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Einen Monat lang, drei mal die Woche, jeweils Montags, Mittwochs und Donnerstags, von 19.00 Uhr bis 21.00 Uhr. Kursleiter: Theorie und unterstützende Körperanimation, Dr. Gabriel Maria Kenntenich Schottenberger. Kann er ja auch nichts zu. Ca. 170 cm hoch, schlank gegliedert, fast dürr, mit einem außergewöhnlich, aus der Figur herausragenden Kugelbauch. Knallrote „hautenge“ Jeans, die ziemlich genau auf der Mitte der Halbkugel herum rutschte, halbhohe Stiefel, weißes Hemd, grüne Krawatte, schulterlanges, gewelltes Haar, das bei jeder Kopfbewegung „im Winde wogte“. Sein strahlend, jugendliches Gesicht hat sich mindestens schon drei Mal einer anatomischen Optimierung unterziehen müssen. Dazu die Stimme von Alf. Man soll einen Menschen nicht nach dem ersten Eindruck beurteile. Aber...... nichts, im negativen Sinne, ist so bleibend, wie der erste Eindruck. Die ersten beiden Stunden -sogar mit drei Zigarettenpausen- bestanden darin uns aufzuklären, was eigentlich Zigaretten sind, woraus sie gemacht werden und wie reich die Zigarettenkonzerne seien. In der nächsten und übernächsten Etappe des Entwöhnungskurses folgten Beschreibungen von Krankheitsbildern, die auch nur im entferntesten etwas mit Rauchen zu tun hatten. Ein Auszug aus dem Repertoire unseres Referendars.


Raucher altern schneller als Nichtraucher.

Bei Alkoholikern: Tod meist durch Tabakkonsum.

Zigaretten erhöhen Risiko für Alzheimer-Krankheit. Rauchen vermindert Sinneszellen.

Rauchen erhöht Arthritis-Risiko.

Schlaganfall, vermehrt auch bei Pfeifen- und Zigarrenrauchern.

Rauchen schädigt auch die Nieren.

Der blaue Dunst schadet auch dem Mund. Einfluss des Rauchens auf Mund und Zähne. Mundhöhlenkrebs. Zahnimplantate gelingen besser bei Nichtrauchern. Zahnbettentzündungen.

Arterienverkalkung. Infarktrisiko eines Rauchers mehr als sechsmal so hoch als bei einem Nichtraucher.

Trotz Einnahme der Pille schwanger. Osteoporose. Viele junge Frauen riskieren Knochenverlust. Raucherinnen rücken sich mit jeder Zigarette einen Schritt näher an die Wechseljahre.

Die Hälfte aller Raucher sterben an ihrer Sucht.

Lungenkrebs. Rauchen, die wesentlichste Einzelursache für Krebs. Rauchen schädigt Gen zur Krebsabwehr.

Rückenschmerzen durch Zigaretten.

Wirbelsäulenoperationen misslingen öfter bei Rauchern.

Rauchen kann Blindheit verursachen.

Raucher altern schneller als Nichtraucher.

Rauchen lässt Gehirn schneller altern.

Rauchen verkürzt Penis.

Auf Raucher lauern Pneumokokken.

Raucher sterben früher.


Abwechselnd Vortrag, DIA-Show. Zuerst kamen Erklärungen zu den gerade aufgezählten Krankheitsbildern, worauf dann seine gefürchtete DIA-Show folgte. Während seiner Schlechtengewissenmachenanimation verließen fünf Kursteilnehmer den Raum; von siebzehn. O.k., man hat hier und dort schon mal Bilder gesehen, Real oder Fiktion, bei den man am liebsten sofort weg geschaut hätte. Aber was uns da geboten wurde?! Raucherbeinamputation. Der Patient auf dem Operationstisch, mit blauem Tuch abgedeckt. Nur das linke Bein bis hinauf zur Hüfte entblößt und mit einer roten Flüssigkeit eingepinselt. Nahaufnahmen.

Die ersten Schnitte mit dem Skalpell.

Nächstes Bild: „Haut- und Muskellappen“ stellen sich für den Laien als eine überwiegende rote, weiß-gelbliche Pampe da.

Das folgende „Stillleben“, ein Durcheinander von Scheren, Klammern, einer Unmenge von glänzenden Operationsinstrumenten mitten im Blutgematsche.

Makroaufnahme. Der Höhepunkt, ein weißliches etwas (Knochen) tritt in den Mittelpunkt der Aufnahme. Wie gerade eben aus meinem Werkzeugkasten entnommen: eine drei Zentimeter breite Eisensäge setzt gerade zum Schnitt an.

Die nächste Abbildung, das Werk ist vollbracht. Der Operateur hat den Stumpf mit etlichen Stichen vernäht.

Darstellung pervers, eine Person hält einen geöffneten Plastiksack zur Aufnahme bereit, eine andere Person zirkuliert das abgetrennte Gliedmaß über die Öffnung.

Sezieren eines an Lungenkrebs verstorbenen Mannes; Nierenoperationen; das bis zur Unkenntlichkeit vom Krebs zerfressene Gesicht einer fünfunddreißigjährigen Frau. Schockbilder wie sie der Regisseur eines Horrorfilmes nicht besser in Szene hätte setzen können. Gänsehautbilder die erschrecken, die abschrecken sollen.


Die zweite Woche begann mit ausgedehnten Atem- und Konzentrationsübungen. Locker auf dem Stuhl sitzen, Augen geschlossen, wenn möglich, an nichts denken, innere Einkehr, kräftiges, bei gleichzeitigem anheben der Schultern, tiefes einatmen. Ausatmen, ganz langsam, mit gespitztem Mund so zögernd ausblasen, dass einatmen und ausatmen annähernd die gleiche Zeit beanspruchen.


Zwischendurch die sowieso schon tiefe Alfstimme unseres Leiters, noch zwei, drei Nuancen tiefer, gebetsmühlenartig, suggestiv:


Ich will nicht mehr rauchen. Ich will nicht krank werden. Ich will keinen Krebs bekommen. Mir schmeckt die Zigarette nicht mehr. Es rauchen nur schwache Menschen. Starke brauchen nicht rauchen. Und immer wieder die Aufforderung ihm laut und deutlich nachzusprechen. Am Ende dieser Woche bildeten wir einen Kreis, fassten uns an die Hände, murmelten einen undefinierbaren Grunzlaut vor uns hin und sollten permanent ans Nichtrauchen denken. Das Nonplusultra in der letzten Stunde. Dr. Gabriel Maria Kenntenich Schottenberger in schwarzer Radlerhose, gelbem T-Shirt, Ballettschuhen, eine Stoppuhr in der Hand, bat uns in den Nachbarraum, der sich als großer Konferenzraum entpuppte. Tische und Stühle in einer Ecke gestapelt, Fenstervorhänge zugezogen. Nachdem alle Teilnehmer eine nicht brennende Zigarette ausgehändigt bekamen und in den Mund gesteckt hatten, bat uns der Doktor langsam im Viereck an den Außenwänden entlang zu laufen.


Hüpf, hüpf, die Beine beim Laufen hoch anziehend, „leicht wie eine Feder“, mit wallendem Haar machte er den Vorläufer. Es fehlte nur noch das Tutu. Auf sein Ermuntern, steigerten wir das Tempo. Drei Minuten. Vier Minuten. Fünf Minuten. Zigarette immer noch im Mund. Sieben Minuten. Ein schriller Pfiff. Wie ein Honigkuchenpferd, freudestrahlend lächelnd, stand er mitten im Raum, bat sofort anzuhalten, die Zigarette aus dem Mund zu nehmen, uns hinzusetzen, zu entspannen und ein paar Minuten so zu verweilen. Sinn dieser Übung, die wir sicherlich noch einige Male wiederholen würden, sei, mit Zigarette sollten Anstrengungen, Mühsal, Pein und Schmerzen verspürt, ohne Zigarette Gelöstheit und Wohlbefinden erfahren werden.


Ob ich das noch lange mitmache!? Und Lungenschmacht habe ich auch.

Dritte Woche. Vorträge ohne Diskussionen:


Sie sind süchtig. Gehen sie akribisch genau vor, möglichst mit einem bis ins Detail ausgearbeiteten Plan, wie sie sich von dieser Sucht befreien wollen. Sobald sie sich die nächste Zigarette anzünden, schließen sie bitte ihre Augen und denken daran, welche Folgen das Rauchen hat. Wie schädlich das Inhalieren ist. Denken sie daran, was ich ihnen über Direkte- und Folgekrankheiten vorgetragen und gezeigt habe. Ganz zu schweigen vom raus geschmissenen Geld. Lassen sie während des Rauchens ein Gefühl von Missmut, Ekel und Hass in sich aufkommen. Möchten sie ad hoc aufhören? Oder lieber ihren Zigarettenkonsum peu à peu in Richtung Null einschränken? Halten sie sich ein bestimmtes Datum vor Augen, Geburtstage, Hochzeitstag, Feiertage, Urlaubsbeginn oder einfach den letzten bzw. ersten Tag eines Monats, an dem sie den wichtigsten Tag ihres Lebens beginnen. Ändern sie ihr Leben. Wann rauchen sie am häufigsten. Schauen sie zu, dass sie, anstatt des Rauchens Ausgleiche schaffen. Sie brauchen nicht unbedingt eine Zigarette zwischen ihren Fingern halten. Nehmen sie ein zwei Euro-Stück und üben sie eine Jonglage.

Sie sparen eine Menge Geld durch den Rauchverzicht. Belohnen sie sich nach einer bestimmten Zeit des Nichtrauchens, indem sie schön ausgehen. Ein Abendessen mit Freunden. Nach dem Essen trinken sie einen Cappuccino.


Eine Masse an Literatur zur Raucherentwöhnung sind auf dem Markt. Suchen sie sich das für sie geeignete aus und legen sie los.

Selbsthilfegruppen. Zum Abschluss dieses Lehrganges bekommen sie einige Broschüren in den Adressen von Selbsthilfegruppen in ihrer Nähe aufgelistet sind, mit den sie Kontakt aufnehmen können. Mit Menschen zu sprechen und zu diskutieren, die das gleiche Schicksal teilen und vielleicht sogar schon vom rauchen ab sind, kann ihnen den Durchbruch zum Nichtraucher verschaffen. Gespräche mit fremden Leuten gleicher Allianz, deren Erfahrungsberichte und Tipps motivieren und bringen immer was.


Entziehen sie sich kennzeichnenden Raucherkonstellationen. Wenn sie mit einem öffentlichen Verkehrsmittel oder mit dem Flugzeug unterwegs sind, buchen sie immer Nichtraucher. Übergangszonen, Wartezonen betreten sie ab sofort in Richtung Nichtraucher-Abteilungen. Gehen sie nicht in ihre Stammkneipe an der Ecke. Und wenn sie es gar nicht lassen können, bitten sie ihren Gastwirt, genauso wie ihre Stammtischkumpel, sich nicht über sie lustig zu machen. So nach dem Motto:

na hat dir deine Olle das Rauchen verboten? Stehst aber ganz schön unterm Pantoffel.

Musste sparen? Oder willste Millionär werden?

Komm, lass uns noch eine Letzte rauchen. In zwei Wochen rauchst du ja doch wieder.


Vielmehr bitten sie ihr Gegenüber, auf sie acht zu geben, nicht zu rauchen. Genau so wie es ein guter Kneipenwirt macht, wenn er ihnen fürsorglich den Autoschlüssel wegnimmt, ein Taxi ruft und sie bittet, morgen vorbeizukommen um den „Deckel“ zu bezahlen.


Thema Internet. Sollten sie mit dem Netz verbunden sein, surfen sie doch einfach mal durch die Informationswelt „Nichtrauchen“. Sie können geradezu in einer Fülle von Auskünften, Orientierungshilfen oder Botschaften, mit Hinweisen wie, wo, warum, was ihnen weiterhilft in ihrem harten, aber nicht aussichtslosen Kampf gegen das Rauchen, baden. Nichtraucher angetane Gastronomiebetriebe finden sie genauso schnell wie Infos übers Passivrauchen, dem Weltnichtrauchertag oder sie können mal in militanten Nichtraucherforen rein horchen und ihren Senf dazugeben .


Vierte Woche. Ich rauche übrigens immer noch. Und wenn mich mein Gefühl nicht täuscht, nachgerechnet habe ich nicht, sogar mehr als vor Beginn des Seminars. Nicht erst jetzt mache ich mir so meine Gedanken über den Sinn und Zweck und das Gelingen der Nichtraucherlektionen, des teuer von meiner Krankenkasse bezahlten Herrn Dr. Gabriel Maria Kenntenich Schottenberger.


Die erste Stunde habe ich noch geduldig über mich ergehen lassen: Akupressur.


Die bildhaft auf einer Leinwand projektierten Akupressurpunkte mussten wir am eigenen Leibe bearbeiten. Mit einem ca. zwanzig Zentimeter langen, sich nach einem Ende auf zwei Millimeter verjüngendem Plastikstab, begann die Tortur. Füße, Knie, Bauch, Finger, Handrücken, Brust, Hals, Ohren, Wangen, Nasenwurzel und Kopfhaut erfuhren eine eher nicht schmerzfreie Punktmassage.

Dann der Gipfel. Wir setzten uns auf den Boden und schoben uns so ineinander, dass eine Formationsreihe entstand, die an einen Tausendfüßler erinnerte. Die Hände bei seinem Vordermann auf die Schultern gelegt und mit einem leisen, indianischen Gemurmel, wiegende Bewegungen nach vorn und hinten ausgeführt. Trance, Traumzustand, Selbsthypnose nennt man so etwas. Dr. Gabriel Maria Kenntenich Schottenberger hockte im Schneidersitz direkt vor uns und versuchte mit gedämpfter Stimme Ruhe, Entspannung und Befreiung von den Alltagssorgen zu suggerieren. Für mich war das, dass „Maß aller Dinge“, der Höhepunkt der Lächerlichkeiten war überschritten. Und außerdem machte sich mal wieder Lungenschmacht bemerkbar. Ich stand augenblicklich auf, wünschte noch allgemein ein gutes Gelingen und verließ den Übungsraum.


Zwei Jahre und etliche Versuche mit dem Rauchen aufzuhören später. Flug Nr. AB 6345, Abflug 6.00 Uhr Paderborn, Ankunft Ibiza 8.25 Uhr. Ich wollte nie auf dieser Insel urlauben. Ibiza war für mich der Inbegriff der Sünde. Ich verband Ibiza mit hemmungslosen Partys, maßlosem Konsum von Rauschgift und Alkohol bis zum Delirium. Nun doch Ibiza. Aber eins nach dem anderen.

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