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Оглавление1.2 Standortbestimmung als Impuls zur digitalen Wandlung
Martin Winiker
Darum geht es
Manch eine*r verfällt beim Thema Digitalisierung und deren Umsetzung in eine Schockstarre. Das ist verständlich – wichtig ist nur zu wissen, wie man sich davon wieder löst. Dieser Beitrag zeigt einen Prozess zur Herangehensweise auf. Er erläutert, warum zuerst das Tempo reduziert werden soll, inwiefern die Beurteilung der Innen- und Aussenperspektive hilft und mit welcher Methodik die daraus gewonnenen Erkenntnisse bewertet werden können. Auch werden Empfehlungen mitgegeben, welche auf dem Weg der Veränderung zu beachten sind.
Prozesse einer Veränderung unterziehen
Im Prinzip verhält es sich mit der Annäherung an die Digitalisierung wie mit einer Nacht, in welcher Mann oder Frau sich im Bett wälzt – der Kopf gedankenüberfüllt, der Körper müde, aber koffeinbetankt.
Der Begriff «Digitalisierung» ist in aller Munde und als eines der Top-Themen im unternehmerischen Kontext nicht mehr wegzudenken. Es wird derart viel rund um das Thema diskutiert wie auch medial publiziert, dass ein unvermeidlicher Druck entsteht. Der längst abgefahrene und oftmals uneinholbar wirkende Zug düst mit Volldampf in die Zukunft. Wie aber bekommen ich und mein Unternehmen noch eine Mitfahrgelegenheit? Respektive: Was bedeutet das für mich und das Unternehmen, für welches ich tätig bin?
Es scheint also schnell gehen zu müssen! Von der Wichtigkeit gar nicht erst zu sprechen. Doch genau in solchen Situationen kann es sich lohnen, das Tempo zu reduzieren. Zumindest am Anfang, denn der Einstieg soll gut überlegt sein. Hier greift nun die eingangs erwähnte Metapher. Genau wie in einer Situation, in der man nicht einschlafen kann, soll man sich bei der Herangehensweise an die Digitalisierung Zeit nehmen. Zeit, um die eigenen Gedanken zu sammeln und in Ruhe zu überdenken, wie die eigentliche Ist-Situation aussieht und warum. Was dazu geführt hat, und was getan werden muss, um ein neues Ist zu erreichen.
Um für sich herauszufinden, was innerhalb der eigenen Firma zu digitalisieren ist, soll zuerst die Bedeutung des Begriffs grob veranschaulicht werden. Es ist wichtig zu wissen, wozu wir rennen, bevor wir einfach losrennen – soviel zum Tempo. Im Prinzip geht es bei der Digitalisierung schlicht und einfach um die Umwandlung einer analogen zu einer digitalen Information. Wird dieses Vorgehen auf eine Organisation adaptiert, bedeutet das, dass bestehende Informationen und deren Verarbeitung – also meist ein Prozess – umgewandelt oder verändert werden. Ein bestehender Prozess wird oft verändert, um ihn zu optimieren. Dieser soll verbessert, beschleunigt oder vereinfacht werden, meist mit dem Ziel, Kosten zu senken. Viel zu selten nur werden Prozesse optimiert, um deren Spassgehalt zu erhöhen. Ein für manche Leserinnen und Leser gar überraschender Aspekt, dessen Wert aber keinesfalls zu unterschätzen ist.
Es wird also digitalisiert, um zu optimieren. Wie aber lässt sich herausfinden, was im eigenen Unternehmen zu digitalisieren ist?
Strategie und Wirtschaftlichkeit im Fokus
Indem die eigene Firma einer detaillierten Standortbestimmung unterzogen wird, können Prozesse – gegebenenfalls sogar Geschäftsbereiche – herauskristallisiert werden, die von einer digitalen Veränderung profitieren. Dafür empfiehlt es sich, das eigene Unternehmen aus einer Innen- und einer Aussenperspektive zu betrachten.
Die Innenperspektive dreht sich im Kern um die Ausrichtung des Unternehmens. Was ist unser eigentliches Geschäftsmodell? Und wie sehr halten wir nach wie vor daran fest? Haben wir uns stark vom ursprünglichen Vorhaben entfernt? Und wenn ja, was sind die Gründe dafür? Der Blick zurück ist wichtig, um die jetzige Situation zu verstehen. Wesentlich ist aber auch der Blick nach vorne. Werden wir unsere Dienstleistungen und Produkte aufgrund von veränderten Bedingungen neu ausrichten und gegebenenfalls unser Geschäftsmodell justieren?
Konkret können für die Bewertung der Ist-Situation aus der Innenperspektive die nachfolgenden Fragen beigezogen werden:
Wer sind wir?
Wo wollen wir hin?
Wie tragen unsere Dienstleistungen, Produkte und Prozesse dazu bei?
Bei der Aussenperspektive liegt der Fokus auf der Wahrnehmung. Es gilt zu hinterfragen, wie das jeweilige Unternehmen auf die Kund*innen wirkt und was diese vom Unternehmen erwarten. Auch die Positionierung im Markt muss mit einbezogen werden. Wie verhalten sich die anderen Marktbegleiter*innen? Gilt das betrachtete Unternehmen eher als Vorreiter*in mit Pioniergeist oder wird es eher als Nachzügler*in eingestuft? Im Sinne des Vorreitermodells sind vorherrschende und neu aufkommende Trends und Technologien zu begutachten. Sprechen diese für oder gegen das eigene Geschäftsmodell? Für eine aussagekräftige Bewertung müssen zwingend auch zukünftige Arbeitskräfte mit einbezogen werden. Sich zu fragen, wie das Unternehmen auf neue Arbeitskräfte wirkt und wie gut die eigene Reputation auf dem Arbeitnehmer*innen-Markt ist, kann Gewinn bringende Erkenntnisse liefern. Nicht zu vergessen sind auch der Staat sowie die Gesetzeslage, deren Zustand bestehende Geschäftsmodelle massgebend beeinflussen können.
Vereinfacht kann die Ist-Situation aus der Aussenperspektive mit den folgenden Fragen angegangen werden:
Ist unser Unternehmen sexy?
Hinkt unser Unternehmen dem Markt unwissentlich hinterher?
Können gewisse Technologien unser unternehmerisches Vorhaben beflügeln?
Die detaillierte Durchführung der Standortbestimmung liefert Erkenntnisse darüber, in welchen Bereichen ein Unternehmen gut oder aber schlecht aufgestellt ist, und somit auch, wo es zu optimieren gilt.
Daraus können sich drei Szenarien ergeben:
Das erste Szenario geht davon aus, dass ein bestehender Prozess mit Hilfe der Digitalisierung optimiert oder gar stark optimiert werden kann. Bei diesem Szenario muss bedacht werden dass, wenn ein bestehender, schlechter Prozess einfach nur digitalisiert wird, dieser dann noch immer ein schlechter, wenn auch digitalisierter, Prozess ist.
Das zweite Szenario legt offen, dass sich dank der Digitalisierung neue Prozesse oder unternehmerische Bereiche ermöglichen können.
Das Dritte zeigt auf, dass ein bisher vorhandener Prozess aufgrund eines neu in Erscheinung tretenden Prozesses ersetzt wird und der bisherige somit nicht mehr notwendig sein wird. Das letztgenannte Szenario wirkt oftmals sehr radikal, weil es gegenüber den anderen beiden Szenarien eine Klarheit offenbart. Doch wer den ersten Schockmoment überwunden hat, wird schnell feststellen, dass dieses Szenario für die Weiterentwicklung eines Unternehmens sehr wichtig ist. Alte Zöpfe abzuschneiden und bestimmte Themen bewusst hinter sich zu lassen, kann sehr befreiend und nicht zuletzt prosperierend wirken.
Die Schwächen und Digitalisierungspotenziale sind jetzt also bekannt. Diese gilt es nun entsprechend zu priorisieren, zum Beispiel, wie in der Abbildung dargestellt, anhand der beiden Faktoren «Auswirkung auf die Strategie» und «Aufwand zur Umsetzung». Werden die Schwächen und Potenziale in die Matrix eingesetzt, ergibt sich schnell und visuell greifbar, welche davon zuerst angegangen werden müssen. Die Punkte im Quadrant oben links müssen umgesetzt werden, daran führt kein Weg vorbei. Diejenigen oben rechts sind im Detail zu betrachten, da der damit einhergehende Aufwand nicht zu unterschätzen ist. Für eine langfristig erfolgreiche Veränderung ist es wichtig, dass unterwegs immer wieder Teil- oder Kleinerfolge erzielt und gefeiert werden können. Dazu dienen die Quick Wins im Quadrant unten links, diese sind auf dem Weg zum eigentlichen Ziel mit relativ geringem Aufwand zu erhaschen. Gefährlich wird es unten rechts, diese Themen sollten vermieden werden. Gegebenenfalls sind darin auch Themen analog dem oben genannten, dritten Szenario zu finden, welche künftig nicht mehr wichtig sind und somit eliminiert werden können.
Die Entscheidung, welche Aspekte des Unternehmens zu digitalisieren sind, ist nun also gefällt. Die erste wichtige Hürde ist somit genommen. Natürlich ist noch nichts umgesetzt, aber es ist zumindest schon mal klar, was anzugehen ist.
Die Notwendigkeit zur Veränderung
Die zweite Hürde der Digitalisierung ist die Veränderung an und für sich. Denn ein sich digitalisierendes Unternehmen wird, wie bei jeder Veränderung, auf Ängste, Unsicherheiten und Widerstände stossen. In Anlehnung an «Leading Change» von John P. Kotter beinhaltet dieser Abschnitt Empfehlungen, die für eine erfolgreiche Veränderung zu beachten sind.
Aus der Perspektive des Unternehmens tauchen oft die folgenden drei Themenbereiche auf:
Sind die notwendigen Kompetenzen und Ressourcen vorhanden?
Werden die Prozesse wirklich besser?
Lohnt sich die Investition effektiv?
Bei den Mitarbeiter*innen sind die möglichen Ängste und Unsicherheiten nicht ökonomisch getrieben, sondern wachsen viel eher aus einer Metaebene heraus:
Kann ich das?
Braucht es mich dann wirklich noch?
Um alle Beteiligten wie auch Betroffenen zu aktivieren und für die Veränderung zu motivieren, muss auf die deren Dringlichkeit aufmerksam gemacht werden. Dazu hilft die zuvor durchgeführte Standortbestimmung, mit welcher klar veranschaulicht werden kann, wieso eine bevorstehende Transformation angegangen werden muss und welche Effekte diese mit sich bringen wird.
Nebst der Veranschaulichung der Dringlichkeit gibt es weitere Faktoren, welche hinsichtlich eines erfolgreichen Wandels beachtet werden müssen. Mit der Ausgangslage einhergehend soll auch gleich auf das Ziel verwiesen werden. Was genau soll durch die Veränderung erreicht werden? Und wie kommt das Unternehmen dahin? Dafür lohnt es sich, für jeden Punkt einen Business Case auszuarbeiten, um dadurch die klassischen W-Fragen – Warum, Wohin, Wie, Wer, Wieviel und Wann – zu beantworten. Entsprechend werden eines oder mehrere interne Projekte initiiert. Pro Projekt ist ein*e klare*r Eigentümer*in zu definieren, welche*r mit Herzblut die Verantwortung für das Projekt übernimmt und natürlich auch mit den entsprechenden Kompetenzen eingedeckt wird.
Der im Business Case ausgearbeitete Plan zur Umsetzung ist schrittweise anzugehen. Obwohl in manchen Projekten die Zeit abhängig von der Dringlichkeit knapp sein mag, ist es wichtig, der Veränderung und den dadurch betroffenen Mitarbeiter*innen die notwendige Zeit zu geben. Die oben erwähnten Ängste und Unsicherheiten können zu Widerständen führen und somit die erfolgreiche Umsetzung gefährden. Um das zu verhindern, müssen die Projekteigentümer*innen die gesamte Belegschaft baldmöglichst in die Umsetzung miteinbeziehen. Dies geschieht durch transparente Kommunikation und bedarfsgerechte Schulung sowie Unterstützung. Transparente Kommunikation kann heissen, dass das Ziel und die bisher erreichten Zwischenziele laufend allen mitgeteilt werden. Auch Herausforderungen und eventuelle Rückschläge sind zu kommunizieren. Zudem muss den Mitarbeiter*innen aufgezeigt werden, dass sie sich zu jeder Zeit auch aktiv mit Fragen und Anregungen einbringen dürfen und sollen. Daher auch die bedarfsgerechte Schulung. Vorherrschende Unsicherheiten und Fragen müssen bilateral oder in Kleinstgruppen angegangen werden, um so detailliert und so oft wie notwendig auf einzelne Anliegen eingehen zu können. Die Mitarbeiter*innen müssen Wertschätzung spüren und deutlich erkennen, dass sie nicht nur während, sondern auch nach der Veränderung fester Bestandteil des Unternehmens sind.
Von der Schockstarre ins Tun
Der oben beschriebene Prozess entspricht letztlich einer klassischen Soll-Ist-Analyse. Dieser Prozess dient als optimale Ausgangslage für eine seriöse Herangehensweise an das durchaus komplexe und umfassende Thema der Digitalisierung. Diese Vorgehensweise ist im Grunde sehr simpel und kann in beliebiger Breite ausgedehnt werden. Zudem bringt die detaillierte Ausarbeitung klare Erkenntnisse und Resultate ans Tageslicht. Nun gilt es diese innerhalb des Unternehmens zu kommunizieren, und schon ist der erste, wichtige Schritt hinsichtlich transparenter Kommunikation gemacht. Das Jetzt und der Weg zum Soll sind bekannt. Der Stein ist ins Rollen gebracht.