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Die Königin des Traumes
ОглавлениеDie Reise durch das Zauberland, das ist wirklich eine aufregende Sache. Es wimmelt dort nämlich von Fantasiegestalten. Alles, was du dir vorstellst, kann dir dort begegnen. Ja, wirklich! Wenn du ganz heftig an etwas denkst, gibst du deinen Gedanken im Zauberland Form und es entsteht etwas, was es wirklich gibt. Aber, das ist noch nicht alles.
Auch mit der Zeit passiert etwas. Du wirst nämlich nicht älter. Wenn du eine Uhr dabei hast, kannst du sehen, dass sich die Zeiger nicht mehr bewegen, obwohl sie tickt. Und wenn du willst, dass es Tag ist, dann ist Tag. Wenn du dir die Nacht wünschst, dann ist es Nacht. Jeder kann für sich allein seine Tageszeit wünschen. Das bringt natürlich eine Menge Probleme mit sich, da man nie weiss, ob für einen anderen jetzt Tag oder Nacht
ist. Aber bist du erst mal länger dort und kennst dich aus, wirst du dich auch daran ganz von alleine gewöhnen.
Ich könnte dir noch tausend andere Dinge vom Zauberland erzählen, aber dann wäre in diesem Buch kein Platz mehr für meine Geschichte, die Geschichte von Dudel und Ruben im Zauberland.
Und die willst du doch hören, oder?
Ruben und Dudel machten sich auf den Weg. Die Richtung wählten sie willkürlich. Das Zauberland war überall um sie herum und da war es ja egal, wohin sie gingen. Hinter ihrer Wiese, verdeckt von den alten Bäumen, fanden sie einen schmalen Weg, der sie in die Ferne führte. Sie waren beide gut gelaunt und neugierig auf die Dinge, die sie hier erwarteten. Ab und zu huschte ein seltsames Tier vor ihnen über den Weg oder ein bunter Vogel flog vorbei. Seltsame Felsen säumten den Pfad, wirkten aber nicht bedrohlich, eher freundlich. Umstellt von hohen, sich im Wind wiegenden Bäumen, sahen sie, etwas abseits des Weges, einen goldenen See, was sie dazu brachte, ihren Pfad zu verlassen.
Der See glitzerte wie tausend Sonnen. Er glühte, strahlte, blitzte in allen nur erdenklichen Goldtönen. Das Farbenspiel war so prächtig, dass die beiden Freunde stehen blieben, um den See zu bestaunen. Jetzt erst sahen sie die Fische, die darin schwammen. Fische, die wie Diamanten schimmerten. Und dann die Wasserpflanzen, grün schillernd wie Smaragde, durchsichtig und zerbrechlich wie Glas. Ein herrlicher Anblick!
Und während sie so standen und staunten, ertönte plötzlich eine zarte Harfenmusik, und eine wunderschöne Frauenstimme begann, dazu zu singen:
"Wenn in der Nacht
die Dunkelheit den Träumen weicht,
dann bin ich zuhaus.
Wie mit Flügeln tragen sie mich
in die offene Welt hinaus.
Silbervogel, goldenes Pferd, Flammenberg,
der Himmel brennt.
Von den Sternen, die über mir stehen,
rieselt zarter Staub herab.
Ein Fluss aus Kristall, der vorrüberrauscht,
mündet in einen Ozean,
der erblasst ist in zartem Blau
und auf dessen Grund diamantene Berge stehen.
Über allem thront ein weisser Mond,
dessen Strahl im kühlen Meer versinkt.
Ein Vogel, der am Himmel fliegt,
steigt auf zur fernen Wolkenwand.
Sein Flügelschlag klingt durch die Nacht,
wie Melodien, von der Natur gemacht.
Eine Kerze brennt in meiner Hand
und lässt die Sterne funkeln.
Jäh zerstört das Tageslicht
mein Traumland und damit auch
-mich ..."
Als die letzten Töne verklungen waren und die Stimme verhallte, sahen sie erst, dass ihnen gegenüber, auf der anderen Seite des Sees, eine Frau stand, die sie anlächelte. Eine kleine keltische Harfe hielt sie noch in der Hand. Bekleidet war sie mit einem langen, weissen Gewand, das von einem glitzernden Gürtel gehalten wurde. Hellblondes Haar, das an den goldenen See erinnerte, umfloss ihre Schultern und fiel in weichen Wellen fast bis auf den Boden herab.
Ruben und Dudel waren zuerst sehr erschrocken, als sie die Frau bemerkten, denn sie hätten geschworen, dass sie vorher noch nicht da stand, obwohl sie ihren Gesang hören konnten. Aber im gleichen Moment fiel ihnen ein, wo sie waren und sie blickten sich vielsagend an. Im Zauberland ist eben alles möglich.
Die Frau lächelte den beiden zu und forderte sie auf näherzukommen. Sie gingen also um den See herum, bis sie vor ihr standen.
"Guten Tag", sagte sie, "ich bin die Königin des Traumes."
"Guten Tag", erwiderte Ruben, "das ist mein Freund Dudel und ich bin Ruben."
Er blickte sie mit grossen Augen an.
"Bringst du die Träume?"
"Nein", lachte die Königin", die Träume bringen euch andere. Dafür habe ich nämlich meine Traumboten."
"Aber du suchst dann die Träume aus?", wollte Dudel wissen.
"Nein", lachte sie wieder, "auch das nicht. Seine Träume sucht sich jeder selbst aus. Unbewusst natürlich. Ich wache über alle Dinge, die in den Träumen vorkommen, eben über das Traumland.
Und ich passe auf, dass die Dinge und Wesen in den Träumen, ob Menschen, Tiere oder was auch immer, nicht die Grenzen zur Wirklichkeit überschreiten. Wenn ihr träumt, muss alles im Traumland bleiben, auch ihr."
"Träumen wir jetzt?", fragte Ruben.
"Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ist es denn wichtig? Wenn ihr im Traumland seid, werdet ihr es nicht wissen, bis ich es euch merken lasse oder Euch zurückschicke aus meinen Grenzen. Das Traumland ist genauso wirklich wie die Wirklichkeit. Es ist jetzt nicht wichtig, wo ihr seid. Wichtig ist, dass ihr es seid. Kein anderer wird euren Traum träumen und kein anderer wird eure Wirklichkeit leben."
Die beiden sahen sie mit staunenden Augen, schweigend, an. Sie lachte und legte jedem eine Hand auf den Kopf. Ein Gefühl von Geborgenheit durchströmte sie.
"Schenkst du uns einen Traum?", sagte Dudel zaghaft.
"Wenn ihr es wollt", sagte sie.
"Aber du musst ihn uns aussuchen, bitte!"
"Gut, ausnahmsweise", antwortete die Königin leise.
Sie hatte es kaum ausgesprochen, da überfiel die beiden eine bleierne Müdigkeit und sie glitten sanft zu Boden. Sie merkten nicht mehr, dass die Frau liebevoll auf sie herab sah. Die zwei Träumer träumten jeder für sich einen eigenen Traum. Einen wunderschönen Traum. Mochten die Träume noch so verschieden sein, aber ihre Empfindungen und Gefühle waren ähnlich. Sie fühlten sich warm, geborgen und glücklich. Sie sahen Farben und Formen, die sie nie gesehen hatten und sie hörten Klänge und Musik, die so schön war, dass sie weinen mussten.
Ob alles jetzt Minuten oder Stunden, vielleicht sogar Tage gedauert hatte, wusste nachher keiner mehr zu sagen. Ruben blinzelte mit den Augen.
Die Sonne stand hoch über ihm und er sah Grashalme um sich herum aufragen. Neben ihm lag Dudel. Er war im gleichen Augenblick wach geworden und guckte zu ihm herüber. Ruben stand auf und streckte sich.
"Schön", sagte er. Er war glücklich.
"Sie ist weg", bemerkte Dudel.
Der goldene See lag vor ihnen, glitzernd, wie sie ihn vorgefunden hatten. Aber die Königin des Traumlandes war weg. Die Königin mit den langen, blonden Haaren war verschwunden, aber die Erinnerung an den Traum würde ihnen immer bleiben.
Das war ihr Geschenk.
Und immer, wenn sie sich daran erinnerten, würden sie glücklich sein.