in der Anwaltskanzlei meines Vaters zu bedenken. Aber wenn du diese Glocke läutest, um Lady Charlene zu heiraten, befinden wir uns im Krieg, Mann.“
„Lass die Schlacht beginnen.“ Michael rammte Paulson, bekam das Seil zu fassen, während das Läuten der Stadtglocken ihn und den Turm in der Kälte der Nacht durchdrang.
Acht … neun … zehn …
Paulson, der Sohn des Earl of Granite, hob seine Hand an Michaels Kehle. „Ich werde dich bezwingen. Fordere mich nicht heraus.“
Unfähig zu atmen, stampfte Michael ihm verzweifelt auf den Fuß. Der gab den Prinzen mit einem Schmerzensschrei frei.
„Fordere du mich nicht heraus. Sie hat mir so gut wie gesagt, dass ich die Glocke läuten soll, weil sie mich heiraten will.“
„Ha! Trotzdem wird ihr Vater das letzte Wort haben.“ Elf … zwölf.
Ein letztes Mal erklangen die Glocken der großen Kathedralen der Stadt; ihr Läuten schallte laut über die Palastanlage.
„Ein Prinz gegen einen Earl? Ich glaube, sie gehört so gut wie sicher mir.“ Michael stieß Paulson die Hand vor die Brust. „Tritt beiseite, während ich die Glocke läute.“
Er umklammerte das dicke Seil und zog daran, indem er sich mit seinem ganzen Gewicht gegen das der Sechshundert-Pfund-Glocke stemmte und sie dadurch in Bewegung setzte. „Für Lady Charlene, für Lady Charlene.“
Paulson schaute durch die Fensterbögen. „Die Palasttüren öffnen sich. Ich kann das Leuchten aus dem Ballsaal sehen.“
Michael konzentrierte sich darauf, die Glocke zu läuten, zog am Glockenstrang, ließ ihn durch die Hände gleiten, zog wieder, und das Seil flog immer höher.
Der einzelne Glockenton klang heller und lauter.
„Menschen verlassen den Ballsaal.“ Paulson schnappte sich sein Licht und strebte zur Treppe. „Überall auf dem Gelände tauchen Laternen auf. Sie kommen hierher, Mann.“
Endlich war die Glocke in vollem Schwung. Michael ließ das Seil los und folgte dem schwankenden Laternenlicht.
„Aus dem Weg, Paulson, ich muss zuerst unten ankommen.“
„Nun gut, dann betrachte ich das als Herausforderung.“ Paulson wandte sich um und schubste Michael, sodass der gegen die Steinmauer fiel. Seine Füße glitten auf den Stufen aus, und er rang darum, das Geländer zu fassen zu bekommen und sein Gleichgewicht wiederzufinden.
„Bleib stehen!“ Michael fand seine Balance und tastete sich die tückische Treppe hinunter, an deren Ende das Licht verblasste. „Ich weiß, was du vorhast, und es wird nicht funktionieren, das sage ich dir gleich. Ich habe diese Glocke geläutet.“
Seit hundert Jahren läuteten Prinzen und Adlige mit vor Liebe überströmendem Herzen die Glocke. Diese Nacht gehörte ihm. Seiner Erklärung. Für Lady Charlene. Das würde er sich nicht von seinem sogenannten besten Freund rauben lassen.
Michaels Herz raste, während er die Treppe hinabeilte, sich bei jedem schlüpfrigen Schritt fangen musste, doch als er um eine Biegung kam, traf ihn ein harter Schlag auf dem Kopf. Mit schmerzverzerrtem Gesicht taumelte Michael gegen die Wand und versuchte mit aller Macht, sich aufrecht zu halten. „Paulson …“
„Muss ich mich wiederholen? Wir befinden uns im Krieg, Mick.“ Paulson beugte sich zu ihm vor. „Ich werde der Erste sein, der durch die Tür der Kapelle tritt …“
„Aus dem Weg!“ Ausatmend donnerte Michael seine Faust gegen Paulsons Unterkiefer. Der größere Mann krümmte sich und empfing den Schlag mit einem leisen Ächzen.
Doch es reichte. Michael schoss um ihn herum, fand aber keinen Halt auf dem glatten Stein. Er rutschte aus, fiel, ruderte mit den Armen …
Das Geländer … wenn er doch nur das Geländer erreichen könnte …
Seine Finger streiften das alte, ausgetrocknete Holz. Im Ausstrecken bekam Michael den Handlauf endlich zu fassen. Seine Hände fuhren über das Holz, Splitter bohrten sich in seine Haut. Als er zum Halten kam, holte er tief Luft und richtete sich auf.
„Paulson, wollen wir einen Pakt schließen?“ Michael suchte die tiefen Schatten hinter sich nach seinem Freund ab, während er erneut begann, die Treppe hinabzusteigen.
Doch der Stein betrog ihn ein weiteres Mal. Sein Stiefel glitt aus. Dann brachte ihn ein leichter Schubs von hinten noch mehr ins Taumeln, und er krachte seitlich in das kümmerliche Geländer. Unter seinem Gewicht knackte das Holz.
Das Geräusch berstenden Holzes füllte seine Ohren. Seine Brust dröhnte, als er kopfüber in das tiefe, schwarze Nichts des Glockenturms der Pembroke Chapel stürzte.