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Die Begegnung

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Sicherlich existierten in seiner Vorstellung weitaus idyllischere Orte als der, den er vor sich sah. Weil hier aber nun seine einzige Liebe lebte, eignete ihm in seinen Augen gar etwas Romantisches. Er konnte Gott, den er einst ungezählte Male verflucht hatte, nur reuevoll danken, dass er Donna in dieser Ungastlichkeit nicht im Stich gelassen hatte und ihm die Richtung zu ihr gewiesen. Nun war es ihm ein leichtes, all die durchgestandenen Schwierigkeiten als tatsächlich unabdingbare Prüfungen auf dem Weg zum lohnenswerten Ziel zu betrachten: wer so lange durch die Hölle gegangen war wie er, auf den konnte am Ausgang nur das Paradies warten.

Aber wenn es jetzt auch in Sichtweite war, so durfte er nicht blindlings in sein Glück stolpern, sondern musste sich in Umsicht und Besonnenheit üben. Innerlich schien er zwar wieder der alte zu sein, sein Gedächtnis mit dem Auffinden Donnas sogar völlig intakt. Doch Gesicht und Körper, Motorik, Mimik und Gestik sowie Stimme und ihr Tonfall hatten mit Jack Gabriel so wenig gemein, dass seine Frau bewusst niemals ihren Mann in ihm erkannt hätte.

Dass er ihr als ein völlig anderer erscheinen würde, betrachtete er allerdings insgeheim als Vorteil. Denn da er nach Boscos Mitteilungen damit rechnen musste, dass seine Frau das komplette Erinnerungsvermögen hatte einbüßen müssen, wäre nicht auszuschließen gewesen, dass sie durch ein Wiedersehen mit ihm in seiner ursprünglichen Gestalt einen Schock erlitten hätte. Dann wären all die damaligen Geschehnisse mit einem Male wieder in ihr hochgekommen und sie hätte ihn verwünscht, noch ehe er Gelegenheit bekommen hätte, ihr den wahren Hergang zu erklären. In seiner neuen Haut konnte er sich indes sicher fühlen, dass Donna nicht gleich in verzweifelte Hysterie ausbrach, und zugleich vage hoffen, dass mit der Zeit ihr Unterbewusstsein zunehmend auf ihre grundsätzlich positiven Gefühle ihm gegenüber reagierte. Und wenn der richtige Augenblick gekommen wäre, dann würde er ihr verraten, wer sich hinter Tom Pitcock verbarg. Und vielleicht erhielte er dann endlich die Chance, ihr die Wahrheit zu erzählen. Und vielleicht würde sie ihm dann glauben und vergeben. Und vielleicht würden sie dann zusammen die Entschlusskraft aufbringen, nach Louisa zu suchen. Und vielleicht könnten sie dann bis ans Ende ihrer Tage miteinander glücklich sein. Nachdem er ein allerletztes Mal seinen Argwohn überzeugt hatte, dass sich in dieser Unwirtlichkeit niemand aufhielt außer Donna und ihm (von Teufel Diam drohte ihnen keine Gefahr, das wusste er schließlich selbst am besten), nahm er seinen ganzen Mut zusammen und stellte sich ihr vor als ein müder Vagabund mit dem Wunsch nach ein wenig Ruhe und menschlicher Wärme. Und von dem Moment an, als sie ihn nach einem kritischen Mustern zum Verweilen in ihrem Haus einlud, bestimmte die Melodie der Harmonie überraschend schnell den Takt ihrer Herzen. Es war für ihn wie einst im Frühling ihrer Gefühle, als sie gemeinsam den Tau frischer Verliebtheit auflasen, und scheinbar nur noch eine Frage von nicht mehr allzu langer Zeit, bis Donna ihrer neuen Leidenschaft erläge, ohne zu wissen, dass es ihre alte war.

Doch ausgerechnet dann, als die in seinen Augen einfache Rechnung Einsamkeit und Einsamkeit plus seelischer Verbundenheit ist gleich vollendete Zweisamkeit fantasievoll ineinander aufzugehen schien, wurde es kompliziert. Abrupt brach Donna ihr intimes Zusammenspiel ab und in Tränen aus.

Als er nach dem Grund ihres plötzlichen Ablassens von ihm fragte, bekam er zu hören, dass sie nur mit ihrem Mann schlafen könne und sonst mit niemandem, auch nicht mit ihm, so gern sie ihn habe.

Er musste schlucken und noch einmal nachfragen: «Du hast einen Mann?» «Ja», sagte sie weinend und seinem Blick ausweichend. «Oder sagen wir besser: Ich habe mal einen gehabt.»

«Warum hast du mir denn davon nichts erzählt?»

«Weil ich gehofft habe, ich würde meinen Mann durch dich aus meinem Gedächtnis streichen können», sagte sie schluchzend. «Aber stattdessen, ich weiß, es klingt absurd, sind alle meine mit ihm verbundenen schlimmen Erinnerungen wieder aus mir herausgebrochen.»

«Welche schlimmen Erinnerungen?»

Als er keine Antwort erhielt, sagte er, während er ihr über das Haar zu streichen versuchte: «Donna, verstehe mich jetzt bitte nicht falsch, ich möchte nicht in deiner Vergangenheit herum bohren. Aber vielleicht würde es dir besser gehen, wenn du mir erzähltest, was damals geschehen ist und wie du hierhergekommen bist.»

«Das ist ja das schreckliche», sagte sie mit nun stolpernder Stimme. «Ich weiß überhaupt nicht, wie ich hier nach meinem Absturz landen konnte.»

«Nach welchem Absturz?»

«Ich hatte einen Unfall. Zusammen mit Louisa, meiner Tochter, also, ich meine, mit der gemeinsamen Tochter von mir und Jack, meinem Mann. Ich war mit ihr unterwegs zu Detective Frederick Bosco, und dann kam diese Kurve. Oh, wenn ich nur wüsste, was aus Louisa geworden ist. Und aus Jack. Vielleicht habe ich ihn ja zu Unrecht des Mordes an Fletcher und Spadea verdächtigt und bin dafür auf diese Weise vom Leben bestraft worden.»

«Dein Mann soll zwei Menschen auf dem Gewissen haben?»

«Ja, wahrscheinlich. Oder vielleicht doch nicht. Verzeih mir», sagte sie, den Blick auf den Boden gerichtet, die Hände aufs Gesicht gelegt.

«Ich mute dir zu viel zu. Erst bin ich dir sehr zugeneigt, dann mache ich zu, sage dir, dass du in mir meine unsägliche Vergangenheit wachgerufen hast. Und jetzt bin ich so töricht, dich damit auch noch zu behelligen. Dafür sollte ich mich schämen.»

«Das brauchst du nicht. Du hast doch nichts Verwerfliches getan», sagte er und versuchte, mit seinem rechten Zeigefinger vorsichtig ihr Kinn zu heben.

«Du wolltest einen Schnitt machen, einen Neuanfang mit mir wagen, in der Hoffnung, damit deinem vermeintlich nur noch in deiner Erinnerung existierenden Zusammenleben mit Jack ein Ende zu setzen. Und dann, als du mit mir schlafen wolltest, hast du gemerkt, dass das so einfach nicht geht, dass dieser Jack noch tiefer in dir steckt, als dir lieb ist. Und jetzt weißt du nicht mehr, wohin mit all deinen Emotionen, hast zudem mir gegenüber große Schuldgefühle, weil du dich mir nicht hingeben kannst.»

«Ja, mag schon sein», sagte sie leicht seufzend, während sie ihren Kopf wieder langsam sinken ließ. «Und diese Unfähigkeit dir gegenüber ist mir äußerst peinlich.»

«Das muss es dir nicht sein, das ist doch nur nachvollziehbar, absolut menschlich.»

Sie hob den Kopf und sah ihm in die Augen: «Weißt du, dass du ein außergewöhnlich verständnisvoller Mensch bist?»

«Ich weiß nur eins, Donna», sagte er mit stockender Stimme, weil ihm die Worte die Kehle zuzuschnüren drohten. «Ich liebe dich.»

«Sag so was nicht, dafür kennst du mich doch erst viel zu kurz», sagte sie, während ihr eine Träne die linke Wange herunterlief.

Sein Gesicht nahm rasch rote Farbe an. Dann sagte er nach einer kurzen Pause, während er mit dem Zeigefinger der rechten Hand den Fluss ihrer Träne zu unterbinden versuchte. «Ich liebe dich, Donna. Egal, was du für mich empfindest, ich liebe dich. Und deshalb würde es mich auch nicht belasten, wenn du mir deinen Ballast anvertrauen möchtest. Du wirst dich sicherlich überwinden müssen, aber danach wird dir gewiss umso leichter sein. Und nur dann haben wir eine gemeinsame Zukunft.»

«Glaubst du?»

«Ja, ganz bestimmt», verlieh er seiner Stimme etwas Nachdruck und nahm ihren Kopf sanft zwischen seine Hände. «Du wirst sehen, wenn die Anfangshürde erst einmal genommen ist, liegt das höchste Hindernis der Strecke bereits hinter dir.»

Sie zog ihren Kopf zurück. «Aber ich weiß überhaupt nicht, wo ich beginnen soll. Das ist alles so furchtbar. Ich glaube, ich schaffe das nicht.»

«Du schaffst es, und ich werde dir dabei helfen», sagte er, den direkten Blickkontakt suchend. «Fang doch damit an, wie ihr euch kennengelernt habt.»

«Nein, das werde ich nicht tun», sagte sie frostig. «Das wäre zu viel für uns beide.»

«Gut, dann erzähl mir, womit Jack sein Geld verdient hat.»

Neonmerika

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