Читать книгу Erstma' machen! - Ralf Moeller - Страница 9
ОглавлениеE in Taxi hält vor dem Flughafen Düsseldorf, genauer: ein Mercedes 200 D der 123er-Baureihe. Die Sitze sind aus braunem Leder, der Fahrer bringt seit einer halben Million Kilometer Menschen von A nach B – hauptsächlich in Nordrhein-Westfalen.
Der Wagen steht vor Terminal A. Wer hier aussteigt, hat definitiv eine Reise vor sich. Der Fahrer macht den Motor nicht aus. Er läuft um das Auto herum, öffnet den Kofferraum, holt eine Sporttasche heraus und beobachtet dabei seine Passagiere – ein Pärchen, das sich liebevoll voneinander verabschiedet. Er nimmt sie ein letztes Mal in den Arm, dann nimmt er sein Gepäck und geht raschen Schrittes auf das Gebäude zu, hebt noch einmal lässig die rechte Hand und winkt, ohne sich umzudrehen. Sie schaut ihm hinterher und steigt wieder ins Auto. Sie muss nichts sagen, der Fahrer weiß, wo er hinfahren soll.
Im Flughafengebäude sind die Menschen besser gekleidet als in der City. Ein Herr in einem grauen Anzug sitzt auf einer Bank und raucht Pfeife. Er sieht aus wie ein gut verdienender Detektiv, der die Ehefrauen reicher Geschäftsmänner bespitzelt.
Ein älteres Pärchen, er in Boss, sie von Hermès umhüllt, verlässt ein Café und eilt in Richtung Gates.
Einem jungen Mädchen in Hotpants, die es wahrscheinlich selbst gekürzt hat, kann man trotz Kopfhörern und einer Ray-Ban Aviator ansehen, dass es sehr hübsch ist. Sie drückt einen Knopf auf ihrem Sony Walkman. Sie muss das Tape nicht umdrehen, es ist ein Modell mit Autoreverse. Ab und an fällt ihr Blick auf eine der großen Uhren. Sie wirkt freudig ungeduldig, als ob sie jemanden erwartet, auf den sie sich freut.
Das gesamte Terminal riecht nach Reisefieber, Parfüm und Rauch. Ja, richtig: Rauch. Man darf hier zwar nicht rauchen, was man will, aber dafür, wo man will.
Die Schlange vor dem LTU-Counter ist die längste. Alle, die hier anstehen, wollen in die USA. Gleich wird hier ein Zwölf-Stunden-Nonstop-Flug nach Los Angeles abgefertigt.
Der Mann aus dem Taxi trägt braune Chinos und ein lässiges weißes T-Shirt. Jetzt nimmt er seine Sonnenbrille ab, um zu checken, ob er sich in die richtige Schlange einsortiert hat. Er steht so gerade, als käme er direkt von einer Militärparade. Die anderen wartenden Passagiere werfen teils verstohlene, teils offen erstaunte Blicke auf ihn. Er ist größer als als alle anderen, er ist schwerer als alle anderen, er ist breiter als alle anderen. Er ist der Einzige, der aussieht, als würde er den Flieger anschieben können, falls es Startschwierigkeiten gibt. Seine Oberarme sind so dick wie ein durchschnittlicher Oberschenkel und er ist höchstwahrscheinlich der einzige Mr. Universum, der heute in diesem Flieger nach L. A. sitzen wird.
Auch Ende der 1980er-Jahre sind Recklinghausen und Los Angeles keine Nachbarstädte, aber man kann trotzdem davon ausgehen, dass im Herbst 1988 mehr Recklinghäuser durch L. A. laufen, als Demokraten in der Regierung Nordkoreas sitzen. Die Entfernung beträgt allerdings satte 9.000 Kilometer und die Reisezeit ist nicht so kurz, dass deine Frau – wenn du sagst: »Schatz, ich fliege mal eben nach Los Angeles« – dich mit den Worten entlässt: »Ist gut, bis nachher. Bring ein paar Eier mit, wenn du bei Edeka rumkommst, und grüß mir Stallone, wenn du ihn triffst.«
Außer vielleicht, man ist Ralf Moeller und wird von seiner angehenden Ehefrau sogar zum Düsseldorfer Flughafen begleitet, weil sie nach vier Jahren mit ihm solche Pläne einfach nicht mehr aus der Ruhe bringen können.
Bei dem Flieger handelt es sich um eine Boeing 757, hinter dem Cockpit befindet sich die erste Klasse, von der Economy durch einen gelben Vorgang getrennt. Dann folgen drei Abschnitte mit jeweils zwölf Sitzreihen à drei Plätzen und einem Gang in der Mitte. Die Flugbegleiterinnen heißen 1988 noch Stewardessen und sind genauso charmant wie hübsch und aufmerksam. Alle drei Stunden wird eine Mahlzeit serviert, unterschiedlichste Getränke gibt es wann und so viele man will, das Lächeln dazu ist inklusive.
Nach dem Mittagessen gibt es einen Espresso, und während Ralf an seinem Gangplatz in Reihe 17 versucht, ein Nickerchen zu machen, unterhält sich das Pärchen neben ihm über die bevorstehende Wahl in den USA. Er ist für Michael Dukakis und findet, nach acht Jahren Ronald Reagan und Republikanern wären jetzt die Demokraten wieder mal an der Reihe. Sie ist anderer Meinung, sie prophezeit einen Erdrutschsieg für George Bush (dessen Sohn George W. nach seiner Konvertierung zu den Methodisten fortan als wiedergeborener Christ völlig auf Alkohol zu verzichten gedenkt und nach einer Pleite im Ölgeschäft gerade dabei ist, einen Teil des Texas-Rangers-Baseballteams zu kaufen). George (ohne W.) Bush senior wäre eindeutig der bessere Kandidat. Er hält dagegen. Dukakis! Bush! Um doch noch zu einer Einigung zu kommen, fragen die beiden Ralf, was er denke, wer der beste Mann sei. Im Halbschlaf murmelt er seine Antwort: »Menahem Golan!«
Die beiden sind irritiert. Menahem Golan? Wer ist das? Gibt es einen dritten Kandidaten? Wissen sie etwas nicht? Doch Ralf können sie nicht mehr fragen. Der schläft.
Es gibt das sogenannte Kleine-Welt-Phänomen – über durchschnittlich 6,6 Ecken kennt jeder Mensch jeden. Den Begriff dafür erfand der US-Psychologe Stanley Milgram bereits 1967. 1988 kennt aber kaum jemand Ralf Moeller als Schauspieler. Er hatte seine kleine Rolle im Tatort, hatte deswegen Kontakt zu ein paar Leuten, macht ein paar Anrufe und ist dann zufällig zur rechten Zeit am rechten Ort, um jemanden zu treffen, der jemanden kennt, der einen kennt, der ihm Telefonnummer und Adresse von Menahem Golan geben kann. Was damals Tage dauerte, hätten wir mit Google heute in ein paar Sekunden erledigt. Nur was nützt einem eine Nummer samt Adresse? Die betreffende Person wird – gerade wenn sie erfolgreicher Filmproduzent in Hollywood ist – nicht einfach ans Telefon gehen, geschweige denn irgendjemandem, von dem sie nichts weiß oder den sie nicht erwartet, die Tür öffnen.
Menahem Golan ist wirklich nicht irgendwer. Wenn es im Kino auf der Leinwand knallt, hat er meist daran mitgewirkt. Wahrscheinlich verursachte in den 1980ern in den Kinosälen dieser Welt niemand mehr Testosteron- und Adrenalinausschüttungen als er. Menahem Golan war Multimillionär, Drehbuchautor, Regisseur und Produzent, gemeinsam mit seinem Cousin Yoram Globus betrieb er die Filmproduktionsfirma Cannon Films. Die beiden zählten zu den wichtigsten Vertretern ihrer Branche und drehten bis zu 40 Filme pro Jahr, hauptsächlich Actionstreifen mit Sylvester Stallone, Chuck Norris, Charles Bronson, Jean-Claude Van Damme, Richard Chamberlain, David Bradley und Michael Dudikoff. Darunter Over the Top, Die City-Cobra, Missing in Action, Murphys Gesetz, Quatermain, Bloodsport und American Fighter. Auch die Komödien der Eis-am-Stiel-Reihe haben Golan und Globus zusammen produziert. Seit Golans Übernahme der Firma im Jahr 1979 hatte sich deren Wert verhundertfacht. Für Ralf war völlig klar: Wenn er als Mr. Universum in Hollywood irgendwo eine Chance bekommen könnte, dann bei diesem Typen.
Deshalb war er unterwegs und erreichte auch bald sein Ziel: Los Angeles International. Es riecht nach Kerosin, Palmen und Pinien, Aftershave und Freiheit. Wer 1988 hier landet und aus Europa kommt, reist über das Tom Bradley International Terminal ein. Wer von hier aus ein Taxi nimmt, kann während der Fahrt in die City die Frage beantworten, was 14 Meter hoch und 137 Meter lang ist und rund 220 Tonnen wiegt. Das Hollywood Sign.
Was fühlt man wohl, wenn man zum ersten Mal in seinem Leben durch Hollywood fährt? Wie ist es, wenn man nicht einfach als Tourist kommt, sondern einen Plan in der Tasche hat, der – vor einiger Zeit geschmiedet – jetzt in die Umsetzungsphase tritt? Der nun einen Point of no Return erreicht? Man könnte die Aufregung ein wenig in den Griff bekommen, indem man einfach mit dem Fahrer über die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen plaudert. Oder darüber, ob das Kreuz, das an einer Silberkette am Rückspiegel baumelt, dem Fahrer schon einmal Glück gebracht hat. Aber dazu müsste man Englisch können – zumindest besser als Ralf Moeller im Jahr 1988. Und natürlich wäre es hilfreich, wenn Jon Bon Jovi nicht ganz so laut aus den Boxen des etwas in die Jahre gekommenen Mercury Cougar ertönen würde. Vielleicht lieber ein gutes Stück von Udo Lindenberg, aber das ist hier in L. A. wohl eher unwahrscheinlich.
Während sich links und rechts monumentale Häuser mit Industriebauten abwechseln und die am Straßenrand geparkten Autos teurer werden, die Palmen gepflegter und größer und das Cab sich langsam dem Ziel nähert – der Kreuzung Wilshire/La Cienega Boulevard –, reicht es zumindest für Smalltalk über das Wetter. Ralf und der Fahrer sind der Meinung, dass es zwar heiß, aber recht erträglich sei. Für die letzten zehn Minuten herrscht Schweigen. Ralf kurbelt das Fenster herunter, atmet tief ein und saugt die kalifornische Luft in seine Lungen wie ein Staubsauger die Flusen von einem Perserteppich. Dann lehnt er sich noch einmal zurück, schließt die Augen und konzentriert sich ganz auf sein Ziel: Menahem Golan.
Er überlegt: Der Mann ist Israeli, ein Jude, vielleicht wäre es nützlich gewesen, man hätte sich eine Begrüßung auf Hebräisch beigebracht. Wie geht die nochmal? Schalom? Schalom, genau. Ist das denn gut oder wäre ein saloppes »Hi!« besser? Gibt man zuerst die Hand oder wartet man ab? Signalisiert man Respekt oder Selbstsicherheit? Fragen über Fragen, die Ralf quälen, während er auf dem Weg ist, eine große Chance zu nutzen – oder sie zu verspielen. Und sie quälen ihn so lange, bis ihm klar wird, dass es schon ein Privileg ist, überhaupt so weit gekommen zu sein. Dass er stolz auf sich sein kann, weil er den Mumm hatte, den gewählten Weg einzuschlagen, um seinen Traum zu verwirklichen. Ein Ziel ohne Plan ist und bleibt ein Wunsch. Doch das hier ist für Ralf mehr als ein Wunsch. Das hier wird gleich konkret. Was kann er schon verlieren? Nichts! Außer vielleicht das Geld und die Zeit für den Flug. Aber: Was kann er gewinnen? Alles! Und: Er will ja nicht die Hauptrolle im nächsten für einen Oscar nominierten Film, sondern einfach nur spielen. Erstma’ nur mitmachen.
Als Ralf vor dem Gebäude steht, in dem Cannon Films residiert, kann er ganz weit hinten immer noch das Hollywood Sign sehen. Schaut er zur einen Seite, sieht er den La Cienega Park, auf der anderen Seite diverse Konsulate, hauptsächlich südamerikanische, tolle Gebäude. Etwas weiter blinkt ihm ein goldenes McDonald’s-M entgegen. Das alles kann man jetzt ausgiebig betrachten oder man macht es wie Ralf, atmet ein letztes Mal tief ein, checkt nochmal schnell, ob das Deo gehalten hat, und betritt das Gebäude durch eine Drehtür. Dabei schaltet er das Gehirn aus und seinen Instinkt ein.
Im Foyer stehen Pflanzen, der Boden ist aus Marmor oder Granit, er sieht aus, als würde er stündlich blank gewischt. An dem einen Ende des Raums befinden sich Aufzüge, es gibt auch ein Treppenhaus, dazwischen steht ein Counter. Dahinter sind Firmenschilder angebracht, die darüber Auskunft geben, in welche Etage man muss. Cannon Films sitzt im siebten Stock, aber einfach hochfahren oder -laufen wäre Unsinn. Die Dame am Empfang sieht nicht unfreundlich aus. In Deutschland könnte sie sofort eine Rolle in der damals beliebten Anwaltsserie Liebling Kreuzberg übernehmen.
Ralf kennt sie nicht persönlich, aber ihre Stimme hat er in den letzten Tagen und Wochen sicherlich schon des Öfteren gehört. Es ist ja nicht so, als hätte er nicht schon mehrmals versucht, telefonisch einen Termin zu vereinbaren. Wenn man es genau nimmt, hat er in den letzten Wochen mindestens 20 Anrufe getätigt und mal mit dem und mal mit der gesprochen, es aber nie geschafft, weiterverbunden zu werden. Nicht einmal zu Mr. Golans persönlicher Assistentin. Einmal erklang deren Stimme im Hintergrund. Sie sagte in einem ziemlich verständlichen Englisch: »Tell him to call later. Or better: Tell him to call never again.«
Mit einem Kribbeln im Bauch, Adrenalin im Blut und dem Herzen in der Hand schreitet Ralf mit seinem gewinnendsten Lächeln auf die Dame zu.
»Ich möchte gerne zu Mr. Menahem Golan«, sagt er.
Was er denn da wünsche, will die Dame wissen.
Er würde in einem der nächsten Filme von Cannon Films eine Rolle spielen, antwortet Ralf und verschluckt das Wort »wollen« dabei absichtlich.
Ob man sich kennen würde, seine Stimme käme ihr so bekannt vor.
Ja, vielleicht vom Telefon, er rufe ja manchmal bei Mr. Golan an.
Aha. Soso. Ob er denn einen Termin hätte.
Nicht ganz!
Was denn »nicht ganz« zu bedeuten hätte.
Das bedeute, dass sich Mr. Golan sicherlich sehr über seinen Besuch freuen würde, aber nicht damit rechne, dass er heute erfolge.
Ob es Ralfs Lächeln war, seine Dreistigkeit oder vielleicht einfach das Wetter – niemand wird es jemals erfahren. Am Ende nimmt die Empfangsdame den Telefonhörer in die Hand und meldet, Mr. Ralf Moeller wäre im Haus, ob er hochkommen solle. Der steht vor ihr, wartet, wartet und weiß ein paar Sekunden später, dass er Hürde Nummer eins genommen hat. Er wird in den siebten Stock geschickt, Mr. Golans Assistentin wird ihn am Aufzug erwarten.
Nach einer Reise von zwölf Stunden mit drei Mahlzeiten, vier Stunden Schlaf, einem nicht so guten Bordfilm, zwei Taxis und einer Boeing 757 macht Ralf sich auf den Weg in den Aufzug. Die Tür schließt sich. Es geht aufwärts. Ralf spannt einmal alle Muskeln an, von der Wade bis zum Hals, er spielt mit seinen Fingern, um sie geschmeidig zu machen. Er prüft, ob seine Hände feucht sind – sind sie nicht.
In dieser Situation muss er an den »Elevator Pitch« denken, eine Methode, um eine Geschäftsidee konkret auf den Punkt und an den Mann zu bringen. Sie basiert im Filmbusiness zum Beispiel auf dem Szenario, dass ein Drehbuchautor einen Produzenten in einem Aufzug trifft und diesen während der Dauer einer Fahrt von seinem Vorhaben und vor allem von dessen Wert überzeugt. Gelingt dies, geht das Gespräch unmittelbar weiter oder man verabredet sich zu einem späteren Meeting.
Zwar will sich Ralf nicht als Autor vorstellen, aber seine Mission ist ähnlich. Er hat eine lange Reise hinter sich, um sich kurz mit jemandem zu treffen. Er wird gleich hoffentlich den führenden und erfolgreichsten Produzenten von Actionfilmen treffen, um ihn von einem Produkt zu überzeugen.
Sich selbst.
Er muss nur noch das letzte Bollwerk überwinden: Mr. Golans persönliche Assistentin. In einem Cannon-Film würde er jetzt mit einem Maschinengewehr in Klaviergröße durch die Räume laufen, die Assistentin würde einen Bikini aus Metall tragen, sich in seine Arme werfen und ihn, nachdem er Menahem Golan das Leben gerettet hat, hemmungslos küssen.
Die Tür des Aufzugs öffnet sich und vor Ralf steht eine Frau um die dreißig, der ein Metallbikini sehr gut stehen würde. Auf den Lippen ein Hollywood-Lächeln, doch in den Mundwinkeln eine gewisse Wall-Street-Härte, auf der Nase eine Brille. Sie schaut den 1,96 Meter großen und 136 Kilo schweren Besucher unbeeindruckt an. »Sir?«
Menahem Golan sitzt seit Stunden in einem Konferenzzimmer und braucht ein bisschen Luft. Er öffnet ein Fenster und schaut rüber in den La Cienega Park. Der Sound von Los Angeles schwappt in den Raum und umfängt ihn wie ein wärmendes Schaumbad im Spätherbst. Er ist zufrieden. Nächstes Jahr wird er sechzig, seine Crew dreht gerade Missing in Action 3 mit Chuck Norris, in den Kinos laufen Over the Top, Quatermain 2 und Masters of the Universe – plus ein paar andere Filme – so gut wie erwartet. Die Finanzierung für die nächsten Projekte steht. Am Tisch sitzt einer der größten lebenden Filmproduzenten, Carlo Ponti. Der damals 76-Jährige sieht allerdings keinen Tag älter aus als 59. Vielleicht ist das das Ergebnis, wenn man mit einer Frau wie Sophia Loren verheiratet ist. Ponti hat bis dato mehr als 140 Filme produziert, darunter Meisterwerke wie La Strada von Federico Fellini, Gestern, heute und morgen von Vittorio De Sica, Doktor Schiwago von David Lean und Blow Up von Michelangelo Antonioni. Überhaupt hat er mit vielen der wichtigsten Filmregisseure des 20. Jahrhunderts zusammengearbeitet. Er ist mehr als eine Legende.
Mit am Tisch sitzt Golans schon erwähnter Partner und Cousin Yoram Globus, es geht um einen neuen Film mit Jean-Claude Van Damme. Bloodsport war top, jetzt heißt es: nachlegen! Eigentlich könnte man mit dem Tag zufrieden sein. Menahem dreht sich um und schaut auf seinen Strohhut, der an der Wand hängt. An warmen Tagen schützt ihn dieser vor der kalifornischen Sonne. Gerade will er sich wieder setzen, als er durch die nicht ganz geschlossene Tür seine Assistentin mit jemandem reden hört, der mit einem harten Dialekt spricht und ihr erklärt, dass er zwölf Stunden geflogen ist, nur um fünf Minuten lang mit Mr. Golan zu sprechen.
Der grinst. Ja, er hört nicht zum ersten Mal, was die Leute alles tun, um ihn zu treffen. Und was sie alles dafür auf sich nehmen würden. Vor zwei Jahren tauchte zum Beispiel Jean-Claude Van Damme im siebten Stock auf und gab nicht eher Ruhe, bis er zeigen durfte, wie er aus dem Sprung auf zwei Stühlen einen Spagat machen konnte. Die Vorführung war so beeindruckend, dass er mit einer Vertragsoption in der Tasche das Haus verließ. Normalerweise interessiert es Menahem nicht besonders, wer bei ihm aufschlägt. Fast alle können keinen Spagat und die meisten, die sich vorstellen, finden sich vor allem selbst extrem talentiert und geeignet. Wenn er im Lauf seines Lebens eines gelernt hat, dann ist es, auf die eigene innere Stimme zu hören und nicht darauf, was die anderen sagen. Ob jemand aus Santa Monica oder vom Nordpol kommt, ist ihm eigentlich völlig piepe. Trotzdem hört er das Gespräch noch ein wenig mit an. Der Mann mit dem Dialekt zeigt anscheinend ein paar Bilder, er weist darauf hin, dass er vor zwei Jahren zum Mr. Universum gewählt wurde und nächste Woche noch einen Wettkampf auf Hawaii hat.
Menahem lächelt. Es gibt in Hollywood schon einen Mr. Universum mit einem harten Dialekt. Ende der 1980er gehört Arnold Schwarzenegger zu den bestverdienenden Schauspielern in Hollywood. Sein früher oft geschmähter Akzent ist mittlerweile zu einem unverwechselbaren Markenzeichen geworden. Menahem wird wacher, er hört genauer hin. Der Herr draußen ist keineswegs aufdringlich. Vielmehr bemüht er sich in dem ihm wohl bestmöglichen Englisch, seine Assistentin zu überzeugen und zu bezirzen, damit sie ihn vorbeilässt. Golan schaut auf die Uhr. Ihm bleiben eh nur noch ein paar Minuten, dann muss er das Haus verlassen. Was soll er machen? Das Meeting zu Ende bringen oder einen Blick auf den Deutschen werfen? Denn dass es sich um einen deutschen Akzent handelt, ist ihm mittlerweile klar.
32 Jahre später sitzen Ralf und ich in einem sehr guten Restaurant im Düsseldorfer Medienhafen. Dass er es geschafft hat, wissen wir. Sonst wären wir nicht hier. Ralf hat seinen mattschwarzen Mercedes der G-Klasse (es handelt sich bei Weitem nicht um das kleinste Modell, was ein weiteres Indiz dafür ist, dass es damals gut lief), in dem er mir gerade die Geschichte erzählt hat, im Halteverbot geparkt. Ich habe ihn darauf hingewiesen, aber er hat meine Bedenken weggelächelt. Wir würden in dem Laden so sitzen, dass wir im Notfall eingreifen könnten. Schneller als Wespen im August um einen Pflaumenkuchen schwirren auch schon drei Kellner und der Chef des Hauses um uns herum, wir bekommen mehr Aufmerksamkeit, als wenn eine Blondine oben ohne auf Schlittschuhen hereingekommen wäre.
Ich bin mit Ralf Moeller in seiner deutschen Hood.
Wie muss das erst in Los Angeles sein?
Ralf zündet sich die obligatorische Cohiba an, wir trinken einen Espresso. Ich gieße Wasser in unsere Gläser und warte darauf, dass er die Geschichte von eben zu Ende erzählt. Aber er lässt mich zappeln. Ich will wissen, wie er an der Assistentin vorbeikam, was er zu Menahem Golan sagte und wie der reagierte.
Genüsslich zieht Ralf noch einmal an der Zigarre.
»Weißt du, natürlich wäre ich enttäuscht gewesen, wenn ich es nicht geschafft hätte, mit Menahem Golan zu reden. Klar. Auf der anderen Seite: Was hätte ich mir dann vorwerfen sollen? Ich hatte getan, was in meiner Macht stand. Mehr ging nicht. Und jetzt sind wir an einem sehr interessanten Punkt. Selbst wenn du alles in deiner Macht Stehende tust, kann das Ergebnis unbefriedigend sein. Es kann immer etwas dazwischenkommen, das Leben ist nur bis zu einem gewissen Grad planbar. Daraus ergeben sich zwei weitere wichtige Dinge. Wenn man wirklich an etwas glaubt, darf man nicht sofort aufgeben, selbst wenn man erstmal scheitert!«
So weit Ralf. Ich selbst kenne mich mit Filmen einigermaßen aus, aber wer in den 1980ern was, mit wem und wie erfolgreich produziert hat? Keine Ahnung. Hat es damals nicht geklappt? Hat Ralf Mr. Golan nicht getroffen und mich eine Stunde lang umsonst auf die Folter gespannt? Was war nochmal sein erster Film? Ich kann mich an Universal Soldier erinnern, aber wann war das? Und wer – um Himmels willen – hat den Film gemacht?
Ralf trinkt sein Wasser aus, schaut mich an, grinst, wie er es sonst in einer Rolle tut, und spricht weiter.
»Das Zweite ist, dass man nicht nur alles richtig machen muss, sondern auch noch ein Quäntchen Glück braucht. Ich hätte schon am Empfang scheitern können, auch die Assistentin war kurz davor, mich rauszuwerfen – aber dann kam Menahem Golan aus einem Konferenzraum, winkte mich in sein Büro und ich bekam meine fünf Minuten. Ich wurde meinen Text los und dann nahm er mich mit in das Konferenzzimmer, das just in diesem Moment Carlo Ponti verließ. Der schüttelte mir die Hand, als wären wir alte Freunde. Golan schob mich in den Raum und stellte mich mit den Worten vor: »This is Captain America.« Mach das mal in Deutschland!«
Ralf lacht. Er zieht an der Zigarre, bläst den Rauch in die Luft und schon sind wir wieder in Hollywood, es ist 1988.
»Menahem Golan platzierte mich neben seinem Cousin und schon war ich Teil der Besprechung zum Film Cyborg. Ich wurde noch einmal richtig vorgestellt und bekam ein paar Tage später einen Vertrag für die Rolle des Brick Bardo. Meine Gage: 15.000 US-Dollar. Nach Abzug der Steuern blieb mir genug für den ersten Maßanzug meines Lebens und um ein Bild des Künstlers LeRoy Neiman zu kaufen. Das Geld war mir allerdings nicht so wichtig. Ich hatte ja auch mit dem Bodybuilding schon ganz gut verdient. Ich fand wichtiger, dass ich in Hollywood angekommen war. Jetzt lag es allein bei mir, etwas daraus zu machen oder es zu versauen.
Franz von Assisi, der Gründer des Franziskanerordens, der Mann, der mit den Vögeln gesprochen haben soll, sagte einmal: ›Beginne mit dem Notwendigen, dann tue das Mögliche und plötzlich wird das Unmögliche passieren.‹ Das kann ich für mich zu 100 Prozent unterschreiben.
Manchmal erscheint es so, als gäbe es keine Möglichkeit, das Gewünschte zu erreichen. Aber vielleicht ist das nur so, weil man es einfach noch nicht versucht hat. Könnten wir heute fliegen, wenn sich nicht immer wieder jemand darum bemüht hätte, das umzusetzen?«
Ralf hält inne und schaut kurz, ob sein Auto noch dasteht. Ja, es steht noch da.
»Ein paar Monate später lud Menahem mich zur Unterzeichnung eines Vertrags für drei Filme nach Cannes ein. Ich war im Ritz-Carlton untergebracht, beim Frühstück saß ich schräg gegenüber von Christopher Lambert, dem Highlander. In Cannes lernte ich Moshe Diamant, Executive Producer und Geschäftsführer von Trans World Entertainment kennen. Er nahm mich beiseite und wollte mit mir über Filmprojekte reden. Als wir das Hotel verließen, sah ich, wie Klaus Kinski, der mit dem Film Paganini einer der Stars der Filmfestspiele 1989 war, mit irgendjemandem stritt. Ich konnte nur sehen, dass es nicht Werner Herzog war. Moshe und ich spazierten dann durch Cannes. Vom Le Suquet über die Croisette bis zum öffentlichen Strand und zurück. Moshe erzählte mir von seinem Einsatz im Sechstagekrieg in Israel und von seinen Filmprojekten. Er plante, alle Karl-May-Filme noch einmal neu zu produzieren, und meinte, er hätte da eine Idee für mich. Als wir ein paar Stunden später wieder am Filmpalais vorbeikamen, stand dort Kinski und stritt immer noch lautstark. Ich erinnere mich, wie ich die Situation genoss. Ich hatte einen unterschriebenen Vertrag in der Tasche, ich hatte weitere Angebote, ich war in Cannes, neben mir stritt Klaus Kinski und ich dachte mir, dass Old Shatterhand auch nicht viel schlechter ist als Paganini.«
Ralf grinst.
»Weißt du, selbst wenn alle deine Freunde sagen, dass etwas unmöglich ist, du aber daran glaubst, dann mach es! Und hör nicht auf die, die dir deine Träume ausreden wollen.«