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SO

Eine völlig andere Art


K 1

"Das hilft garantiert!"

Na ja, wenn der das sagt. Schließlich ist es ja mein Hausarzt. Und außerdem, wenn ich mal Schulter- oder Rückenschmerzen habe, klebe ich mir ja auch so ein Pflaster auf die schmerzende Stelle und nach ein, zwei Tagen sind die Beschwerden wirklich weg. Gut, nicht hundertprozentig, aber zumindest hat der lästige, ziehende Schmerz soweit nachgelassen, dass ich nicht ständig mehr daran erinnert werde. Also, was soll's! Her mit dem Zeugs, ein Versuch ist es wert. Ab in die Apotheke, gut 30,-- € auf die Theke; für sieben Tage Anwendungen auch nicht gerade 'nen Sonderangebot, aber wenn's hilft?! Im Hinausgehen noch eben den mitleidsvollen Blick des Pillendrehers über sich ergehen lassen und nach Hause damit. Kurz unter die Dusche, Haut noch ein wenig trocknen lassen, die Wartezeit mit einer Zigarette überbrücken, Pflaster auf den Oberarm geklebt - dann harren auf die Dinge, die da kommen. Fünf Minuten!

Da fehlt doch irgendwas!?

Neun Minuten!


Die Zunge schmeckt fremd, überhaupt im gesamten Mund entsteht ein komischer Geschmack. Fad bis stinkig. Soll ich mir das alles nur einbilden?


Mal mit der Zunge über die Zähne, unter den Gaumen und den Unterkiefer abtasten. Die Hand muschelförmig auf Mund und Nase überstülpen, aus dem Mund ausatmen und schnell mit der Nase einatmen und gleichzeitig riechen. Nein, da ist nichts Unangenehmes. Kein ekliger, unappetitlicher Geruch. Aber irgendwie ist da doch was anderes im Mund. Sechzehn Minuten. Sollte das nur wegen des Nichtrauchens sein?

O.K. Ignorieren und ablenken. Haha ablenken. Da liegen sie doch. Feuerzeug gleich nebenan. Ich sehe sie und soll mich ablenken. Dreißig Minuten. Klasse. Und wenn ich die HB einfach in eine Schublade lege?

Mein Gott, ich habe es doch schon länger ausgehalten nicht zu rauchen, als dreißig Minuten. Ich denke nur an den verspäteten Start in Hannover. Einchecken, warten, Gangway, ins Flugzeug, eineinhalb Stunden warten, weil das Bodenpersonal irgendwelche Papiere nicht ordnungsgemäß ausgefüllt und zur Bestätigung vorgelegt hatten. Ganz zu schweigen vom klimatisierten Bus auf der Fahrt nach Süddeutschland, in dem nicht geraucht werden durfte. Vier Stunden und elf Minuten ohne Kippe. Also schlimmer kann's doch gar nicht sein.


Dreiundvierzig Minuten. Rauchen, rauchen, rauchen, da muss doch was zwischen die Finger und die Lippen vermissen auch schon den Filter. Schlimm, ich glaub das einfach nicht. Sie liegen ja auf dem kleinen Schränkchen, in der Küche....


Nein. Mach was. Irgend etwas. Irgend etwas, das dich nicht immer ans rauchen erinnert. O.K. Fernseher an. Bei dreißig Programmen sollte schon was dabei sein, was zur Ablenkung beiträgt. Eine Stunde und 12 Minuten. Nichts dabei was mich zum hinschauen animiert. Oder sollte der Lungenschmacht mein Desinteresse am fernsehen begründen? Dann mach was anders. Jooop. Abdeckung runter vom Keyboard; Noten raus; Power on; Style 121 Rumba; Geschwindigkeit, Tempo 120; Voice R1, Hawaijan Guitar; Voice R2, Pedal Steel Guitar; Intro; C-Akkord und los geht’s..... Spanisch Eyes. Neue Einstellung, Cha Cha Cha, Amor, Amor, Amor...., Bei mir bist Du scheen...., Seemann....., Detroit City....., zwischendurch mal aufs Klo.


Neeeein! Aufs Klo. Ohne Zigarette. Wie soll ich das denn durchstehen? Zeitung mitnehmen. Nützt nichts. So schnell war ich mein Leben lang noch nicht vom Topf gekommen. Versuch mal zu schlafen. Hat geklappt. Knapp zwei Stunden geschnarcht. Herrlich; schnell was trinken, damit der fade Geschmack im Mund nachlässt. Tut das gut. Ein paar Salmiak-Pastillen hinterher können nicht so verkehrt sein. Und jetzt eine rauchen. Blooooß nicht! Über 3 Stunden lang schon nicht mehr geraucht. Und jetzt willst du Blödmann rauchen? Mach es nicht. Setz dich aufs Fahrrad und dreh einige Runden. Eine Ewigkeit kein mehr Rad gefahren. Aber man verlernt es ja nicht. Einmal ums Karree. Nicht weiter. Zum Friedhof hoch, na ja soeben geschafft. Man, ich kann gar nicht richtig durchatmen. Auf der Friedhofbank erst mal eine Pause einlegen. Tut das gut. Jetzt eine rauchen. So 'n richtig tiefen Zug.


Hast du sie nicht alle? Rauchen? Du willst dir doch gerade das Rauchen abgewöhnen. Fahre lieber weiter, dann steht dir nicht mehr der Sinn nach rauchen. Ein Glück, zurück geht es wenigstens wieder bergab. Oder soll ich doch noch einen „Umweg“ fahren? Nicht rechts rum in Richtung Kneipe, sondern links in Richtung Sportplatz. Einmal über den Sportplatz, bis zum Dorfende und zurück? Wär auch nicht verkehrt. Erstens ist die Strecke ziemlich eben und außerdem überbrückt man so einen Batzen Zeit des Nichtrauchens. Alles klar, linksrum.

Viereinhalb Stunden. Du bist der Allergrößte. Man, was bist du für’nKerl. Viereinhalbstunden ohne Rauchen. Eigentlich müsste ich jetzt mal duschen. Und das Pflaster? Hält das? Auf der Packungsbeilage sagen sie ja, ohne weiteres möglich. Ich riskiers. Ahhhh, herrlich, frisch geduscht, so richtig schön kaputt vom abstrampeln, zur Belohnung jetzt 'ne Tasse Kaffee mit frischer Milch und 'ne Zig...... Mist! Da sind sie wieder, die Gelüste Rauch zu inhalieren. Das Wollen nach Nikotin. Der Dichter würde sagen: „Das Verlangen tobte in ihm und durchströmte begierig sein abtrünniges Fleisch“. Verdammt noch mal nee. Viereinhalb Stunden haste ausgehalten. Komm, nun bloß nicht ans Rauchen denken. Ablenken, ablenken. Ich brauch nicht rauchen. Nee ich doch nicht. Wo denkste hin. Iss dir mal 'ne Gurke oder 'ne Banane. Ein Äpfelchen?


Doch noch mal die Flimmerkiste an. Spielshow, Zeichentrick, Krimi: auch das noch, der raucht so genüsslich seine Zigarette, schnell weiter schalten. Ach guck mal da. Unsere Herrn Politiker. Was erzählt der da? Diätenerhöhung. Eine Unverschämtheit. Das der sich das traut. Sich öffentlich hinzustellen und mit den Argumenten der hohe Leistungsbereitschaft und Verantwortung die auf ihn lastet, eine Diätenerhöhung zu fordern. Die ganze Talkrunde gibt ihm auch noch Recht. Diese Schlitzohren. Sind schon maßlos überbezahlt, halten hier ein paar honorierte Vorträge, erstellen dort ein Gutachten und flüstern hier „handaufhaltend“ der Lobby gewisse Liebenswertigkeiten ins Ohr und wollen immer noch mehr. Schlitzohren? Von wegen Schlitzohren. Durchtriebene Raffzähne. Das ist ja schon nahezu mafiös. Ich halt’s nicht mehr aus. Eine rauchen. Um Gottes Willen nein, nicht jetzt. Was soll das denn? Fast fünf Stunden ohne! Hast dich doch nur über diese Bagage aufgeregt und deshalb rauchen? Ich brauch das jetzt und außerdem habe ich fünf Stunden durchgehalten! Ist doch schon mal was, oder? Dieses erlösende Gefühl endlich eine Zigarette rauchen zu können. Geil. Oh Gott, bin ich wirklich süchtig?


Das war wohl nichts mit dem Pflaster. Ist es möglich, dass es an meiner einer liegt? Habe ich zu wenig Willenskraft? Bin ich 'ne alte Memme? Ein alter Weichling? Möglich ist alles. Vielleicht hilft’s ja, wenn ich mir zusätzlich diese Antiraucherkaugummis einverleibe. Ich weiß nicht so recht. Hm, ein Versuch wär's wert. Also noch mal in die Apotheke Kaugummi kaufen. Stopp! Wenn ich in diese hämisch, Mitleid vorgaukelnde, dösige Hackfresse des „Drogenhändlers“ sehen muss.........! Der hat doch beim Pflaster schon so geguckt, wie der Sportlehrer, der dem verfetteten, mindestens 80 kg schweren, verzweifelnden, elfjährigen Jungen, zum zehnten Mal mit traurigem Gesicht und mitleidsvoller Stimme versucht zu erklären, dass er es wohl nicht schaffen wird, im Hochsprung die 1,80 m Marke zu erreichen. Nein, da gehe ich nicht hin. Auch wenn es normalerweise unser Haus- und Hofapotheker ist. Hab ja noch drei andere Pillendreher zur Auswahl.

Das Schlucken fällt mir schon schwer. Vom Kauen red ich gar nicht.

Meine Fresse.

Das „Scharnier“, das Ober- und Unterkiefer zusammenhält, schmerzt gewaltig. Der Schmerz zieht in die Schädeldecke, ja sogar die Haarwurzeln spüre ich. Von dort die Nackenstränge herunter bis ins Schlüsselbein. Und schlagartig fällt mir da der ältere Herr ein, der an der Supermarktkasse vor mir steht. Schätzungsweise 75 Jahre, gestyltes Gelhaar, Goldkettchen behangen, Lederkluft. Hundert Mal in der Minute, mindestens, kaute der auf seinem Gummi herum. Mit einem widerlich schmatzenden Geräusch riss er seinen Mund auf, um ihn anschließend mit einem ekelerregenden Glucksen, auf dem Kaumaterial herum beißend, wieder zu schließen. Nicht nur, dass es ihm nicht den Sinn kam, seine Mitmenschen könnten eventuell an seinem Verhalten Anstoß nehmen, neeeeein, vielmehr bemerkte er noch nicht einmal den Speichelverlust bei seiner Mundakrobatik. Woran ich mich aber in diesem Moment noch stärker erinnerte, waren seine Gesichtszüge. Durch das wahrscheinlich schon längere Zeit andauernde Kauen, sah der „junge“ Mann im Gesicht aus wie Arni Schwarzenegger an seinem Oberkörper. Voller, wirklich nicht schön ansehnlicher, heraustretende Müskelchen, Sehnen und Adern. Pfui Deibel.


Also das Gesichtsbodybuilding tut weh, mein Antlitz wird mit der Zeit unansehnlich und rauchen tu ich immer noch..... Nein nichts für mich.


War da nicht noch was mit Spray? Mit Nasenspray? Wieder in die Apotheke: einmal Nasenspray um Nichtraucher zu werden. Und hinein in den Rüssel. Boaahh, was ist das denn für ein Zeugs. Und hochziehen.

Jedes Mal, wenn ich den Versuch unternahm, mit Hilfsmittel oder mittels Hilfe anderer nicht zu rauchen, überkam mich die Fresslust. So auch jetzt wieder. Kaum das ich mir das Nasenspray reingezogen hatte und mir vornahm, ab nun rauchst du nicht mehr, ging’s los. Schnitzel, Schlagsahne, Mohrenköpfe, saure Gurken, Cola, Bon-Bon, Schokolade und so weiter und so weiter und so weiter. Alles schön geordnet und hintereinander. Das, was normalerweise das Privileg einer Schwangeren ist, machte sich mein Körper selbständig zu eigen. Acht Kilogramm in fünf Wochen. Versuche, während des Nichtraucherwerdens gleichzeitig ein wenig aufs Gewicht zu achten, führten dahin, dass ich um so schneller wieder mit dem Rauchen anfing.


Herr Doktor!!! Alles was ich bisher versucht habe ging kräftig in die Hose und ans Portemonnaie. Gibt’s denn da nichts, was wirklich hilft?

Die Krankenkassen bieten da so Entwöhnungskurse an. Völlig kostenlos. Und hier und da, höre ich von positiven Ergebnissen. Zumindest temporäre Erfolge. Ist ja schon mal was.

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