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PROLOG

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„Wir schaffen das“, verkündete sie entschlossen und zwinkerte ihm über den breiten, glänzend polierten Tisch hinweg zu, an dem schon viele wichtige Themen verhandelt worden waren.

Seine buschigen Augenbrauen hoben sich nur unmerklich. Fassungslos beobachtete er sie, wie sie sich breit grinsend aufrichtete und ihm herausfordernd in die Augen blickte. Wie sehr hatte sie sich doch verändert. Sie wusste ihre Schafe hinter sich, und das gab ihr ein sicheres Gefühl, trügerisch sicher. Sie hatte die Macht und den nötigen Biss, jeden in ihrem Kabinett politisch ins Abseits zu stellen. Und genau davor hatten alle um sie herum Angst. Ungeheure Angst sogar. Sie klebten an ihren Stühlen, und es war ihnen egal, wie hoch der Preis dafür war.

Als läge ein schwerer Bleigürtel auf seinen Schultern, rutschte er auf seinem Stuhl etwas unbeholfen hin und her. Die politische Situation im Land hatte sich verändert. Noch hielten alle die Füße still. Die Frage war jedoch, wie lange noch. Seine Kanzlerin schien dies alles nicht zu bemerken – oder war es ihr egal? Hatte sie vielleicht sogar den Boden der Realität unter den Füßen verloren? Wie oft schon hatte er das in seiner langen Laufbahn beobachten müssen. Sie kamen, stiegen auf und wurden krank unter der Macht, die man ihnen zubilligte. Sie verloren die Sicht für die Realität und setzten sich selbst zunehmend ins Zentrum des Universums. Für diese Helden gab es nur eine Wahrheit, nämlich ihre eigene. Und dann kam der Fall.

„Der Ausspruch Wir schaffen das kommt nicht mehr so gut an“, gab er zu bedenken. „Viele …“

„Wir schaffen das, wir schaffen das, wir schaffen das“, unterbrach sie ihn trotzig. „Ich lasse mir den Mund nicht verbieten. Und wenn ich sage, dass wir es schaffen, dann ist es auch so. Meine Partei macht, was ich sage. Was ich nicht will, wird es nicht geben. Ganz einfach.“

Es entstand eine unselige Stille im Raum, die die Unterschiedlichkeit ihrer Gedanken offenbarte. Ja, Kohls Mädchen war eine Frau geworden. Bissig und machtversessen. Inzwischen kümmerte es sie nicht einmal mehr, welche Parteitagsbeschlüsse gefasst wurden. Auch diese wischte sie einfach von der Tischplatte, ungeachtet aller Konsequenzen.

„Verzeihen Sie, aber wir müssen dann auch darüber reden, wie wir es bewerkstelligen sollen.“

„So? Habe ich nicht genügend kluge Köpfe in meiner Regierung? Muss ich denn alles alleine machen?“ Tiefe Furchen durchpflügten ihre Stirn. Ihre Hände, die sie sonst immer in ihrer typischen Art gefaltet hatte, lagen nun flach auf der Tischplatte. In ihrer ganzen Körperhaltung glich sie einer zum Sprung bereiten Raubkatze.

Was sollte er auf diese Frage antworten? Die Wahrheit? Aber was würde das schon bringen? Sie war bereits zu weit gegangen mit ihren einsamen Entscheidungen und konnte nun nicht mehr in die kuschelige Komfortzone zurückweichen. Sonst war er für seine trockenen, treffsicheren Aussagen bekannt, doch diesmal blieb er stumm. Bereits in der Griechenlandkrise hatte er sie hart angegangen, als er den Grexit ins Spiel brachte. An die Abreibung, die er danach hinter verschlossenen Türen erhalten hatte, erinnerte er sich noch genau. Zwar wusste auch er eine große Anhängerschaft in der Basis hinter sich, aber der letzte Parteitag hatte gezeigt, wie schnell Mehrheiten bröckeln konnten. Manchmal fragte er sich, warum er überhaupt Politiker geworden war. Vielleicht war er wie die anderen. Vielleicht gehörte auch er bereits zu den verlorenen Seelen, die alles taten, nur um ihren Posten nicht zu verlieren.

„Nun? Gibt es noch etwas zu besprechen?“, fragte sie ihn nun ganz ruhig. Sie hatte sich nach ihrem kurzen Gemütsausbruch schnell wieder im Griff. Das war sicherlich eine ihrer Stärken. Manchmal aber auch die einzige.

Die Politik und ihr Wahnsinn

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