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2. Rückblende – Nasenbeinkorrektur

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Ilka Goldstein und ihre Zwillingsschwester Anna Lena sahen sich, bis auf eine kleine Auffälligkeit, wie ein Ei dem anderen ähnlich.

Ilka hatte seit ihrer Geburt einen höheren Nasenrücken. Was zunächst nicht weiter auffiel. Dadurch waren sie von eingeweihten Personen zu erkennen, auch wenn sie, was nicht allzu häufig vorkam, getrennt auftraten.

Sie waren jetzt 28 Jahre alt und gehörten nicht mehr zu der Generation, denen die Eltern, als sie noch Kinder waren, unbedingt die gleichen Kleider angezogen hätten. Allerdings wollten das Ilka und Anna Lena selbst so.

Ihre Eltern versuchten, sie auch auf anderen Gebieten völlig unterschiedlich zu behandeln.

Ihre Namen waren einmal ein Doppelname und einmal ein Einzelname, was zur Folge hatte, dass Anna Lena sich nur Anna rufen ließ. Die Sitzverteilung im Kindergarten brachten sie sehr schnell durcheinander, da sie zuerst getrennt untergebracht waren. Durch kräftiges Stören, es ging auch schon mal eine Vase entzwei, erreichten sie die Zuteilung der Sitzordnung nebeneinander.

Auch bei der Einschulung brachte man sie zunächst in verschiedenen Klassen unter. Ein Leistungsabfall bei beiden, von einem weitsichtigen Lehrer erkannt, brachte sie wieder zusammen. Ihre Noten wurden daraufhin sofort besser.

Erste Freundschaften mit Jungs wurden von beiden sehr locker genommen. Manchmal machten sie sich sogar einen Jux daraus, dass sie ihre Freunde tauschten und diese davon nichts mitbekamen. Wenn eine ein Date hatte, blieb die andere meistens in der Nähe.

Das zahlte sich eines Abends aus, als Anna Lena von einem Jungen abgeholt wurde und dieser beim Nachhause gehen vom Kino in einer dunklen Ecke etwas alkoholisiert über sie herfiel. Anna Lena konnte sich zunächst ganz gut wehren und die Hände des Jungen von ihrem Busen fernhalten. Doch als er sie auf den Boden warf, sich auf sie legte und ihr unter den Rock fasste, schrie sie laut. Sie rief jedoch nicht um Hilfe, sondern den Namen ihrer Schwester. Diese hatte sich nach dem Kino noch ein Eis gekauft und verspätete sich somit um fünf Minuten. Da Ilka nicht sofort erschien, geriet Anna Lena in Panik und schrie lauter. Das empfand der Junge als gefährlich für ihn und er hielt ihr den Mund zu. Das hätte er besser nicht gemacht, denn der Biss ging bis auf den Knochen, was zur Folge hatte, dass Anna Lena eine kräftige Ohrfeige bekam und ihn wieder losließ. Nun bog Ilka um die Ecke und vertrieb den Jungen. Dieser lief so schnell er konnte. Gegen zwei hätte er es ja noch aufgenommen. Eine, die es doppelt gab, war ihm nicht geheuer. Er fluchte im Laufen etwas wie: »Scheiß Dosenbier, das macht nicht blind, man sieht doppelt!«

Anna Lena und Ilka Goldstein mussten trotz der brenzligen Situation lachen.

So waren sie bisher sehr aufeinander fixiert. Bis zu dem Zeitpunkt, als Anna Lena ihren späteren Mann Ingo Ebert kennen lernte. Ilka hielt sich seit dem ersten Kontakt ihrer Schwester zu Ingo schlagartig zurück.

Nicht dass sie eifersüchtig gewesen wäre, sie spürte instinktiv, dass es mit Ingo und Anna etwas Ernstes war. Lediglich machte sich bei ihr eine tiefe Traurigkeit breit, die sie nach außen hin aber glänzend verbergen konnte. Eigentlich hätte sie sich für ihre Schwester freuen müssen. Das konnte sie aber nicht. Ihre traurigen Gefühle konnte sie sich erst viel später erklären. Diese hatten nichts mit ihrer Schwester zu tun. Diese galten dem Freund der Schwester.

Nach wie vor erzählten sie sich alles. Und dazu gehörte auch Annas Bettgeflüster.

Aber sie sprach in einer anderen Art von Ingo, wie sie das vorher von Klaus, Sven, Martin, Kevin, Patrick, Janosch, Peter, Michael und Norman getan hatte.

Ilka verstand Anna sehr gut und freute sich für sie, wenn sie bei ihr war.

Ilka Goldstein hatte wie ihre Schwester einen makellosen Körper mit Traummaßen, die sich wohl jede Frau wünschen würde. Der einzige Unterschied zu Anna Lena war die Frisur, die Ilka schulterlang trug. Das lenkte etwas von ihrem Nasenrücken ab.

Ihre Nase machte ihr seit geraumer Zeit großen Kummer. Nicht nur, dass der Höcker größer geworden war, es kam ihr zumindest so vor, er schmerzte auch in letzter Zeit etwas. Eigentlich fingen die Schmerzen schon während der Studienzeit an.

Während Anna Lena Journalismus und Politik studierte, lag Ilka eher das Fach Informatik.

Zu dieser Zeit gab ihr eine Kommilitonin die Adresse einer Klinik in Hessen, die sich auf Schönheitsoperationen im Gesichtsbereich, Fettabsaugung und Brustoperationen spezialisiert hatte.

Dort hatte Ilka auch mal angerufen und die Kosten für eine Nasen-OP erfragt, hatte den Fall aber schnell ad acta gelegt, da mit über 4000 Euro und ohne Kassenleistung zu rechnen war.

Dann wurden die Schmerzen größer und der Arzt in der HNO in Gießen sagte ihr, dass dies nun keine kosmetische Sache mehr sei, sondern medizinisch notwendig wäre, folglich auch in die Gewährleistung der Krankenkasse fallen würde.

Diese jedoch berief sich auf irgendeinen Artikel der Satzung und wollte zunächst keine Kosten übernehmen. Aufgrund einer schriftlichen Stellungnahme des Arztes ließen sie doch mit sich reden und wollten einen gewissen Satz von 72,6 Prozent der Kosten übernehmen.

Ilka konnte sich nicht erklären, warum gerade 72,6 Prozent. Sie beließ es aber dabei mit einem Achselzucken und war bereit, die verbleibenden 1100 Euro zu bezahlen.

Sie vereinbarte einen Termin mit der privaten Klinik, die ihr empfohlen worden war, und konnte sich eine Woche später zur ersten Untersuchung dort einfinden.

In einem Fragebogen beantwortete sie alle Fragen wahrheitsgemäß, obwohl einige ziemlich indiskret waren. Sie konnte sich nicht erklären, was der Zyklus ihrer Menstruation mit ihrer Nase zu tun haben sollte. Ebenso war ihr die Frage nach Geschwistern, insbesondere nach Zwillingsschwestern oder Brüdern nicht plausibel.

Sie sollte sich mit dem Ausfüllen der Fragebögen Zeit lassen, wurde ihr von der netten Empfangsdame gesagt. Es sah hier nicht aus wie in einer Klinik, eher wie in einem Hotel.

So saß sie auch nicht in einem üblichen Wartezimmer, sondern auf einem Barhocker an einer Kaffeebar bei einem Latte Machiato, der auf Kosten des Hauses ging. So erklärte es ihr die junge Assistentin. Lediglich eine etwas älter aussehende Frau mit hochgesteckten Haaren, an deren Ansatz ein leichtes Grau zu erkennen war, passte irgendwie nicht in diese Praxis.

Ilka Goldstein las gedankenverloren den Namen der Frau auf dem Anstecker ihres weißen Kittels und fand, dass Margaretha Laumann gut zu ihr passen würde.

Oje, dachte Ilka, welch ein Kontrast. Zu einer solch modernen Praxis ein solcher schrulliger Vogel! Diese Meinung teilte sie mit den meisten jüngeren Patientinnen der Praxis.

Dann füllte sie den Fragebogen fertig aus und gab ihn dem »schrulligen Vogel.« Als Ilka der Frau ganz nahe stand, bemerkte sie, dass sie doch jünger war, als man annehmen konnte. Ilka machte sich keine weiteren Gedanken um sie und fuhr nach Hause.

Schon zwei Tage später erhielt sie einen Anruf aus der Klinik. Die Sekretärin des Oberarztes Professor Doktor Werner Justus Hohenfels war am Apparat und wollte wissen, ob Ilka am darauffolgenden Freitag zur ersten Untersuchung kommen könnte. Als der Termin stand, war Ilka erleichtert und auch etwas euphorisch. Kam nun endlich »Bewegung in ihre Nase«.

Prof. Hohenfels hatte sie lange beobachtet und kam zu der Erkenntnis, dass Ilka eine äußerst attraktive und gutaussehende junge Frau war, die den überaus großen Vorteil hatte, ein Zwilling zu sein. Er saß ihr gegenüber und las in ihrem Fragebogen, zu dem er einige Fragen hatte.

»Und Ihre Zwillingsschwester ist nasentechnisch gesehen ok?«

»Ja. Sie hat keine Probleme.«

»Gut. Dann lassen Sie uns mal das Näschen betrachten.«

Er schaute ausgiebig in Ilkas Nase und beleuchtete sie von allen Seiten. Dann machte er Fotos.

Zwischenzeitlich klopfte es an der Tür und als Hohenfels »Herein« rief, erschien Margaretha Laumann und stellte eine Tasse Kaffee auf dem Schreibtisch ab. Dabei ließ sie sich Zeit und Ilka fiel auf, dass sie den Professor geradezu mit den Augen verschlang. Der wiederum beachtete sie gar nicht.

Als sie immer noch neben dem Schreibtisch stand, sagte er zu ihr: »Ja, Frau Laumann. Ist noch was?«

Sie schüttelte nur kurz den Kopf.

»Dann gehen Sie bitte wieder an Ihre Arbeit.«

Enttäuscht zog sie ab. Ilka vermutete, dass die Dame in ihren Professor hoffnungslos verliebt war. Der schien dies aber nicht zu bemerken oder wollte es nicht sehen, was Ilka verstehen konnte.

In der Tat war es so, dass Hohenfels Frau Laumann von seiner Vorgängerin übernommen hatte. Sie passte nicht in das Konzept der Klinik, welches den gut zahlenden Privatpatienten eine junge, dynamische Mitarbeitergruppe präsentierte.

Hohenfels wollte eine solch »hausbackene« Person nicht in seiner Klinik beschäftigen, sah aber bis jetzt keine Möglichkeit, sie loszuwerden. Obwohl er schon der Meinung war, dass ihre mürrische Art geschäftsschädigend sei. Außerdem spionierte sie ihm hinterher, was er sich damit erklärte, dass sie in ihn verliebt war. Dies wiederum störte ihn nicht, es war eher so, dass es seinem männlichen Ego gut tat. Somit war er sich selbst nicht im Klaren, ob er sie entlassen sollte oder nicht. Sie war auch schon zu lange in der Klinik beschäftigt und ihr war so ohne weiteres gar nicht zu kündigen.

Nach einer Weile gab er eine abschließende Bewertung zu Ilkas Nase ab.

»Also, Frau Goldstein. Die Sache ist nicht so einfach wie es scheint. Wir können nicht einfach etwas am Knochen abhobeln. Es muss ein Stück entfernt werden und dann müssen wir einen Aufbau mit Rippenknorpeln machen. Sie werden zwei oder drei Tage stationär bleiben müssen. Ihr Gesicht wird nach der OP zunächst einmal entstellt aussehen, wenn die Schwellung aber nachlässt, wird sich eine schön geformte Nase wie bei Ihrer Schwester zeigen. Bringen Sie doch mal ein Foto von ihr mit.«

»Und was kostet das alles?«

»Nun, wir behandeln hier normalerweise nur Privatpatienten. Für die ist der Betrag von 8000 Euro keine Frage.«

Ilka wollte schon aufstehen, sich bedanken und gehen, da sagte Prof. Hohenfels: »Wir haben selbstverständlich eine Kassenzulassung. Über den Betrag darüber hinaus brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen, vorausgesetzt, wir können ein paar Fotos von der OP Ihrer Nase machen, für die Ärztezeitung.«

»Ja? Das ginge so? Na ist ja prima. Wann kann es losgehen?«

»Von uns aus nächste Woche. Lassen Sie sich einen Termin geben und dann sehen wir mal weiter.«

Ilka fuhr am Abend zu Anna Lena, Ingo und der kleinen Jessica. Sie erzählte stolz die Neuigkeit mit der OP und fotografierte Anna Lena von allen Seiten.

»Eine solche Nase, wie du sie hast, soll es sein.«

Zwillingsmord

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