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ZWÖLF STATIONEN INS DELIRIUM

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Weihnachten sind die Wirtshäuser in Irland geschlossen, dem Himmel sei Dank. Natürlich nüchtert die Nation nicht schlagartig aus, aber wenigstens sind die Alkoholexzesse nicht mehr öffentlich. Die Vorweihnachtszeit auf der Grünen Insel ist eine Periode des Grauens. Jeder noch so kleine Betrieb lädt die Angestellten zur Weihnachtsfeier in irgendein Restaurant. Die Besitzer nutzen das gnadenlos aus und lassen sich für eine Tischreservierung mit dem Gegenwert einer Mittelmeerreise entlohnen. Bei Gruppen von mehr als sechs Leuten gibt es nicht etwa Mengenrabatt, sondern einen Aufschlag von zehn Prozent wegen des Stressfaktors. Nach dem Essen geht es im Pub weiter, bis die Leber quietscht. Wer – wie ich – keinem Betrieb angehört, wird aus falschem Mitleid für einen Abend zum Ehrenmitarbeiter erklärt und zu lauter Fremdfeiern mitgeschleppt.

Als ob das nicht reichen würde, ist vor ein paar Jahren ein Spektakel hinzugekommen, an dem die halbe Nation teilnimmt: »The Twelve Pubs Of Christmas.« Man ahnt worum es dabei geht, aber in Wirklichkeit ist es noch viel schlimmer. Die Teilnehmer müssen Weihnachtsmannmützen sowie geschmacklose Pullover tragen, die sie eigenhändig mit batteriebetriebenen Lämpchen, roten Rudolfnasen und Lametta verziert haben. In jedem der zwölf Wirtshäuser muss man binnen einer halben Stunde ein großes Bier trinken. Aber das ist längst nicht alles, es gibt bei der Kneipenbekriechung strenge Regeln: Im ersten Pub darf man das Getränk nicht in der rechten Hand halten, im nächsten ist Fluchen verboten, im dritten muss man einen Schuh mit jemandem tauschen, und so weiter. Und kein Toilettenbesuch vor der sechsten Kneipe! Wer gegen eine Regel verstößt oder sich gar übergibt, muss zusätzlich einen Schnaps trinken. Kein Wunder, dass die Iren mit einem Liter reinen Alkohol pro Kopf und Monat in der Statistik recht weit vorne liegen.

Der Pfad ins Delirium ist lose an das Lied »The Twelve Days Of Christmas« angelehnt, bei dem es freilich zivilisierter zugeht. Es handelt von zwölf Geschenken, die »meine wahre Liebe mir« an jedem dieser zwölf Tage, die am ersten Weihnachtstag beginnen und am Dreikönigstag enden, gemacht hat, zum Beispiel zwei Turteltauben, drei französische Hennen, sieben schwimmende Schwäne, acht melkende Mägde, elf dudelnde Dudelsackspieler und andere nützliche Gaben. In Chicago münzte man das 1996 zum vorweihnachtlichen Dutzendsaufen um. Ein paar Jahre später importierten es die Iren und erklärten es zu einer Tradition, die bis zu den Kelten zurückreicht.

Man erkennt die Teilnehmer schon von weitem. Sie rennen alles um, was ihnen im Weg steht, denn sie haben es eilig, ins nächste Wirtshaus zu gelangen. Von Stunde zu Stunde werden sie jedoch langsamer, manche müssen gestützt werden, andere kotzen oder pinkeln auf den Gehweg und müssen mit einem Strafschnaps rechnen. Morgens stinkt die ganze Innenstadt. Fröhliche Weihnachten!

Karfreitag ist neben Weihnachten der einzige Tag, an dem Pubs und Schnapsläden, die »Off-Licences«, in Irland geschlossen sind. Entsprechend groß ist der Andrang am Gründonnerstag. Der Weinhändler meines Vertrauens, dessen Laden die Ausmaße einer Kirche hat, muss für den Tag stets drei zusätzliche Mitarbeiter einstellen. Die Regierung hatte 2014 eine halbe Million Euro für eine Anzeigenkampagne bereitgestellt, mit der die Nation daran erinnert werden sollte, sich rechtzeitig vor Karfreitag mit Alkoholika einzudecken. Dennoch ignorierte so mancher die Warnung. Am Karfreitag standen allein im Großraum Dublin 122 Menschen ohne Alkohol da. Dafür mussten sie büßen. Geschäftstüchtige Mitbürger hatten sich Vorräte angelegt, die sie auf dem Schwarzmarkt zu exorbitanten Preisen verhökerten.

Es ist eine Art irischer Nationalsport, dem Alkoholverbot am Karfreitag ein Schnippchen zu schlagen. Viele, die an einem normalen Wochentag keinen Tropfen anrühren, setzten alles daran, um am Karfreitag zügig ins Delirium zu gelangen. Das ist leider alles, was vom Rebellengeist der Iren übrig geblieben ist.

Ich will mich davon gar nicht ausnehmen. Vor vielen Jahren verbrachte ich an der irischen Nordwestküste einen Osterurlaub mit dem schriftstellernden Hooligan John McGuffin und einem ständig Joints rauchenden Elektriker, der wegen seines Berufes Sparky genannt wurde. Der Wirt der kleinen Dorfkneipe mochte uns, weil wir seinen Umsatz erheblich steigerten, und so verabredete er mit uns ein geheimes Klopfzeichen für den Karfreitag. Unglücklicherweise bestand Sparky darauf, vor dem illegalen Kneipenbesuch noch einen Joint zu drehen. Die Folgen waren fatal.

Der Wirt öffnete auf unser Klopfzeichen erfreut, und im Handumdrehen hatte er drei große Biere gezapft. Er versuchte wie immer, uns in ein Gespräch zu verwickeln, worauf vor allem McGuffin sonst freudig angesprungen war. Doch diesmal hockten wir schweigend auf den Barstühlen und hielten uns anderthalb Stunden lang an unserem Glas Bier fest. Am Ende wurde es dem Wirt zu bunt, und er warf uns hinaus. Wenn er schon seine Lizenz riskiere, müsse es sich wenigsten lohnen, rief er uns hinterher.

Später gestand Sparky, dass sein Joint diesmal nicht sein selbst angebautes Gras enthalten hatte, sondern Opium, das er in einer chinesischen Spelunke in Belfast günstig erstanden hatte. Ob er noch bei Sinnen sei, wollten wir wissen. Gegen das Betäubungsmittelgesetz konnte man schließlich täglich verstoßen, aber gegen das Ausschankverbot nur zwei Mal im Jahr. Beim Wirt waren wir unten durch. Er glaubte, dass uns der Katholizismus übermannt hatte und wir wegen Gewissensbissen sein Bier verschmäht hatten. Unser Argument, dass wir abends gegen das karfreitägliche Fleischverbot verstoßen und einen Truthahn verspeist hatten, ließ er nicht gelten. Es gebe ja keine Zeugen. Wahre Rebellen hätten das Tier in aller Öffentlichkeit vor der Kirche verzehrt, meinte er.

Türzwerge schlägt man nicht

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