Читать книгу In dubio pro libido - Ramona Tizia Just - Страница 4
"Lebenslänglich Knast sind doch meist auch nur 15 Jahre!"
ОглавлениеGut, meine Argumente waren auch nicht viel sinnbeladener.
„.... bis dass der Tod euch scheidet!“ – die kümmerliche Reminiszenz dessen, was seinerzeit ohnehin nicht auf meinem atheistischen Mist gewachsen war – die kirchliche Hochzeit mit allem Pipapo. Dennoch hatte ich im Laufe der Jahre irgendwie daran geglaubt. Wohl nicht an das scheinheilig-obsolete Pfaffen-Stereotyp, aber durchaus an unsere ganz profane, weitgehend harmonische Beziehung. Jedenfalls hätte ich nie in Erwägung gezogen, dass auch mir passieren könnte, was in unserer Gesellschaft doch längst der messbare Normalfall ist – noch nicht zumindest. Zu appetitlich-guterhalten erschien mir da, was ich allmorgendlich selbstbewusst vor dem Spiegelschrank ankleiden durfte – und vielleicht mehr noch, was derselbe mitunter mehrmals die Woche an bettsportlich zelebriertem Eheglück widerzuspiegeln hatte.
Tja, wie man sich doch täuschen kann – und ich meinte ja immer, mich besonders gut auszukennen mit Lug und Trug und Heuchelei. Bezeichnenderweise hatte ich es einem perfiden, gewissenlosen Mörder zu verdanken, dass meine scheinbar heile Privatwelt aufs Fatalste aus den Fugen geriet. Schlecht geworden war diesem äußerst schlechten Lügner angesichts des bevorstehenden Urteils, selbiges vertagt und ich seit langem mal wieder am frühen Nachmittag zu Hause – mit zudem eindeutig versauten Absichten.
Eine ungleich größere, eine himmelschreiende Sauerei bot sich mir dann, wie ich mich – von wenigen Gramm Seide noch spärlich verhüllt – auf Zehenspitzen in meines professoralen Göttergatten abgelegen sakrosankten Studiertrakt schlich. Keine Miene verzog das splitternackte blonde Studier-Objekt, breitbeinig auf des großen Meisters eichenem Schreibtisch thronend, dessen Visage beidhändig in ihren gewisslich nymphenhaft wohlschmeckenden Schoß pressend.
„Ja, macht mal bloß hübsch fertig, was ihr angefangen habt!“
Das hatte ich sie – in aller gebotenen Versteinerung – von meinen sicherlich blutleeren Lippen lesen lassen. Und – hundert Pro – sie wird es wohl beherzigt haben, sodass ich unbehelligt packen konnte, drei proppenvolle Koffer.
Der erste Anruf auf meinem Handy kam auch erst am späten Abend – von meiner jüngeren Tochter – aber immerhin auf Geheiß ihres Vaters.
Auf der rein mechanischen und beileibe nicht ungefährlichen Fahrt zu Heidrun, meiner engsten Vertrauten, zog vor meinem geistigen Auge – nein! – nicht mein ganzes Leben vorbei – nur der Teil mit den verpassten Chancen. Sämtliche mehr oder weniger attraktiven unmoralischen Angebote aus fünfzehn Ehejahren – allesamt blindlings verschmäht – gewährten mir eben noch die lebenserhaltenden Blicke auf rote Ampeln und aufleuchtende Bremslichter.
In diesem ohnehin ziemlich weggetretenen, eher traumgesteuerten Ausnahmezustand machte ich mir auch keine großartigen Gedanken darüber – fragte mich noch keineswegs: warum bloß die abgeblitzten Verehrer? – und nicht die traumatisch weitaus näher liegende abtrünnige Linguisten-Rübe im studentisch-wissbegierigsten Lustwinkel?
Erst Freundin Heidrun, Psychologin, Hobby-Esoterikerin, Lebefrau und gut betuchte Nutznießerin einer kurzen Ehe, hatte Fragen und Antworten – und genug Cognac im Haus.
„Nimm’s als Zeichen, meine Liebe – als Wink des Schicksals!“, lautete alsbald die resultierende Empfehlung ihrer fachfraulich-versierten Interpretation meiner aufgewühlten und letztlich nurmehr gelallten Schilderungen.
Am nächsten Tag war zur Abwechslung die Frau Vorsitzende unpässlich – null Problem, weil noch nie vorgekommen – und der zweifelsfrei überführte Herr Mörder durfte nochmals formal unschuldig zurück in die JVA.
Schon vormittags waren Johanna, Inge, Carola, Gianna, Çigdem sowie Frederike umfassend in Kenntnis gesetzt worden – von Heidrun, versteht sich – und am Abend standen die so vollzählig wie bestürzt auf meiner Herbergsmutter gastlicher Matte.
Zum eingangs erwähnten Gespräch, meinem sakramentalen Déjà-vu und dem noch viel dümmlicheren Gefängnis-Vergleich, kam es dann nach einer guten Woche voller busenfreundschaftlicher Zuwendung, dionysisch-therapeutischer Ablenkung und Massen von hoch qualifizierten Ratschlägen. Wenngleich die ausnahmslos denselben Tenor hatten – strafend räumliche Trennung fürs Erste, sprich Auszug – hatte ich hingegen meine Klamotten auf Verdacht wieder mitgeschleift. Und ich wäre in meiner maßlosen Blödheit und berufsbedingten Barmherzigkeit für Kleinkriminelle wohl sofort wieder eingezogen, wenn ...., ja wenn er dies auch nur ansatzweise thematisiert hätte. Aber nix – kein Wort! Stattdessen fanden sich im Kühlschrank Speisen und Getränke, die ich im Leben nicht angerührt hätte – so wenig wie er – bislang wenigstens.
Die Mädchen ließen lieb grüßen, hatten es also vorgezogen, dem Treffen nicht beizuwohnen und durch unbeherrschte Parteilichkeit womöglich jemanden vor den Kopf zu stoßen. Einleuchtend, wen! War der Alte doch stets der Laxere in Sachen Erziehung. Mich wunderte es zwar nicht, aber – verdammt weh tat es trotzdem.
Heilfroh war ich, dass ich meine drei Koffer zunächst im Wagen gelassen hatte – und obendrein war es an dem Tag meine letzte halbwegs positive Empfindung. Wenn ich bis dahin noch der Meinung gewesen war, schlimmer könne es nicht kommen, fühlte ich mich nun ratzfatz eines Besseren belehrt. Auf meiner Rückfahrt begleiteten mich diesmal auch keine smarten Galane mehr. Männer ja – aber keiner unter zehn Jahren Knast für erfolgreich-finale Gewaltdelikte.
Zwei Monate später bezog ich eine kleine Eigentumswohnung am anderen Ende der Stadt – ohne verspiegelten Kleiderschrank. Was ich in einem solchen noch beim unaufhaltsamen Welken hätte betrachten können, brachte ich auch blind ganz brauchbar angezogen – und was vor dem Einschlafen gelegentlich für schnelle Entspannung sorgte, war in meinen Augen überdies nicht eben sehenswert.
Umso ansehnlicher dafür meine anderweitigen handwerklichen Eigenleistungen – Streichen, Tapezieren und einiges mehr hatte ich mir zugetraut und sehr ordentlich, ein bisschen langsam vielleicht, hinbekommen. Jetzt allerdings, wo alles fertig, jedes Ding an seiner ultimativen Stelle war, gingen mir natürlich die Ausreden aus – bezüglich Heidruns eifrigen Bemühungen, mich unter die Leute zu schleppen – wieder einen richtigen Menschen aus mir zu machen, wie sie es nannte. Eine Hand voll unverfänglich-seriöse Restaurant-Besuche hatte ich ja bereits über mich ergehen lassen, aber, nun ja – die altgediente Nachtschwärmerin wollte mich ums Verrecken in ihre illustre Clubszene einführen.