Читать книгу Der Anti-Koch (Die Gesellenjahre - Teil 1) - Ralf Real Shock - Страница 5
Bei Tchibo
Оглавление„Du hast doch morgen auch frei. Oder?“
„Ja?“
„Hast Du nicht Lust, dass wir uns in der Stadt treffen?“
„Klar, warum nicht. Wie viel Uhr denn?“
So gegen zehn? Bei Tchibo? Ich bin immer bei Tchibo um die Zeit.“
„In Ordnung.“
Als ich vor acht Tagen das erste Mal Breuer beim Schichtwechsel durch die Tür habe marschieren sehen, war er mir auf Anhieb sympathisch. Anscheinend konnte er mich auch von Anfang an gut leiden, denn sonst würden wir jetzt nicht an unserem freien Tag bei Tchibo gemeinsam an einem Tisch stehen, frisch gemahlenen Kaffee schlürfen und uns so unterhalten, als wenn wir uns schon das ganze zuvor gelebte Leben kennen würden.
„Der Pätzi, der mag Dich. Da hast Du ein Stein bei ihm im Brett. Der hat seine soziale Ader an Dir entdeckt oder wiederentdeckt.“
„Wieso? Wie meinst Du das?“
„Na, er hat auch in so einer Schleiferküche früher seine Lehre gemacht. So richtige Schweinemaloche. Hat er mir mal erzählt. Der ist fast jeden Abend heulend nach Hause gerannt. Der Küchenbulle da muss die Sau gewesen sein. Der hat regelmäßig bei seinen Lehrlingen Backpfeifen verteilt. Die hatten alle Schiss vor dem. Und einer ging immer nach Feierabend mit einer roten Wange nach Hause. Garantiert! Er hat aber durchgehalten. Weil er das Kochen so gut fand. Nur aus dem Grund. Vielleicht erzählt er ja noch mal davon.“
„Aber ganz so schlimm war es bei mir ja nicht. Geschlagen hat mich niemand.“
„Ja sicher, aber ich weiß auch nicht, der guckt immer so, als wenn er genau wüsste, was bei Dir so abgegangen ist. Hab ich in den paar Tagen, wo Du jetzt da bist, mehrmals zufällig beobachtet. Der sieht Dich als seine ganz persönliche Herausforderung an, Dir so einiges über das Kochen beizubringen. Hab ich so im Gefühl. Garantiert! Direkt am ersten Tag hat der mit Dir extra außer der Reihe eine klare Suppe angesetzt. Mit allem Pipapo. Das hat er bisher noch nie gemacht! Auch nicht beim Flöcki, ganz zu Anfang seiner Lehre! Nee, da haben wir echt schon Schwein gehabt mit unserem Küchenchef. Wenn ich so andere Betriebe höre, was da manchmal abgeht. Möchtest Du auch noch einen Kaffee? Ich gib einen aus. Oder einen Kakao?“
„Danke, nee, dann lieber Kakao.“
Kurz darauf stand Breuer mit der zweiten Fuhre an Heißgetränken am Tisch. „Ich glaub, der Flöcki findet das gar nicht gut, dass der Pätzi Dir mit dem Kochen auf die Sprünge hilft. Der sieht in Dir eine echte Konkurrenz. Der versuchte, seit er bei uns angefangen hatte, sich immer lieb Kind beim Pätzi zu machen.“
„Gestern in der Umkleide zischte Flöck plötzlich zu mir rüber; „Wenn Du meinst, Du kannst hier Schönwetter machen beim Chef, dann hast Du Dich aber geschnitten, Heinemann.“ Der war total wütend. Ich bin im ersten Moment zusammengezuckt, stand da, war völlig verdutzt, konnte nichts erwidern, war einfach nur noch sprachlos.“
„Ach, beim Flöcki ist das alles halb so wild. Musste gar nicht viel drum geben. Der ist an sich harmlos. Der macht schon nichts. Der ist einfach nur ganz furchtbar neidisch auf Dich, weil Du jetzt den Platz einnimmst, auf den er die ganzen Jahre verzweifelt spekuliert hatte. Wahrscheinlich verflucht er schon den Tag, an dem er Dich hier angeschleppt hat. War doch so, oder?“
„Ja stimmt, er hat mir ab der Schriftlichen laufend die Ohren vollgequatscht und mir Löcher in den Bauch gefragt. Da war er aber noch nett.“
„Soll ich Dir mal was sagen? Mich würde es nicht wundern, wenn er Dich ganz bewusst ausgesucht hat. Du hast doch bestimmt erzählt, dass es Deine zweite Prüfung ist?“
„Ja, aber das wusste er schon vorher. War ja kein Geheimnis.“
„Er hat Dich doch im Auto mitgenommen?“
„Ja?“
Und dann hat er Dich bequatscht?“
„Ja??“
„Siehst Du, ihr seid doch sofort von der Prüfung aus hierhin gefahren.“
„Ja???“
„Das war Berechnung. 100 Prozent! Garantiert! Der hat gedacht, er könnte sich dann auf Deine Kosten beim Pätzi aufspielen. Ist schon ein richtiger Spinner! Typisch für ihn.“
„Direkt am ersten Tag hat der ganz anders mit mir gesprochen. So von oben herab. Kannte ich ja vorher gar nicht von ihm. Echt, der hat sich um 180 Grad gedreht.“
„Ach, einfach nicht hinhören. Da rein, da raus.“
„Wenn der Chef da ist, macht er ja nichts. Nur, wenn ich mit ihm alleine bin, benimmt er sich wie Graf Rotz.“
„Warte einfach mal ab, wie sich das weiterentwickelt. Vielleicht gibt er ja bald mal Ruhe. Und wenn nicht, dann sag das dem Pätzi.“
„Ich will aber keine Petze sein.“
„Petzen beim Pätzi.“ Breuer fing unter seinem Rauschebart an zu lachen.
„Sag mal, was ich auch noch fragen wollte. Der Nienhaus, der hält immer seinen Kopf so schief. Und jedes Mal höre ich ein Bimmeln, wenn er ein paar Sekunden später in die Küche kommt.“
„Das haben wir mal gestoppt. Der Pätzi und ich. Das sind immer exakt 30 Sekunden, wenn er dann um die Ecke kommt. Der Pätzi meinte, er will uns so auf sein Erscheinen hinweisen, nicht, dass er in irgendeine Situation gerät, die für beide Seiten vielleicht peinlich sein könnte.“
Fragend schaute ich Breuer an.
„Na, so wie wir jetzt hier, Heinemann! Wir stehen bei Tchibo und lästern über den Flöcki, wie doof er doch eigentlich ist. Und so was will der Nienhaus alles nicht mitbekommen. Der will einfach seine Ruhe haben. Hauptsache, der Laden läuft. Alles andere interessiert ihn nicht.“
„Morgens hab ich den noch nie gesehen. Wenn, dann nur abends, so gegen halb acht.“
„Ab sieben muss du mit ihm rechnen. Dann macht er seinen Rundgang. Um acht ist er wieder verschwunden.“
„Komisch, irgendwie. Naja, mir soll es recht sein.“
„Klar, ich bin da auch froh drüber.“
„Und was ist das jetzt für ein Bimmeln?“
„Das ist sein Schlüsselbund, mit dem er da raschelt. Der Pätzi hat den mal bei ihm im Büro auf dem Tisch liegen sehen und da hat er noch entdeckt, dass da auch ein Glöckchen am Bund war. So eine kleine Bimmel. Der Mann ist auf alles vorbereitet. Und das mit seinem Kopf, der hatte mal einen Autounfall, der war nicht angeschnallt und knallte in voller Fahrt gegen die Windschutzscheibe, ist dann wieder zurückgeschleudert worden, bei dem Aufprall ist die Kopfstütze aus der Verankerung gerissen worden, der hätte sich auch das Genick brechen können, aber in dem Moment, als er wieder zurückgeschleudert wurde, drehte sich der Wagen, weil es ja Winter war, noch früh am Morgen, und arschglatt und er hatte Glück, dass sein Kopf dann gegen die Seitenscheibe knallte. Dabei ist das linke Auge tiefer gerutscht und die Ärzte im Krankenhaus bekamen auch bei der wievielten Operation den Kopf nicht mehr gerade gerichtet, deshalb hängt er jetzt immer auf halb acht.“
Ich blickte Breuer ungläubig an. Was hatte er sich denn da nur auf die Schnelle für eine Geschichte zusammengebastelt? Und sie mit einer solch todernsten Mimik erzählt, dass man sie im ersten Moment durchaus für bare Münze nehmen konnte. Das klang aber sehr vertraut nach Roberts kleiner Märchenstunde aus der Berufsschule und zudem hatte mich mein Küchenchef auch schon gewarnt, nicht alles zu glauben, was Breuer im Laufe eines lieben langen Arbeitstages so spontan ablässt.
Also ging ich nun das erste Mal in die Offensive, blieb unbeeindruckt und schaute ihn äußerst kritisch an: „Und das soll ich Dir jetzt glauben? Breuer???“
Darauf war Breuers aufgesetztes Pokergesicht nicht eingestellt. Es zuckte kurz in seinen Mundwinkeln, dann streiften seine Augen beiläufig mein entschlossenes Gesicht. Er zog die linke Augenbraue hoch und flötete ungeniert: „Na klar, Heinemann. Wieso?“ Weiter kam er nicht. Ich hatte ihn durchschaut. Wir brachen gleichzeitig und wie auf Kommando in ein höllisches Gelächter aus, was sich binnen weniger Sekunden in einen Lachkrampf steigerte, sodass die äußerst empörten Muttis vom Nebentisch ihre liebe Not hatten, uns zur Ruhe zu mahnen. Als wir uns einigermaßen beruhigt hatten und die letzten Tränen aus den Augen gewischt waren gluckste Breuer: „Aber das mit der Glocke stimmt tatsächlich. Garantiert!“ Er nahm seine Kaffeetasse, wollte gerade einen Schluck trinken, als er wieder zu schmunzeln anfing und die Tasse absetzte: „Jetzt rede ich Dich an unserem freien Tag auch schon mit Nachnamen an. Aber, ach, ist doch okay, oder?“
„Ich hab da nichts gegen. Hab ich doch auch vorhin gemacht. Ganz automatisch. Breuer!!!“, grinste ich zurück.
„Ich muss jetzt los. Wir sehen uns dann morgen auf der Arbeit. Dann wirst Du auch den Döpke kennenlernen. Mach Dich auf was gefasst, Heinemann. Der ist eine ganz harte Nuss.“
Ich kam nicht mehr dazu, etwas zu erwidern, denn beim Verlassen des Cafés wurden wir direkt am Ausgang von einer jungen Dame mit einem Klemmbrett unter Arm abgefangen.
„Hallo, dürfte ich Sie etwas fragen?“
„Aber klar doch“, schoss es Breuer allerliebst aus dem Mund.
„Nun, ich bin im Auftrag von der Deutschen Post unterwegs und wir machen eine Umfrage. Hätten Sie einen Moment Zeit? Es geht auch ganz schnell.“
Nachdem Breuer die wenigen Fragen wahlweise mit einem knappen Ja oder Nein beantwortet hatte, fragte die Frau, ob sie neben seiner Adresse auch seine Telefonnummer notieren dürfte.
„Selbstverständlich. Dafür ist ja so eine Umfrage da.“ Breuer machte zunächst völlig falsche Angaben zu seiner Adresse. Die Frau schrieb alles brav auf.
„Und Ihre Rufnummer ist….?“
„Oh, die weiß ich jetzt nicht auswendig. Aber Moment, ich ruf mal eben zuhause an.“ Er deutete auf die Telefonzelle gegenüber von Tchibo.
„Machen Sie nur, Machen Sie nur. Ich hab Zeit,“ winkte die Dame freundlich ab.
„Heinemann, hast Du noch Kleingeld? Ein paar Groschen. Ich hab nur noch einen Fuchs.“
„Ja, müsste ich haben.“
Dann lief er auf die Zelle zu, stieß die Tür mit einem Ruck auf, nahm den Hörer ab und fing an, an der Scheibe zu drehen, ohne vorher meine Groschen einzuwerfen. Während er angeblich wartete, dass jemand am anderen Ende abnahm, schaute er kurz zu uns rüber, die Frau lächelte zurück, dann machte Breuer eine übertriebene Handbewegung, was bedeutete, dass er jemanden in der Leitung hatte. Nach kurzer Zeit legte er auf und kam wieder zu uns. Das Ganze hatte noch nicht einmal eine Minute in Anspruch genommen.
Die Frau trug sich die von Breuer wahllos ausgedachten Zahlen auf ihren Fragebogen ein, bedankte sich und ging weiter. Als sie endlich außer Reichweite war, prusteten wir los.
Ich war der Erste, der wieder einigermaßen der Sprache mächtig wurde: „Breuer, wenn Du so weiter machst, mit Deinen Verarschungen, kommst Du noch mal in Teufelsküche.“
„Sind wir da nicht schon längst?“, kam seine Antwort in einem strengen Ton zurück.
Lachend stiegen wir auf unsere Drahtesel und verabschiedeten uns.