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Vorwort

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Ich habe erlebt, wie die Phosphor-Zündhölzer aufkamen, der Anknöpfkragen, die Manschette, das Briefpapier, die Briefmarken, die kurzen Hosen, der Herrenmantel, der Zylinder, der Halbstiefel, das metrische System, die Dampfschiffe der Loire … die Omnibusse, die Eisenbahn, die Straßenbahn, das Gas, die Elektrizität, der Telegraf, das Telefon, der Phonograf«, zählt Verne beinahe atemlos in seinen Kindheits- und Jugenderinnerungen auf und macht damit die rasanten Veränderungen des Alltags im 19. Jahrhundert spürbar.

Kleidung, Kultur, Maßeinheiten, Mobilität, Kommunikation, das wirkt konfus und heterogen, aber es ist für Verne offenbar doch miteinander verbunden. Zusammengehalten wird all das allein schon durch das metrische System, das sich unsichtbar über alles legte und alles einheitlich beschreibbar machte. Im 19. Jahrhundert erlangen Zahlen einen bisher unbekannten Protagonismus und werden zum Maß aller Dinge, weil sich alles messen und berechnen lässt. In Vernes Romantitel rücken sie sogar so prominent in den Vordergrund – Fünf Wochen im Ballon, 20.000 Meilen unter den Meeren, In 80 Tagen um die Welt –, dass sie schon kaum mehr auffallen. Dabei steckt in ihnen ein Schlüssel zum Verständnis des Werkes und seiner Zeit: Exaktes Zählen und systematische Einheiten werden zu den Voraussetzungen des wissenschaftlichen Fortschritts und erhalten bei Verne literarische Würde, wobei die Betonung auf der Exaktheit und der Systematik liegt, die den eigentlichen Unterschied zur Vergangenheit ausmachen. Denn erst die Exaktheit machte Wissenschaft zuverlässig, und erst die Systematik machte sie international kommunizierbar.

War das 19. Jahrhundert die Wiege der heutigen Wissensgesellschaft, so ist es Verne wie kaum einem anderen gelungen, die technischen und damit verbundenen kulturellen Weichenstellungen erzählend zu begleiten. Dafür hat er eine Gattung kreiert, die als seine wichtigste innovative Leistung gilt: den wissenschaftlichen Roman. Er zeichnet sich auf der Oberfläche durch eine Fülle von geografischen, technischen, zoologischen, botanischen oder mineralogischen Details aus und führt unterschwellig wissenschaftlich gelenktes Denken und Handeln von Figuren vor, die zu modernen Helden und Vorbildern wurden. In dieser Hinsicht darf Verne als ein Schlüsselautor eines Jahrhunderts gelten, in dessen Bahnen wir uns heute noch bewegen.

Nach den ersten Erfolgen entwickelte Verne das enzyklopädische Projekt, die ganze Welt in Romanform darzustellen und in der Reihe der Außergewöhnlichen Reisen zu versammeln, eine titanische Aufgabe, in die seine Lebensenergie geflossen ist und die nach 64 Romanen und gut 43 Jahren disziplinierten Schreibens durch seinen Tod unterbrochen wurde. Diese ungeheure Menge stellt Forscher und Biografen vor keine leichte Aufgabe. Denn allen Texten gerecht zu werden, ist auf begrenztem Raum so gut wie unmöglich. Es gilt somit, eine repräsentative Auswahl der Romane zu treffen. Die vorliegende Biografie konzentriert sich daher auf Vernes produktivste und originellste Schaffenszeit zwischen 1862 und 1875.

Bei so hoher Produktivität bilden Leben und Schaffen notwendigerweise eine große Schnittmenge, denn Verne hat die meiste Zeit seines Lebens mit der Feder in der Hand verbracht. Auf den Vorschlag eines italienischen Verehrers namens Mario Turiello, doch eine Autobiografie zu verfassen, antwortete Verne 1902, dass seine Lebensgeschichte »nichts Interessantes zu bieten hätte«. Das war allzu bescheiden, denn Verne hat um sich selbst nie viel Aufheben gemacht, und bewusst untertrieben, denn seinen Sohn ermunterte er durchaus, eine biografische Studie über ihn zu verfassen. Dies ist jedoch nicht geschehen, so dass unsere wichtigste biografische Quelle Vernes umfangreiche Korrespondenz darstellt, am bedeutendsten darunter die gut 700 Briefe zwischen ihm und seinem Verleger Pierre-Jules Hetzel, die ein faszinierendes literarhistorisches Dokument darstellen und einen genauen Eindruck vom Entstehen der einzelnen Romane geben. Was Vernes Privatleben angeht, so bieten die Briefe an seinen Sohn Michel einen tiefen Einblick in das schwierige Verhältnis zwischen beiden, das sich für Verne als eine Dauerbelastung herausstellte.

Ergänzt wird die Briefliteratur durch eine stattliche Anzahl von Interviews, einer journalistischen Form, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt und damit vor allem Aussagen des älteren Jules Verne gesammelt hat. Vor diesem Hintergrund hat sich seit den 1960er Jahren eine akribische biografische Forschung entwickelt, die manchmal mit detektivischem Scharfsinn Lücken geschlossen hat und heute einen relativ genauen Eindruck von der Person und dem Leben Vernes vermittelt. Daraus ergibt sich das Profil eines bürgerlichen Schriftstellers, dem es gelungen ist, sich selbst als Autor zu verwirklichen und zugleich wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Wenn einem das Leben Vernes einen genauen Einblick in die Wertvorstellungen des 19. Jahrhunderts erlaubt, so erschließen seine Romane auf faszinierende Weise die kulturhistorischen Kontexte der Zeit. Sich heute noch mit ihm und seinem Werk auseinanderzusetzen, heißt, in die Ursprünge unserer Gegenwart einzutauchen und erstaunt festzustellen, dass trotz aller Unterschiede viele Konstanten zu beobachten sind, die dabei helfen, uns selbst besser zu verstehen.

Die Romantitel werden im Folgenden nur dann im Original belassen, wenn es keinen etablierten deutschen Titel gibt. Alle Zitate aus dem Französischen wurden eigens für diesen Band neu übersetzt.


Jules Verne

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