Читать книгу Ein Pfirsich ist ein Apfel mit Teppich drauf - Rainer Orban - Страница 5

Einleitung

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»Das stört keinen großen Geist.«

Astrid Lindgren, Karlsson vom Dach

Dieses Buch handelt nicht davon:

 wie man an Problemen und Defiziten haften bleibt;

 wie man Probleme und Defizite erzeugt, um sich z. B. besonders wichtig zu fühlen;

 wie man über Probleme und Defizite und schlechte Ressourcen jammert, um sich z. B. besonders bemitleidenswert zu fühlen;

 wie man »1, 2, 3 im Handumdrehen« mit ein paar systemischen Zirkusnummern im Schnellkurs systemisch arbeiten kann.

Dieses Buch handelt davon:

 sich auf den Weg zu machen;

 mehr von dem zu tun, was funktioniert;

 das Große im Kleinen und das Kleine im Großen zu sehen;

 zu verstehen, dass kleine Handlungen große Wirkungen haben können;

 die vorhandenen Rahmenbedingungen für sich zu nutzen;

 ein gutes Navigieren zwischen Akzeptanz und proaktiver Gestaltung zu erreichen;

 eine Haltung zu entwickeln, die auf Neugier, Wertschätzung und Wachstum gründet.

Dieses Buch ist unser Beitrag, den von uns gelernten und gelebten systemischen Ansatz zu vermitteln. Gleichwohl bewegen wir uns nicht im luftleeren Raum. Wir – Gabi Wiegel ganz explizit – arbeiten seit vielen Jahren täglich praktisch oder auch beratend im Kindergarten. Die Anforderungen und der Arbeitsalltag dort haben sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Diese Anforderungen und auch die Rahmenbedingungen gelten für alle, sie treffen auch alle.

Erzieher und Erzieherinnen sind, wenn Sie heute auf den Internetseiten der Agentur für Arbeit nachsehen, gefragt wie nie. Ob im Kindergarten oder in der Jugendhilfe, in allen Bereichen haben Personalverantwortliche heute Schwierigkeiten, gute, qualifizierte Fachkräfte zu finden, denn der berufliche Nachwuchs ist mehr als knapp. Eines eben gilt nach wie vor – dieser Beruf ist vor allen Dingen eins: unattraktiv.

Die soziale Anerkennung ist bis heute, verglichen mit der Bedeutsamkeit und Größe der Aufgabe, eine Katastrophe. Für ein Land mit dem Anspruch, den wir haben und nach außen tragen, könnte die Blamage nicht größer sein. Damit verbunden ist die auch weiterhin absolut katastrophale Entlohnung, die dazu führt, dass in vielen Städten Erzieherinnen und Erzieher, selbst wenn sie über viele Jahre Berufserfahrung verfügen, immer noch weniger als 2000 € brutto mit nach Hause bringen. Von öffentlichen Verwaltungen und von Verwaltungen freier Träger werden im Rahmen geltender Tarifverträge Menschen mit vier- bis fünfjähriger Ausbildung, die von der Dauer her der eines Studiums entspricht, in Gehaltstufen eingruppiert, die auf Verwaltungsebene kein Mensch akzeptieren würde.

Dies wird bereits seit Jahren selbst von den Spitzen der deutschen Wirtschaft kritisiert, da auch dort seit Langem verstanden wird, wie wichtig eine gute Kinderbetreuung für die Zukunft unseres Landes ist. Es ist zwar banal, gleichwohl aber auch Realität: Wir haben keine besseren und keine besser verfügbaren Ressourcen zu bieten als die Potenziale in unseren Kindern.

Norbert Hocke, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, warnt daher: »Wenn sich daran nicht schnell etwas ändert, werden Krippen und Kindergärten bald unausgebildetes Personal einstellen müssen.«

Dies, und da sind wir ohne jeglichen Zynismus sicher, dürfte so manchen Kämmerer und Sparkommissar erfreuen. Die nun im Jahre 2013 in großer Zahl fehlenden Krippenplätze machen dies noch schlimmer, weil die Förderung unserer Kinder, auch unter Bildungsgesichtspunkten, deutlich zu intensivieren ist. Viele Experten sind sich seit Jahren einig: Wir benötigen, um den Anforderungen an frühe Förderung wirklich gerecht zu werden, gut ausgebildetes Personal, gut qualifizierte Pädagoginnen und Pädagogen, gerne auch verstärkt solche mit Hochschulabschluss. All dies wäre aber verbunden mit einer höheren Entlohnung. Geplant ist Letzteres bisher nicht.

Allerdings sollten wir auch festhalten: Laut dem Entwurf des Armutsberichts der Bundesregierung (Stand 17.09.2012) liegt Deutschland im Vergleich von 25 OECD-Staaten bei den öffentlichen Ausgaben für die Betreuung von Kindern unter sechs Jahren im Jahre 2011 auf dem 19. Platz. Während ein Land wie Dänemark knapp 1,3 % des Bruttoinlandsproduktes einsetzt, werden in Deutschland nur 0,4 % des BIP für die Betreuung von Kindern unter sechs Jahren investiert.

Die Einführung von Kinderkrippen, die Entwicklung von Kindergärten hin zu Familienbegegnungsstätten sowie die größtmögliche Förderung von Kindern unter dem Gesichtspunkt ganzheitlicher Bildung erfordert auch eine hohe Kompetenz in der Kooperation mit Eltern und mit anderen Diensten.

Ein systemischer Blick auf die Welt, verbunden mit einer Vielzahl an Werkzeugen und Vorgehensweisen, fördert die geeignete Haltung und Professionalität, die man benötigt, um den Herausforderungen gerecht zu werden.

Dieses Buch stellt einen Einstieg in das Thema dar. Es kann Mut machen, soll Türen öffnen und Sie einladen, neue Möglichkeiten für sich, Ihr Team und Ihre Organisation zu gestalten.

Nun zu seinen Inhalten. Wir beginnen damit, dass wir Ihnen unsere Ideen zu einer systemisch-ganzheitlichen Sicht nahebringen. Danach folgt etwas, das manche in einem solchen Handbuch womöglich nicht erwarten würden: ein großer Theorieblock. In den Fortbildungen, die wir zu diesem Thema geben, haben wir es zu Beginn meist mit einer Vielzahl von Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu tun, die relativ skeptisch sind, wenn wir in ihre Einrichtung kommen, sie mit einem recht großen Ausmaß an Theorie konfrontieren und damit die Einladung verbinden, die Dinge neu zu betrachten. Unsere Erfahrung ist aber, dass sich dies lohnt.

Im Theorieteil geht es um Systemtheorie, Bindungstheorie und Resilienz sowie um das Thema Lernen und Bildung.

Auf dieser Grundlage beschäftigen wir uns dann mit der Umsetzung und dem Transfer in die Praxis. Es folgt ein großes Kapitel mit vielen Tipps und Anregungen dazu, wie Sie Ihre Einrichtung systemisch organisieren können. Anschließend erhalten Sie ebenso praxisnahe Anregungen für die Umsetzung im Kita-Alltag mit Eltern und Kindern. Dabei dreht es sich darum, wie Sie die Zusammenarbeit mit Eltern gestalten oder welches die Grundzüge von pädagogischer Förderung unter solchen Gesichtspunkten sein können.

Wir beenden unseren Rundflug schließlich mit dem Thema Selfcare, widmen uns also der Frage, was Sie tun können, um gesund und voller Tatkraft zu bleiben. Hierzu werden wir Ihnen einige Anregungen und Übungen an die Hand geben.

Noch eines vorweg: Auf der Basis unserer systemischen Haltung folgen wir bezüglich der Führung von Kollegen und Kolleginnen wie auch der Führung von Kindern (ins Leben) demselben Ansatz, nur benutzen wir teilweise unterschiedliche Begriffe. Bei Kollegen und Kolleginnen sehen wir als Vorgesetzte unsere Aufgabe darin, sie zu befähigen; als Pädagogen sehen wir unseren Auftrag darin, Kindern neue Erfahrungen zur ermöglichen.

Wir haben uns entschlossen, dieses Buch als ein Handbuch zu konzipieren. Dies bedeutet: Sie müssen es nicht von vorne bis hinten durchlesen, Sie können auch mit dem vierten oder dem fünften Kapitel beginnen, springen Sie ruhig immer wieder hin und her. Nutzen Sie das, was Sie benötigen. Wir verstehen dieses Buch wie eine Art Kaleidoskop. Wir laden Sie daher ein, sich von der Vielfalt und den Perspektivenwechseln ver-führen zu lassen.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß und hoffentlich neue Anregungen, die Mut machen.

Wir haben uns bei vielen Menschen zu bedanken. Unseren Kindern Jonas, Béla, Fiona und Kian danken wir für viel Geduld mit und Verständnis für uns und das motorische Geschick, nicht über die vielen Bücher und Zettel, die herumlagen, zu stolpern.

Ganz besonders gilt unser Dank Julia Bolender für ihren genauen Blick, ihre Anregungen und ihre Zeit.

Nicht vergessen dürfen wir das Team der Kindertagesstätte Zauberland. Ohne sie gäbe es dieses Buch nicht.

Dem Team vom Carl-Auer Verlag sagen wir danke für seine Ermutigung und sein Interesse an diesem Projekt und für die Zeit, die es uns gegeben hat, dies so umzusetzen.

Unserem Lektor Herrn Uli Wetz eine tiefe Verneigung. Seine Geduld, sein genauer Blick und sein Mut zu deutlichen Verständnisfragen waren nicht nur hilfreich, sondern haben uns und dem Buch enorm gutgetan.

Unserem Kollegen und wunderbaren Freund Matthias Ochs sagen wir Danke für seine sehr intensive und kreative Mitarbeit am Kapitel zur Systemtheorie.

Danken wollen wir an dieser Stelle zudem den zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern an unseren Seminaren, Workshops, Fort- und Weiterbildungen der letzten Jahre. Sie haben uns bestätigt, dass es richtig war dieses Buch zu schreiben. Sie haben uns zudem ermutigt und inspiriert auf diesem Weg weiterzugehen.

Mitunter fehlten uns die Worte, dabei gibt es so viele Sprachen.

Hundert Sprachen hat das Kind

Ein Kind ist aus hundert gemacht

Ein Kind

Hat hundert Sprachen

Hundert Hände

Hundert Gedanken

Hundert Weisen zu denken

Zu spielen und zu sprechen.

Immer hundert Weisen

Zuzuhören

Zu staunen und zu lieben

Hundert Weisen zu singen und zu verstehen

Hundert Welten

Zu erfinden

Hundert Welten

Zu träumen.

Ein Kind hat hundert Sprachen

Doch es werden ihm neunundneunzig geraubt.

Die Schule und die Umwelt trennen ihm den Kopf vom Körper.

Sie bringen ihm bei

Ohne Hände zu denken

Ohne Kopf zu handeln

Ohne Vergnügen zu verstehen

Ohne Sprechen zuzuhören

Nur Ostern und Weihnachten zu lieben und zu staunen.

Sie sagen ihm, dass die Welt bereits entdeckt ist

Und von hundert Sprachen rauben sie ihm neunundneunzig.

Sie sagen ihm

Dass das Spielen und die Arbeit

Die Wirklichkeit und die Fantasie

Die Wissenschaft und die Vorstellungskraft

Der Himmel und die Erde

Die Vernunft und der Traum

Dinge sind, die nicht zusammengehören.

Sie sagen also, dass es die hundert Sprachen nicht gibt.

Das Kind sagt: »Aber sie gibt es doch.«

(Loris Malaguzzi, Reggio Emilia, 1985)

Ein Pfirsich ist ein Apfel mit Teppich drauf

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