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1. Kopf im Sand.

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Es war vier Uhr morgens. Und es war eine sternenklare, milde Sommernacht. Die Party war schön, das Ende der reine Horror.

Der junge Mann fuhr den älteren BMW 316 den Berg hinauf und bog auf den Parkplatz zum Sportplatz ein. Er hatte vor einiger Zeit einen neuen Auspuff montiert, der eine Steigerung der Motorleistung bringen sollte, aber wie es sich schnell herausstellte, lediglich den Geräuschpegel erhöhte. Tagsüber gab ihm das ein Gefühl von Formel 1. Jetzt aber, mitten in der Nacht, war es von Nachteil. So gab er nur wenig Gas. Er wollte die Anwohner nicht auf sich aufmerksam machen. Da auf diesem Parkplatz viele Feste stadtfanden, waren sie gegen Lärm mitten in der Nacht sensibilisiert.

Vor dem Eingang des angrenzenden Spielplatzes, der geschützt hinter einer Hecke lag, blieb er stehen und stellte den Motor ab. Die Anwohner brauchten nicht mitbekommen, was er mit seiner Freundin noch im Auto vorhatte. Er war gut drauf, die Party war gelungen und der Abschluss des Abends wäre nun noch ein »heißer Ritt mit Frau Schmidt« gewesen. So nannte er seine Freundin Patrizia Schmidt, wenn er sie etwas ärgern wollte.

Aber irgendwie spürte er, dass ein Gewitter in der Luft lag.

»Was ist los mit dir?«

Er sah seine Freundin an und schüttelte verärgert den Kopf.

Patrizia hatte ihren 16. Geburtstag mit allen Freunden in einer Diskothek in der Stadt gefeiert. Nun saß sie mit hochrotem Kopf neben ihrem Freund im Auto und war sauer.

»Was los ist? Das frag dich mal. Du machst mit meiner besten Freundin herum und wunderst dich dann, dass ich sauer bin! Das ist los!«

Sven Kaufmann ahnte gerade, dass aus der schnellen Nummer im Auto heute nichts werden würde.

Trotzdem wollte er nicht so schnell aufgeben. Das letzte Mal, als sie Sex hatten, war schon zwei Wochen her und seine Kumpels zogen ihn schon auf wegen der vermeintlichen Hinhaltetaktik seiner Freundin. Da musste er sich Sprüche wie: »Pass auf, dass du nicht den Umweg zu ihrem Bett über den Traualtar machen musst!«, oder Ähnliches gefallen lassen.

Also machte er einen weiteren Versuch.

Er hätte es ja auch seinen Freunden verschweigen oder sie belügen können, was sein Intimleben mit seiner Freundin so hergab. Es war jedoch Ehrenkodex in der Clique, sich die reinen Wahrheiten zu berichten.

Konnte einer seiner Freunde mit einem Schäferstündchen mit einer älteren, verheirateten Dame auftrumpfen und ein anderer mit einer unglaublichen Geschichte von einer wilden Party mit gleich zwei Girls gleichzeitig, so kam er sich schon vor wie »Kevin allein zuhause«.

Er wollte beim nächsten Treffen nicht schon wieder von einem enthaltsamen Abend erzählen.

»Nun komm schon. Das war doch nicht ernst gemeint. Ich wollte doch nur etwas nett sein.«

Kaufmann war neunzehn und sie waren nun schon fast ein Jahr zusammen. Er hatte auf Patrizias Eltern einen sehr vernünftigen Eindruck gemacht und so hatten diese auch nichts dagegen, dass er ihre Tochter zur Disco abholte. Er hatte sie bisher ja auch immer wohlbehütet heimgebracht.

Nett sein zu Patrizia wollte er auch jetzt. So versuchte er, sie zu küssen, wobei seine Hand an ihrem Hals in Richtung Ausschnitt ihres Oberteils wanderte.

Als sie darin verschwand, stieß sie seinen Arm weg.

»Lass das! Ich bin nicht in der Stimmung, nachdem du mich so verletzt hast.«

Sven wusste mittlerweile, dass sie meistens sehr schnell in Stimmung zu versetzen war und gab so schnell nicht auf.

Allerdings hatte sie erst am Morgen ihre Tage bekommen und war allgemein nicht gut drauf, sonst hätte ihr die Knutscherei von Sven und ihrer Freundin wohl nicht so viel ausgemacht. An solchen Tagen ging es ihr wirklich nicht besonders gut. Meistens nahm sie dann einen oder zwei Tage lang Tabletten ein, die ihr der Frauenarzt verschrieben hatte, und der Normalzustand trat wieder ein.

Auf Sex stand ihr der Sinn im Augenblick nicht. Als er anfing, an ihrem Ohr zu knabbern und seine

Hand unter ihrem Rock verschwand, war ihr aber richtig hundeelend zumute und sie fing an zu schreien und weinte dabei zu allem Leidwesen von Kaufmann auch noch.

Dieser hatte nun doch ein schlechtes Gewissen und wollte sich entschuldigen, was von ihr aber nicht akzeptiert wurde. So gab ein Wort das andere und führte zum Ende des Abends, der mit einer schönen Geburtstagsfete in der Disco begonnen hatte.

Sven gab nun sein Bemühen nach einer schnellen Nummer im Liegesitz des BMWs auf und wollte nur noch nach Hause ins Bett. Er war frustriert und genervt.

Der Zeiger der Uhr neben dem Tacho stand mittlerweile auf 4.50 Uhr.

»Also, wenn du weiter so rumzickst, kann ich ja auch fahren!«

»Ja, kannst du! Brauchst auch nicht wiederzukommen!«

Der Krach war perfekt.

Sie stieg aus und schlug wütend die Beifahrertür zu. Sven machte sich Sorgen, ob er sie hier alleine lassen konnte. Das Haus ihrer Eltern war nicht weit weg und es wurde bald hell. So siegte sein Stolz und er startete den Motor.

Die CD-Anlage zog eine eingelegte Techno-CD und startete mit Lautstärkelevel zehn, was die oberste Grenze war. Die Bassbox im Kofferraum dröhnte und das Auto vibrierte beim Einsetzen des Schlagzeuges. Er schaute noch einmal zu seiner Freundin, die ihm aber den Rücken zukehrte, und so gab er Gas. Jetzt war es ihm egal, ob die Anwohner wach wurden. Der BMW fuhr mit quietschenden Reifen vom Parkplatz auf die Straße und verschwand.

Patrizia Schmidt war nun allein.

Sie war schon ein ängstlicher Typ, da sie aber nicht weit von ihrem Zuhause entfernt war und oft an diesem Ort in Kindheitstagen gespielt hatte, empfand sie jetzt keine Angst. Es dämmerte auch schon und es versprach, ein schöner Tag zu werden.

Sie beruhigte sich langsam und ihr Puls normalisierte sich.

Das sollte sich jedoch sehr schnell ändern.

Mittlerweile war es fünf Uhr morgens. Es war Sommer, doch es hatte sich in der Nacht etwas abgekühlt und so war es angenehm mild.

Wenn sie so verheult nach Hause kommen würde, und irgendeiner aus der Familie benutzte um diese Zeit immer das Klo, wären lästige Fragen angesagt, denen sie aus dem Weg gehen wollte.

So ging sie um die Hecke herum und betrat den Kinderspielplatz. Sie legte ihre Handtasche auf den hölzernen Tisch, an dem an schönen Tagen Mütter saßen, ein Schwätzchen hielten und ihre spielenden Kinder im Sand beobachteten.

Patrizia nahm ein Taschentuch und den kleinen, handlichen Spiegel aus der Tasche heraus.

Als sie sich die Nase putzen wollte, hob sie den Kopf und schaute in Richtung Rutschbahn zu dem großen Sandplatz.

Schlagartig setzte ihr Herzschlag für Sekunden aus und wurde dann wieder rasend schnell.

Ihr Brustkorb hob und senkte sich in schneller Folge. Ihre Augen waren noch tränenverschleiert und sie konnte noch nicht klar sehen.

Aber was sie noch undeutlich sah, ließ sie einen markerschütternden Schrei ausstoßen. Ihre Gedanken hatten noch nicht richtig registriert, was sich in ihren Augen spiegelte. Ihr Unterbewusstsein reagierte aber schlagartig und versetzte ihr zu den schon vorhandenen Bauchschmerzen auch noch zusätzliche Magenprobleme.

Dann sah sie ihn ganz deutlich.

Ein Kopf ragte aus dem Sand zwischen Rutschbahn und Drehkarussell hervor. Durch einen kleinen Windstoß wurden die Haare auf dem Kopf bewegt und so schien es einen Augenblick lang, als ob sich der Kopf selbst bewegte.

Ihr zweiter Schrei, länger und lauter als der erste, bewirkte, dass zwei Häuser weiter ein Rollladen hochgezogen wurde und eine männliche Stimme rief: »He, was ist da los? Mitten in der Nacht! Frechheit, so ein Krach zu machen! Wenn nicht gleich Ruhe ist, rufe ich die Polizei!«

Patrizia Schmidt antwortete dem Rufer mit hysterisch hoher Stimme.

»Hier ist ein Kopf im Sand. Polizei! Rufen Sie die Polizei!«

Sie musste es noch mal wiederholen, dann erst war der Mann überzeugt und griff zum Telefon.

Patrizia lief auf die Straße. Die kurze Strecke zu ihrem Elternhaus legte sie in Rekordzeit zurück.

Als die Polizei ankam, war es mittlerweile hell. Man hatte sich Zeit gelassen. Den Anruf hatte man in der Wache zwar entgegengenommen, aber als Scherz abgetan. Der Einsatzleiter fragte nach, welches Fahrzeug in der Nähe der angegebenen Adresse sei und gab über Funk den Kollegen die Order durch, doch mal dort vorbei zu schauen.

»Dort soll ein Kopf im Sand eines Spielplatzes stecken. Wahrscheinlich ein Scherz Jugendlicher. Ermitteln Sie wegen nächtlicher Ruhestörung. Die hat ein gewisser Manfred Paulis gemeldet.«

Er gab die genaue Adresse des Anwohners durch und beendete den Funkverkehr.

Die Beamten schauten sich an und lachten.

»Ein Kopf! Haha. Ein Fußball mit ’nem Hut drauf. Hahaha.«

Sein Kollege war nicht so gut gelaunt und kommentierte das Ganze ärgerlich.

»Ewig diese Betrunkenen nachts. Saufen bis in die Morgenstunden und meinen sie müssten uns, die schließlich arbeiten müssen, noch zusätzlich Ärger bereiten. Und gegen solche Menschen kannst du gar nichts unternehmen. Die lachen dich noch aus. Na gut. Sehen wir uns den Kopf mal an. Bis Schichtwechsel ist es eh noch ’ne Stunde.«

Als sie mit Blaulicht den Berg hinauf fuhren, standen trotz der frühen Stunde schon einige Menschen auf der Straße.

Sie parkten den Dienstwagen auf dem großen Parkplatz am Sportplatz, stiegen aus und erkundigten sich bei den Versammelten, wer die Polizei gerufen hatte.

Patrizia Schmidt und ihre Eltern machten einen schockierten Eindruck auf die Polizisten.

Diese erkannten nun doch sehr schnell, dass es sich hier um eine ernste Sache handeln musste.

»Wer hat den Kopf entdeckt?«

Patrizias Vater antwortete dem Beamten.

»Meine Tochter hat ihn zuerst gesehen.«

»Aha. Wie alt ist Ihre Tochter? Und was macht sie nachts um vier hier auf dem Spielplatz?«

Herr Schmidt wurde etwas rot im Gesicht. Er wusste genau, was seine Tochter und ihr Freund hier wollten. Allerdings empfand er die Frage des Polizisten als sehr anzüglich und so fiel seine Antwort sehr knapp aus.

»Nun, meine Tochter ist alt genug. Ihr Freund hat sie nach Hause gefahren.«

Die Beamten waren nicht weiter an ihm interessiert und gingen vom Parkplatz um die sichtversperrende Hecke herum.

Sie schauten sich den Kopf aus einiger Entfernung genauer an. Im Strahl des Scheinwerferlichtes ihrer großen Batterieleuchte erkannten sie, dass es sich nicht um einen Fußball mit Hut handelte.

Der Kopf hatte auch keinen Hut auf. Die Haare wurden ab und zu von einer leichten Brise bewegt.

So fiel der Kommentar des einen Polizisten knapp und präzise aus.

»Ruf die Kripo. Das ist echt. Das ist nicht mehr unsere Sache.«

Mobbing Jäger

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