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ОглавлениеKeine Feigheit vor dem Virus!
22.04.2020 von Rüdiger Rauls, auf politische analyse
Die Auseinandersetzung um den Mundschutz nimmt irrationale Züge an. Es scheint um mehr zu gehen als um ein unbedeutendes Stück Stoff.
Freiheit statt Mundschutz
Ein kleiner Lappen kommt groß raus, beziehungsweise soll das gerade nicht. Vor wenigen Wochen noch stuften Robert-Koch-Institut und auch die WHO den Mundschutz als schädlich ein. Wenig später dann wurde er halbherzig empfohlen, mittlerweile rät man dazu.
Aber eine Mundschutz-Pflicht scheuen die öffentlichen Stellen noch immer wie der Teufel das Weihwasser. Die Argumente sind fadenscheinig. Er scheint für die politisch Verantwortlichen eine größere Bedeutung zu haben, als man bei einem so unscheinbaren Gegenstand annehmen sollte.
Das Problem ist, dass er nicht so unscheinbar ist, wie man mancher glaubt. Denn er trennt das Erscheinungsbild der westlichen von den asiatischen Gesellschaften. Ist er im asiatischen Alltag allgegenwärtig und selbstverständlich, so zeigte er sich bisher im Westen nur verschämt im öffentlichen Leben. Im Gegensatz zu Bildern und Berichten aus China trägt kaum ein westlicher Politiker vor den Kameras Mundschutz. Man könnte meinen, ihn anzulegen, komme dem öffentlichen Eingeständnis von Feigheit vor dem Feind gleich.
Vielmehr wird eher das Bild vermittelt, dass es sich für Verteidiger von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehöre, gerade keinen Mundschutz zu tragen. Der linientreue Verfechter der westlichen Werte lässt sich doch von einem Virus nicht einen Maulkorb anlegen und in seinen individuellen Freiheitsrechten beschneiden. Da gilt es standhaft zu bleiben auch unter Einsatz des eigenen Lebens.
Der Zusammenhang von Mundschutz und Einschränkung der Freiheit klingt immer wieder an in öffentlichen Erklärungen. Nach der Konferenz der Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Merkel am 15.April rechtfertigte Laschet die unterlassene Mundschutz-Verpflichtung: Man wolle dem Bürger mit Vertrauen begegnen statt mit Verordnungen und Strafandrohungen.
Das hört sich auf den ersten Blick sehr verbunden und verbindlich an, ist aber heuchlerisch und fadenscheinig. Denn bei dem im Westen immer wieder als Allheilmittel hervorgehobenen Abstandsgebot setzt man weniger auf Bürgernähe und Liberalität. Hier wird mit jenen Strafen und Verordnungen gearbeitet, die man beim Mundschutz vorgibt, vermeiden zu wollen.
Es geht ums Prinzip
Mundschutz ist mehr als nur Virenabwehr. Er scheint in den Augen der Verantwortlichen besonders in Deutschland zu einer politischen Demonstration zu werden. Er ist der Stachel im Fleisch derer, die vollmundig erklärt hatten, alles im Griff zu haben. Er ist die ständige Erinnerung an ihr Versagen. Er führt den großen Machern wie Gesundheitsminister Jens Spahn die eigene Unfähigkeit vor Augen.
Obwohl er den Mund verschließt, stellt der Mundschutz die bisher unausgesprochene und überfällige Frage: „Wieso ward Ihr nicht in der Lage, Eure eigene Bevölkerung frühzeitig und ausreichend mit diesem Schutz zu versorgen?“
Am 31.12.2019 hatte China die WHO über die neuartige Krankheit informiert, vor also fast vier Monaten. China war noch unvorbereitet, unsicher und deshalb abwartend mit der Bekanntgabe dieser neuen Erkenntnis. Das werfen ihm gerade diese Staaten vor, die bis heute noch weniger unternommen haben zum Schutz der eigenen Bevölkerung trotz längerer Vorwarnzeiten, als China sie hatte.
Italien und Spanien wurden noch überrascht von der Heftigkeit der Pandemie. Für Italiens Zögern zeigten westliche Medien jedoch Verständnis. So kommentierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung das abwartende Verhalten Roms, aber auch das des deutschen Gesundheitsministers nach dem Auftreten erster Infektionen im eigenen Land: „ … alle Politiker wandeln auf einem schmalen Grat. Einerseits dürfen sie nicht durch unbedachte Äußerungen panische Reaktionen der Öffentlichkeit provozieren.“19
Der Spagat zwischen Beruhigung und Handlungszwang ist also den Meinungsmachern bekannt. Dennoch sucht man vergleichbares Verständnis für Chinas vorsichtiges Vorgehen zu Beginn der Epidemie bei westlichen Medien und Politikern vergebens. Im Vergleich zu China, aber auch Italien, Frankreich und Spanien wurden Deutschland, England und die USA recht spät vom Virus erfasst. Man hätte demnach genügend Zeit und vor allem die finanziellen Mittel gehabt, für ausreichend Schutz zu sorgen.
Die an den Tag gelegte Sicherheit und Unerschrockenheit westlicher Politiker besonders in England, USA und auch Deutschland waren Überheblichkeit oder gar Borniertheit. Und: Sie wollten partout nicht von China lernen. Der Systemkonflikt, den westliche Meinungsmacher vor Jahren ausgerufen und seitdem betrieben haben, verbot ihrem Stolz, aus den Erfahrungen des Systemgegners zu lernen. Der politische Konkurrenzkampf war ihnen trotz aller öffentlichen Beteuerungen wichtiger als die Sorgfaltspflicht gegenüber der eigenen Bevölkerung.
Unterschiedliches Gesellschaftsbild
China hat die Epidemie fürs erste besiegt. Die Wirtschaft erholt sich wieder von ihren Tiefstständen. Die der westlichen Staaten rutscht immer tiefer in die Krise. Neben der drohenden wirtschaftlichen Niederlage hat der Westen auf einem der wichtigsten politischen Felder den Systemkonflikt bereits verloren, dem Schutz der Bevölkerung. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten in der Bekämpfung der Epidemie hat China für die eigenen Bürgern besser sorgen können als der Westen.
Deutlicher könnten die Unterschiede in der Krisenbewältigung nicht dokumentiert werden als durch die Bilder, die um die Welt gingen. In Wuhan wird in einer Woche ein Krankenhaus für tausend Patienten aus dem Boden gestampft. In New York wurden die Toten mit Gabelstaplern in Kühl-Containern verstaut.
Für diesen Sieg Chinas steht der Mundschutz. Er ist das Gesicht Chinas in dieser Krise. In ihm drückt sich aber auch ein wesentlich unterschiedliches Gesellschaftsverständnis aus. Das Wohlergehen des Individuums ist in China eng verbunden mit dem Wohlergehen der Gesellschaft. Der Mundschutz schützt die Gesellschaft und damit auch das Individuum. Dieses Denken ist in den zerrissenen Gesellschaften des Westens kaum ausgeprägt. Hier stehen trotz aller Appelle an Solidarität und Wir-Gefühl die Einzelinteressen im Vordergrund wie aktuell das Gezerre um die Öffnung der Geschäfte zeigt.
Politische Psychologie
Der Mundschutz ist - mehr oder weniger bewusst - das Symbol für die Einschränkung der individuellen Freiheit, der heiligen Kuh des Westens, und für die Trennlinie zu „Unrechtsstaaten“ wie China. Vielleicht beruhen darauf - mehr oder weniger bewusst – Widerwillen und Widerstand der politischen Elite besonders in Deutschland.
Bezeichnend für diese Ablehnung durch die deutsche Regierung ist, dass die Mundschutz-Pflicht sich auf den unteren Ebenen der Gesellschaft immer weiter ausbreitet. Zuerst haben Städte, jetzt nach und nach auch einzelne Bundesländer entsprechende Vorschriften erlassen. Die Mundschutz-Pflicht setzt sich durch, denn sie ist vernünftig. Deshalb wird sie von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung befürwortet. Nur die deutsche Regierung hat sich bisher nicht dazu durchringen können. Es scheint also um mehr zu gehen, um Grundsätzliches.
Will sie keine Feigheit vor dem Feind, dem Virus, zeigen? Oder hat sie noch mehr Angst davor, den Anschein erwecken zu können, vor dem ungeliebten China einzuknicken? Denn mit der Mundschutz-Pflicht würden die westlichen Regierungen eingestehen, dass die Maßnahmen des „Unrechtsstaates“ China richtig waren zur Eindämmung der Krankheit.
Offensichtlich haben sich Maskenpflicht, Tracking-App zur Verfolgung der Infektionswege, strenge Kontrollen an den Flughäfen, Quarantänen für Einreisende, die der Westen als undemokratische Kontroll- und Unterdrückungsmaßnahmen diskreditiert hatte, als wirkungsvoll erwiesen. China hat kaum noch Neu-Infektionen. Dass Europa nun über ähnliche Mechanismen nachdenkt, offenbart, dass man um diese chinesischen Maßnahmen nicht herum kommt. Denn sie sind Maßnahmen, die dem Problem entsprechen, das gelöst werden muss. Sonst nichts. Die politische Dimension bringt der Westen unnötig hinein durch sein Konkurrenzdenken gegenüber China.
Propagandaschlacht statt Virenabwehr
Um dies nicht zu offensichtlich werden zu lassen, hat man nun sich in den Etagen der Meinungsmacher auf eine neue Öffentlichkeitspolitik verständigt. Ließen sich die Erfolge Chinas zwar nicht leugnen, konnte man sie doch wenigstens totschweigen: So schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Die Strategie Chinas griff, so viel lässt sich bis hierher sagen“20. Aber: „Südkorea, und womöglich auch Taiwan oder Hongkong könnten das Licht in der dunkelsten Zeit der Pandemie sein, das auch die Europäer jetzt dringend suchen.“21
Dieses Licht am Ende des Tunnels steht nicht nur für den Kampf gegen Corona sondern auch für die politische Bedrängnis, in der man sich sieht: „Raus aus der Demokratie muss es jedenfalls nicht führen, wenn drastische Maßnahmen … angeordnet werden, das hat Südkorea gezeigt“22. Die Mehrheit der Menschen denkt problemorientiert. Sie erwartet von den Lenkern der Gesellschaft, dass sie alles daran setzen, der Seuche Herr zu werden.
Besonders die wenig politisch denkende Bevölkerung im Westen kann sich nicht vorstellen, dass es neben der Krisenbewältigung noch andere Gesichtspunkte gibt, die das Handeln der führenden Kräfte der Gesellschaft bestimmen. Dem Menschenverstand, dessen Walten die Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder in solchen Krisenzeiten erwartet, stehen politische Überlegungen gegenüber.
Dazu zählt in den Augen der Herrschenden die politische Bedrohung, die von dem Virus ausgeht. Sie befürchten, dass es in dem seit einiger Zeit tobenden Systemkonflikt mit China „zur Gefahr für die Legitimität eines jeden politischen und wirtschaftlichen Systems werden kann. … Deshalb ist es keine Nebensache, der Propaganda Pekings und Moskaus entgegenzutreten“23.
Nun spricht aber vieles in diesem Systemkonflikt gegen einen Sieg des Westens: die Zahlen der Infizierten und Toten, der Zustand von Wirtschaft und Gesellschaft. Vor allem aber fehlt es an Überzeugungskraft. Die Ansichten und Argumente von westlicher Seite sind hohl und schwach. Sie verfangen immer weniger bei den eigenen Bürgern und schon gar nicht in den Ländern, mit denen man im Konflikt liegt und auf deren Bürger man versucht, Einfluss zu nehmen. Das gilt besonders für China.
In diesem Zusammenhang spricht die FAZ vom 1.4.2020 von einer „Schlacht der Narrative“. Es geht um die Deutungshoheit der Ereignisse. Es tobt der Kampf im Stalingrad der Propaganda. Der chinesische Botschafter in Paris griff die antichinesische Propaganda des Westens an und brachte seine Front durch den Beschuss mit Fakten ins Wanken. Die westliche Sichtweise, vertreten durch die FAZ, hatte dem argumentativ wenig entgegenzusetzen.
Da man sich von nun an in der Defensive befindet, hat sich als Reaktion darauf anscheinend übergreifend ein Konsens in Medien und Politik durchgesetzt: Man lässt Chinas Erfolge unter den Tisch fallen. Stattdessen bestimmen zunehmend Verunglimpfung und Stimmungsmache die Auseinandersetzung, wo man nicht mehr überzeugend und kraftvoll im intellektuellen Wettstreit auftreten kann.
Als Sieger im Kampf gegen Corona werden die Demokratien Südkorea und Taiwan in die Schlacht geführt. Welchen Umfang die Politisierung der Pandemie mittlerweile erreicht hat, demonstriert Taiwan als zweitgrößter Hersteller von Schutzmasken, das sich nun im Aufwind westlicher Unterstützung fühlt. Es bezeichnet seine Maskenspenden als „demokratische Alternative zur Pekinger Masken-Diplomatie“24.
Das ist aber genau die Einflussnahme, die der Westen in den Hilfsaktionen Chinas, Russlands und Kubas gesehen haben will. In den Vorwürfen an die drei Nationen offenbarte sich in erster Linie das eigene Denken des Westens, der sich offensichtlich Hilfe ohne Hintergedanken nicht vorstellen kann. Das ist eine seiner Schwächen. Sie führt zu den Fehleinschätzungen, die ihn immer weiter in die Defensive drängen von Syrien bis Venezuela.