Читать книгу Erstma' machen! - Ralf Moeller - Страница 5
ОглавлениеW as weiß ich eigentlich über Ralf Moeller?
Dezember 2019 in Nordrhein-Westfalen. Warmer Nieselregen rinnt an den Scheiben des ICE herunter, den ich in Köln bestiegen habe, um mich in Düsseldorf mit Ralf Moeller zu treffen. Der Zug macht auf Höhe Leverkusen einen ungeplanten Halt, weil irgendein Stellwerk nicht funktioniert, wie man uns über die Bordbeschallung mitteilt. Gladiator, klar. Bodybuilder, klar. Mr. Universum, klar. Karriere als Schauspieler in Hollywood, klar. Bester Freund von Arnold Schwarzenegger, klar.
Aber gibt es da etwas Persönliches? Haben wir uns irgendwo schon mal getroffen? Bei einer TV-Aufzeichnung? Bei einer Premiere? Ich denke hart nach und komme zu dem Schluss, dass wir uns noch nie Auge in Auge gegenübergestanden oder -gesessen haben.
Seit wann weiß ich, dass es Ralf Moeller gibt? Ich erinnere mich dunkel an einen Tatort. Wann war das nochmal?
Über die Bordbeschallung im ICE teilt man uns mit, dass man uns mitteilen würde, wenn es etwas mitzuteilen gäbe.
Ich sinke tiefer in meinen Sitz und denke nach. Dann fällt mir ein, dass wir ja 2019 haben und ich ein iPhone besitze. Ich googele mich durch und finde den alten Sonntagskrimi. Genau, es war der 1. Mai 1988. Ich erinnere mich an den Tag. Wettertechnisch war er eher nicht besonders. Sonne und Regen im Wechsel, zu kühl für ein T-Shirt. Abends: Tatort. Mit Schimanski. Da standen wir damals drauf. Mitten im Film erscheint ein Apfel essender Hüne und poliert Schimmi die Fresse.
»Ralf Moeller«, sagte meine Mutter.
»Was?«, fragte ich.
»Ralf Moeller!«, sagte sie erneut.
Es stellte sich heraus, dass sie mit Ralf Moeller den Apfelesser meinte, der gerade zugeschlagen hatte.
»Der war vor zwei Jahren Mr. Universum«, sagte sie.
Woher wusste meine Mutter so etwas?
»Aha«, erwiderte ich desinteressiert. »Ist das nicht Arnold Schwarzenegger?« Das sich daran anschließende Gespräch endete mit ein paar echten Erkenntnissen. Erstens: Man ist nicht ein Leben lang Mr. Universum, sondern es handelt sich um einen Wettbewerb mit einem jährlichen Sieger. Moeller war damals Sieger aller Klassen, sozusagen der bestgebaute und stärkste Mann der Welt. Zweitens: Ich sollte, statt Bier zu trinken und Kippen zu konsumieren, vielleicht auch mal etwas trainieren und mehr Äpfel essen. Drittens: aus der Zeitung! Aus den Punkten eins bis drei ergab sich in der Woche darauf tatsächlich Punkt vier: Ich begann, Äpfel zu essen. Einen Apfel am Tag. Also hat – genau genommen – Ralf Moeller meinem Körper eine ständige Vitaminzufuhr gesichert.
Ich muss lachen, als ich lese, dass der Tatort »Gebrochene Blüten« hieß, und frage mich: Soll ich ihm das gleich erzählen? Findet er so etwas lustig? Hat er einen Sinn dafür? Kann er sich bei seiner Filmografie überhaupt noch an diese Minirolle erinnern? Will er ein richtiges Gespräch oder ist das für ihn einfach ein Business-Date? Kommt er eine Stunde zu spät, telefoniert weiter mit einem Agenten, gibt mir die Hand, lächelt einmal und haut dann direkt wieder ab? Vielleicht wird auch vorher noch ein Foto geknipst, er geht und ich muss seine Getränke zahlen. Oder er kann mich gar nicht leiden und macht auf dem Absatz kehrt, wenn er mich nur sieht. Ein schneller Check: Was habe ich an? Beruhigt atme ich aus. Alles im Rahmen. Ich stecke mir eine Zigarette zwischen die Lippen, kurz darauf kommt eine Durchsage. Wir würden jetzt wohl gleich weiterfahren, die Geschichte mit dem Stellwerk hätte sich erledigt.
Mein Date mit Ralf Moeller ist auf 11.00 Uhr terminiert und findet im La Casa del Habano in Düsseldorf statt. Das liegt zu Fuß etwa 300 Meter vom Hauptbahnhof entfernt. Die Fahrt mit dem Taxi kostet 17 Euro, wenn man sich nicht auskennt und dem Fahrer dummerweise sagt, man käme aus Köln.
Es riecht nach frischem Zigarrenrauch und Kaffee, für die Gäste stehen Ledersofas im Chesterfieldstil bereit. Ich sitze als Einziger da und so hat Ralf gar keine andere Wahl, als direkt auf mich zuzukommen. Er ist groß, wirkt in seiner Jeans und der blauen Trainingsjacke aber einfach nur gut trainiert, nicht wie ein Koloss. Er sieht mich an, lächelt und stellt sich höflich vor: »Hallo Tankred, ich bin Ralf. Herzlich willkommen, ich hoffe du musstest nicht warten.« Er macht das auf Augenhöhe, nicht floskelig amerikanisch, sondern eher offen und freundlich, so wie Elvis Presley, der in Interviews seinen Gesprächspartner immer mit »Sir« anredete. Wir sind ungefähr 30 Sekunden im selben Raum und schon verstehe ich, warum jeder, den man nach Ralf Moeller fragt, sagt, der sei ein feiner Kerl.
Wir geben uns die Hand. Dabei verfällt er nicht in diese Attitüde, die ich von den Bodybuildern aus meinem Heimatdorf kenne. Die zerquetschen einem fast die Hand, und wenn du gegendrückst, um den Schmerz aushalten zu können, legen sie nochmal nach. Ralfs Händedruck ist fest, aber nicht hart, seine Hand trocken und gepflegt. Heimlich schiele ich an mir herunter, um zu prüfen, wie meine Fingernägel aussehen, und bin beruhigt.
Ralf kennt den Besitzer des La Casa del Habano persönlich. Er erkundigt sich nach dessen Familie, lobt vor mir die Fähigkeiten des Mannes als Barista und bestellt uns zweimal Flat White, dazu eine Flasche Wasser. Dann führt er mich in den begehbaren Humidor, wo ich mich nicht entblöde zu fragen, ob denn die Zigarre in seinem Mund nicht nur Staffage für Fotos sei. Er lacht und sagt, er rauche wirklich gerne Havannas. Zielsicher greift Ralf in ein Regal, reicht mir eine Romeo y Julieta – etwas für Einsteiger – und nimmt sich selbst eine Cohiba. Zurück am Tisch schneidet er die Zigarren an, gibt uns Feuer und lehnt sich zurück. »So, jetzt machen wir also ein Buch!«
Unser Treffen ist ein Kennenlerntermin, der Verlag hat ihn organisiert. Wir sollen schauen, ob wir miteinander klarkommen. Herausfinden, ob Ralf bereit ist, mir Geschichten zu erzählen, mich in sein Leben eintauchen zu lassen, und ob ich das will. Ich habe schon Bücher und Drehbücher mit anderen zusammen geschrieben, aber noch nie ein Ghostwriting gemacht. Doch ich bin mir bereits nach ein paar Minuten sicher: Ich finde mein Gegenüber so sympathisch, dass ich zusagen werde. Bleibt nur noch die Frage: Will er mich auch?
In unserem Buch soll es darum gehen, wie Ralf Moeller, einstmals Schwimmmeister in Recklinghausen, zum Hollywoodstar wurde. Der Titel: Erstma’ machen. Was das für ihn bedeutet, will ich wissen.
Er überlegt nicht lange und legt los: »Schau mal, es ist doch so: Wenn du nicht anfängst, wenn du nicht erstmal machst, kannst du auch nicht zu einem Erfolg kommen. Ob ich mich mit 16 aufgemacht habe, um in Hollywood zu landen? Nein! Absolut nicht. Aber wenn man mich gefragt hätte, ob mir das gefallen würde, hätte ich natürlich Ja gesagt. Was weiß man schon, wo man im Endeffekt ankommt? Und ob das dort ist, wo man eigentlich hinwollte. Das Leben funktioniert ja nicht wie bei der Deutschen Bahn, wo du in Köln ein- und in Düsseldorf aussteigst.«
Hier unterbreche ich und merke an, dass das auch nur funktionieren würde, wenn in Leverkusen kein Stellwerk kaputt sei. Ralf schaut mich fragend an. Ich erzähle ihm die ganze Geschichte, auch das mit dem Apfel, und er gratuliert mir lachend zur täglichen Vitaminaufnahme.
Und dann holt er weiter aus: »Ich glaube nicht, dass jeder Mensch in der Lage ist, sein Ziel zu definieren. Er glaubt allerdings, es zu tun. Und das bringt ihn dazu, etwas zu beginnen. Ob das dann dort endet, wo er es sich vorgestellt hat, steht auf einem ganz anderen Blatt. Ich will damit nicht nur sagen, dass der Weg das Ziel ist – auch wenn das natürlich stimmt. Wer vor lauter Zielorientierung den Weg nicht zu schätzen weiß, der verschenkt jede Menge gute Zeit. Wenn du 40 Jahre lang malochst und dich währenddessen nur auf deine Rente freust, machst du etwas nicht richtig. Dann wirst du dich irgendwann fragen, wo die ganze Zeit geblieben ist und ob du nicht etwas hättest besser machen können, sprich, den Weg genießen. Wer morgens nicht lächelnd aufsteht, geht meistens abends mürrisch zu Bett. Und wenn ich morgens schon denke, was für ein Scheißtag mir bevorsteht, kann ich mir auch immer vorstellen, wie er noch viel übler aussehen könnte – und dann ist alles wieder okay. Ich komme nicht aus einem Slum, aber aus einem Arbeiterviertel. Natürlich träumt man da als kleiner Junge von Geld. Von Erfolg, von Porsches, Harleys und einer großen Villa und – wie alle Jungs aus Recklinghausen – davon, ein Filmstar zu werden.«
Als er das mit den Jungs aus Recklinghausen sagt, lacht er. Und ich muss mitlachen.
»Ich war Schwimmer. Schon früh habe ich zu den Besseren gehört, aber nur regional, nicht bundesweit. Ich war größer als die anderen, brauchte deshalb mehr Kraft und entsprechend mehr Muskeln. Das hat mich irgendwann zum Bodybuilding gebracht. Und das stellte sich als meine Berufung heraus. Mir wurde irgendwann klar, dass ich einmal genauso erfolgreich sein wollte wie Arnold Schwarzenegger, der in jeder Illustrierten zu sehen war. War ich neidisch? Nein. Nur so viel, dass es mich anspornte. Wollte ich Mr. Universum werden? Ja. Definitiv. Und falls ich damals schon wusste, dass ich gerne nach Hollywood wollte, war mir das zumindest zu dem Zeitpunkt nicht klar. Kann sein, dass es noch nicht im Gehirn angekommen war, aber schon irgendwo im Rückenmark saß, was weiß ich. Was ich aber wusste: Wenn du nicht anfängst, wenn du deinen Allerwertesten nicht hochbekommst, dann wird das gar nichts. Dann wäre ich heute noch im Hallenbad Süd in Recklinghausen und würde aufpassen, dass die Halbstarken keine Kopfsprünge vom Beckenrand machen. Nicht falsch verstehen, ich habe den Beruf des Schwimmmeisters sehr gerne erlernt, er ist immerhin der einzige Beruf mit drei Ms (hier lacht Ralf). Und wenn ich überall gescheitert wäre, würde ich heute versuchen, der weißen Hose ihre Würde zu bewahren. Aber ich hatte, um es konträr zu den Worten des großen Fußballers Jürgen ›Kobra‹ Wegmann zu sagen, erst kein Pech und dann kam auch noch viel Glück dazu. Letzteres wäre aber nicht möglich gewesen, hätte ich mich nicht immer wieder aufgemacht, nach dem Glück zu suchen.«
Wir reden sehr lange über sehr viel. Unser geplant einstündiges Sondierungstreffen dauert fast fünf Stunden, in denen mir klar wird, dass Ralf ein sehr guter Motivator mit erzählenswerten Geschichten ist – fernab von seiner Rolle als Hagen in Gladiator, die ihn seinerzeit auf der ganzen Welt noch bekannter machte, als er es schon war.
Sehr überrascht bin ich, als Ralf sagt, er hätte bereits Sachen von mir gesehen und gelesen. Und dass er sich gefragt hätte, ob die Leser, wenn sie dann bald seine Geschichten von mir getextet lesen, nicht denken würden, er könne das auf keinen Fall geschrieben haben. Und deshalb stellt er mir jetzt die Frage, ob es mir recht wäre, wenn wir es so machen: Er erzählt und ich bringe – wie ein Biograf – diese Geschichten zu Papier. Aus meiner Sicht. Und so kommen wir darauf, wie dieses Buch entstehen soll.
Bevor wir uns verabschieden, tauschen wir Nummern und Adressen aus, machen Selfies zusammen, posten sie und Ralf schenkt mir noch eine Zigarre für unterwegs. Für die Fahrt nach Hause kaufe ich mir im Bahnhof dann einen Apfel, halte meine Zigarre fest und habe gute Laune. Problemlos fahren wir dieses Mal an Leverkusen vorbei.