Читать книгу Wüsten-Berges-Himmels-Weiten - Rainar Nitzsche - Страница 7

Manfred verbrennt

Оглавление

Wüstennamen, die alle ohne Bedeutung sind für den, der fern von ihnen weilt, und für den, der mitten drin ist. Eine Wüste, die nur hier existiert – zu dieser Zeit an diesem Ort. Keine von diesen, etwas von allen, die es Dort Oben gibt und deren Namen die Stimme Manfred einflüstert: „Gobi, Tharr und Takla Makan“.

Wüstensand, Dünen, so weit das Auge reicht, für den, der fliegt. Gobi heißt Stein. Diese Wüste ist die Heimat brausender Stürme, ist Hitze bei Tag und Kälte bei Nacht. Sturm aber bedeutet: Die Sicht ist gleich Null. Und dann ist da noch der aus unterirdischen Quellen gespeiste wandernde See inmitten der Dünen. Wilde zweihöckrige Kamele schlank an Gestalt mit kurzem, braunen Haar leben hier in kleinen Gruppen von ein oder zwei Männern und drei bis fünf Frauen.

Voll scheint die Mondin über der Tharr . Eine Karawane von Kamelen zieht still dahin, so winzig in der Weite der Nacht. Jetzt sind es Dromedare. Einst aber, zur Zeit der Pharaonen, waren es noch Esel.

Takla Makan . Das heißt: „Geh hinein, und du kommst nie mehr heraus!“ Takla Makan, das ist der See des Todes. Längst im Sand versunken schlafen in ihr noch immer Steine und Mauern einer einst großen Menschenstadt. Zeichnungen von Tieren, die es in der Wüste nicht gibt: Es sind die Bilder von Wölfen. Einst führten hier die Wege der Seidenstraße von Ost nach West und West nach Ost - im Norden und im Süden an ihr vorbei, doch niemals mitten hindurch. Niemand wusste damals von dem Reichtum, der hier seit Äonen ruht und erst in ferner Zeit durch die Arbeit von Hunderttausenden von Menschen und gewaltigen Maschinen geborgen werden würde, niemand erahnte damals das Schwarze Gold mit Namen „Öl“.

LICHT! So grell, so hell!

Schon werden Manfreds Pupillen winzig klein, schließen sich die Lider von allein. Nichts ist starr. Alles ist Bewegung. So passt sich das Leben an. Also wächst auch dem Magier eine dunkle Haut, die einer Sonnenbrille gleich über seinen Augen liegt. Die Netzhaut bleibt geschützt, jetzt, wo sich seine Lider wieder öffnen.

Dunkel ist die Welt geworden – für einen Augenblick. Dann sehe ich wieder die Wüste ringsum und entdecke - keine Spur von Leben um diese Zeit an diesem Ort. Nichts als Steine und Sand. Sollte mich vergraben, denn unter der Erde ist es kühl, wie auch hoch oben in den Lüften. Auf der Oberfläche aber wird es hier und jetzt im Sommer von Minute zu Minute immer heißer. Sollte unter die Erde gehen oder mir Flügel wachsen lassen, als Geier aufsteigen und über der Wärme kreisen.

Kaum gedacht, geschieht es schon: Nein, nicht der Magier verwandelt sich, sondern die Temperatur steigt gewaltig an. Gnadenlos brennt der Sonn herab.

Schwarz wird Manfreds Haut.

Und dann? Ist er nun der Schwarze Mann? Schau, wie er wankt. Ob er wohl fällt? Warum verwandelt er sich nicht? Warum gräbt er sich nicht ein oder fliegt einfach davon? Ist das da überhaupt Manfred der Magier? Oder ist es der andere, der Schwarze, ER, der schwarz im Herzen, im Geist und in der Seele ist?

ER ist es nicht, der dort verbrennt. Es ist Manfred. Wie schwach er doch geworden ist! Scheint alt geworden zu sein. Die Arme erhoben, die Augen geschlossen, auf den Knien sitzt er hilflos da: so schwarz und still im Sand.

„Rê Atum Aton!“, ruft stumm meine Seele, denn Mund und Kehle und Lunge sind trocken und sprechen schon lange nicht mehr. „Vater, warum verbrennst du mich?“

Doch nichts geschieht, es ändert sich nichts.

So stehe ich mühsam wieder auf und taumle weiter durch die Feuerglut.

„Vater! Lösche dein Licht, denn ich verbrenne!“, bitte ich noch einmal und schaue nicht mehr zu Ihm auf, sondern habe längst meinen Blick hinab zur Erde gesenkt: „Mutter, schütze mich!“ Doch ich weiß, wie größenwahnsinnig mein Wunsch ist, weiß, dass weder Sonn noch Erde mir helfen können. Denn die Erde dreht sich und kreist, also geht der Sonn auf und unter. Und ist da auch ein wenig Wandel im Jahr - die Jahreszeiten, so ändert sich doch nichts von einem auf den anderen Augenblick, nur weil einer das mal eben will – und sei er auch der mächtigste Magier der Welt.

Also brennt der Sonn weiterhin vom Himmel, gibt es nirgendwo Wolken, rührt sich auch die Erde unter meinen Füßen nicht.

„Vater!“, stammle ich ein letztes Mal mit zur Seite ausgebreiteten Armen, wie so viele einst und andernorts am Kreuz, den Kopf in den Nacken geworfen. Dann falle ich nach hinten hinab – hinab - hinab, falle noch immer, schwebe im Zeitlupenfall der Erde zu, sehe sprudelnde Quellen von kühlem Nass - träume ich? - und lande doch nur im heißen Sand.

Irgendwo in mir sind Worte, die ich nicht verstehe. Sie werden gesungen, ein Lied sind sie, ein Reim in einer längst vergangenen Sprache. Etwas in mir spricht die magische Formel, die die Erde öffnet und die sinngemäß lautet: „Erdenmutter, hülle mich ein!“

Vieles brannte der Sonn von ihm ab: Kleidung, Haare und Haut - vom Gesicht zunächst und dann im Fallen von Oberkörper und Unterleib, schließlich von Beinen und Füßen.

Und so geschieht nicht das eine große, den Lauf der Gestirne verändernde, sondern ein anderes Wunder: Unser aller Mutter nimmt mich liebend in sich auf: Gaia, Terra, Erde öffnet sich mir.

Ich versinke in Kühle und Dunkelheit, ruhe nun geborgen in einer Kammer mit Wänden aus festgepresster Erde. Wasser steigt aus der Tiefe empor, aus dem Reservoir, das den Wandernden See speist. Wasser netzt meinen Körper, streichelt mich, kühlt und befeuchtet meinen Mund. Dann trinke ich langsam und ...

Erwache - also schlief ich ein!? - und liege erstarrt. Höre mein Herz immer langsamer schlagen. Mein Atem steht fast still. Sauerstoff strömt von irgendwoher. Ich atme ihn ein. Ich lebe. Nehme den Wind dort oben wahr, höre, wie er weißen Sand über der Stelle anhäuft, wo ich eben noch lag. Hier unten aber ruhe ich und erhole mich und warte, dass die Nacht beginnt. Langsam leert sich auch mein Geist. Doch noch sind da Träume - Wasserwüstennachtträume:

Fisch sein, im Wasser schwimmen nahe der Küste einer anderen Wüste mit Namen Atacama. Anchoveta heißt der Fisch. Einer im Schwarm bin ich. Schwarm werden, Schwarm sein im kalten Humboldtstrom.

Wandle mich in den Schnabel, verschmelze mit dem Körper des Kormorans, der mich eben erst fing und runterschluckte, lande auf der Insel, wo so viele von uns brüten. Schaue empor und kreise auch schon dort oben, segle als Kondor dahin über dem Meer und über der Wüste aus Sand, in der die langgepressten, weißen Schädel bleichen. Sehe mit scharfen Augen die Löcher in ihren Köpfen

„Die bohrten sich die Menschen selbst hinein, um böse Geister hinauszulassen“, flüstert die Stimme.

Leere Augenhöhlen, Nasenspalten. Kein Blut, doch rot sinkt der riesengroße Abendsonn herab, fällt lautlos ins Meer, das nun gelbrot leuchtet. Nacht bricht an, voll strahlt die Mondin, der Himmel ist klar, ein Sternenmeer.

Längst bin ich gelandet und sehe dicht vor mir, den Gecko Tautropfen von seinem Körper lecken.

Und was tue ich?

Ich verschmelze nicht mit der großen Echse, die den kleinen Gecko essen will, der jetzt den Käfer mit flinker Zunge fängt und sich dann verbirgt, denn es wird kalt. Für mich ist Kälte kein Problem, denn ich bin die Wüstenspringmaus. Winzige Hände sind da vor meinen Augen. Ach, wie klein ich doch geworden bin. So springe ich davon. Denn dort zieht mich etwas magisch an. Keine Pfütze, auch kein Teich, scheint eine schwarze Lache (Öl) zu sein. Ansonsten ist da nichts als Sand. Nacht, tiefste Nacht, Mitternacht. Hell liegt die Welt vor meinen Augen, die eine Scheibe beleuchtet.

Jetzt bin ich dort, sehe Schwärze, die sich zu drehen beginnt, Wirbel bilden sich dicht vor meinen Augen, Töne, fremde Klänge, ein Lied, das niemals Mäuse-, noch Menschenohren, -gehirn, -geist und -seele verstehen können. Für einen Augenblick ist da Flüssigkeit, die unter ihrem Licht wirbelnd zu verdampfen beginnt. Ich höre und sehe es, rieche und taste nichts und schreie. Nichts versteht meine Mäusegeist, doch Menschenmagierseele fühlt und weiß, wer es dort vor mir war und wer es ist, der jetzt dort singend im Wüstenwind der kühlen Nacht aufsteigt, sich wandelt zum Sturm, davonbraust übers weite Land.

Ist ER es, EINER von IHNEN, wenn es denn mehrere sind, vielleicht der, der/die vor langer Zeit einmal eine kleine Maus war, so wie ich es nun bin, damals vor Jahrmillionen, als ER das erste Mal das Meer verließ.

Nichts bleibt. Denn auch die Erinnerungen verblassen.

Alles ist Bewegung, Strom, und die Gegenwart nur ein Augenblick, hier wie andernorts und überall.

Das sehe ich, das denke ich, Menschen-Magier-Mäuserich. Dann – Schmerz!

Die Giftzähne der Sandrasselotter, die im lockeren Sand zuhause ist, sich darin versinken lassen kann und seitenwindend über ihn gleitet, deren Seitenschuppen zischend rasseln, diese Zähne haben nur einmal kurz zugebissen und sofort wieder losgelassen.

Springe davon, werde schwächer, kann mich nicht mehr verwandeln.

Alles dreht sich. Falle.

Sie aber, die da mucksmäus-, nein, mucks“schlangen“still lauerte, kommt nun züngelnd heran, hat ihr Opfer schon erreicht.

Einmal zucke ich wohl noch – schon bin ich tot und nehme doch noch irgendwie von oben/außen wahr, wie sie mich packt und dreht und mit dem Kopf voran in einem Stück verschlingt. Dann Wache auf in meiner Erdenwiege, erwache aus dem Alb, der wohl aus dem Feuerschock – verbrennen, brennendes Gift, Enge - geboren wurde. Also war alles nur ein Traum, also bin ich nicht tot. Denn nicht ER war es, der mich packte und verschlang – sondern eine Schlange, die die Maus fing, in die ich mich hineinversenkte.

Manfred schläft geborgen im Dunkel der Erde ein. Wieder träumt er, seine Augenlider zucken in Ihrem Schoß.

Grenzenlos erstreckt sich – nein, keine Meereswüste und auch kein Wüstenmeer aus Sand, grenzenlos erstreckt sich diese Ebene aus Kieselsteinen. Steine, so weit das Auge reicht! Fern am Horizont ist der Himmel rabenschwarz.

Stille.

Nichts lebt hier, denke ich, es sei denn winziges Leben zwischen und unter den Steinen. Oder Leben, das sich am Tag verbirgt und in der Nacht aus seinen Verstecken kriecht.

„Achtung Skorpion! Gift! Tritt nicht auf ihre Stachel! Denn vielleicht tötet sein Stich auch dich!“, spricht die Stimme in mir.

Leben, das nur in der Nacht erscheint, dachte ich doch gerade. Aber der Himmel über mir ist doch schon schwarz. Es ist Nacht. Und außer mir scheint hier nichts zu leben.

Irgendetwas lässt die Steine leuchten. Ja, mattweiße, graue Steine beginnen nun zu glühen.

Es ist - ich bin inmitten einer Ebene aus glühenden Kieselsteinen. Jetzt leuchten sie in allen Farben auf.

Ein Stein jedoch, ein Kieselstein unter all den Millionen ist schwarz. Einer, der anders ist als all die anderen, der aus der Reihe tanzt, der einfach spinnt? Ist der etwa so etwas wie ein Dichter unter den Menschen?

Den muss ich mir näher betrachten.

Schwebe ich also hin. Schon bin ich nahe, bücke mich, nähere mich mit meinen Augen an und – versinke nicht darin, das habe ich doch schon erlebt, auch wenn es damals eine Blüte war, sondern schwebe über der weiten, in allen Farben glühenden Ebene.

Und etwas quillt dort unten aus der Schwärze des einen Kiesels, steigt aus seinem Haus, seinen Träumen auf, etwas, das mich von dort unten nach oben vertrieb, nimmt Gestalt an.

Vor meinem geistigen Auge wird es zu einem spielenden Kind, einem kleinen, nackten Menschenkind.

Es ist noch ein Kind, doch hat es ein Geschlecht, also ist es kein Es und auch kein Er, sondern eine Sie.

Sie schaut mich lächelnd an. Ihre strahlend blauen Kinderaugen zeigen mir die Kieselwelt. Stolz blitzt aus ihnen, die gewaltig gewachsen sind, nun den Himmel berühren und tief in meine Seele schauen.

Mein“, sagen die Augen, und eine leise flüsternde Kinderstimme in mir singt die Worte mit heller, hoher Kinderstimme: „Meine Welt. Schau diese stille leere Welt. Sie ist mein. Alles in ihr gehört mir, denn es ist aus meinen Träumen geboren.“

Ein Wort nur aus ihrem Geist genügt, hier in ihrem Reich, um meiner Seele Form zu geben.

Ich sehe an mir herab: Jetzt bin ich ein nackter Menschenjunge, so klein, so groß wie sie.

„Komm!“, spricht sie und nimmt mich bei der Hand. „Komm mit mir und staune!“

So schreiten wir gemeinsam durch eine schweigende öde Welt aus grauen Steinen, die nur gelegentlich in allen Farben aufleuchten.

„Leben!“, singen unsere Stimmen in die Stille. Klänge werden zu Wassertropfen. Und Leben beginnt zu pulsieren, sprießt zwischen den Kieselsteinen empor. Blüten öffnen sich. Und dann entsteht und wächst in unseren Ohren ein Brummen, Summen – Tausende von Bienen, Hummeln, Wespen und Schwebfliegen. Falter taumeln von Blüte zu Blüte. Dieser Duft! Baldachin­spinnen beginnen ihre Fäden zu ziehen, warten bauchober unter ihren Netzdecken, Wespenspinnen weben ihre Stabilimente tragenden Radnetze zwischen den Gräsern, Krabbenspinnen lauern gut getarnt inmitten der Blütenpracht.

Staunend schreiten wir durch unsere leuchtende Welt.

Die Wüste ist gegangen.

Irgendwann winkst du mir zum Abschied zu, drehst dich rum und gehst.

Ich wache nicht auf. Jetzt ist Leere in mir. Leere ist Heilung. Stille. Sein. Ich bin und träume nicht, jetzt nicht.

Ich wache auf. Es ist dunkel. Ich bin müde, schließe meine Augen und ...

„Dschinn!“, so lautete das Wort, das eine Stimme im Traum sprach, aus dem ich gerade erwachte.

Wer war es, der da sprach? Er Dort Oben?

Und wer war er, zu dem die Stimme sprach, den ich jetzt in meinem Traum sehe?

War ich es selbst irgendwo und irgendwann?

Dies sind die Bilder, die mir noch blieben: Er, dessen Gesicht ich nicht sehen kann, verharrt, steht still und zieht sein Schwert aus den sich auffaltenden Räumen. Er hält es in beiden Händen, hebt es empor, weit nach hinten über sein leuchtendes Haupt. So steht er still, bereit zum Schlag.

Das Schwert dort oben über seinem Haupt beginnt zu glühen, wird weißes strahlendes Licht.

So wird die vollmondhelle Nacht an diesem einen Wüstenort selbst für Menschenaugen zum Tag.

Ich bin er. Also lautet der Name des Schwertes OM.

Seine/meine Hände brennen, schmerzen. Ich sehe ihm/mir zu. Ich bin er und bin es doch nicht.

Dampf steigt vom verschmorten Fleisch auf. Schwarz färben sich meine/seine Finger.

Doch ich lasse nicht los, ich schlage zu, lasse OM mit aller Kraft niedersausen.

Und der Schwarze Stein, der da so plötzlich wie aus dem nichts dicht vor mir erschien, zerbirst. Doch mit ihm zerspringt auch mein glühendes Schwert.

Ein grün leuchtendes Wesen schießt schreiend aus seinem Gefängnis heraus in die nun wieder schwarze Nacht.

Aha, habe ich es also befreit: nicht den Geist aus der Flasche, sondern den Dschinn aus dem Stein! Und da ich in der Wüste weile, ist es wohl ein Wüstengeist, auch Ghul genannt!? Der aber müsste eine Tiergestalt besitzen und ein Blutsauger oder Menschenesser sein.

Das leuchtend grüne Wesen kehrt zurück, lässt sich auf den schwelenden, qualmenden Trümmern aus Stein und Schwert nieder. Es, das ein Gestaltwandler zu sein scheint - ich sehe Nebel, Esel, Kamel, Ziege und Mensch, winkt mir zu, der ich mich langsam erhebe, staunend meine schwarzen Hände schaue und schließlich ein grünes Wesen erst winken, dann voll Dankbarkeit lachend im Dunkel entschwinden sehe.

Befreit aus dem Steingefängnis. Befreit aus dem Grab.

Alles endet irgendwann, also auch meine Wüstentraumreise. Ich wache auf, öffne meine Augen und ... alles ist schwarz, wie es sein soll bei Nacht. Doch nirgendwo ist da die Volle Mondin, kein einziger Stern, geschweige denn ein Sternenmeer strahlt da am klaren Wüstenhimmel.

Luft! Kann mich nicht bewegen. Krampfendes atmen, rasendes Herz.

Ruhe bewahren. Langsam atmen, ein und aus und ein ... Erst einmal nachdenken. Ach ja, fällt mir ein, die Erde zog mich hinab in ihren Schoß.

Aus der Erde steige ich wiedergeboren auf.

Ich sehe es in mir - und es geschieht.

Jetzt bin ich wieder auf der Erdoberfläche, liege auf dem Rücken im Sand. Es ist Nacht, eisig kalt hier in der Wüste. Strahlend hell erscheint mir die Welt für einen Augenblick: Mondin und Sterne. Wie wunderbar für den, der aus der Grabesschwärze kommt.

Ein wenig Wärme wäre jetzt ganz nützlich, denke ich. Und schon wächst mir ein Fell.

Ich stehe auf und drehe mich einmal im Kreis und sehe nun auch - blass und fern - sind meine Augen alt und schwach geworden? - meinen Leuchtenden Pfad weit nach Osten über flaches Land und Hügel hinweg und dann sich gegen Südwesten hin in Höchste Berge emporwinden.

Weiter geht’s. Weiter gehe ich nachts und ruhe am Tag.

Oder sollte ich dazu übergehen, meinen Körper gegen einen anderen einzuwechseln, zwei Körper alternierend zu tragen: einen für die Nacht, einen anderen für den Tag, um doppelt so schnell voranzukommen? Was aber wäre dann mit dem fehlenden Schlaf? Und warum überhaupt sollte ich es tun? Es eilt doch nicht.

„Wir sind doch hier nicht in Hollywood“, lacht die Stimme in mir.

Ich weiß, ich werde mein Ziel erreichen. Denn ich sehe meinen Weg vor mir. Dort leuchtet er noch immer in der Nacht.

Morgendämmern und schon ist Tag. Kein Sonnenbrillenschwarz mehr, diese Zeiten sind vorbei. Jetzt wähle ich mir für meine Haut die Farbe des Sandes. So färbt sie sich hell wie die Wüste, nicht um wie die Schlange getarnt zu sein, von der ich weiß, dass sie da lauert, deren herausschauende Augen ich aber nicht sehen kann, sondern um so viel Licht wie möglich zu reflektieren, um mich nur wenig aufzuheizen, um nicht zu viel zu schwitzen.

Doch mittags brennt der Sonn wieder erbarmungslos herab.

Jetzt muss ein anderer Körper her!

In dieser Wüste überlebt kein Mensch, ob Weißer oder Mongole, ob mit brauner oder weißer Haut, kein Mensch und auch kein Magier.

Was für ein Körper, von welchem Tier?

Da gibt es doch Tiere, die ... Ja, Kamele. Trampeltier oder Dromedar, das ist hier die Frage. Und ich entscheide mich für das einhöckrige Evolutionsmodell, verwandle mich in ein hervorragend an Trockenheit und Hitze angepasstes Dromedar.

Hier oben in Kopfeshöhe und auch noch rings um den Rumpf herum ist es nicht so heiß wie auf dem Wüstenboden. Nun gut, auch aufrecht gehende Menschen – ein Pluspunkt für den aufrechten Gang damals bei seiner Entstehung und heute – krabbeln nicht dort unten rum.

„Zumindest nicht, so lange sie genügend Wasser zum kühlenden Schwitzen haben, hahaha!“, lacht da wer - ER? - in mir.

Einen kühlen Kopf behalte ich als Dromedar, einen Kopf mit verschließbaren Nüstern. Dann ist da noch das Fett in meinem Höcker, aus dem mein Körper Wasser gewinnt. In Fettform lagert er Wasser ein, wenn ich Unmengen trinke. Ich weiß, dass ich viele Stunden am Tag laufen kann und zwei Wochen lang ohne Wasser auskomme, habe ich erst einmal zuvor hundert Liter getrunken. Ich weiß es, denn ich bin ein Menschenmagierkamel.

Ob auch die anderen Kamele dies alles wissen?

Nun, sie lernen und haben eine gutes Gedächtnis, sie müssen wissen, wo sie genügend Wasser finden. Finden sie es nicht, dann sterben sie. So einfach ist das.

Also wittere ich nun das Wasser. Oder erinnere ich mich daran? Doch woher sollten die Erinnerungen sein, war ich doch eben noch ein Mensch? Wie auch immer, ich bin schon dorthin unterwegs.

Und wieder wanke ich als Mensch - noch immer allein durch diese Wüste.

War ich nicht eben noch ein Dromedar? Fand ich das rettende Wasser und trank mich satt? War ich zu schwach, um noch immer ein Kamel zu sein? Was geschah danach? Ging ich in die richtige Richtung weiter?

Kann mich nur daran erinnern, dass ich schon einmal in dieser Wüste fast verbrannte - obwohl ich doch ein Drache bin, oder gerade deshalb!? - und mir weder der Sonn noch Er Dort Oben beim Überleben halfen. Allein die Erdenmutter war es, die mich in ihrem Schoß auffing, aus dem wir alle kommen, sie war es, die mir mein Leben wiedergab.

Doch nun?

Jetzt falle ich nicht verdurstend nieder, sondern bücke mich, fege mit meinen Händen den Sand zur Seite, setze mich in eine Mulde, die kühler ist, worin sich weder Schlangen winden noch Skorpione krabbeln, schließe meine Augen, stelle mir das Bild eines Zeltes vor

Ich öffne sie wieder - sitze im Schatten, im Innern eines weißen Zeltes. Saß eben noch, lege mich auch schon zur Mittagsruhe hin.

Muss wohl eingeschlafen sein, denn eben erwacht erinnere ich mich an den Traum, in dem – wen wundert’s – Unmengen von Wasser vorkommen: Regen, der in den Bergen fällt, sich sammelt zum Bach, zum Fluss aus Wasser, Staub und Stein. Dieser Strom rast heran und trägt mich fort – „die meisten Menschen ertrinken in der Wüste, sterben in Wadis“, flüstert die Stimme - weit hinaus in den Wüstensand. Dort setzt er mich ab und versiegt.

Regen fällt. Ich spüre die Tropfen an meinem Körper.

Ich öffne meine Augen und sehe die blühende Wüste, schaue von außen und bin zugleich im Innern Tausender Kakteenblüten.

Doch alles vergeht so rasch, wie es entstand.

Soweit das Auge reicht, wandert Sand über das Land. Der Himmel ist blau und wolkenlos, so klar. Stille über der Erde. Es brennt der Sonn. Keine Blüten, keine Pflanze, nirgendwo.

Nicht das Quietschen des Sandes unter meinen Fußen, das ist es nicht, doch ich weiß, dass es hier und jetzt kein aus einem termitenzerfressenen hohlen Baum gefertigtes Didgeridoo sein kann. Also spielt auch niemand die alte Melodie, die ich höre. Also ist da kein Mensch mit diesem Musikinstrument. Also ... ist es der Sand, der dieses dunkle Dröhnen, diese brummenden Töne noch immer singt. Milliarden rundgeschliffene Körner rutschen den Hang dieser gewaltigen Düne hinab. Jetzt fallen auch die anderen ein. Sie singen, jedes seinen eigenen Ton, alle zusammen aber bilden den Chor.

Wenige Ohren nur lauschen.

Längst verharrt ER in mir und lauscht am Fuß einer Düne, hört jetzt auch in der Ferne die anderen ihren Ton singen, der wie Glocken, Trompeten und Nebelhorn in Menschenohren klingt. Da ist ein Summen, Surren, Stöhnen und donnergleiches Knallen - die Welt ist Klang.

Das wr einst und irgendwo.

Wind weht.

Schon verweht ist diese akustische Fata Morgana. Ach, ich weiß es ja, ER weilt längst nicht mehr in heißen Wüsten, sondern durchschreitet nun die Kältewüsten weit entfernt von mir.

Ich aber bin in der Hitze gefangen, bleibe zum Befreiungsschlag mit aufgesprungenen Lippen und trockener Haut stehen, schließe meine Augen und breite meine Arme wie Vogelschwingen aus, schwebe, steige geistergleich ohne Flügelschlag mit der Hitze auf. Denn ich weiß, wo Rettung ist. Nicht nur unter dem Sand, sondern auch dort oben wartet Kühle.

Jetzt kreise ich als Geier über der Wüste. Jetzt sehe ich schärfer als jeder Mensch, schwebe den Felsenbergen, dem Wüstenrand entgegen. Dorthin zieht es mich, wo der Raubwürger wohnt, der Insekten aller Art, auch Eidechsen und Skorpione auf Stacheln und Dornen spießt, denn dort ist sein Revier. Dort lande ich.

Jenseits dieser einen Wüste aus Sand, die nun hinter mir liegt, jenseits des Bergkammes liegt eine andere Wüste. Trockenheit herrscht auch hier, selten fällt Regen, Hitze bringt der Sommer bei Tag, Kälte in der Nacht. Diese Wüste aber ist aus Stein gemacht, den noch kein Wind, kein Sturm zu Sand zermalte.

Bizarre Gestalten ragen hie und da auf, die der Wind durch Erosion schuf: „Yardanks“ werden sie von den wenigen Menschen hier in der Gegend genannt. Steinerne Gestalten. Kunst der Natur? Steine, in denen Menschen Gestalten sehen!

Doch Menschenkunst gibt es hier nirgendwo.

Flüstert die Stimme in mir immer wieder: „Dalí, Dalí, Dalí. Dreh dich im Kreis und schließe deine Augen und schau noch einmal all den Wüstensand!“

Welch seltsames Wort, denke ich noch, da wächst aus ihm hinter meinen geschlossenen Lidern auch schon ein Bildermeer:

Über den Wüsten schweben Wolken, sieh da, ein Tor!

Hebe deinen Blick empor, du Tigerin der Wüste!

Dort oben tobt die Schlacht der Schwerter inmitten der Wolken, die sich über die brennende Weite weißen Wüstensandes senkten.

Wolken so tief in diesem höchsten Hoch? Und den tarngestreiften Dschungelbewohner Tiger gar? Was machen die denn hier?“, fragst du verwundert. Das kann doch keine Fata Morgana sein, oder doch?

Wundere dich oder wundere dich nicht!

Es ist, wie es ist und so beschrieb ich es. Denn was die Phantasie ersann, ist wirklich. Ewig ist, was wir uns erschufen!

Ein Fenster tut sich auf, ein Tor im Wolkenweiß, ruft es mich?. In der Ferne ist Nacht, dort scheint die Volle Mondin.

„So komm! Nimm die Tigerin der Wüste auf den Arm, durchschreite mit ihr die klirrende Schlucht der Schreie, das Todeswiehern von Mensch und Pferd. Schreite mit ihr ins All!“, spricht die Stimme in mir.

Nicht weit entfernt steht ein Tisch mit drei Gläsern und Löffeln auf einem Schachbrettparkett auf Wüstenfläche. Nicht allzu fern sitzt ein Reiter auf einem Dromedar. Boote liegen in der Nähe. Eine Menschensilhouette schaut auf.

Bin ich das?

Fern warten die Berge, Berge aus Sand?

Ja, denke ich, all dies könnten Gemälde sein – von einem mit Namen „Dalí“. Und schon kommt Bewegung auf. Dort aus dem Sand erhebt sich - nein, keine Silhouette und auch keine brennende Giraffe, welch seltsame Idee, sondern ein Wesen, das aussieht wie ein Mensch, doch ... Immer mehr seltsame Formen und Kombinationen von Dingen und Leben brechen aus den Wüstenspiegeln hervor. Und jetzt finde auch ich mich in ihrem Fließen wieder und ...

„Und nun kommen wir zur Präsentation der Drillings-Seelen“, flüstert die Stimme in mir.

Ist auch dies nur eine Wüstenhalluzination, nicht mehr als ein Traum?

Ein kreisender Geier sieht und stürzt hinab.

Ein Wels taucht auf.

Eine Tigerin leckt das ruhende Wasser mit ihrer Zunge auf und sieht sich selbst, taucht den Kopf ein und schaut den Fisch, sieht sich selbst und blickt empor, da stürzt der Geier herab.

„Das bin ich!“, sprechen alle drei.

Der Wels springt empor und zur Tigerin hin, die sich aufrecht setzt und ihre Vorderbeine spreizt, als wollte sie den Fisch umarmen. Der Fisch verschmilzt mit dem Tigerkopf und dem Geier zugleich, der sich soeben in den Tigerkopf krallte. Alle drei werden eins.

Und dort, wo eben noch drei Tiere aus verschiedenen Welten waren, die alle dieser einen Erde entsprangen, dort sitzt nun Manfred der Magier im Lotos - in Menschengestalt. Dann wandelt er sich in Nadeln und Wind und spricht:

Werde nicht Vogel, doch wirbelnder Wind und mehr, nicht Blatt, weder grün noch rot noch bunt, sondern gefallenes Nadelmeer. Wehe empor, dem Ende zu. Treibe davon.

Jetzt ist’s aber genug! Es reicht! Ich öffne meine Augen. Schluss mit Gemälden, Fata Morganen und Halluzinationen! Aus! Rückkehr in die Realität ist angesagt. Also - springe ich in den Felsenabgrund, stürze mich in den Strom der warmen, hier aufsteigenden Luft, schraube mich kreisend empor. Welch ein Aufstieg im wahrsten Sinne des Wortes: vom geistumnebelten Menschen zum Mönchsgeier. Ich fliege nach Os- ... Südwesten, den Bergen entgegen. Unter mir und hinter mir liegt nun die Wüste.

Ich lande am Abend auf Geiersfüßen und erhebe mich als Mensch.

Hier am Fuß der Berge sammle ich nun trockenes Holz und entzünde ein Feuer - ich hauche es an, aus einem Mund, der sich in den eines Drachen verwandelte. Dann sehe ich dich, Moyo, in den Flammen. In Liebe entflammt, denke ich und bin auch schon bei dir, dort, wohin mein Körper niemals gelangen kann. Doch Körper sind eine Sache, Geist und Seele eine andere. Ich bin bei dir.

Nun hatte Manfred die Wüsten hinter sich gelassen. Stadt und Wald und Gräsernes Meer und Wüsten-Weite , alles war Vergangenheit.

Und doch, alles, was geschah, ist immer bei uns. In unseren Träumen kommt es wieder.

Und doch, alles, was geschah, kann niemals ungeschehen werden.

Manfred hatte die fernsten Ausläufer, die Füße der Höchsten Berge erreicht. Weit oben sollte er seinen letzten Kampf auf Erden ausfechten. Doch noch war es nicht so weit. Noch hatte er die Gipfel nicht erklommen. Noch lag ein weiter Weg vor ihm.

Wüsten-Berges-Himmels-Weiten

Подняться наверх