Читать книгу Seeberge - Rainer Barth - Страница 8

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Blick von Friedrichshafen über den Höhenzug des Rorschacherbergs [101] auf den Rätikon. Links die Zimba [88], rechts das Schesaplanamassiv [94].

Der Blick über den See

Wasser und Berge am Horizont

Den im Wortsinn schönsten Augenblick, den das schwäbische Land zu schenken vermag, ist die Schau über die weite Wasserfläche des Bodensees auf die Alpen, die in langer, bewegter Formation fremd und abweisend den südlichen Horizont begrenzen. Tritt man an einem Tag mit klarer Luft nach der Durchquerung der weitläufigen Landschaft Oberschwabens an das Ufer des Sees, steht man vor einer Szenerie, die sich elementar von allem unterscheidet, was es in den deutschen Landen von Flensburg bis nach Ravensburg herunter zu sehen gibt. Es ist vollendete landschaftliche Schönheit, eines der großen Landschaftsgemälde Europas.

Die Gestalt der unmittelbaren Umgebung hat sich zwischen Ulm und Friedrichshafen kaum verändert, immer ist es das weiche, sanft bewegte Hügelland, geprägt von menschlichem Einwirken im Guten wie im Schlechten. Doch mit einem Fanfarenstoß wird eine völlig neue Welt aufgetan mit neuen Hauptelementen: Wasser und Berge.


Föhn! Blick vom Gehrenbergturm auf die Friedrichshafener Bucht und die Bregenzerwaldberge. Links der Dornbirner First [67], darüber die Rote Wand [66], in der Mitte der Hohe Freschen [77], rechts der Walserkamm mit dem Hochgerach [82].

Die Menschen werden davon magisch angezogen. In Heerscharen säumen sie an Tagen mit guter Sicht die Promenaden der Uferorte zwischen Lindau und Überlingen. Gemächlich schlendernd lassen sie sich verzaubern von dem Schauspiel, das ihnen die beiden Darsteller vorführen: Wasser und Berge, ein Gegensatzpaar, das zu einem großartigen Bild verschmilzt und eine perfekte Einheit inszeniert. Das fremdartige Wesen der Alpengipfel und ihre Existenz in einer anderen Wirklichkeit kommen an den berüchtigten Föhntagen ganz besonders zur Geltung. Während über dem See und dem Land dahinter eine dunkle Wolkendecke lastet, steht die Kette der hohen Berge am Horizont unter einem silbern oder golden glänzenden Lichtstreifen und rückt näher an den See heran, der seinerseits Farbenspiele in Tonlagen zwischen schwerem Bleigrau und leuchtendem Silber vollführt. Das gesamte Spektrum der Darstellungsarten, über die das Licht und die Wolken am Bodensee verfügen, lässt sich kaum in Worte fassen. Im Kapitel »Seewinter – Panoramazeit« wage ich den bescheidenen Versuch, wenigstens ein paar Varianten zu beschreiben.

Eine treffende Charakterisierung des Landschaftsbildes hat der Friedrichshafener Josef Mayer in der Einleitung zu seinem 1928 erschienenen Buch »Der Bodensee im Wechsel der Zeiten« formuliert: »Die schönste Zierde des Alpengebiets bilden die großen Seen, die seinen nördlichen und südlichen Rand bekleiden. Durch die Vereinigung von Gebirge und Gewässer entstehen die wunderbarsten abwechslungsreichsten Landschaftsbilder. Während die erhabenen, machtvoll anstrebenden Linien der Berge die große Bewegung, den heroischen Zug in die Landschaft bringen, verleiht die Horizontale der Seen ihr eine tiefe Ruhe, ein freundlich ernstes Gepräge. Beim Bodensee aber vereinigt sich das Gewaltige der kühnen Gebirgsformen, die nicht drohend an das Ufer herantreten, sondern in mäßiger Ferne einen großartigen Hintergrund bilden, mit der Ruhe und Stille des Wassers, das sich in majestätischer Breite und Weite ausdehnt. Darin liegt der besondere Charakter, der eigenartige Zauber der Bodenseegegend.«


Am Friedrichshafener Gondelhafen. Über dem See die Bregenzerwaldberge mit dem Hohen Freschen [77].

Der Blick über die fast meerhafte Weite des Obersees auf die Alpen mit dem Säntis als Zentralpunkt ist mir zum schönsten Bild überhaupt geworden. Ein Kindheitserlebnis hat wohl entscheidend dazu beigetragen, so seltsam und in der Rückschau idealisierend sich das auch anhören mag. Es war das Auftauchen des Gebirges am fernen Horizont, erlebt als knapp Fünfjähriger auf der ersten größeren Autofahrt im Frühsommer 1959 von der nordwürttembergischen Heimat ins Allgäu. In den Jugendjahren war bei den Wanderungen auf den Höhen der Ostalb an klaren Wintertagen die gezielt betriebene »Entdeckung« der Alpen am Südhorizont ein seltenes und herausragendes Ereignis. Ein folgerichtiger Schritt war schließlich die »Auswanderung« in jungen Jahren an den Bodensee, geprägt einzig von dem Wunsch, den Bergen näher zu sein. Ein wunderbares und unerwartetes Zusatzgeschenk waren der See und die Landschaft, die als Bodenseeraum bezeichnet wird und die man trotz der Staatsgrenzen ganz instinktiv als Einheit erfasst – mit der Alpenkette als markantem südlichen Abschluss.


Friedrichshafen mit Säntis [134] und Altmann [130] vom Ailinger Haldenberg, einem der schönsten Aussichtsplätze im Bodenseeraum.

Man kann die große Schau über den See zu den Bergen genießen ohne Fragen zu stellen, doch welcher Gipfel der berühmte Säntis ist, möchte der Großteil der Betrachter schon wissen. Wegen seiner Nähe zum See, seiner mächtigen Gestalt und seiner zentralen Position im Panorama gelingt die Identifizierung meist problemlos. Menschen ohne nähere Beziehung zu den Bergen geben sich damit in der Regel zufrieden. Über größeres Detailwissen verfügt, wer selbst in die Berge geht und mehrere der Gipfel am Horizont schon bestiegen hat. Doch auch in Bergsteigerkreisen sind fundierte Kenntnisse und eine fehlerfreie Zuordnung von Namen zu Bergen eher Ausnahmen. Selbst Panoramatafeln, installiert an bedeutenden Aussichtspunkten, sind gelegentlich recht fantasievoll gestaltet, manche weisen haarsträubende Fehler auf.

Mit einer gewissen Besessenheit beschäftige ich mich seit über drei Jahrzehnten mit der Frage: Wie heißen all die Berge im Alpenpanorama vom Bodensee? Für diese habe ich schon vor 20 Jahren in einer Artikelreihe im Jahrbuch »Leben am See« die Bezeichnung Seeberge verwendet, die es als geografischen Begriff nicht gibt und die unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten auch keinen Sinn macht. Bezeichnet ist damit lediglich der ganz subjektive Blickwinkel vom Bodensee. Ganz folgerichtig war meine erste eigenständige Publikation die Neuherausgabe eines Alpenpanoramas vom Schloss Heiligenberg aus dem Jahr 1881. Auch meinem Friedrichshafener Wanderbuch und dem Führer zum Jubiläumsweg Bodenseekreis waren Faltpanoramen beigelegt. Am 111 km langen Jubiläumsweg, den ich zum 25-jährigen Bestehen des Bodenseekreises 1998 einrichten durfte, sind – wie könnte es anders sein – Aussichtspunkte mit Blick auf See und Alpen wie an einer Perlenschnur aufgereiht. Sie sind im Kapitel »Sechs Tage Panoramawandern am Bodensee« beschrieben.


Vor Sonnenaufgang. Herbstlicher Föhnmorgen auf der Fähre Friedrichshafen – Romanshorn. Im Osten die Allgäuer Alpen und die Bregenzerwaldberge. Der Widderstein [41] in der Bildmitte, links der Hohe Ifen [33] über der Landspitze von Langenargen.

Der Meister der Seepanoramen

Bei der näheren Beschäftigung mit dem Thema Alpenpanorama am Bodensee stößt man mit einer gewissen Regelmäßigkeit auf einen Namen: Albert Steudel (1822–1890). Dieser gebildete und vielseitig agierende Mann ist heute nahezu vergessen. Er zeichnete und publizierte 25 Panoramen, alle von Standorten im Bodenseeraum. Sein Buch »Alpenschau«, dessen erste Auflage 1864 erschien, ist mein direkter Bezugspunkt, ohne den dieser Band nicht entstanden wäre. Steudel beschrieb darin in alphabetischer Folge »150 Berge, welche vom nördlichen Bodensee-Ufer gesehen werden«. Dem Buch war ein gezeichnetes Faltpanorama beigelegt, auf dem sämtliche 150 Gipfel dargestellt und benannt sind. 147 Jahre nach dem Werk meines »Seeberge-Urvaters« folgt dieses Buch als Ergebnis meiner Beschäftigung mit dem Thema, das Muster Steudels weiterführend.

Ein glücklicher Umstand brachte mich mit Marianne Steudel, der in Stuttgart lebenden Witwe des Urenkels von Albert Steudel in Verbindung. Ihr verdanke ich biografische Informationen und Dokumente, die es möglich gemacht haben, Steudels Spuren zu verfolgen. Am Bodensee erinnert an ihn einzig sein Grabstein auf dem Alten Friedhof in Friedrichshafen. Sein vielleicht schönstes zeichnerisches Werk ist das »Alpenpanorama vom Edenstein b. Meersburg«, das 1878 vom Verschönerungsverein herausgegeben wurde.


Friedrichshafen auf einer Ansichtskarte, abgestempelt am 1. Juni 1914. Im Mittelgrund die neu gebaute Uferstraße mit dem Herrenbad und dem Frauenbad im See. Die Berge am Horizont sind reine Fantasiegebilde.

200 Berge und 200 Jahre Friedrichshafen

Letztlich nicht zu beantworten ist die Frage nach der exakten Anzahl der Alpengipfel, die vom Bodenseeraum aus zu sehen sind. Die Antwort hängt ganz wesentlich vom Standort und von dessen Höhenlage ab. Die Festlegung auf 200 im Panorama vom Friedrichshafener Moleturm bezeichneten und beschriebenen Gipfel lag für mich als Bürger dieser Stadt nahe, um eine Verbindung herzustellen zum großen Stadtjubiläum, das 2011 gefeiert wird. Ganz willkürlich ist die Zahl dennoch nicht, es fehlt kein wichtiger Berg in der Darstellung. Vor 200 Jahren unterzeichnete der württembergische König Friedrich I. das Dekret, mit dem er Buchhorn und Hofen zu einer neuen Stadt vereinigte, der er in aller Bescheidenheit seinen Namen gab.

Der Blick vom Höchsten

Das zweite abgedruckte Panorama ist eine einfache, doch exakte Darstellung des Alpenblicks vom höchsten Punkt im nördlichen Bodenseeraum. Erarbeitet und gezeichnet hat es der Friedrichshafener Bergsteiger Helmut Lang (1914–2009) zwischen 1985 und 1990. Wie mühsam diese Arbeit ist, lassen die Ausführungen des berühmten Schweizer Geologen und Panoramazeichners Albert Heim im Kapitel über Albert Steudel erahnen. Wegen des Standorts 400 Höhenmeter über der Seefläche werden viele weiter entfernte und höhere Gipfel sichtbar, die vom Ufer aus durch näher stehende Berge verdeckt bleiben. Renommierte Beispiele sind die Zugspitze, der Piz Buin und weit entfernt im Südwesten das weltberühmte Dreigestirn von Eiger, Mönch und Jungfrau.

Der schönste Aussichtspunkt?

Wegen der großen Zahl an Aussichtspunkten hinter dem Nordufer des Bodensees musste eine Beschränkung erfolgen, die viel Kopfzerbrechen bereitete. Sie alle mit ihren jeweiligen Vorzügen zu beschreiben, müsste der Gegenstand eines eigenen Buches sein. Für die Auswahl hier waren letztlich ganz egoistische Gesichtspunkte ausschlaggebend. Durch meine persönliche Verbindung zum Jubiläumsweg Bodenseekreis, der als 111 km langes Band durch das nördliche Seehinterland führt, erlaube ich mir, nur die Panoramaplätze zu beschreiben, die dieser Weg miteinander verbindet, darunter der berühmte Aussichtsturm auf dem Gehrenberg.

Wenigstens erwähnt seien hier ein paar berühmte Stätten: die Waldburg, der Lindauer Hoyerberg, die Antoniuskapelle bei Selmnau, der Berger Kirchenhügel bei Friedrichshafen, der Hochberg bei Immenstaad, die Wilhelmshöhe über Hagnau, der Konstanzer Müns terturm, die Bodanrückhöhen, der Schienerberg. Der Pfänder, der Rorschacherberg und die anderen Höhen südlich des Sees sind im Kapitel »200 Berge im Pano rama vom Moleturm in Friedrichshafen« beschrieben.

Sammlerstücke

Seeberge kann man sammeln. Vor vielen Jahren begann ich, die von mir bestiegenen Berge im Seepanorama in eine Liste einzutragen. Meinen persönlichen »heiligen« Hügel, den Ailinger Haldenberg, wählte ich zum Basispunkt für die Bergzählung. Gipfel, die von diesem sanft gewölbten, von einer Kapelle gekrönten Aussichtsplatz zu sehen sind, kommen seither in das Privatverzeichnis. Es ist ein Treiben ganz ohne System, es gibt ja noch so viele andere Berge. Doch die Sammlung wächst und ich bin zuversichtlich, dass ich noch im Jubiläumsjahr meinen 200. Seeberg auf die Liste setzen kann.


Auf den letzten Metern zum Schäfler [128], einem der bedeutendsten Aussichtsgipfel in der ersten Gebirgsreihe. Im Mittelgrund der Fänerenspitz [114], dahinter die Bregenzerwaldberge und die Allgäuer Alpen.

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