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Deo

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„Guten Morgen, Herr Pätzold.“

„Guten Morgen, Herr Heinemann.“

„Herr Pätzold?“

„Ja, Herr Heinemann. Was gibt´s denn?“

„Äh, da steht ein Deo auf dem Pass.“

„Das hat schon seine Richtigkeit. Kümmern Sie sich nicht drum.“

„Ach so? Ja. Okay.“

Die Uhr zeigte 8:25 Uhr, als ich die Küche an diesem Morgen zum Frühdienst betrat. Von meinem neuen, noch unbekannten Kollegen, der an dem Tag krankgeschrieben wurde, als ich gerade angefangen hatte, war keine Spur weit und breit zu sehen. Herr Pätzold wirkte angespannt und ungehalten. Von seiner sonst so lockeren lustigen Art war nichts zu spüren.

Das Telefon klingelte. Herr Pätzold eilte mit großen Schritten ins Büro und nahm ab. In kurzen Abständen sprach er genervt ein „Ja, gut“, „Ja, in Ordnung“, „Ja, ich weiß Bescheid“ in die Sprechmuschel. Mit Schmackes knallte er den Hörer wieder auf die Gabel.

„Das war Herr Döpke. Er kommt später. Hat verschlafen, wie er sagt“, rief er mir zu. Ich nickte in seine Richtung, aber er drehte schon wieder ab und brummelte so etwas wie „Fängt die Scheiße schon wieder an.“

„Herr Heinemann, ich bin mal kurz im Personalraum verschwunden. Großartig vorbereiten müssen wir ja heute nichts. Wenn was ist, rufen Sie mich. Ja? Ach so, und wenn der Herr Döpke kommt, auch. Ja?“

„Ja, Chef. Mach ich.“

Ich hatte mich in der neuen Küche erstaunlich gut eingelebt. Ich wusste schon nach einer Woche, wo fast alles stand und hingehörte. So baute ich fix das Mise en Place für den Mittag auf und schnippelte danach noch schnell die vom Vortag übrig gebliebenen Salzkartoffeln für Bratkartoffeln weg, als ich hinter mir unverständlich gegrunzte Laute vernahm, die bei genauem, angestrengtem Hinhören wie nach einem „Hallo“ klangen. Ich drehte mich erschrocken um und sah auf eine regungslose, in sich gekrümmte Gestalt, die mitten im Raum wie aus einem Zombiefilm platziert worden war und die mich schon eine ganze Weile beobachtet haben musste. Mir wurde schlagartig unheimlich.

„Sie sind der neue Koch?“, ranzte es mich unwirsch an.

„Ja? Und Sie?“, stieß ich zögerlich hervor.

Keine Antwort.

Schweigen.

Kurze Denkpause. „Sind Sie, äh, Herr Döpke?“, setzte ich nun mutiger hinterher.

Wieder keine Antwort. Dafür bewegte es sich im Zeitlupentempo auf mich zu und streckte mir die Hand entgegen, die sich klebrig und eiskalt anfühlte. Bei der Berührung zuckte ich kurz weg, erwiderte dann aber seinen trägen, schlaffen Händedruck.

„Ich hol mal den Chef. Ja?“

Keine Antwort.

„Ist im Personalraum.“

Keine Antwort.

Ich zog unbewusst die Schultern hoch, überließ der Erscheinung seinem Schicksal und machte mich schleunigst aus dem Staub.

„Ja, war mir klar, wo sonst? Ich komm mit,“ grollte es nun wie ein Donner hinter mir.

Verdutzt hielt ich für einen Moment inne. Hatte ich da jetzt etwas verpasst? Oder hatte ich einfach zu schnell gesprochen?

Im Personalraum wurde gepokert. Es ging um hohe Einsätze. Es ging immer um hohe Einsätze, wenn Herr Pätzold mal wieder im Personalraum verschwunden war. Mit Münzgeld gab er sich nicht ab. Das hatte ich in den paar Tagen rasch festgestellt. Er sah arg mitgenommen aus. Hektisch inhalierte er lange Züge an seiner Zigarette. Ein flüchtiger Blick im Aschenbecher langte, um festzustellen, dass er in der kurzen Zeit fast eine halbe Schachtel weggepafft hatte. Er schwitzte aus allen Poren. Sein Gegenüber, Herr Schönfeld, der Assistent von unserem Pächter, war die Ruhe selbst, nippte mit einem provokanten Lächeln am Wasserglas, lehnte sich anschließend lässig im Stuhl nach hinten. Er war sich, wie so oft seiner Sache sehr sicher, erneut Herrn Pätzold um einige Scheine zu erleichtern.

Nachdem Herr Pätzold sein mageres Blatt enttäuscht auf den Tisch gepfeffert hatte, streckten sich Herr Schönfelds Hände schon gierig nach dem gut gefüllten Topf aus.

„Noch ein Spiel, noch ein gottverdammtes Spiel, Schönfeld, dann hab ich Sie am Wickel“. Die pure Verzweiflung drang aus seiner Stimme durch.

Herr Schönfeld lachte nur kurz auf: „Keine Zeit mehr, Pätzold, aber später vielleicht. Ach, wer ist denn da wieder aufgetaucht? Der Herr Döpke. Sieh mal einer an. Wie geht es Ihnen denn? Besser?“

Keine Antwort! Dafür huschte ein höhnisches Grinsen durch sein unrasiertes Gesicht, als er Herrn Pätzold nach der verlorenen gegangenen Pokerrunde wie ein Häuflein Elend da hocken sah. Der brauchte aber nur wenige Augenblicke um sich wieder zu sammeln, stand auf, nahm einmal tief Luft, ging entschlossen auf Herrn Döpke zu und gab ihm die Hand: „Und? Ausgeschlafen, Herr Döpke? Wieso klebt Ihre Hand so?“

Keine Antwort. Döpkes Blick ging ins Leere.

„Und? Haben Sie sich denn wenigstens gut auskuriert?“

„Das ist Honig.“

„Honig?“

„Honig esse ich jeden Morgen zum Frühstück.“

Herr Pätzold schluckte, behielt aber die Fassung und redete ungerührt weiter: „Aha, Sie haben also noch in aller Ruhe gefrühstückt, obwohl sie verschlafen haben.“

„Ja sicher, meinen Sie etwa, ich gehe ohne Frühstück aus dem Haus? Ich muss ja auch an meinen Stuhl denken.“ Aufrichtige Empörung schwang bei dem ansonsten chronischen Aussageverweigerer mit.

„An Ihren Stuhl? Wie soll ich das denn jetzt schon wieder verstehen?“

Keine Antwort.

Herr Pätzold ließ einige Sekunden verstreichen und fuhr dann fort: „So, dann gehen wir jetzt mal alle hübsch in die Küche. Herr Heinemann, wie weit sind Sie? Ach, eigentlich brauch ich das ja gar nicht zu fragen. Was? Wenn was wäre, hätten Sie mich schon bestimmt gerufen. Oder? Herr Döpke, Sie haben sich schon miteinander bekannt gemacht? Das ist unser neuer, noch ausbaufähige Koch, mit dem Sie nun öfters in der Küche stehen werden. Und dann, ach, kommen Sie mal direkt mit. Wir haben da was für Sie.“ Herr Pätzold schritt zielstrebig auf den Pass zu. Seine Stimme wurde nun fast schon feierlich: „Die gesamte Belegschaft hat zusammengelegt, außer Herr Heinemann, weil er erst kurz bei uns ist. Wissen Sie, Herr Döpke, Sie können in Ihrer Freizeit tun und lassen, was Sie wollen. Ist mir egal, interessiert mich nicht. Hat mich auch nicht zu interessieren, aber hier in der Küche möchte ich einen Koch an meiner Seite haben, der erstens eine saubere Garnitur anhat und der zum anderen keine unangenehmen Körperdüfte mit sich rumschleppt und so die Riechorgane der Leute, mit denen Sie hier tagtäglich zu tun haben, in Mitleidenschaft ziehen. Wir haben uns schon oft genug über Ihren hygienischen Zustand unterhalten. Sie erinnern sich? Und jetzt reicht es. Deswegen bekommen Sie ein Deo von uns spendiert. Morgenfrische. Riecht gut. Benutze ich auch.“

Keine Antwort.

„Wissen Sie, Herr Döpke, wenn ich Sie mir so anschaue, dann sehe ich wieder, Sie haben es anscheinend nicht für nötig gehalten, an ihrem ersten Tag eine frische Garnitur anzuziehen. Gehe ich also Recht in der Annahme, Sie haben die Drecksklamotten angezogen, die Sie vor über eine Woche in Ihren Spind geworfen haben?“

Keine Antwort.

Herr Pätzold ging einen schnellen Schritt zurück, betrachtete stirnrunzelnd seinen stark müffelnden Koch, der die besten Voraussetzungen mit sich brachte, ein möglicher Gefahrenherd für Viren und anderes Geschmeiß zu sein. Dann ging ihm ein Licht auf: „Aber klar doch! Jetzt erkenne ich die Tomatenflecken auf Ihrer Jacke wieder. Da haben Sie doch noch Tomatensuppe gekocht! Die Jacke kriegen Sie ja niemals wieder sauber. Ist das etwa schon Schimmel, was da vorne grün-blau schimmert? Ist ja widerlich! Ziehen Sie bloß schleunigst diese Drecksschleuder aus! Und holen Sie sich in der Kleiderkammer eine neue Garnitur. Bevor Sie hier wieder in der Küche erscheinen, duschen Sie noch und sprühen sich dann ordentlich was Deo unter die Arme. Der Tag ist ja noch jung. Wären Sie so gütig, Herr Döpke? Würden Sie das für mich, für Herrn Heinemann, den Service und die Gäste, die wir heute zum Mittag erwarten, wohl tun? Uns diese eine kleine Freude bereiten?“ Lieblicher Sarkasmus umhüllte seine letzten Worte.

Keine Antwort. Dafür nickte Herr Döpke abfällig, verzog dabei sein Gesicht und schnappte sich das Deo vom Pass.

Herr Pätzold seufzte erleichtert auf.

„Ich kann Deo nicht vertragen. Davon bekomme ich Ausschlag.“

„Gut! Dann duschen Sie nur.“

„Ich habe keine Seife im Haus.“

„Sie sollen ja auch nicht zum Duschen extra wieder nach Hause fahren. Warum haben wir da unten denn die Personalduschen? Zur Zierde etwa?“

Keine Antwort.

„Ich verstehe. Honig haben Sie im Haus, aber Seife nicht.“

„Wasser hab ich auch nicht.“

„Wieso?“

„Ist abgestellt worden. Vom Vermieter.“

„Herr Döpke, ich weiß genau, was Sie wieder vorhaben. Erst sagen Sie keinen Ton und dann erfinden Sie wieder irgendwelche Hirngespinste, um mich wieder in sinnlose Diskussionen zu verwickeln.“

„Aber wenn ich es Ihnen doch sage. Im Haus lief über mir die ganze Nacht das Wasser vom Nachbarn. Und am Morgen, als ich duschen wollte, hatte ich kein Wasser mehr. Im ganzen Haus gab es kein Wasser mehr. Meinen Kaffee habe ich mit Sprudelwasser gekocht.“

„Und deswegen konnten Sie wohl auch den Honig von Ihren Hände nicht abwaschen.“

„Genau. So war das. Woher wissen Sie?“

„Purer Zufall, reine Vermutung, Herr Döpke.“

„Mein Vermieter, der wohnt im Haus. Der ist dann von Tür zu Tür gegangen und hat uns mitgeteilt, über Nacht wurde der gesamte Wasserverbrauch für zwei Wochen verbraucht und deshalb hat er das Wasser abgestellt.“

„Und für wie lange?“

„Für zwei Wochen natürlich.“

„Was machen wir denn da, Herr Döpke? Haben Sie eine Lösung?“

Keine Antwort.

„Da müssen Sie mal mit Ihrem Vermieter ein ernstes Wörtchen sprechen. Aber jetzt huschen Sie mal schnell unten unter die Dusche. Und wenn Sie schon dabei sind, rasieren wäre auch nicht schlecht. Die ersten Gäste kommen gleich.“

Ein breites, hämisches Grinsen war Döpkes Antwort. Dann zog er ab.

„Ich weiß, Herr Heinemann, was Sie jetzt sagen wollen,“ versuchte Herr Pätzold im Ansatz nach einer Erklärung für das Verhalten von seinem ersten Koch zu finden, als er meine sekündlich wechselnden Gesichtsentgleisungen feststellte. „Nein, ich kann Sie beruhigen. Er ist nicht verrückt. Er ist halt, na wie soll ich sagen, anders? Anders eben. Sie verstehen?“

„Äh, nicht so ganz, Chef?“

„Wenn Sie wüssten! Wenn der mal richtig aufdreht! Seine Künste am Herd! Also, unschlagbar! Aber man muss ihn in Ruhe lassen. Dann können Sie eine Schicht mit Ihm unbehelligt überstehen. Ich sag es nur sehr ungerne, aber dieser kleine Schmierlapp kann besser Kochen als ich. Aber im Moment dreht er mir ein wenig zu viel am Rad.“

Herr Pätzold sah mich nachdenklich an. Dann fuhr er fort: „Ich muss Sie da noch über einige Dinge unbedingt in Kenntnis setzen, was Herrn Döpke angeht. Aber das machen wir ein anderes Mal. Jetzt wird die Zeit zu knapp.“

„In Ordnung, Chef.“

„Gut, Herr Heinemann. Können Sie denn vielleicht heute nach der Schicht eine Viertelstunde Ihrer Zeit entbehren?“

„Ja, sicher.“

„Gut! Wenn Herr Döpke weg ist, treffen wir uns im Personalraum. Der Herr Breuer ist ja dann auch schon da. Der Herr Flöck kommt heute sowieso etwas später. Ist auch ganz gut so. Der muss nicht immer mit seiner Nase überall dabei sein.“

„Jetzt nicht, Schönfeld!“

„Sie wollten doch unbedingt eine Revanche. Jetzt hätte ich Zeit.“

„Wir müssen hier erst was wichtiges Besprechen. Also, Tür zu!“

„Jaja, ist ja schon gut“, schmollte Herr Schönfeld und knallte die Tür extra laut hinter sich zu.

„Herr Breuer, ich wollte, dass Sie auch bei dieser Unterredung dabei sind. Sie kennen Herrn Döpke auch schon eine Ewigkeit. Und dem Herrn Heinemann müssen wir da noch dringend einige Instruktionen im Umgang mit Herrn Döpke mit auf den Weg geben, sonst hat er hinterher womöglich noch ein Messer im Rücken.“

Der Küchenchef fing bei den letzten Worten leicht an zu glucksen.

„Nein, Herr Heinemann, war nur ein kleiner Scherz. Wir wollen Ihnen hier keine Angst machen. Aber der Herr Flöck, jetzt wo ich es mir so recht überlege, ist schon mal fast um sein Leben gerannt. Wissen Sie noch, Herr Breuer? Damals, im Park?“

„Ja klar, Chef. Haben Sir mir ja am nächsten Tag brühwarm erzählt.“

Nun fiel Breuer ins unterdrückte Gekicher von Herrn Pätzold ein, was auf mich so ansteckend wirkte, dass ich ohne Grund auch einfach mal mitwieherte.

„Was war denn mit dem Flöcki, äh ich mein, mit dem Herrn Flöck, Chef?“, warf ich unbedacht nach einiger Zeit in die fröhliche Runde ein.

Sofort wurde es am Tisch wieder still.

„Naja, Herr Heinemann, eigentlich war das gar nicht so witzig gewesen. Aber der Herr Flöck war auch selbst schuld. Er weiß genau, wie empfindlich der Herr Döpke auf manches reagiert. Das hatte sich schon den ganzen Abend hochgeschaukelt und irgendwann ist dem Herrn Döpke die Sicherung durchgebrannt, hat sich ein Messer geschnappt und wollte auf Herrn Flöck los. Der ist dann im Sprint direkt nach draußen gerannt, der Herr Döpke hinter ihm und ich und der Service, alle hinter den beiden her. Der Schönfeld hat den Herrn Döpke dann eingeholt und ihn zu Boden gerissen. Der Herr Flöck hat das gesehen, kam dem Schönfeld zu Hilfe und hat Herrn Döpke in die Hand gebissen, damit der das Messer loslässt. Meine Güte, war das ein Drama. Ein Geschreie und Gewimmer. Die totale Panik. Für nichts und wieder nichts. Ich muss schon wieder Lachen. Wie das aussah. Aber wir können froh sein, dass es so glimpflich abgelaufen ist. Seitdem arbeitet Herr Flöck nicht mehr in einer Schicht zusammen mit Herrn Döpke. Hab ich so angeordnet. Deswegen kommt der Herr Flöck auch immer etwas später. Nicht, dass sich die beiden in der Umkleide über den Weg laufen. Bis jetzt ging es gut. Aber bald haben wir oben im Saal eine große Gesellschaft. Da müssen alle geschlossen ran. Ich weiß noch gar nicht, wie ich das mit den beiden mache. Aber bis dahin fällt mir bestimmt noch was ein.“

„Das ist eine Geschichte, was?“, schubste mich Breuer mit leuchtenden Augen von der Seite an.

„Ja, echt, ist ja lebensgefährlich hier zu arbeiten.“

„Deswegen sitzen wir ja hier, Herr Heinemann“, lenkte Herr Pätzold wieder das Gespräch auf sich. „Damit Sie nie, nie, niemals in solch eine Situation geraten. Hören Sie! Also, Herr Döpke ist sehr schnell auf 180 zu bringen. Wenn er Sie plötzlich in ein völlig unsinniges Gespräch verwickeln will, sagen Sie einfach zu allem Ja und Amen. Er muss immer im Glauben sein, Recht zu haben. Sie werden mit ihm sowieso nie allein in einem Raum sein. Bruno vom Service hat seit dieser Aktion mit Herrn Flöck im Park auch seine Augen verstärkt in der Küche. Und von uns ist ja auch immer einer da.“

„Kann ich Ihnen denn mal eine blöde Frage stellen?“

„Nur zu! Ich kenne keine blöden Fragen“

„Warum setzen Sie ihn nicht einfach an die Luft?“

„Sie meinen kündigen?“

„Ja?“

„Würde ich sofort machen. Glauben Sie mir, Herr Heinemann. Das Theater steht mir manchmal bis hier! Aber das ist alles nicht so einfach. Ich kann ihn schlecht vor die Tür setzen. Ich hab ihn ja damals eingestellt. Er tut mir ja auch irgendwie leid. Und dann kann er noch so wunderbar kochen. Aber in einem anderen Betrieb würde der mit seiner Art keine 5 Minuten überleben. Der wäre überhaupt nicht tragbar! Der würde da untergehen. Irgendwie fühle ich mich für ihn verantwortlich. Ich weiß, das ist totaler Quatsch, aber, ach, ich weiß auch nicht. Ich lauf hier manchmal wie auf rohen Eiern.“

Ratlos schaute uns Herr Pätzold an. So ernst hatte ich meinen Küchenchef bisher noch nicht erlebt.

„Was meinen Sie denn, Herr Breuer? Was sollen wir da nur machen?“

„Chef, Sie fragen mich vielleicht Sachen! Ich hab doch auch keine Ahnung.“

„Wissen Sie eigentlich, Herr Heinemann, warum Herr Döpke krankgeschrieben war? Hat Ihnen das der Herr Breuer schon erzählt?“

„Nein?“

„Das ist auch schon wieder so eine Story! Der hat sich vielleicht eine Erkältung eingefahren. Fragen Sie nicht nach Sonnenschein! Hier bei uns! Im Gefrierhaus! Da hat er sich fast eine Stunde eingeschlossen. Ja, nicht direkt eingeschlossen, vielmehr verbarrikadiert. Wir kamen nicht mehr an ihn ran. Der hatte den Hebel innen mit aufgestapelten Kartons versperrt. Seit der Nummer bekommt er keinen Gefrierhausschlüssel mehr in die Hand gedrückt. Das ist jetzt immer zu und nur ich hab den Schlüssel. Der kommt mir nicht mehr da rein. Er hat jetzt absolutes Gefrierhausverbot. Da fallen Sie vom Glauben ab, was?“

„Ja?“

„Wissen Sie, das war so. Zu Anfang war das alles ganz harmlos. Ich stand mit ihm am Abend in der Küche, jeder auf seinem Posten, wir warteten auf die ersten Essen und plötzlich fängt er an, mir ein Gespräch aufzuzwingen. Ich weiß nicht mehr, um was es ging, ich hab aber den Fehler gemacht, ihm Kontra zu geben, weil er wieder so einen unglaublichen Quatsch vor sich hin gebrabbelt hat, und dann war er auf einmal beleidigt, dass ich nicht seiner Meinung war. Wie so ein kleines Kind. Hat keinen Ton mehr von sich gegeben. Und dann, dann ist der gegangen. Einfach aus der Küche rausmarschiert! Ich hab noch hinter ihm hergerufen, er soll gefälligst wieder zurückkommen, weil auf mich hört er ja noch einigermaßen. Aber nee, der war weg, einfach weg, verschwunden! Der kam nicht wieder. Nach einer Viertelstunde sind der Bruno und ich losgestiefelt und haben ihn gesucht. Im ganzen Gebäude! Herrn Nienhaus hat ihn dann schließlich gefunden, unten im Gefrierhaus. Da war ja bestimmt schon eine halbe Stunde rum. Wir haben ihm von außen das Licht ausgemacht. Hat auch nichts genutzt. Der blieb stur. Ich hab mich dann dazu bewegen lassen, mich bei ihm zu entschuldigen, damit er ja da wieder rauskommt. Da haben Sie keine Chance, Herr Heinemann. Der tischt, seitdem er hier ist, laufend solche Sachen auf. Irgendwann gewöhnen Sie sich dran. Er muss das Gefühl bekommen, dass man ihm glaubt, dann ist er fast den ganzen Tag sehr umgänglich und, glauben Sie mir, ein absoluter Fachmann auf seinem Gebiet. Da können Sie noch eine Menge von lernen. Aber in letzter Zeit nimmt das überhand mit ihm. Das wird immer schlimmer. Ich weiß, das geht so nicht weiter. Herr Heinemann, jetzt machen Sie aber, dass Sie nach Hause kommen. Hab Sie ja lang genug aufgehalten. Bis morgen dann.“

Der Anti-Koch (Die Gesellenjahre - Teil 1)

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