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Kapitel 4
ОглавлениеKarl kämpfte sich im Stiegenhaus durch die Duftschwaden der leise vor sich hinköchelnden Kutteln und erreichte endlich die Straße.
Die Kfz-Werkstatt Huber lag am anderen Ende der Stadt. Der Weg war zu Fuß nicht zu bewältigen, daher beschloss er, erst die U-Bahn und schließlich den Bus zu nehmen.
Nachdem wir ihn nun ein bisschen kennengelernt haben, können wir leicht erraten, dass Karl eine so unnötige Ausgabe wie die Investition in einen Fahrschein, nicht zu tätigen bereit war.
Karl bemerkte, wie er zu schwitzen begann. Dies war einerseits auf die außerordentliche Schwüle dieses Spätsommertages zurückzuführen.
Andererseits, und das fiel ihm erst jetzt im U-Bahnwaggon auf, hatten die Mitpassagiere einen gehetzten, misstrauischen Blick gemeinsam; Wut und Angst schien in ihnen angesammelt, die sich jeden Augenblick in einer brutalen Übergriffigkeit entladen konnte.
Zwar war das für die Bundeshauptstadt nichts Ungewöhnliches, aber die Atmosphäre war heute doch von besonders gehässiger Labilität.
Karl, unkundig der aktuellen Ereignisse, bezog den öffentlichen Grimm auf sich und fühlte sich von jedem einzelnen als Schwarzfahrer durchschaut. Die Visagen der Früpensionisten und überforderten Mütter verformten sich zu geistlosen Zombiefratzen aus denen Geifer tropfte....ihre halbverwesten, blauvioletten Klauen zuckten nach ihm.....er wich den Blicken aus....und spürte plötzlich das altbekannte, zusammenziehende Verkrampfen im Gedärm.
Aus dem Mief der Fascho-Zombies hatte sich ein schwingender Duftfaden hin zu Karls Sinnen geschlängelt: eine durch oberflächliche Fruchtigkeit ummantelte Strenge, die den Achselhöhlen einer verführerischen Nymphe entströmte. Gut zwei Meter von Karl entfernt stand sie. Mit der einen Hand hielt sie sich am von der Decke baumelnden Haltegriff fest....mit der anderen presste sie den anthrazitfarbenen Blazer ihres Businesskostüms, sowie eine längliche Handtasche an sich.....sie wiegte den Körper elastisch in den Erschütterungen der fahrenden U-Bahn...schwarze Haare, schulterlang (wahrscheinlich gefärbt)...die Augen gräulich....die provokant vollen Lippen mit glänzendem Lip-Gloss verschönert, wodurch sie noch feuchter aussahen...die makellosen Waden akribisch rasiert – feiner Glanz lag auf ihnen, der Karl an die Beflissenheit einer Edelnutte denken ließ. Was Karl aber am meisten beschäftigte, war dieser ordinäre Zug um ihre Mundwinkel, der die permanente Zugänglichkeit ihrer Öffnungen zu signalisieren schien.
Vor seinem geistigen Auge sah sich Karl schon heftig mit ihr turtelnd in einem Vorstadt-Café sitzen. In seinen Handflächen spürte er das belebte Fleisch ihrer Pobacken und ihre verhurte Bereitschaft zu sofortigem schmutzigem Sex.
Da entwich ihm ein – zum Glück trockener – Wind.
Nahezu lautlos.
Dummerweise stand in diesem Augenblick eine Mutter mit ihrer fünfjährigen Tochter, zum Ausstieg bereit, neben ihm. Das Gesicht des Mädchens befand sich etwa auf der Höhe von Karls Gesäß.
Die Kleine schrie auf: „Wäh, pfui, der Mann hat ein Pupsi lassen!“
Und übergab sich im selben Augenblick!
Glück im Unglück!
Denn unmittelbar vor dem Aufschrei des Mädchens schlug eine fordernde Stimme an Karls Ohr: „Fahrscheinkontrolle!“
Da die Kleine sich aber sehr ausgiebig übergab, war alle Aufmerksamkeit auf sie konzentriert. Offenbar war sie mit ihrer Mama gerade bei McDonald‘s gewesen; denn es roch plötzlich penetrant nach Cheeseburger.
Die anderen, ebenfalls zum Ausstieg bereiten Fahrgäste, wichen zurück. Und plötzlich befanden sich die Kontrolleure unter Druck.
Es waren zwei. Mittleres Alter, ungepflegt. Karl drängte sich der Verdacht eines langen Vorstrafenregisters auf. Wahrscheinlich war ihre Anstellung als Zivilkontrolleur auf eine Resozialisierungs-Initiative des Magistrats zurückzuführen.
Beide waren sichtlich überfordert.
A: „So a Schas...wos solln ma denn jetzt tuan?!“
B: „I waaß a net.“
A: „Am besten Du hoist an Fetzen und wischt des auf.“
B: „Wiaso i?“
A: „Weil ich es sage!“
B: „Wo soll i denn an Fetzen heanehman? Und an Eimer mit Wossa brauch i dann a.“
A: „Heast, stöll di net so bled an!”
Er erhob drohend die Stimme.
Das Mädchen begann laut zu heulen.
Da sagte die Mutter mit schrillem Organ zu den beiden Männern: „Hören Sie gefälligst auf so zu schreien! Sehen Sie nicht wie schlecht es meiner Tochter geht? Das ist ihr doch total peinlich!“
In diesem Augenblick blieb die U-Bahn in einer Station stehen, die Tür ging auf und Karl verließ den Waggon. Durch die offene Tür hallte das lautstarke Wortgefecht.
A: „Jetzt werdn‘S net glei hysterisch, gnä Frau. Mir scheint, Sie san so empfindlich wia da Mog'n von Ihnara Tochter!“
Mutter: „Jetzt werden‘S nicht unverschämt! Was kann denn meine Tochter dafür, dass andere Fahrgäste so grausliche Blähungen haben!“
B: „Wos?“
A: „Wer?“
Mutter: „Na der, der grad ausgestiegen is hat einen fahren lassen und daraufhin hat mein Pupperl ein Speiberl g’macht!“
B: „Wöches Pupperl?“
A: „Wer hod an Schas lossn?“
Mutter: „Na der, dort vorn, mit dem braunen Pullover über die Schultern und den Wimmerln im G´sicht!“
A: „Na dann soi’s der aufwisch'n!“
B: „Den hol’n ma uns!“
Doch in diesem Augenblick schloss sich die U-Bahn Tür mit lautem Geräusch.
Der Zug fuhr an Karl vorbei und er sah, wie die beiden Kontrolleure wutentbrannt mit ihren Fäusten gegen das Glasfenster der Tür hämmerten, ihn dabei mit ihren blutunterlaufenen Augen fixierten und unverständliche Verwünschungen in seine Richtung ausstießen.
Karl atmete tief durch; die Gefahr war zunächst gebannt.
Doch dass man nach ihm suchen würde, stand außer Frage.
Er nahm den Pullover von den Schultern und streifte ihn sich über; so, glaubte er, wäre er schwerer zu identifizieren. Außerdem setzte er die Sonnenbrille auf.
Schon nach einer knappen Minute fuhr die nächste U-Bahn ein. Karl schlüpfte schnell in den vordersten Waggon. Angstvoll malte er sich die Situation aus, falls ihm die animalischen Kontrolleure in der nächsten Station auflauern würden. Als sich die U-Bahn dieser näherte, klopfte sein Herz immer heftiger. Vor ihm stand ein sehr dicker, mittelgroßer Mann, dessen Körpervolumen er als Deckung nutzen konnte.
Die U-Bahn hielt an, die Tür öffnete sich wie ein Theatervorhang – und auf dem Bahnsteig, unmittelbar vor der Tür, standen Mutter und Tochter. Wild gestikulierend redete erstere schrill auf einen uniformierten Beamten der Verkehrsbetriebe ein.
Karl versuchte sich optimal hinter dem dicken Fahrgast zu verbergen. Er bemerkte, dass sich nun auch zwei Polizistinnen dazugesellten. Beide hatten maskuline Gesichtszüge und ihre Körpersprache verriet ein großes Maß an Übermotiviertheit.
Die Gruppe kam zwei Schritte näher zur Tür.
Mutter: „Da is er gestanden!“ – sie deutete auf die Stelle – „Und unmittelbar daneben mein Pupperl; und dieses rücksichtslose Schwein kann sich nicht beherrschen. Mir scheint, der hat seinen Hintern noch extra zu ihr hingedreht!“
Sie schluchzte laut auf: „Das ist doch klar, dass man da speiben muss!“
Die Tochter begann nun markdurchdringend zu plärren.
Polizistin 1: „Wegen der Speiberei können ma ihn net zur Verantwortung ziehen....“
Polizistin 2: „Aber auf jeden Fall kann ma es so auslegen, dass der Tatbestand eines sittlichen Übergriffs gegen eine Minderjährige gegeben is'!“
Polizistin 1: „Na, in dem seiner Haut möcht’ i jetzt net stecken!“
Sie griff zum Funkgerät.
Plötzlich hörte Karl laute Schreie hinter sich. In seinem Rücken befand sich das Glasfenster der gegenüberliegenden Schiebetür. Dahinter verlief das Gleis für die entgegenkommenden Züge und entlang dessen, der dazugehörende Bahnsteig. Er erkannte die beiden Kontrolleure, begleitet von zwei männlichen Gestalten des gleichen Typus.
A: (in ein Funkgerät schreiend) „..und wertets scho die Bülder von de Videokameras aus – damit ma wiss'n, in wölche Richtung dassa is!“
B: (auch ins Funkgerät schreiend) „In drei Minuten samma do!!“
A: „Heast, plärr ma ned ins Ohr!!“
B: „I man’s jo nur guat!!!“
Intuitiv duckte sich Karl unter den Rand der Scheibe. Die Polizistinnen, Mutter und Kind, sowie der Beamte der Verkehrsbetriebe standen nun unmittelbar an der Tür.
Polizistin 2: (ins Funkgerät sprechend) „Achtung, Achtung, an alle Einheiten! Sittlicher Übergriff gegen eine Minderjährige. Gesucht wird ein Mann Anfang 30, mittelgroß, schlank, brauner Pullover über die Schultern, helles Hemd, Bluejeans..“
In diesem Moment drehte sich der dicke Fahrgast um und starrte verdutzt und aggressiv auf den hier gebückt hockenden Karl.
Dicker Fahrgast: „Heans, wos hockerln Sie do hinta mia?! San’s schwul?!?! I ruaf glei die Polizei!!“
Seine Aussprache war sehr feucht.
Polizistin 1: „Gibt’s Probleme?“
Sie wendete ihren Habicht-Blick ins Innere des Waggons.
Und wieder hatte Karl Glück im Unglück: die Tür schloss sich mit lautem Geräusch, noch ehe der dicke Fahrgast auf die herrische Frage der Polizistin eingehen konnte.
Karl richtete sich langsam auf.
Karl: „Sorry, aber mir is net ganz gut vom Magen..“
Dicker Fahrgast: „Sie werd'n si oba hoffentlich ned glei anspeib'n?“
Karl: „Nein, nein. Keine Gefahr!“
Obwohl Karl das Misstrauen des dicken Fahrgastes spüren konnte, behielt er seinen Platz bei. Man konnte ja nicht wissen, welche Gefahren in den kommenden Stationen lauern... Es schien ihm also ratsam, das massive Volumen des Mannes weiterhin als Deckung zu nutzen.
Dicker Fahrgast: „Hoben‘S des mit'kriagt? Do hot aner a klanes Madl belästigt. Zirka 30, schlank, brauner Pullover um de Schuitern. So eine Sau!“
Karl: „Ja, ja.“
Dicker Fahrgast: „Heitzutog’ is ma nirgendsd mehr sicha. Soiche Leit’ g’hern sofurt zwangskastriert!“
Karl: „Ja, ja.“
Pause.
Dicker Fahrgast: „Und i hob vuahin g'laubt, Sie woill'n mi belästig'n!“
Er lachte laut und schmutzig.
Karl wollte Vertrauen herstellen und lachte künstlich mit. Dann verstummte der dicke Fahrgast, Karl tat es ihm nach.
Ein Zitat tauchte in seinem Gedächtnis auf:
„Das Leben nennt der Derwisch eine Reise....“
Er konnte sich aber nicht mehr erinnern, wie der Satz weiterging…
Vor knapp 10 Jahren hatte Karl sein Germanistikstudium nach zweieinhalb Semestern abgebrochen. Die ernsthafte und analytische Auseinandersetzung mit Literatur war ihm zu akademisch, zu blutleer erschienen. Er vermisste das Rauschhafte und Spielerische; außerdem waren ihm seine Mitstudenten zu verbissen, zu ehrgeizig und zu überheblich.
Unter den Studentinnen gab es eine Kollegin die ihn fesselte. Die schöne Gabi mit den enganliegenden Stretchjeans.
Ihre rötlich blonden Haare fielen wellenartig auf die Schultern....ihr zarter Teint erschien noch alabastern glänzender in Kombination mit dem Duft ihres Parfums der Marke „Anaïs“.....stets hatte sie einen hauchdünnen Lidstrich aufgetragen, der ihren grünlichen Augen eine zauberhafte Künstlichkeit verlieh.....die meist pastellfarbenen Blusen mit kleinem Blumenmuster gaben ihr etwas luftig Leichtes. Ihr Atem roch nach Pepsodent.
Karl hatte sie im Tutorium für Erstsemestrige kennengelernt. Sie war ihm sofort aufgefallen. Er versuchte sich ihr durch kleine Aufmerksamkeiten zu nähern. So stellte er etwa beim Einrichten eines Sesselkreises unaufgefordert einen Stuhl für sie bereit; oder brachte ihr, ebenso unaufgefordert, in den kurzen Pausen Soletti und Coca Cola.
Beim anschließenden gemeinsamen Zusammensitzen der Studenten im Café, versuchte sich Karl (unter Alkoholeinfluss) durch die kühne Theorie hervorzutun, dass man Franz Kafka bis jetzt vollkommen falsch interpretiere. Das ewige Kreisen um ein 'Zentrum', das seine Protagonisten nie erreichen können, sei gar kein Symbol für die Suche nach der 'göttlichen Gnade', wie immer behauptet werde; nein, Kafka wäre in Wirklichkeit impotent gewesen. Mit dem Nichterreichen des 'Schlosses' und dem nicht zu fassen kriegenden Vorgang des 'Prozesses', würde Kafka nur einen verschlüsselten Hinweis darauf geben, wie groß seine Scheu war, das existenzielle Geheimnis zu greifen und sich der Wahrheit zu stellen. Sein Werk sei gegenüber seiner Dauerverlobten Felice Bauer eine gewaltige, geheimnisvolle Rechtfertigung gewesen, warum er sie nicht heiraten könne.
Karls Ausführungen zogen ein Schweigen in der Runde nach sich.
Nur Gabi sagte: „Interessant!“ und Karl glaubte in ihren Augen ein bewunderndes Glitzern zu bemerken.
Das Schweigen der Mitstudenten war eher ein Ausdruck der Betretenheit gewesen, niemand wollte etwas sagen, bevor sich nicht Martin, der Tutor, zu Karls Theorie geäußert hatte. Martin war immerhin schon im vierten Semester und die neuen Studenten akzeptierten seine Autorität.
Martin war ein gutaussehender Schöngeist mit schwarzen Locken und scheinbar weichen braunen Augen. Er hatte das Auftreten eines sensiblen Alpha-Rüden, die Stimme war samtig und leise. Seine Kultiviertheit unterstrich er durch den stilvollen Gebrauch eines Zigarettenspitzes aus Ebenholz.
„Weißt Du, äh....Karl“ hob Martin zu sprechen an, nachdem er eine bedächtige Pause gelassen und drei besonnene Züge geraucht hatte. „Weißt Du, wenn Du die Briefe Kafkas an Felice noch einmal genau durchliest, wirst Du vielleicht doch die Subtilität von Kafkas Werben um sie spüren können. Große Geister streben nicht nach hastiger Vereinigung – Kafka hatte ein ausgeprägtes Sensorium für den transzendentalen Aspekt sexuellen Verlangens. Wenn Du dieses Faktum als verleugnete Impotenz fehlinterpretierst, vermute ich sofort, dass Du möglicherweise Deine eigenen Probleme in Kafka hineinprojizierst.“
Die Mitstudenten nickten beifällig. Gabi wirkte nachdenklich.
Zwei Tage später sollten sich die Teilnehmer des Tutoriums, im Rahmen eines gruppendynamischen Spiels unter Martins Leitung, einen Partner aussuchen.
Karl gelang es, sich mit Gabi zusammenzutun. Das jeweilige Paar musste sich in der Mitte des Sesselkreises aufstellen. Dann sollten die beiden einander sagen, was ihnen am anderen gefalle.
Unter den aufmerksamen Blicken Martins und der Kollegen, stand nun Karl der bezaubernden Gabi gegenüber. Er sollte den ersten Satz sagen.
Aber wie? Was? Er konnte doch nicht einfach vor allen bekunden, was ihm abends vor dem Einschlafen und morgens beim Aufwachen und mittags beim Essen und auch sonst in jeder Minute zu ihr einfiel.
Gestern Abend erst hatte sie ihm, beim Abschied nach einem gemeinsamen DVD Abend mit den Kollegen (Tarkowski, „Nostalghia“) und anschließender Diskussion unter Martins souveräner Leitung, gestern Abend also hatte sie ihn mit ihren wunderbaren, weichen Lippen zum Abschied ganz knapp neben den rechten Mundwinkel geküsst. Wildeste Phantasien seinerseits waren die Konsequenz gewesen. Vor allem die Vorstellung von der Beschaffenheit ihres Höschens beschäftigte ihn fundamental.
Im morgendlichen Halbschlaf sah er Gabis hingebungsvolle Augen über sich....ihr Gesicht umwellt von ihren frisch mit Pfirsich-Shampoo gewaschenen, rotblonden Haaren.....über den Kopf hatte sie einen weißen Tangaslip aus Baumwolle gezogen, sodass ihr Mund vom dreieckigen Stoff bedeckt war, der sonst ihre wunderbare Muschi verhüllte.....ihre Zungen suchten einander durch den Stoff hindurch......und Karl war eingehüllt in eine Geruchskombination aus „Anaïs“ und Gabis intimer Duftnote.
Und jetzt stand er ihr in der Mitte des Sesselkreises gegenüber – belauert von den Blicken der wahrheitsdurstigen und sinnesfeindlichen Kommilitonen. Er spürte deren Ungeduld. Er musste etwas sagen! Schnell! Etwas Kluges, Nettes, sodass sie ahnen konnte wie verliebt er in sie war, aber auch nicht zu offensichtlich... In voraussehender Ahnung war er heute zum Glück schon sehr gewissenhaft am Klo gewesen.
Er atmete tief durch.
Karl: „Ich mag Deine Intelligenz.“
Gabi lächelte höflich.
Gabi: „Ich mag, dass Du so lustig bist.“
Das war nicht gerade das, was er hören wollte.
Karl: „Ich mag Deine Phantasie.“
Gabi: „Ich mag Deine Zuverlässigkeit.“
Karl drängte es zu gesteigerter Deutlichkeit.
Karl: „Ich mag Deine Neugier.“
Gabi: „Ich mag Deine Ernsthaftigkeit.“
Bin ich wirklich so langweilig?? Sag’s einfach! Sag’s!
Karl: „Ich mag Deine Wärme.“
Gabi: „Ich mag Deine Offenheit.“
Karl: „Ich mag Deine Aura.“
Gabi: „Ich mag Deine Sensibilität.“
Na also, wird schon.
Karl: „Ich mag Deine Weiblichkeit.“
Gabi: „Ich mag Deine Verwegenheit.“
Karl: „Ich mag, wie Du riechst.“
Sie sah ihn an, lächelte und errötete leicht.
„Karl, bitte!“ Dieser Einwurf kam nicht von Gabi sondern von Martin. Er zog bedächtig am Zigarettenspitz. Ihm war, übrigens als einzigem, das Rauchen während der Übungen gestattet. Alle wendeten sich ihm zu.
„Schau, äh.....Karl. In diesem Spiel geht es darum, auf unkonventionelle Art und Weise die Vertrauensbasis in der Gruppe zu stärken.
Es ist extrem asozial, wenn Du den lächerlichen Versuch unternimmst, die Möglichkeit die Dir geboten wird dazu zu missbrauchen, auf eine derartig schleimige Weise die Frauen in der Gruppe in Verlegenheit zu bringen. Mir scheint sowieso, Du hast ein Problem mit Frauen.
Es tut mir sehr leid für Dich, Gabi. Wir können die Vorgänge aber nach dem heutigen Programm unter vier Augen behutsam analysieren.“
Plötzlich schnüffelte er in die Luft, verzog angewidert das Gesicht und fragte streng: „Wer hat denn da bitte so schreckliche Blähungen?“
Forschend sah er von Angesicht zu Angesicht, um schließlich Karls ängstlichen Blick zu fixieren. Alle anderen taten es ihm gleich.
Nach einer endlosen Minute meinte er unterkühlt: „Karl, es ist wichtig, dass man zu seinen Fehlern steht. Öffne bitte das Fenster.“ Und nach einer kurzen Pause: „Jetzt die nächsten bitte. Und diesmal ein bisschen mehr Ernst!“
Die Mitstudenten, alles zukünftige Lehrer, Dramaturgen und Journalisten, überlegten sich nun sehr gut, was sie im Sesselkreis sagten.
Die Veranstaltung verlief ernsthaft und konzentriert. Danach waren sich alle darüber einig, durch ihre außergewöhnliche Offenheit zueinander heute eine große Erfahrung gemacht zu haben. Sie dankten Martin. Dieser war zufrieden und spendete wohldosiertes Lob.
Mit Karl sprach keiner mehr. Auf der Straße beobachtete er noch, wie Martin Gabi eine Zigarette anbot und sich mit ihr absentierte.
Es ging Karl ganz schrecklich. Die Nacht war furchtbar. Die Träume entsetzlich.
Einer davon hatte zum Inhalt, dass Gabi im Bikini, mit gespreizten Beinen, auf der Sonnenwiese eines Freibades lag und sich mit einem schwarzen Zigarettenspitz befriedigte.
Karl wollte aber nicht kneifen und ging am nächsten Tag wieder ins Tutorium.
Gabi begrüßte ihn freundlich, die anderen wichen seinen Blicken aus.
Ein Sesselkreis wurde gebildet. Ganz selbstverständlich nahm Gabi neben Martin Platz. Dieser verkündete, dass Gabi ihm nun assistieren werde. Ab diesem Zeitpunkt begegneten ihr die MitstudentInnen mit gesteigertem Respekt und Subalternität.
Karl saß im Sesselkreis und konnte dem Geschehen kaum folgen. Die Situation war ihm unerträglich. Als eine Welle des Selbsthasses in ihm aufstieg und er sich vor Wut die Haare raufte und auch einige dabei ausriss, unterbrach Martin seine Ausführungen und sagte:
„Du, äh.....Karl, ich spüre, dass Du heute nicht ganz in deiner Mitte bist. Komm, steh bitte auf und stell Dich ins Zentrum.“
Karl tat wie ihm geheißen.
Martin: „Du, äh......Karl, Du bist heute noch zappeliger als sonst. Möchtest Du etwas sagen?“
Karl schwitzte. Ihm wurde schwindlig. Krampfhaft vermied er es, Gabi anzublicken.
Martin: „Äh......Karl, kann es sein, dass Du von jemandem etwas willst und diese Person es Dir nicht geben will?“
Stille.
Martin: „Ist diese Person anwesend?“
Stille.
Was sollte er sagen, er hatte das Bedürfnis, Martin in den Unterleib zu treten. Es fehlte ihm aber der Mut.
Stille.
Sollte er Gabi vor allen zur Rede stellen? Aber was hätte er ihr vorzuwerfen? Er fühlte, dass er sich damit ins Unrecht setzen würde. Gleichzeitig brannte in ihm das Gefühl des Betrogenen.
Stille.
Die Peinlichkeit wurde unerträglich.
Da rutschte es aus Karls Mund: „Meine Mutter ist krank, ich mache mir Sorgen.“
Martin ließ einige Sekunden vergehen, er hatte mittlerweile sich und auch Gabi eine Zigarette angezündet, nahm einige Züge – wo bitte aber war der Zigarettenspitz? – dann sagte er:
„Du, äh.......Karl, ich glaube keiner ist böse, wenn Du heimgehst und Dich um Deine Mutter kümmerst. Was meint die Gruppe?“
Gruppe: „ Nein, nein. Ist okay. Soll nur gehen.“
Martin: „Gabi?“
Stille.
Gabi: „Ich glaube, es ist besser so.“
Karl versuchte souverän zu erscheinen und sagte: „Danke für Euer Verständnis.“
Er verließ den Seminarraum.
Ab diesem Tag blieb Karl dem Tutorium fern.
Zwei Wochen später, er besuchte damals noch fleißig alle Lehrveranstaltungen, hörte er aus einer Kammer lautes Schluchzen. Die Tür stand offen.
Er erblickte Gabi, die vor Martin kniete und mit tränenerfüllter Stimme fragte: „Warum, wieso, warum hat’s mit uns so kommen müssen… Um was geht’s denn eigentlich im Leben?“
Martin: (ihr zart durch die Haare streichend)
„Das Leben nennt der Derwisch eine Reise,
Und eine kurze. Freilich! Von zwei Spannen
Diesseits der Erde nach zwei Spannen drunter.“