Читать книгу Und dann war Totenstille - Rainer Ballnus - Страница 4
Quietschend öffnete sich automatisch…
Оглавление… die reichlich angerostete Eisentür für Fußgänger. Die Tür war eingepasst in das mächtige Eingangstor der Justizvollzugsanstalt in Lübeck-Lauerhof und das wiederum eingerahmt in die hohe Mauer mit den Stacheldrahtrollen. Von einem wolkenlosen Himmel schien an diesem Frühsommertag die Sonne. Die Vögel zwitscherten.
In der geöffneten Tür reckte sich Christian Baader. Er war gerade entlassen worden. Ungewöhnlich war seine Kleidung, ein grauer, leichter Anzug, italienischer Schnitt. Mit dem rechten Fuß schob er eine große Leinentasche vor die Tür, und er selbst trat ebenfalls einen Schritt nach vorn. Hinter ihm schloss sich wiederum automatisch geräuschvoll die Tür. Der elegant gekleidete Mann mit dem gepflegten Oberlippenbart zündete sich eine Zigarette an und drehte den Kopf nach links, denn von dort näherte sich in langsamer Fahrt eine dunkle, schwere Limousine.
„Na endlich!“, murmelte er vor sich hin. Direkt vor ihm hielt die Nobelkarosse, und der Fahrer, ebenfalls in einem offenbar teuren und maßgeschneiderten mittelblauen Anzug und einer roten Krawatte mit einem viel zu großen Knoten, beeilte sich auszusteigen, um das Fahrzeug herumzugehen und die Beifahrertür zu öffnen.
„Schön, dass Sie wieder draußen sind, Herr Baader“, begrüßte er den Mann, der gerade die wieder gewonnene Freiheit zu genießen begann. Der lächelte ein wenig süffisant.
„Nun lassen Sie mal die Heuchelei, Lauscher. Übrigens, haben Sie nichts Besseres zu tun, als mich persönlich vor dieser“, er drehte sich noch einmal zum Gefängnistor um, „Herberge in Empfang nehmen?“
„Doch, doch, Herr Baader, die Geschäfte laufen ausgezeichnet. Wir sind bis Ende September nahezu ausgebucht. Und ich hatte Ihnen ja die Bilanz von…“
„Ich weiß, Lauscher, ich weiß!“, unterbrach Baader ihn barsch und stieg hinten in die Limousine ein.
„Also, warum haben Sie nicht den Fahrer geschickt?“
Lauscher ließ sich auf den Fahrersitz fallen und meinte ein wenig zögerlich:
„Ob Sie es glauben oder nicht, Chef, aber ich dachte, ich bereite Ihnen damit eine Freude.“ Dabei schaute er in den Rückspiegel und wollte aus der Mimik seines Chefs etwas ablesen, doch dessen Gesichtsausdruck verriet nichts. Er startete den Wagen und fuhr gemächlich davon.
Sie fuhren an einem Motorrad vorbei, das nur fünfzig Meter vom Gefängnistor entfernt parkte. Der Fahrer in Lederkleidung und einem heruntergeklappten dunklen Visier am Vollhelm sprach etwas in sein Handy, klappte es danach zusammen und verstaute es in der Motorradjacke.
Lübecks Innenstadt war überfüllt.
„Nehmen Sie nicht die Autobahn, Lauscher. Fahren Sie an der Küste entlang. Ich habe sie lang genug vermisst.“
Lauscher nickte und schlängelte sich an den Autolawinen vorbei in Richtung Ostsee.
„Wollen Sie noch ins Hotel?“ Er blickte fragend in den Rückspiegel. Doch Baader schüttelte den Kopf.
„Sie wissen doch, was ich jetzt machen werde“, gab er diesmal betont freundlicher zurück, beugte sich nach vorn und klopfte Lauscher zweimal kurz auf die Schulter. Und wieder nickte dieser. Natürlich wusste er, was sein Boss jetzt machen würde. Er wusste überhaupt alles von ihm, na ja, zumindest fast alles, griente er innerlich. Denn schließlich war er der Geschäftsführer von Baaders Hotel und hatte ihn beinahe wöchentlich mit allem Geschäftlichen, aber auch gelegentlich mit privaten Belangen im Knast aufgesucht und alles Wesentliche besprochen.
„Übrigens, das hat geklappt mit der Gruppe, von der ich Ihnen in der letzten Woche erzählt habe.“
„Ach“, zeigte sich Baader interessiert und beugte sich wieder nach vorn.
„Heißt das, wir sind bis in den Herbst hinein ausgebucht?“
„So gut wie, Chef. Und das Schöne ist…“. Es folgte eine intensive Geschäftsbesprechung, in der deutlich wurde, dass Lauscher den Laden, wie er sein Vier-Sterne-Hotel in Lübeck-Travemünde gern nannte, wirklich im Griff hatte.
Baader schaute nach draußen und las das Ortsschild: Timmendorfer Strand. Er lehnte sich entspannt zurück und genoss die Fahrt entlang der Küste, über Scharbeutz und Haffkrug.
„Sind ja doch schon ‘ne Menge Touris unterwegs“, staunte Baader. „Was ist denn das, Lauscher, davon haben Sie mir ja gar nichts erzählt!“
„Ach Sie meinen die neue Promenaden-Allee. Schön geworden, nicht? Das wurde aber auch Zeit. Bei diesen vorsintflutlichen Anlagen, da hätte ich niemals Urlaub gemacht“, regte sich Lauscher auf.
„Eben, Lauscher. Und das war doch gut für uns. Bedeutet das jetzt was für unseren Laden?“
„Sie fürchten, dass die Leute gar nicht mehr bis Travemünde kommen, nur weil hier die…“
„Ja, das meine ich“, ließ Baader seinen Geschäftsführer nicht ausreden.
„Also, das glaub’ ich nun wirklich nicht.“
„Glauben, glauben! Mensch Lauscher, es scheint, Sie haben darüber noch gar nicht nachgedacht.“
Lauscher war feinfühlig genug, um zu erkennen, dass es jetzt besser war, nicht zu antworten. Und das erwies sich als richtig.
„Na, ja, jetzt bin ich ja wieder da, und ich werde auch darüber nachdenken.“
Der unterkühlte Ton in Baaders Bemerkung war nicht zu überhören. Und wieder schwieg der Geschäftsführer.
Baader wollte sich nicht aufregen, nicht heute. Er konnte es kaum erwarten, sein Zuhause, seine Villa am Kellersee, die er vor vielen Jahren über einen Makler erstanden hatte, zu betreten. Eine wahre Perle unter den Villen an diesem herrlichen Gewässer! Endlich, sie fuhren gerade von der Umgehungsstraße ab und erreichten Eutin, die Kreisstadt, aber was noch viel wichtiger für ihn war, die Rosenstadt. Baader liebte Rosen über alles, und alle Besucher hatten in der Vergangenheit immer wieder seine Rosenpracht auf seinem herrschaftlichen Anwesen bewundert und bestaunt.
„Hoffentlich stehen meine Rosen gut“, gab er halblaut von sich, doch Lauscher hatte es gehört, und jetzt antwortete er auch, forsch und siegessicher:
„Sie werden staunen Chef! Alles gut in Schuss, wirklich! Darum habe ich mich persönlich gekümmert!“
Stolz schwang in seiner Stimme mit.
Beide bemerkten nicht den Fahrer auf dem Motorrad, das ihnen seit dem Verlassen der Justizvollzugsanstalt gefolgt war. Erst kurz vor dem Erreichen des parkähnlichen Grundstücks seines Chefs warf Lauscher einen Blick in den Innenrückspiegel und nahm in einiger Distanz diesen Motorradfahrer wahr. Doch er schien sich nichts dabei zu denken, zumindest sagte er nichts. Er löste per Knopfdruck ein Funksignal aus, steuerte auf die Einfahrt des sich lautlos öffnenden Tores zu und hielt vor dem breiten Garagentor.
„Na endlich!“
Laut ausatmend stieg Baader aus, reckte und streckte sich und sog die frische und saubere Luft in seine Lungen.
„Welch herrliche Landschaft!“
Der Hotelier drehte sich dabei im Kreise, mit ausgestreckten Armen, und als Lauscher nichts sagte, drehte er sich empört zu ihm um: „Menschenskind, denken Sie denn immer nur an Zahlen, Zahlen, Zahlen? Genießen Sie doch auch mal diese wunderbare Natur, hier im Herzen der Holsteinischen Schweiz!“
„Sie haben ja auch…“,
„… diese entbehren müssen, meinen Sie. Richtig, Lauscher, und genau das werde ich nachholen, auf der Stelle und ausgiebig!“
Baader reichte ihm die Hand.
„Bevor ich es vergesse, Lauscher, in der nächsten Woche, da schau ich mir alles noch mal genau an, die Bücher meine ich, und wenn alles so bleibt, dann können Sie sich darauf einrichten…“
„Aber Chef, kommen Sie doch erstmal richtig an“, wiegelte der Geschäftsführer die offenbar in Aussicht gestellte Gehaltserhöhung geschickt ab. Seine Mimik allerdings bewies deutlich, dass ihn allein die Ankündigung einer finanziellen Belohnung freute. Baader griente.
„Nur keine künstliche Bescheidenheit, mein Lieber!“
Lauscher ließ sich ohne Kommentar hinter das Lenkrad der Limousine fallen, startete und fuhr langsam davon, sorgsam darauf achtend, keinen Staub aufzuwirbeln.
Baader ging zur riesigen Eingangspforte, erfreute sich wie immer an dem geräuschlosen Schließen, griff in die Hosentasche, holte den Schlüsselbund hervor und schritt gemächlich, aber doch zielstrebig auf die gediegene Eingangstür zu.
Auf der Straße, vielleicht fünfzig Meter von Baaders Grundstück entfernt, stand wieder der Motorradfahrer. Er hatte den Helm abgenommen und kurzfristig auf den Tank gelegt. Sich den rechten Handschuh in den Mund steckend, tippte er in ein Handy einige Ziffern ein und hielt es an sein Ohr.