Читать книгу Wolf Hole Junction - Ralph Pape - Страница 4

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Auf dem Highway 10, zwischen Phoenix und Tucson. Dean Grandner dreht am Knopf des Autoradios, bis Countrymusic ertönt. Breit grinsend schielt er zu seiner Beifahrerin hinüber. Seine Freundin Linda Bradshaw rollt mit den Augen. „Oh Gott ... du mit deiner blöden Musik. Ich kann das Hillbilly-Zeug bald nicht mehr hören!“ Sie möchte am Radioknopf drehen, doch Dean klopft ihr sanft auf die Hand. „Wirst du wohl!“ Er lacht fröhlich. „Das ist die beste und ehrlichste Musik, die es gibt, mein Schatz. Nicht so wie dein Hipp-Hopp-Kram, bei der sich einem die Zehennägel aufrollen.“ Linda kichert. „Na, du weißt doch, was ich von Country halte, oder?“ Ja, Dean weiß das. Was er gern hört, zählt nicht zu ihren Favoriten. Immer wieder lästert sie darüber, was er überhaupt nicht verstehen kann. Schließlich toleriert er auch ihren Musikgeschmack.

„Puuhh, ist das wieder heiß heute.“ Linda stöhnt und wischt sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. „Dreh die Klimaanlage bitte höher.“ Dean gehorcht und kurze Zeit später strömt etwas kühlere Luft in das Wohnmobil. Seit Stunden sind sie bereits unterwegs, um ihren Urlaub in der herrlichen Natur Arizonas zu verbringen. Besonders Dean zieht es immer wieder hinaus in die Wüste. Als Hobbyarchäologe interessiert er sich besonders für die „Dine“-Kultur aus der spanisch-mexikanischen Zeit und die Geschichte der Besiedelung durch Weiße. Er fand schon einige wertvolle Artefakte und Relikte aus der Zeit des Wilden Westens. „Man muss nur wissen, wo man zu suchen hat!“, meint er dann stolz. Zuhause in Phoenix hat er eine kleine Ausstellung arrangiert, in der indianische Kunstgegenstände, spirituelle Elemente und Bilder aus einer längst vergangenen Zeit zu bewundern sind. Und die interessantesten Gegenstände leiht er ab und zu Linda. Da sie Lehrerin und Dozentin für amerikanische Geschichte ist, kommt ihr das Hobby des Freundes sehr gelegen.

Auch sie ist gerne in freier Natur. Genießt die Stille und Einsamkeit in den Bergen und kann nie genug von den Wundern der Natur bekommen. Insbesondere zieht es sie immer wieder in das Monument Valley und den Grand Canyon mit dem imposanten Colorado River. Sie ist in der Nähe geboren und sagt über sich selber, dass sie sehr bodenständig und heimatverbunden sei. River Rafting auf den Flüssen des Landes ist eine Leidenschaft Lindas. Zudem wandert sie meilenweit durch die Landschaft und kennt viele Indianer vom Stamm der Diné, wie sie sich selbst nennen. Die meisten Weißen kennen die Indianerstämme aber nur unter dem Begriff „Navaho“.

Langsam steuert Dean das Fahrzeug in eine Haltebucht. Stöhnend streckt er die Arme aus. „Wow, ist das eine Fahrt. Ich glaube, es ist besser, wenn du ab jetzt mal übernimmst. Bis Tucson sind es noch gut 150 Meilen. Komm, lass und mal aussteigen.“ Ächzend windet er sich aus dem Wohnmobil heraus. Auch Linda reckt sich seufzend, kaum hat sie festen Boden unter den Füßen. Ab und an rollt ein Wagen auf dem Highway vorbei. Diese Hitze ist unerträglich, wer kann, vermeidet es, bei der aufgeheizten Luft unterwegs zu sein. Es ist schier unmöglich, entspannt im Auto zu fahren, wenn der Schweiß in Strömen rinnt. Erst gegen Abend machen die Einwohner ihre Besorgungen und dann nimmt der Verkehr zu. Vom Parkplatz aus haben die beiden Urlauber einen unvergleichlichen Blick auf die Landschaft. Diese Weite und Einsamkeit, die es sonst kaum auf der Welt gibt, zieht sie in ihren Bann. Unterbrochen von wenigen schmalen und flachen Tälern und Biegungen können sie das Band des Highways bis zum Horizont betrachten. In der Ferne erheben sich die berühmten Tafelberge. Manche von ihnen ähneln Gestalten aus alten Mythen und Legenden. Es ist das Land der Abenteuer. Das Land der Kakteen, Palmlilien und Mesquitebäume. Und Kulisse für so manchen Westernfilm. Dean befasst sich seit der Kindheit mit der Geschichte seines Landes. Der alte Westen und die Erzählungen darüber, begeistern ihn nach wie vor. Oft schon war er zum Jagen in dieser Gegend. Bis hinunter nach Sierra Vista führten seine Ausflüge.

Doch die Tour, die sie jetzt unternehmen, kennt selbst er nicht. Für einen hauptberuflichen Büchsenmacher wie Dean ist es fast schon Pflicht, auf die Jagd zu gehen. Sein Geschäft läuft gut. Kein Wunder, denn in diesem Land besitzt jeder mindestens eine Waffe. Und das Schießen ist so normal, wie anderswo Kegeln oder Bowling. Viele meinen, in dieser Wüstenregion gäbe es nichts zu holen. Ein großer Irrtum. Zu den jagdbaren Wildtierarten gehören Weißwedel und Maultierhirsche sowie Wapiti, Gabelböcke und Dickhornschafe. In abgelegenen Gebieten sind sogar noch vereinzelt Bären zuhause. Raubtiere wie Pumas, Dachse und andere marderartige Tiere leben in den Bergregionen. Es gibt genug Wild. Man muss es nur finden in diesem riesigen Land.

„Lass uns weiterfahren“, sagt Dean nach einer Weile. Seufzend setzt Linda sich hinter das Steuer des Wohnmobils. Gerne tut sie das nicht. Solche großen Kisten zu fahren, ist kein Spaß. Immerhin ist das Wohnmobil viereinhalb Meter lang und knapp einen Meter achtzig breit. Das Gefährt einzuparken oder auch rückwärts fahren liegt ihr nicht. Hier auf dem breiten Highway immer geradeaus fahren traut sie sich jedoch zu. Mit ihrer Körpergröße von einem Meter dreiundsechzig ist sie geradezu ein Püppchen und kann kaum über das Lenkrad blicken. Dean zieht sie ganz gern damit auf, aber Linda gibt dann sogleich Kontra, äfft seine Spötteleien nach und bemerkt spitz, dass sie halt nun mal ein mickriges Päckchen ist. Worüber dann beide herzlich lachen. Sie haben sich gesucht und gefunden. Linda kam eines Tages zu Dean in den Laden und fragte nach einer geeigneten Waffe für sich. Wie sie da so in ihrer kleinen Gestalt vor dem Verkaufstresen stand und Dean unbeholfen anschaute, entzückte ihn. Als ob sie schüchtern wie ein Kind nach einem Bonbon fragen würde. Ihr Augenmerk lag dabei auf einem 45er Colt Government. Eine ehemalige Standardwaffe des Militärs. Dean grinste breit und erklärte, dass dieses Schießeisen für sie doch ein wenig zu wuchtig sei. Da brauche sie einen Baumstamm zum auflegen und eine dicke Mauer hinter sich. Nach einigen Sekunden der Verblüffung lachte Linda herzlich über Deans trockene Bemerkung. Und sie sah ein, dass diese Waffe wohl etwas zu groß für sie sei. Auf diese Weise kamen sie ins Gespräch, was dazu führte, dass Dean sie zum Essen einlud. Linda gefiel Deans Humor. Die lockere, ehrliche Art, mit Dingen umzugehen, beeindruckte sie.

Dabei ist Dean nicht gerade ein Adonis. Doch sein markantes Gesicht mit den mittellangen blonden Haaren und dem Dreitagebart strahlt etwas aus, was Linda nicht erklären kann. Dazu seine blauen Augen mit den Lachfältchen. Für Linda nicht Liebe auf den ersten Blick, doch immerhin auf den zweiten. Sie ist eine besonders hübsche Lady. Siebenundzwanzig Jahre alt, schlank, mit langen schwarzen Haaren. Dean verliebte sich auf Anhieb in ihr süßes Stupsnäschen und die grünen Augen, die immer zu lachen schienen. Gerade mal drei Jahre jünger als Dean Grandner. Er hat mit seinen dreißig schon so einiges hinter sich. Nicht immer angenehme Dinge, wie er später seiner Freundin gestand. Seit mittlerweile zwei Jahren sind sie ein Paar und ergänzen sich vorzüglich. Auch wenn sie in manchen Dingen nicht immer einer Meinung sind. Aber bei welchen Paaren ist das schon der Fall?

Jetzt rollen sie im gemächlichen Tempo Tucson entgegen. Langsam wird es dunkel, als die ersten Lichter der Vorstadt auftauchen. Auf einem Parkplatz in Downtown stellen sie ihr Wohnmobil ab. Sie wollen noch einen Bummel machen und dabei verschiedene Dinge einkaufen, denn der Proviant muss aufgefüllt werden. Lange wollen sie nicht in der Stadt bleiben. Gleich morgen früh soll es weitergehen. Beide hassen Großstädte mit ihrem Verkehr, der Hektik und dem Trubel. Deshalb bezogen sie auch gemeinsam ein Haus am Rande von Phoenix. So sind sie schnell in der Stadt und trotzdem weitab von all dem Lärm und dem Pulsieren dieser Großstadt.

Im „Del Norte Shopping Center“ schlendern sie durch die langen Gänge und suchen die Fressalien für die kommende Woche aus. Alles, was man zum Campen eben so braucht. Und vor allem viel Wasser in großen Plastikkanistern. Auch mehrere Gaskartuschen für die Lampen vergessen sie nicht.

Danach fahren sie zurück zum Freeway und stellen ihr Wohnmobil auf einem Parkplatz ab. Bei einem gemütlichen Abendessen plaudert das Paar über das, was es die nächsten Tage vorhat. Dean hat sich große Mühe gegeben und etwas Leckeres zubereitet. Es gibt American Jalapeño.

Jalapeño-Mayonnaise auf gegrilltem Rinderhack mit Käse im Hamburger-Brötchen mit feurigen Kartoffelecken. Dean ist jetzt froh, beim Einkauf den Käse nicht vergessen zu haben. Er weiß, wie gerne Linda diese Speise mag, die schnell angerichtet ist und sehr lecker schmeckt. „Die Gegend unten in der Nähe von Sahuarita soll interessant sein“, murmelt Dean zwischen zwei Bissen. „Dort bin ich noch nie gewesen. Irgendwo dort soll es sogar eine Geisterstadt geben. Keine Ahnung, wo.“

„Uuuh. Eine Geisterstadt.“ Linda schüttelt sich. „Wie gruselig. Hoffentlich begegnen wir dort nicht den Toten, die aus ihrem Grab aufsteigen!“ Sie rollt mit den Augen und fletscht die Zähne, als wäre sie eine Untote. Dean lacht schallend. „Keine Angst, Baby. Wer tot ist, bleibt auch tot. Aber ich weiß, dass man an solchen Orten noch Artefakte und Kram aus den Zeiten des alten Westens finden kann. Schließlich wurde dort um 1883 Silber entdeckt. Fast wie bei einem Goldrausch sind die Leute damals in die Gegend geströmt. Zudem leben seit ewigen Zeiten die Pima-, Maricopa- und Diné-Indianer dort. Heute befindet sich in dem Gebiet das Navaho-Reservat. Das größte Indianerreservat der USA. Wenn wir dort nichts finden, fresse ich einen Besen!“ Linda lacht. „Ja, mein Schatz. Ich kenne die Geschichten. Schließlich bin ich Geschichtslehrerin. Hast du das vergessen?“ Dabei sticht sie Dean mit dem Zeigefinger in die Rippen. „Na klar weiß ich das, Süße. Aber du kennst ja meine Begeisterung. Zudem bin ich immer noch dem Mysterium um meine verschwundenen Vorfahren auf der Spur. Das lässt mir einfach keine Ruhe.“ Dean schüttelt nachdenklich den Kopf.

Linda kennt die Geschichte. Dean hat ihr oft davon erzählt. Dass sein Urgroßvater, sein Großvater und sogar der Vater auf geheimnisvolle und unerklärliche Weise verschollen sind. Diese Begebenheiten sitzen tief. Schon zu Beginn ihrer Beziehung hat Linda ihren Freund oft unruhig erlebt, immer auf der Suche nach Erklärungen dieser Vorkommnisse. Sie hat viel Verständnis dafür und unterstützt Dean in jeder Hinsicht. Vermutlich ist das Ungeklärte seiner Vergangenheit der Grund, warum sie noch nicht verheiratet sind, obwohl Linda es sich sehr wünscht. Darauf angesprochen, erklärt Dean stets, dass er sich noch nicht bereit dazu fühle. Irgendetwas hält ihn davon ab, Linda sein Ja-Wort zu geben. Und das führt immer wieder zu hitzigen Diskussionen. Wie auch diesmal, denn Linda hat eine Idee, die sie gern durchsetzen will. „Wie wär’s? Was hältst du von einer schönen, indianischen Hochzeit, wenn wir schon mal hier sind?“ Wobei sie zu Dean hinüber schielt. Der verzieht das Gesicht. „Du weißt doch, wie ich darüber denke!“ Er windet sich unbehaglich und rutscht auf seinem Sitz hin und her. Doch Linda lässt nicht locker. „Es wäre so schön, Schatz. Ich habe mal so eine Hochzeit gesehen. Es ist fantastisch. Und der Stammeshäuptling hat auch die Berechtigung, eine Trauung durchzuführen. Ich weiß das!“

Dean seufzt. „Ich weiß, Darling. Ich würde ja auch zu gerne, doch ...“

„Ach Dean ... ich weiß überhaupt nicht, warum du dich so sträubst. Was hält dich nur davon ab? Du liebst mich doch ... oder?“, fällt Linda ihm ins Wort. „Natürlich liebe ich dich, das weißt du doch!“, antwortet er gequält und möchte am liebsten das Gespräch beenden. Doch Linda lässt nicht locker. Sie kann sehr energisch und hartnäckig sein. Besonders bei Dingen, die ihr dermaßen am Herzen liegen. „Dann möchte ich jetzt klipp und klar wissen, warum du es nicht willst. Ich verstehe das nicht! Wir sind schon so lange zusammen. Hast du Angst davor?“ Linda schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch, um ihrer Frage Nachdruck zu verleihen. In ihren Augen flackert es. Die Wangen sind gerötet. Dean ist jetzt langsam genervt.

„Du verstehst das einfach nicht. Oder willst es nicht verstehen!“ Linda stöhnt auf, legt ihren Kopf in den Nacken und rollt mit den Augen. „Was kann oder will ich nicht verstehen, Dean? Sag es mir! Wenn ich nicht weiß, was dich bedrückt, kann ich dir auch nicht helfen. Wir wollen doch zusammen sein. Und dazu gehört auch, dass wir uns alles sagen. Wovor fürchtest du dich?“ Dean windet sich und druckst herum. Natürlich liebt er Linda. Sehr sogar. Doch was sein Innerstes aufwühlt und ihm zu schaffen macht, hat er bisher immer für sich behalten. Er ist kein Mann, der so schnell sein Seelenleben preisgibt. Da ist er wie viele andere auch. Er schnauft tief durch. Überlegt krampfhaft, was er sagen soll.

„Es ist nicht so einfach, Liebste. Ich möchte nur nicht, dass dir etwas passiert! Wenn wir erst verheiratet sind, ist alles noch viel schwieriger!“

„Was soll denn daran noch schwieriger sein?“ Linda runzelt die Stirn. Sie kann Dean nicht folgen. „Los, erzähl mir endlich, was dich bedrückt. Ich habe schließlich ein Recht darauf zu wissen, was mit dir los ist. Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!“ Linda hat recht. Er muss ihr die Wahrheit sagen. Ihre Beziehung darf er durch Geheimnisse nicht aufs Spiel setzen. Er fühlt sich unwohl und muss sich überwinden, was seine Worte ungewollt barsch klingen lässt. „Ich habe dir doch die Geschichte meiner Vorfahren und die meines Vaters erzählt. Dass sie auf unheimliche und mysteriöse Weise verschwunden sind.“ Linda blickt ihn ernst und mit großen Augen an. „Ja. Na und? Schon ein paar Mal hast du mir das erzählt. Was hat das mit uns zu tun?“

Dean fährt unwirsch fort: „Na siehst du! DAS hat damit zu tun. Ich habe herausfinden wollen, warum und auf welche Weise sie verschollen sind. Besonders das Verschwinden meines Vaters hat mich sehr mitgenommen. Alle Recherchen verliefen im Sand. Er war einfach weg. Verschwunden. Und er war kein Mann, der seine Familie so einfach im Stich gelassen hätte. Nein, das war er bestimmt nicht.“ Dean schüttelt energisch den Kopf. „Auch mein Ur- und mein Großvater waren keine Männer, die mal eben so abhauen. Das alles ist sehr merkwürdig und unheimlich. Kein Mensch kann sich spurlos in Luft auflösen. Das beschäftigt mich bis heute, wie du weißt. Ich bin der letzte Nachfahre der Grandners. Was, wenn mir plötzlich etwas passiert? Ich bin beileibe nicht abergläubisch. Doch das alles gibt mir zu denken. Und ich will nicht, dass es dir wie meiner Mutter ergeht. Sie wurde schwer krank und ist daran gestorben. Ich war gerade zwanzig. Ich will ... ich will nicht, dass ...“ Dean verstummt und blickt verzweifelt auf die Tischplatte, den Kopf in die Hände gestützt.

Linda blickt ihn erschrocken an. So hat sie ihren Dean noch nicht gesehen. DAS ist also der wahre Grund für sein Sträuben. Er will sie beschützen. Will nicht, dass ihr das Schicksal widerfährt, ihn zu verlieren! Ihre Augen werden feucht. Ein Gefühl tiefer Liebe erfüllt ihr Herz. Sie beißt sich auf die Lippen und muss sich beherrschen, als sie Dean in die Arme nimmt und ihn fest an sich drückt. „Mein Gott, Dean. Schatz. Ich habe ja nicht geahnt, dass dich das so beschäftigt.“ Linda flüstert an seinem Ohr: „Liebster. Alles wird sich fügen. Es ist gut, dass du mir das gebeichtet hast. Mache dir keine unnötigen Sorgen. Gemeinsam überstehen wir alles. Nur keine Angst. Es muss uns doch nicht das Gleiche widerfahren wie deinen Eltern. Das waren vielleicht nur Zufälle.“ Dean hebt den Kopf und blickt Linda ernst an. „Zufälle? Ich weiß nicht, Schatz. Ich glaube nicht an solche Zufälle. Wenn mal jemand so verschwindet ... na gut, soll vorkommen. Doch gleich alle meine männlichen Vorfahren? Das ist schon angsteinflößend, oder meinst du nicht?“ Linda blickt nachdenklich ins Leere. Wenn sie ehrlich ist, findet sie das auch sehr merkwürdig und mysteriös. Doch was soll sie Dean sagen?

„Mach dir jetzt keine Sorgen mehr, Liebster. Wir können unser Schicksal nicht bestimmen. Man kann sich dagegen nicht schützen. Egal, was wir unternehmen, Hauptsache ist doch, wir halten zusammen. Das ist das Wichtigste. Ich gehe mit dir durch dick und dünn, glaub mir. Ich liebe dich und das wird immer so bleiben!“ Dean seufzt. Jetzt ist es raus. Ihm ist in diesem Moment vieles von der Seele genommen worden, was ihn schon lange belastet hat. Er fühlt sich erleichtert und nimmt Linda fest in die Arme. Ein inniger Kuss besiegelt ihre unbedingte Liebe zueinander.

Mitten in der Nacht wacht Linda auf, weil Dean sich stöhnend im Bett herum wälzt, unverständliche Worte murmelt und dann derart laut aufschreit, dass sie ihn schockiert aus dem Schlaf rüttelt.

„Dean! Schatz, was ist denn los?“

Verschlafen und irritiert reibt er sich die Augen. „Meine Güte, was für ein Albtraum.“ Linda streichelt ihm sanft über den Kopf. „Naja, Albträume hat jeder mal. Aber ich bin richtig erschrocken. Du hast gestöhnt und geschrien, als würdest du von irgendetwas verfolgt werden.“

„Ja, es war ganz irre. Ich kann gar nicht mehr genau sagen, was es war. Grausige Gestalten habe ich gesehen. Geister und Dämonen. Fratzen und Totengesichter kamen immer näher. Ich wollte weglaufen, doch ich kam keinen Schritt voran. Furchtbar und ekelhaft war das. So einen grässlichen Traum hatte ich noch nie!“ Beruhigend klopft ihm Linda auf die Schulter. „Ich hoffe, dass du wenigstens den Rest der Nacht durchschläfst.“ Kichernd fügt sie hinzu: „Dann werden wir den Besuch der Geisterstadt wohl lieber bleibenlassen!“ Dean winkt energisch ab. „So ein Blödsinn. Es gibt keine Geister und Dämonen. War halt nur ein schlechter Traum. So was soll vorkommen!“ Er legt sich wieder hin und zieht sich die Decke über den Kopf. Linda seufzt und ist kurz danach auch wieder fest eingeschlafen.

Schon früh um fünf Uhr ist Dean wach. Den Rest der Nacht hat er traumlos geschlafen. Linda schlummert noch selig und so begibt er sich nach draußen. Zieht tief die würzige Morgenluft ein und reckt und streckt sich dabei seufzend. „Was für ein herrlicher Morgen“, murmelt er. „Es wird bestimmt wieder sehr heiß heute.“ Dean mag diese Zeit, wenn die Sonne langsam hinter dem Horizont aufgeht und sich die ersten Strahlen wie goldene Fäden über der Landschaft ausbreiten. Die Ruhe, die jetzt noch herrscht, ist himmlisch. Bald wird die Stadt erwachen, und mit ihr Hektik und Lärm. Deshalb will er auch so schnell wie möglich von hier verschwinden. Er fühlt sich frei und erleichtert. Das Gespräch vom Vorabend hat ihm gutgetan. Schon viel zu lange hat er diese Last allein mit sich herumgetragen. Fast ausgelassen reckt er die Arme der aufgehenden Sonne entgegen und blickt entspannt den Urlaubstagen entgegen. Leise beginnt er, Kaffeewasser aufzusetzen und das Frühstück vorzubereiten. Während er auf den Kaffee wartet, wirft er einen Blick hinüber zum Bett. Linda schläft immer noch tief. Als er den Tisch deckt, stößt er mit einem Teller an die Kaffeetasse, es klirrt und Linda schlägt die Augen auf. Mit verschlafenem Blick sieht sie ihn an und gähnt. „Bist ja schon wach. Wie spät ist es denn?“ Lächelnd antwortet Dean: „Raus aus den Federn, Süße. Es ist halb sechs. Der Kaffee ist gleich fertig.“ Seufzend kuschelt sich Linda in ihre Decke. „Ach nee. Ist ja noch mitten in der Nacht.“ Dean geht ans Bett und will ihr die Decke wegziehen. Lachend sträubt sie sich und die beiden albern eine Weile herum, bis sich Linda endlich aus dem Bett windet.

„Ich gehe erst mal duschen.“ Kichernd verschwindet sie in der Kabine.

„Muss ich auch noch!“, ruft Dean ihr nach. Er setzt sich, gießt eine Tasse Kaffee ein, beschmiert eine Scheibe Toast mit Butter und studiert die Karte. „Von Tucson bis runter nach Sahuarita sind es nur etwa zwanzig Meilen.“ Vor sich hinmurmelnd, fährt er mit dem Finger die Route ab. „Na prima. Es führen einige Schotterpisten wie die Twin Buttes Road hinaus in die Wüste. Kann man gerade noch mit dem Wohnmobil entlangfahren, denke ich mal. Dort liegt auch irgendwo diese komische Ghosttown!“ Linda ist mittlerweile aus der Dusche gekommen und hört ihm neugierig zu. Er schaut sie liebevoll an, denn sie hat nur ein großes Badetuch um den schlanken Körper gewunden. Ihre schwarzen Haare fallen nass auf die zarten Schultern. Verführerisch blinzelt sie ihn an und setzt ihr reizvolles Lächeln ein. Dann umschlingt sie Dean von hinten, schmiegt die grazilen, langen Beine an seinen Rücken und legt den Kopf auf seine breite Schulter. „Ich liebe dich. Musst du nicht auch noch duschen?“ Spontan drückt sie ihre Lippen auf seinen Haarschopf. „Ja, Darling. Ich weiß, was du willst.“ Er lacht leise und zieht ihren Kopf zu sich, gibt ihr einen langen, innigen Kuss. „Ich liebe dich so sehr, Schatz. Stimmt, duschen will ich auch noch, bevor wir losfahren.“ Dann verschwindet er flugs in der Kabine, bevor Linda ihn wieder einfangen kann. Was sie mit einem frechen Grinsen quittiert. Sie lässt das Badetuch fallen und gleitet wie eine Katze hinter ihm her. Er steht schon unter dem erfrischenden Wasserstrahl. Kichernd zwängt sich Linda in die kleine Kabine. Umarmt ihren Dean und schmiegt sich fest an ihn. Lachend planschen sie unter der Dusche herum. Nach einer Weile inniger Liebesspiele packt Dean sein Mädchen und trägt sie zum Bett. Umschlungen sinken beide in die noch warmen Decken. Dass ihre Körper nass sind, stört sie überhaupt nicht. Die Leidenschaft hat die beiden Liebenden überfallen, sie geben sich einander hin. Erst eine Stunde später erhebt sich Linda mit einem glücklichen Gesichtsausdruck. Sie setzt sich an den Tisch und gießt sich Kaffee ein, während Dean schmunzelt. „Jetzt verspüre ich keine Lust mehr, aufzustehen.“ Linda kichert und zwinkert ihm verliebt zu. Aus dem Fenster sieht sie, wie auf dem Freeway die ersten Autos vorbeiziehen. Die Stadt erwacht. Neben ihrem Wohnmobil steht noch ein anderes. Es war wohl nachts angekommen. Auch dort wird jetzt von den Neuankömmlingen Frühstück gemacht. Nun steht auch Dean endlich auf und küsst Lindas zarten Nacken, was sie mit rollenden Augen und einem wohligen Seufzer quittiert. Als sie endlich abfahren, steht die Sonne bereits in voller Pracht am Himmel. Das Thermometer zeigt 28 Grad. Es wird wieder ein verdammt heißer Tag werden.

In Sahuarita angekommen halten sie vor einem Laden an, in dem es auch Karten von dieser Region gibt. Deans eigene ist ihm im Maßstab zu groß. Er braucht eine, auf der auch Wege, Pfade und Ansiedlungen eingezeichnet sind. Der Ladenbesitzer Mr. Miller durchstöbert ein Regal und kommt mit einer der Karten zurück. „So, Mister Grandner! Das müsste die Richtige für Sie sein.“ Er faltet sie auf dem Tresen aus, und Dean und Linda beugen sich neugierig darüber. „Hier sind auch die alten Ranches und Ortsnamen von früher eingezeichnet!“

„Und hier irgendwo soll die Ghosttown liegen.“ Dean tippt mit dem Finger auf eine Stelle der Karte. „Genau dort wollen wir hin!“ Die Miene des Ladenbesitzers verfinstert sich, seine Augenbrauen ziehen sich zusammen. „An Ihrer Stelle würde ich nicht dahin fahren. Unerklärliche Dinge sollen sich dort abspielen. Nicht, dass ich abergläubisch bin. Doch nachweislich sind in der Gegend schon einige Leute verschwunden. Man hat nie wieder von ihnen gehört!“ Dean blickt den Mann von unten herauf an. Dann wirft er Linda einen bedeutsamen Blick zu. „Ist das wahr? Wer waren diese Leute? Naja, wer glaubt schon an Gespenster oder Geister, was? Wird wohl alles eine natürliche Erklärung haben. Viele Leute sind Aussteiger. Verdrücken sich aus den unterschiedlichsten Gründen. Das ist nichts Neues.“ Miller presst die Lippen zusammen und wiegt bedächtig den Kopf hin und her. „Wer weiß. Sogar die Indianer erzählen sich Gruselgeschichten von dem Ort. Viel kann ich Ihnen dazu auch nicht sagen. Es soll dort jedenfalls nicht ganz geheuer sein!“

Dean lacht trocken und bemerkt: „ Wie gesagt,...hat bestimmt alles eine natürliche Erklärung!“ Dann verabschieden sie sich von Miller und begeben sich zu ihrem Wohnmobil. Die Hitze hat Dean durstig gemacht, er holt ein kaltes Getränk aus dem Kühlschrank, ehe sie sich die Karte genauer ansehen. „Da ist wirklich nichts außer Sand, Geröll und vermutlich Schlangen. Ob an der Geschichte etwas Wahres dran ist?“ Linda blickt Dean skeptisch an.

„Schatz! Was man sich so alles von Geisterstädten erzählt. Das sind erfundene Geschichten, um den Leuten das Gruseln beizubringen. Solche Orte leben davon. Manche Menschen wollen diese alten Städte besuchen. Es gibt da richtige Freaks, die in ihrer Freizeit nichts anderes tun. Und das ganze Gebiet hier verdient an solchen Leuten. Sieh dir die Shops an. Voll mit Souvenirs, Kitsch und Tand. Es sind die alten Legenden, die faszinieren. Man sieht es ja an Tombstone. Und die Leute, die angeblich verschwunden sind! Naja ... wer weiß. Doch an Geister und Dämonen glaube ich nicht.“ Dean lacht. Doch es hört sich nicht so locker und entspannt an, wie Linda es von ihm kennt. Sie studiert interessiert die Karte und tippt mit dem Finger auf eine bestimmte Stelle.

„Hier ... ein paar Meilen weiter liegt die kleine Siedlung der Diné. Dort fängt das Reservat an. Da habe ich Freunde. Hatte sie mal zu einem Geschichtsunterricht eingeladen. Na, die Kinder haben vielleicht gestaunt, als echte Indianer in der Klasse auftraten.“ Sie lächelt bei der Erinnerung an diese Episode. „Kann ich mir gut vorstellen. Wer lernt heutzutage schon noch echte Indianer kennen? Vor allem welche, die noch ihr Brauchtum und ihre Religion pflegen?“

„Und deswegen besuchen wir heute noch die Indianer“, bestimmt Linda vergnügt. „Wir müssen sowieso in diese Richtung fahren, wenn wir die Ghosttown besichtigen wollen. Und die Diné leben nur ein paar Meilen weiter südlich von Wolf Hole Junction.“

Wolf Hole Junction

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