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3.

Kavvam jad Chi: Gescheiterte Flucht

Sie rannten.

Wie immer, wenn er in den tiefen Beobachtungsmodus wechselte und die aufgezeichneten Vorgänge so erlebte, als fänden sie genau in diesem Moment statt, fühlte sich Kavvam jad Chi für einen Moment, als habe man ihn mit eisig kaltem Wasser übergossen. Er war für die Sicherheit auf Drem-Doreus verantwortlich, jeder einzelne Omnit stand unter seiner Obhut. Er war der Salutor.

Es ist eine Meute ..., dachte er beim Anblick der Shafakk. Ein Rudel. Man sieht ihnen ihren Charakter an. Alles ist aggressiv, jede einzelne Bewegung.

Salutor. Das klang beeindruckender, als es tatsächlich war. Auf der Welt des Lichts ging es zwar um große, um gewaltige Dinge. Die interne Sicherheit indes hatte bei Weitem nicht die höchste Priorität. Denn Konfliktherde, die sich gewaltsam Bahn brachen, gab es auf Drem-Doreus so gut wie nicht. Man war unter sich – bis auf eine Ausnahme.

Kavvam jad Chi hatte die Zusammenrottung der Shafakk schon von Anfang an beobachtet. Zweifellos glaubten die Soldaten des Compariats, ihre Verschwörung sei nicht bemerkt worden. Hochmut und Selbstüberschätzung zeigten sich bei diesen Wesen in ihrer ganzen verkommenen Jämmerlichkeit. Unter der Leitung des Shafakk-Aahn, des höchsten Würdenträgers ihres Volkes, hetzte die Shafakkmeute ihrem Raumschiff entgegen. Borrt Atrrago hatte auf die Isolierung des Gadenhimmels sofort reagiert. Kaum war die Verbindung nach Jad-Kantraja abgerissen, hatte er gewusst, was die Stunde geschlagen hatte. Ob er selbst die Blockade des Omnitischen Herzens befohlen hatte, war Kavvam jad Chi nicht bekannt. Für ihn spielte es keine Rolle.

Er projizierte in sich eine Glyphe der Belustigung. Wie ein Rauchzeichen stieg sie in seiner Brust an die Oberfläche und verpuffte.

Nein, es war nicht lustig.

Wie in einem Traum sah und hörte Kavvam jad Chi die Explosionen der Sprengkörper, die die Shafakk großräumig verteilt hatten. Kleine Feuerkugeln und zuckende Blitze, dann der rollende Donner ... all das hatte er unter Kontrolle. Quantentaschen und Prallfelder dämmten die zerstörerische Wucht ein. Kavvam jad Chi glaubte, verbrannten Sprengstoff zu riechen; das war aber nur eine Illusion, um die Shafakk in Sicherheit zu wiegen. Strategie und Taktik der Soldaten des Compariats waren durchschaubar. Für einen Omniten wie ihn allemal.

Die Meute schoss um sich und zerstörte einige Roboter. Kavvam jad Chi wollte um jeden Preis vermeiden, dass sich das Rudel aufteilte. Jeden einzeln einzufangen, war möglich, aber aufwendig. Denn Shafakk waren gute Soldaten und Kämpfer – außerhalb ihres Metiers eher eine Zumutung, sie jedoch zu unterschätzen, war ein Fehler.

Er konzentrierte sich intensiv auf die holografische Bild-/Ton-Aufzeichnung, war aber weiterhin für aktuelle Nachrichten und Kommentare von außen erreichbar. Ein Konziliat stand bevor: Die Gaden würden sich versammeln. Ständig ergaben sich Fragen bezüglich des Ablaufs, der Organisation und Sicherheit des Treffens. Der Gewaltausbruch der Shafakkdiplomaten war zur Unzeit geschehen. Das Konziliat blieb sehr viel wichtiger.

Mem Kauperon würde ihn piesacken. Der neue Fokussor genoss es, seine Position zur Schau zu stellen. Ein dunkler Rauchklumpen aus Wut und Beschimpfungen stieg in Kavvam jad Chi hoch. Er konzentrierte sich wieder auf die fliehenden Shafakk, die ihr Scheitern nicht einmal bemerkt hatten. Es heiterte Kavvam jad Chi etwas auf, sie in die Falle laufen zu sehen.

Eine zweite Explosionswelle produzierte genügend Lärm, um Atrrago und die seinen in Sicherheit zu wiegen.

Die Illusion von Gewalt und Zerstörung reicht, damit sie sich wohlfühlen, dachte Kavvam jad Chi.

Die Shafakkmeute erreichte den Hangar, in dem ihre Miniaturxaphake bereitstand. Um das kugelförmige Technikherz des Schiffs, die Vaapula, zogen sich wabenförmige Technikzellen wie ein stark strukturiertes Band. Kavvam jad Chi lächelte schmal, als er das Signal gab.

Hinter den tobenden Shafakk entstanden kräftige Prallfelder, die sich sofort nach vorn hin schlossen. Ihre Stärke war auf die Bewaffnung der Shafakk ausgelegt – sie konnten die Schirme nicht durchbrechen, nicht mal bei konzentriertem Punktbeschuss.

Selbstverständlich versuchten sie es. Die Glutpunkte waren beeindruckend, aber es war lediglich ein Spektakel – und ihr Raumschiff konnten sie nicht mehr erreichen. Komplett isoliert lag es hinter einer Quantenschranke, einer Variante der auch den Shafakk bekannten Quantentaschentechnik.

»Sie müssten sofort die Waffen strecken«, hörte er die aufgezeichnete Stimme von Surron jad Sichanti. Er war seit vielen Jahren ein geschätzter Mitarbeiter. Kavvam jad Chi vertraute ihm ohne Vorbehalte, obwohl er einer anderen Gade angehörte. Das war selten, denn die Intrigen zwischen den Familien waren eine überaus üble, aber ebenso alte Angewohnheit.

»Warum begreifen sie nicht, dass sie verloren haben?«, hatte Surron jad Sichanti gefragt. »Haben sie ernsthaft angenommen, ihre Ausrüstung könne mit der unseren konkurrieren? Hier, auf Drem-Doreus? Wie vermessen. Wie jämmerlich!«

»Bei ihrer Konstruktion wurde vor allem Wert auf Kampfkraft gelegt. Die psychischen Fähigkeiten indes beschränken sich auf Taktik und rudimentäre strategische Fähigkeiten in einer Auseinandersetzung«, hatte Kavvam jad Chi geantwortet. »Selbstkritik oder schon eine genügend große Selbstdistanzierung überfordern sie. Ist ihre Wut nicht beeindruckend?«

Das war sie. Die Shafakk erinnerten Kavvam jad Chi an schwarze, aufgeregte Nagetiere. Die Sperrfelder glühten beängstigend, obwohl sie ihre Leistungsgrenze noch längst nicht erreicht hatten. Die Luft im Innern kochte. Drei Shafakk, die keine kompletten Schutzanzüge trugen, lagen bereits am Boden. Die Hitze hatte ihre Lungen zerstört, das Fell qualmte und veraschte.

Sie nehmen nicht mal Rücksicht auf die eigenen Leute, dachte der Salutor verstört. Obwohl sie wissen müssen, dass diese Opfer umsonst sind. Sie weigern sich einfach, die Niederlage zur Kenntnis zu nehmen.

Auch die Omniten selbst nahmen zuweilen durchaus Opfer in Kauf – und muteten sie anderen zu, wenn das unumgänglich war. Allerdings nie ohne guten Grund.

»Schalten Sie den Clouvis ein!«, hatte Kavvam jad Chi laut befohlen.

Surron jad Sichanti hatte bestätigt, keine Sekunde später schloss sich ein Energiekäfig um die Minixaphake. Glühend rote, vibrierende Linien, Wurzeln oder Schlingpflanzen gleich, legten sich um das Raumschiff: dünne Fäden aus Lava.

Kavvam jad Chi zoomte Atrrago heran. Der Shafakk-Aahn fletschte seine Kasshs. Der Salutor wusste, dass diese Zahnhülsen aufwendig hergestellt waren, kunstvoll verziert, aber sie widerten ihn an. Kunst zur Verherrlichung von Gewalt empfand er als Verbrechen.

Ihre Kunst ist so barbarisch wie sie selbst, sinnierte er. Wir sind gezwungen, das zu tun, was notwendig ist. Sie jedoch genießen die Gewalt um ihrer selbst willen. Wahrscheinlich ist das ein Konstruktionsfehler.

Die Shafakk waren eine Züchtung, genetisch aus einer Urform auf die Notwendigkeiten hin konstruiert. Sie waren ein Werkzeug, weiter nichts.

Nach einer unglaublich langen Zeit erst stellten die verbliebenen Shafakk das Feuer ein. Kavvam jad Chi sah blutunterlaufende Augen und speicheltriefende Zähne.

Der Salutor beendete die Aufzeichnung und wechselte mental in die Gegenwart zurück. Die Vergangenheit verblasste.

Er hatte angeordnet, die Shafakk von Borrt Atrrago zu trennen. Verloren sie ihren Anführer, waren sie besser unter Kontrolle zu halten.

Atrrago war allein. Kavvam jad Chi ließ sich den Arrestbereich zeigen, speziell Atrragos Zelle.

Glas! Spiegel! Überall!

Atrrago sah vielfache Spiegelungen von sich selbst, verzerrt, verkleinert, verformt. Der Shafakk-Aahn zischte wütend.

Er hat sich seit seiner Festsetzung kein bisschen beruhigt, dachte Kavvam jad Chi ernüchtert. Wie konnte ich hoffen, dass er das tun würde? Er kultiviert seine Wut wie eine eigene Kunstform.

Kavvam jad Chi musterte den Gefangenen, wie er es schon viele Male getan hatte. Ihm war die Behandlung des inhaftierten Shafakk-Aahn anvertraut, aber das brachte Schwierigkeiten mit sich, die ihn verunsicherten. Er verstand den Shafakk nicht. Seine Beobachtung des Gefangenen hatte daran kaum etwas geändert. Atrrago konnte den Salutor nicht sehen. Wenn Kavvam jad Chi den Shafakk besuchte, tarnte sich der Salutor in einer Quantentasche, die ihn verbarg. Der Shafakk-Aahn sah ihn nur, wenn Kavvam jad Chi das wollte.

Atrrago fühlte sich von seiner Spiegelumgebung und durch die unsichtbaren Beobachter zur Schau gestellt, daran ließ er keinen Zweifel. »Wie ein seltenes, wenn auch gefährliches Tier in einer Absurditätenausstellung«, so hatte er seine Situation bei einem der Analysegespräche beschrieben. Auf dem Basar von Sukar Masir konnte man Darbietungen dieser Art besuchen. Kavvam jad Chi waren solche Schauspiele nie besonders spannend vorgekommen.

Es machte Atrrago wütend, angestarrt zu werden. Er war wie ein Museumsstück zu besichtigen, aber niemand tat es. Letzteres reizte ihn sogar umso stärker. Dieser Widersinn irritierte Kavvam jad Chi am meisten. Atrrago war gefährlich, daraus leitete er tatsächlich eine gewisse Anspruchshaltung ab. Das Angestarrtwerden wäre für ihn der Beweis gewesen, dass man ihn als gefährlich anerkannte. Die Verweigerung dieser Aufmerksamkeit beleidigte ihn, und er reagierte, wie das für seine Art typisch war: mit noch mehr Aggression.

Kavvam jad Chi empfand es als Versagen, dass er mit dem Shafakk-Aahn nicht weiterkam. Er war der Duktor seiner Gade, der Chi, aber die Bedeutung seiner Familie hatte abgenommen. Auf gewisse Weise war dies eine weitere Demütigung des Gefangenen, denn als oberster Diplomat kannte Atrrago die Verhältnisse zwischen den Gaden und ihre Rangordnung sehr genau. Dass nicht der Fokussor Mem Kauperon, sondern ein niedriger gestellter Omnit der einzige Gesprächspartner während der Gefangenschaft des Shafakk-Aahn war, beleidigte ihn zutiefst. Mem Kauperon hatte sich kein einziges Mal blicken lassen, obwohl Atrrago das immer wieder verlangt hatte.

Eine dringliche Anfrage lenkte Kavvam jad Chi ab. Erneut war das Konziliat das Thema. Die Sicherheit auf Drem-Doreus zu gewährleisten, war eine durchaus ehrenvolle Aufgabe. Aber bis zum Amt des Fokussors, dem Leiter des Konziliats, war es ein lichtjahreweiter Weg. Mem Kauperon versäumte keine Gelegenheit, ihn das spüren zu lassen – unterschwellig, aber deutlich genug. Die Routinevorbereitungen und ständigen Unterbrechungen seiner Analyse von Atrrago waren nervtötend, aber bei einem Konziliat durfte Kavvam jad Chi diese Arbeiten auf keinen Fall delegieren.

Er hörte den Shafakk-Aahn mit den Zähnen knirschen. Es war eine hilflose Geste der Auflehnung. Dazwischen waren Worte zu erahnen, die der Shafakk förmlich zerbiss. Kavvam jad Chi erhöhte die Aufnahmeempfindlichkeit der Akustikfelder.

»Würdelos!«, stieß der Shafakk zischend hervor.

Was meint er wohl mit Würde?, dachte Kavvam jad Chi. Wir haben sie geschaffen und verstehen unser eigenes Werk nicht. Das ist deprimierend.

Hierarchie war ein möglicher Schlüssel. Dieses Konzept war logisch. Der Shafakk-Aahn war der höchste Würdenträger seines Volkes. Man nannte ihn den »Hohen Meister«. In der relativ flachen Hierarchie der Shafakk stand er über allen anderen. Er hatte sich seinen Weg nach oben erkämpft. Für Kavvam jad Chi war diese aggressive Kultur barbarisch. Rein intellektuell konnte er die zivilisatorischen Strukturen der Shafakk begreifen, empathisch lehnte er sie jedoch komplett ab.

Der Shafakk-Aahn kauerte auf dem Boden einer Kammer, die scheinbar aus Glas bestand. Sie war geformt wie ein flaches Rotationsellipsoid. Links von ihm konnte Kavvam jad Chi, wenn er die Augen anstrengte, die haarfeinen Umrisslinien der Versorgungsschleusen erkennen. Sie waren viel zu klein, als dass sie für eine Flucht infrage gekommen wären.

»Der Kampf ist alles. Nur der findet das Leben, der den Tod sucht!«

Eine Shiire. Kavvam jad Chi wusste von den Sinnsprüchen der Shafakk, obwohl er kaum ein Dutzend zitieren konnte. Sein Interesse an dieser Pseudophilosophie war minimal. Im Prinzip war es immer dasselbe: Umschreibungen von »Dem Sieger gehört alles«.

Atrragos Stimme war ihm unangenehm. Laut, zischend, scharf wie eine ihrer geschliffenen Waffen. Der schwarze Pelz des Shafakk glänzte. Körperlich ging es ihm gut, er bekam alles, was er brauchte. Dennoch hatte er sich nicht beruhigt, wie Kavvam jad Chi das gehofft hatte.

Der Salutor wusste, dass der Shafakk-Aahn litt. Alles, was Atrrago zur Verfügung stand, waren die Worte eines Diplomaten. Und er durfte nicht mal Beleidigungen verwenden, um den Schwächeren ihren Platz deutlich zu machen. Das wäre zumindest akzeptabel gewesen, vermutete Kavvam jad Chi. Höfliche Diplomatie indes war eine kaum erträgliche Zumutung für einen Shafakk.

Bevor sich Kavvam jad Chi anderen und wichtigeren Dingen zuwandte, beobachtete er, wie Borrt Atrrago einen Kassh von den Fangzähnen zog.

Angewidert desaktivierte Kavvam jad Chi das Überwachungsholo. Er würde sich später weiter um den Shafakk-Aahn kümmern.

Perry Rhodan Neo 238: Die neun Türme

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