Читать книгу Perry Rhodan Neo 224: Besuch aus Andromeda - Rüdiger Schäfer - Страница 7
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Mirona Thetin
So hatte sie Atlan da Gonozal noch nie erlebt.
Etwas war geschehen. Etwas, das sie sich nicht auf Anhieb erklären konnte. Normalerweise war Mirona Thetin ziemlich gut darin, Stimmungen und Gemütszustände bei anderen zu erkennen. Das, was im Kopf eines Lebewesens vor sich ging, fand immer seine Entsprechung im Körperlichen. Und viele dieser physischen Reaktionen entzogen sich der bewussten Kontrolle. Für jemanden, der in der Lage war, solcherlei Mikroreflexe zu registrieren und einzuordnen, waren die Urheber somit offene Bücher, in denen man nach Belieben lesen konnte.
In den vergangenen Jahrzehnten hatte sie den Arkoniden kennengelernt wie wenige andere Männer vor ihm. Nicht nur körperlich, sondern auch mental. Sie wusste, wie er dachte. Sie kannte seine Wünsche und Sehnsüchte – auch ein paar von jenen, derer er sich selbst gar nicht bewusst war. Sie hatten sich einander geöffnet, weil sie irgendwann gemerkt hatten, dass sie sich bedingungslos vertrauen konnten.
Für Thetin war das tatsächlich eine gänzlich neue Erfahrung gewesen – und bei einer Fünfzigtausendjährigen wollte das eine Menge heißen. Die Liduuri hatte Vertrauen stets als eine Art Synonym für Einfalt betrachtet. Wer einem anderen vertraute und sich nicht gegen Verrat und Betrug absicherte, wer davon ausging, dass sein Gegenüber nicht zum eigenen Vorteil log und intrigierte, dass sein Handeln tatsächlich uneigennützig und ohne Hintergedanken war, der war selbst schuld. Der verdiente weder Mitleid noch Nachsicht.
Mit Atlan hatte sich das geändert, und es verstörte sie ein wenig, dass sie nicht zu sagen vermochte, woran das lag. Mit Zorn und Hass konnte sie umgehen. Freude und Trauer waren ihr zur Genüge bekannt. Selbst Angst und Scham hatten in ihrer inneren Welt einen festen Platz gefunden. Aber dieses verklärte, irrationale und für gewöhnlich völlig überschätzte Gefühl, das man Liebe nannte ...?
Sie hatte versucht, das, was sie dem Arkoniden gegenüber empfand, zu analysieren. Ihm auf den Grund zu gehen, es in seine Bestandteile zu zerlegen und herauszufinden, was sich dahinter verbarg. Doch sie war gescheitert. Ihr überlegener Intellekt, mit dem sie eine halbe Galaxis ihrem Willen unterworfen hatte, war an einer Mauer aus zuckersüßen Belanglosigkeiten abgeprallt. An einem Wall aus nicht kontrollierbarer Hingabe und körperlicher Ekstase. Es war, als würde sie mit einem Raumschiff in eine lodernde Sonne fliegen; ohnmächtig und nicht in der Lage, den Kurs zu ändern – und es war ihr egal. Für nur eine lächerliche zusätzliche Sekunde in der Gegenwart dieses Manns warf sie all ihre Vorsicht, all ihre Zweifel und Bedenken über Bord.
Am Anfang hatte sie sich dafür selbst gehasst und ihre scheinbare Schwäche verflucht. Dann hatte sie ihre Wut an Atlan ausgelassen. Doch der hatte nur gelächelt und sie mit einem einzigen Kuss erneut in eine willenlose Wachsfigur verwandelt, die in seinen Armen dahinschmolz.
Irgendwann hatte sie begriffen, dass es ihm nicht anders erging. Und im Gegensatz zu ihr genoss der Arkonide seinen Zustand. Er wehrte sich nicht dagegen, ließ sich fallen, tat nur noch das, was ihm der Instinkt gebot. Es war die vollständige Kapitulation vor Lust und Leidenschaft, etwas, was Thetin noch vor wenigen Jahrhunderten als völlig inakzeptabel angesehen hätte. Inzwischen dachte sie anders, und sie war sich noch immer nicht im Klaren darüber, ob sie darüber verärgert oder erfreut sein sollte.
»Mascudar da Gonozal hat seine Basis auf Aarakh Ranton errichtet«, beendete Perry Rhodan soeben seine Zusammenfassung der Ereignisse der vergangenen Tage. »Gemeinsam mit seinen beiden wichtigsten Verbündeten Ihin da Achran und Pertia ter Galen will er ein neues, starkes Imperium begründen. Die von den Mehandor auf Archetz produzierten und zur Verfügung gestellten Transformkanonen waren ein elementar wichtiger Baustein in seinen Plänen, denn Macht erwächst seiner Ansicht nach vor allem aus militärischer Überlegenheit.«
»Zwanzigtausend Jahre arkonidischer Geschichte bestätigen ihn«, warf Atlan nüchtern ein.
»Darüber ließe sich fraglos streiten«, räumte Rhodan ein. »Aber das ist weder die Zeit noch der Ort dafür. Glaubst du, dass du zu ihm durchdringen kannst?«
»Um was zu tun?«, fragte der Arkonide. »Mit der Zerstörung von Archetz hast du seine Pläne auf die denkbar brutalste Art und Weise vereitelt. Das ist ein persönlicher Angriff, den er unmöglich ungestraft hinnehmen kann. Vor allem nicht, wenn er Imperator werden will.«
»Ich habe Archetz nicht zerstört!«, rief Rhodan so laut, dass seine neben ihm sitzende Frau zusammenzuckte. Zum ersten Mal zeigte er erkennbare Erregung. »Die Katastrophe war eine Verkettung unglücklicher Umstände. Die Mehandor haben ...«
»Ich kann dir garantieren, dass mein Vater dir und nur dir allein die Schuld für das alles geben wird«, unterbrach Atlan. »Und er wird keine Sekunde lang ruhen, bis er dich dafür zur Verantwortung gezogen hat.«
Thetin behielt Rhodan unauffällig im Blick. Der Terraner hatte sich bemerkenswert gut im Griff. Nach seinem kurzen Ausbruch war er nun wieder äußerlich ruhig und beherrscht. Nur seine verengten Pupillen und die leicht beschleunigte Atmung verrieten dem aufmerksamen Beobachter, wie es wirklich in ihm aussah.
»Du willst mit der GARTAVOUR nach Arkon aufbrechen?«, fragte er.
»Lieber jetzt als gleich«, bestätigte Atlan.
Thetin fühlte sich plötzlich unwohl – und wieder vermochte sie nicht genau zu sagen, warum. Atlan hatte während all der Jahre nicht oft von seinem Vater gesprochen. Als Kristallprinz und einziger Sohn des arkonidischen Imperators war sein Leben bei Hof nicht leicht gewesen. Vor allem, weil Mascudar ihn offenbar für einen Ignoranten und Nichtsnutz gehalten hatte. Atlan hatte unter anderem der weit verbreiteten Ansicht widersprochen, dass die Maahks ihren Feldzug gegen das Große Imperium aus reiner Bosheit führten, und sich damit offen gegen seinen Vater und dessen einflussreiche Ratgeber im Berlen-Than gestellt.
Das hatte schließlich sogar dazu geführt, dass der Imperator den Thronerben auf eine bedeutungslose Mission weit hinter die Frontverläufe der damals tobenden Schlachten gegen die Wasserstoffatmer geschickt hatte. Gonozal VII. entsandte seinen Sprössling in ein unwichtiges Sonnensystem in einem Seitenarm der Milchstraße, um dort eine Kolonie zu errichten. Deutlicher hätte er seine Missbilligung kaum zum Ausdruck bringen können. Dass sich dieses System sehr viel später als wichtigster kosmischer Brennpunkt der gesamten Galaxis erweisen würde, wusste damals noch niemand.
Der Rest des Familiendramas war längst Geschichte. Atlan war auf Larsaf III – der Erde – gestrandet und hatte dort grob zehntausend Jahre im Exil verbracht. Zuvor gelang es ihm zwar noch, die Konstruktionsdaten einer mächtigen und letztlich kriegsentscheidenden Waffe – der Konverterkanone – in seinen Besitz zu bringen und dem arkonidischen Flottenkommando zuzuspielen. Doch seinen Vater sah er nicht wieder. Atlan erfuhr nie, ob dieser nach ihm gesucht hatte und was aus ihm und seiner Mutter Yagthara geworden war. Die entsprechenden Aufzeichnungen in den imperialen Archiven waren unklar und lückenhaft. Bei seinen Nachforschungen hatte Atlan außerdem unzweideutige Hinweise auf eine Datenmanipulation entdeckt, den dafür Verantwortlichen jedoch nicht identifizieren können.
Dieser Abschnitt seiner Vergangenheit hatte tiefe Wunden in die Seele des Arkoniden geschlagen. Wunden, die mit der Zeit vernarbt, jedoch nie ganz verheilt waren. Die Aussicht, nach so vielen Jahrtausenden doch noch Licht in das Dunkel der damaligen Vorfälle bringen zu können, musste ihn verständlicherweise elektrisieren. Wenn das Tarkanchar, also die Bewusstseinskopie von Gonozal VII., nach all diesen Ereignissen angefertigt worden war, würde das Duplikat über sämtliche Erinnerungen an jene Epoche verfügen. Für Atlan ergab sich somit die einmalige Chance, endlich das Schicksal seiner Eltern zweifelsfrei zu erfahren.
Warum beunruhigte sie das so sehr? Warum freute sie sich nicht für ihren Partner? Sie wusste es nicht. Irgendwo tief in ihrem Denken hatte sich ein sanftes Pochen etabliert. Nein, kein Pochen. Eher ein Ticken, wie es das Räder- und Federwerk eines antiken mechanischen Zeitmessers erzeugte. Es war leise und nur zu vernehmen, wenn man sich darauf konzentrierte, doch es wurde mit jeder Sekunde lauter – und furchteinflößender.
»Das kann ich verstehen«, riss Rhodans Stimme sie aus ihren Gedanken. »Trotzdem möchte ich dich bitten, noch zu warten.«
»Warum?« Atlan hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Mirona Thetin konnte seinen Unmut nahezu körperlich spüren – und er schien sich Stück für Stück auf sie selbst zu übertragen.
»Weil wir sehr genau darüber nachdenken sollten, was wir als Nächstes tun.« Auch Rhodan war zu seinem Platz zurückgekehrt, doch nun stand er wieder auf und begann mit einer unruhigen Wanderung durch den Raum. »Die politische Lage in Thantur-Lok gleicht einem Pulverfass«, sprach der Terraner weiter. »Und das ist noch milde ausgedrückt. Das arkonidische Imperium steckt mitten in einem gewaltigen Umbruch und ist derzeit praktisch führungslos. Theta sitzt nicht mehr auf dem Kristallthron, und Mascudar muss sich in seiner angestrebten Herrscherrolle erst noch bestätigen lassen. Das wird ihm nach dem Tod der beiden anderen Duplikate auf Archetz womöglich leichter fallen als zuvor, aber eine Garantie ist es nicht. Ich bin weder ein Arkonide noch ein besonders guter Politiker, aber ich erkenne ein Machtvakuum, wenn ich eins sehe. Und ich weiß um die Gefahren, die eine solche Situation birgt.«
»Na schön.« Atlan nickte bedächtig. »Ich höre dir zu ...«
»Dein Vater mag große Erfahrung haben. Aber er beurteilt die Lage aus einer Perspektive, die mehr als zehntausend Jahre alt ist. Das Imperium hat sich seither verändert. Und es befindet sich in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Wie lange werden die Kolonien noch stillhalten? Der Regent hat die Ökonomie durch seinen Rüstungswahn an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit und darüber hinaus getrieben. Wir haben die gigantischen Schiffsfriedhöfe im Raum um Aarakh Ranton gesehen. Dort zeigt sich die momentane Instabilität des Imperiums am deutlichsten. Ich bin davon überzeugt, dass es viele andere Welten gibt, in deren Umfeld es ähnlich aussieht. Die Struktur dieses riesigen Sternenreichs erodiert mit beängstigendem Tempo – und ich bezweifle, dass Mascudar da Gonozal derjenige ist, der das verhindern kann.«
»Warum bist du dir da so sicher?«, fragte Atlan.
»Weil eine multikulturelle Gesellschaft nur dann zusammenwächst, wenn sie sich auf einen Wertekanon einigt, mit dem sich alle identifizieren können. Und das ist weder mit Gewalt noch durch die Vorgaben einer selbst ernannten Elite erreichbar. Druck erzeugt Gegendruck. Und wenn es kein Ventil gibt, durch das er entweichen kann, explodiert irgendwann der ganze Kessel.«
»Für jemanden, der sich vor Problemen im eigenen Haus kaum retten kann, redest du ziemlich klug über die Gärten anderer Leute daher.« Atlans Stimme klang noch immer weitgehend ruhig und sachlich, doch die unterschwellige Schärfe war nicht zu überhören – zumindest für Thetin.
»Das mag sein«, gab Rhodan zu. »Allerdings hat die Menschheit gerade erst ein paar bescheidene Kolonien unmittelbar vor ihrer Haustür gegründet. Wir üben noch. Ein Garten wurde noch gar nicht angelegt. Versteh mich nicht falsch, mein Freund. Das, was die Arkoniden in den vergangenen zwanzigtausend Jahren erreicht und aufgebaut haben, ist einzigartig und bewundernswert. Abgesehen von ein paar sehr schlechten Erfahrungen, verdanken die Menschen dem Großen Imperium eine Menge. Ich bin sicher, dass Mister Shenn mir zustimmt, wenn ich behaupte, dass die Terranische Union ihre Schuld mit Freude zurückzahlen wird; allerdings nicht als Sklave oder Bittsteller, sondern als gleichberechtigter Partner in einer fairen und für beide Seiten vorteilhaften Allianz.«
»Du befürchtest, dass Arkon erneut nach der Erde greift?«, fragte Atlan.
»Du etwa nicht?«, staunte Rhodan. »Das ist quasi unvermeidbar. Die Union mag im Vergleich mit Arkon militärisch schwach sein, aber wenn das Imperium zerfällt, wenn es vielleicht sogar zu einem Bürgerkrieg kommt, sind die Menschen der einzig nennenswerte Machtfaktor im unmittelbaren Umfeld. Zumindest soweit wir wissen. Der Unionsrat hat keinerlei Interesse, sich in die inneren Angelegenheiten Arkons einzumischen, aber er wird die Entwicklungen auch nicht einfach ignorieren. Wenn dein Vater – wie seinerzeit schon der Regent – auf Stärke und damit auf Aufrüstung setzt, muss die TU reagieren.«
»Mister Rhodan hat recht«, meldete sich zum ersten Mal Torgen Shenn zu Wort. »Eine gewaltsame Auseinandersetzung – auf welcher Ebene auch immer – ist das schlechteste aller denkbaren Szenarien. Ich bin mit sämtlichen Vollmachten ausgestattet, um direkte Verhandlungen mit der Regierung des Großen Imperiums zu führen. Aber dazu muss zunächst mal eine solche Regierung existieren. Eine Regierung, die legitimiert, autorisiert und mehrheitlich akzeptiert ist.«
»Du kannst ohne Einschränkungen auf die Analysen unserer Experten zugreifen«, übernahm wieder Rhodan. »Auch wenn unsere Informationen nicht vollständig sein können, ist die Gefahr unverkennbar: Das arkonidische Imperium steht an einem Scheideweg. Die primären Probleme sind eine instabile Führung, eine ökonomische Krise und ein politisch extrem aufgeheiztes Klima. Das sind die klassischen Zutaten für eine Revolution – und zwar keine von der friedlichen Sorte.«
Atlan hatte die Arme auf den Tisch gestützt und seine Hände ineinander verschränkt. »Einverstanden«, sagte er nach einer kurzen Pause. »Nehmen wir für den Moment an, ich wäre bereit, deiner Argumentation zu folgen. Was lässt dich glauben, dass mein Vater auf mich hört? Das Geschlecht der da Gonozals ist erst in den jüngsten Jahrzehnten wieder erstarkt. Es war zuvor bis auf ein paar Abspaltungen und familiäre Nebenlinien praktisch nicht mehr existent. Wenn der Hochadel und vor allem der Berlen-Than zu der Ansicht gelangen, dass der Khasurn der da Gonozals mit der Entmachtung Thetas einen Umsturz angezettelt hat, wird man meinen Vater ebenso schnell hinrichten wie mich und die meisten anderen meiner entfernten Verwandten.«
»Das ist mir klar«, äußerte Rhodan. »Die Frage ist, ob das auch dein Vater so sieht. Er scheint zu glauben, dass allein die Strahlkraft seines Namens genügt, um eine ausreichend große Zahl von Entscheidungsträgern auf seine Seite zu ziehen. Ich gebe zu, dass er mit Ihin da Achran und Pertia ter Galen zwei mächtige Verbündete hat, aber ich bezweifle, dass das genügen wird. Zumal, wenn man ihm im Berlen-Than die Zerstörung von Archetz anlastet. Aber was auch immer geschieht: Dein Vater verfügt durch ter Galen über die Unterstützung des Flottenkommandos und damit über eine gigantische Streitmacht. Und er steht unter enormem Druck. Das ist keine gute Kombination.«
»Was willst du tun?« Atlans Frage hatte etwas Lauerndes. Thetin hätte viel dafür gegeben, in diesen Minuten seine Gedanken lesen zu können. Der Arkonide war ein brillanter Stratege und ein gewiefter Taktiker. Aber er war zu lange weg gewesen. Ihm musste klar sein, dass er die Lage in seiner alten Heimat nicht bereits nach so kurzer Zeit in ihrer ganzen Komplexität überblicken konnte. Und Rhodan ging es nicht anders. Thetin wusste aus eigener Erfahrung, dass die Schwierigkeiten bei der Kontrolle eines Sternenreichs exponentiell mit dessen Größe wuchsen. Im Gegensatz zum Herrschaftsbereich der Meister der Insel war die Einflusssphäre Arkons geradezu lächerlich klein. Dennoch standen die hiesigen Machthaber vor schier unlösbaren Problemen.
Sogar das winzige Herrschaftsgebiet der Menschen – es Sternenreich oder gar Imperium zu nennen, verbot sich von selbst – präsentierte sich alles andere als politisch gefestigt. Das Wenige, was sie und Atlan während ihres kurzen Aufenthalts im Solsystem erfahren hatten, genügte, um ein ziemlich düsteres Bild zu zeichnen. Perry Rhodan mochte den autoritären Führungsansatz der Meister oder der Arkoniden verdammen, doch seine eigenen, deutlich liberaleren Methoden erzählten auch nicht gerade eine Erfolgsgeschichte.
»Wir müssen reden, Atlan«, sagte der Mann, den man als Protektor ebenso unrühmlich abgesetzt hatte wie Theta als Imperatrice. »Arkon und die Terranische Union können einander wechselseitig helfen. Dazu braucht es gar nicht viel: ein kleines bisschen Vertrauen, eine angemessene Portion Rücksichtnahme. Die sich daraus ergebenden Möglichkeiten wären nahezu grenzenlos. Wir könnten die Mehandor und die arkonidischen Kolonien einbinden, vielleicht sogar eine Transmitterstraße zwischen Debara Hamtar und Thantur-Lok aufbauen ...«
Der Terraner verstummte. Sowohl Atlan als auch die ihm gegenübersitzende Theta lächelten in seltener Eintracht. Es war kein freundliches, kein aufmunterndes oder ermutigendes Lächeln, sondern herablassend und verletzend. Für einen kurzen Moment fühlte Mirona Thetin so etwas wie Bedauern für den Menschen, der so leidenschaftlich und hoffnungsvoll geklungen hatte. Nun stieß er einen tiefen Seufzer aus.
»Aber selbst wenn der ein oder andere Arkonide noch nicht fähig oder willens ist, die für eine positive Zukunft nötige Weitsicht aufzubringen«, fuhr er dann fort, »sollte er zumindest begreifen, dass er den nachfolgenden Generationen einen ernsthaften Versuch schuldig ist.«
Theta und Atlan verstanden die unverhohlene Spitze des Terraners sofort. Während die Miene der entthronten Herrscherin offene Verachtung für Rhodan widerspiegelte, verschwand der arrogante Zug um Atlans Mundwinkel.
»Du weißt, dass ich dir grundsätzlich recht gebe und dich für deinen unerschütterlichen Glauben an das Gute im Universum respektiere, Perry«, sagte Atlan. »Aber ich fürchte, dass du das Große Imperium noch immer viel zu sehr aus der Warte eines Menschen beurteilst. Gegen Jahrtausende der Tradition und der höfischen Sitte ist deine Politik der Mäßigung und Hilfsbereitschaft chancenlos. Für die meisten Arkoniden ist ein Zugeständnis ein Zeichen von Schwäche. Ein Verhandlungspartner wird nur dann als gleichberechtigt akzeptiert, wenn seine Kriegsflotte mindestens genauso groß und gut bewaffnet ist wie die eigene. Das mag dir nicht unmittelbar einleuchten, ist aber nun mal der Kern des arkonidischen Selbstverständnisses. So etwas lässt sich nicht über Nacht ändern.«
»Gut.« Rhodan nickte – nicht resignierend, sondern energisch und mit einem spitzbübischen Grinsen im Gesicht. »Dann lass uns gemeinsam überlegen, wie du deinen Vater überzeugen kannst. Er wird auf dich hören. Noch dazu, wenn du die besseren Argumente auf deiner Seite hast. Und er wird begreifen, dass es weitaus besser ist, die Menschen als Verbündete zu haben, anstatt einen langen und ressourcenzehrenden Krieg gegen sie zu führen.«
»Wer sagt dir, dass ein solcher Krieg lange dauern würde?«, fragte Atlan. »Eine Besetzung des Solsystems durch die imperiale Flotte wäre innerhalb weniger Stunden problemlos möglich.«
»Das wäre sie«, räumte Rhodan ein. »Aber danach würde der Kampf erst beginnen; das weißt du sehr genau. Wir Menschen reagieren ausgesprochen allergisch auf den Entzug von Freiheit und Selbstbestimmung. Das haben die Arkoniden während des Protektorats auf schmerzliche Weise zu spüren bekommen. Ich baue darauf, dass dein Vater klug genug ist, diesen Fehler nicht zu wiederholen.«
Nun war es an Atlan, zu seufzen. Thetin verkniff sich nur mit Mühe ein anerkennendes Lächeln. Rhodan mochte ein unbelehrbarer Idealist sein, aber er verstand es, seine antiautoritären Ansichten gewinnbringend zu verkaufen.
Wahre Stärke hält sich stets im Hintergrund, dachte sie. In dem Moment, in dem ich meine Überlegenheit offen zeigen muss, ist sie meistens schon dahin.
Wer hatte das gesagt? Ihr Vater Dorain? Ihre Schwester Avandrina? Der Gedanke an ihre Familie versetzte ihr einen Stich, obwohl sie sich schon vor so langer Zeit von ihr losgesagt hatte. Doch Avandrinas Tod und die zuvor erfolgte Aussöhnung mit ihr hatten Mirona Thetins bislang so festgefügte und wohlgeordnete Welt in emotionale Trümmer gelegt. Es war auch – oder vielleicht sogar gerade – als potenziell Unsterbliche nicht einfach, zuzugeben, dass man über ungezählte Jahrtausende schreckliche Fehler begangen und große Chancen versäumt hatte.
»Im Moment haben wir ein wenig Zeit«, sprach Rhodan weiter. »Mascudar da Gonozal wird mindestens ein paar Tage benötigen, um die Dinge auf Arkon zu richten.«
»Das sehe ich genauso.« Atlan nickte. »Er muss die Dheraam dama Zhdopanthi, die traditionelle Inthronisationszeremonie vorbereiten. Ohne sie werden ihn weder der Adel noch die großen Khasurne und schon gar nicht die breite Bevölkerung anerkennen.«
»Und wir müssen die CREST II und die MAGELLAN wieder flottbekommen«, warf Thora Rhodan da Zoltral ein. Mit einer flüchtigen Handbewegung erzeugte sie ein Hologramm über dem Konferenztisch. Es zeigte dreidimensionale Aufrisse der beiden terranischen Raumschiffe, die mit einigen wenigen grünen und einer Menge roter Markierungen versehen waren. »Wir sind zwar flugfähig«, fuhr sie fort, »aber alles andere als voll einsatzbereit. Die Auseinandersetzung mit der imperialen Flotte hat deutliche Spuren hinterlassen.«
»Inwieweit kriegen wir das mit eigenen Mitteln wieder hin?«, erkundigte sich Rhodan.
Thora zuckte in vollendet terranischer Manier mit den Schultern. Thetin musste zugeben, dass die Arkonidin in ihrer schlichten, weißen Uniform eine ausgesprochen gute Figur abgab.
»Mister Darnell ist noch mitten in der Bestandsaufnahme«, antwortete Thora. »Aber es sieht nicht besonders vielversprechend aus. Weder auf der CREST II noch auf der MAGELLAN. Die GARTAVOUR ist leider ein paar Minuten zu spät gekommen ...« Als Atlan die Brauen hob, lächelte Rhodans Partnerin kurz. »Das sollte kein Vorwurf an dich sein«, fügte sie freundlich hinzu. »Auch ich bin ... euch sehr dankbar für euer Eingreifen.«
Mirona Thetin war Thoras kaum merkliches Zögern nicht entgangen. Immerhin hatte sie sich nicht – wie zuvor Rhodan – allein bei Atlan, sondern auch bei Thetin bedankt. Die Liduuri hatte sich längst damit abgefunden, dass Rhodan und seine Entourage sie als eine Art Monster betrachteten. Wahrscheinlich hatte sie das auch verdient, aber es wäre gelogen gewesen, wenn sie behauptet hätte, es würde ihr nichts ausmachen. Früher hätte sie sich um solche Lappalien nicht geschert; was andere über sie dachten, wäre ihr vollkommen gleichgültig gewesen. Doch auch in dieser Hinsicht hatten sich die Perspektiven verschoben.
»Amthak'Tur!«
Das von Theta hervorgestoßene Wort stand für einen langen Augenblick des Schweigens wie ein flammendes Fanal im Raum. Alle Anwesenden schauten die Herrscherin ohne Reich fragend an, was sie sichtlich genoss.
»Keine schlechte Idee«, zerstörte Atlan ihren Augenblick. »Die Werftanlage im Traminasystem stammt noch aus den Methankriegen und könnte tatsächlich eine große Hilfe sein.«
Theta warf ihm einen wütenden Blick zu, doch der Arkonide lächelte sie nur freundlich an. Offenbar hatte sich Atlan sofort an den von ihr bezeichneten Ort erinnert. Immerhin war er in die damaligen Kämpfe gegen die Maahks involviert gewesen – und somit über die meisten Militärbasen und geheimen Stützpunkte dieser Zeit im Bilde.
»Du glaubst, dass man uns dort helfen wird?«, fragte Rhodan skeptisch.
»Der Planet und seine technischen Installationen sind vor mehr als zehntausend Jahren verlassen und damals eingemottet worden«, antwortete Atlan, während er mithilfe des Positronikpaneels an seinem Platz ein Hologramm mit der Sternenkarte von M 13 aktivierte. »Amthak'Tur lag am Ende zu nah an der Front. Die Wasserstoffatmer haben die Welt zwar niemals angegriffen, hätten das aber früher oder später garantiert getan, wenn wir sie weiter genutzt hätten.«
»Wie bekommen wir Zugang?«, hakte Rhodan nach.
Einmal mehr zollte Thetin dem Terraner stumme Anerkennung. Er brachte die Dinge schnell und direkt auf den Punkt.
»Da wird Ihnen der Hochedle Mascaren da Gonozal nicht helfen können.«
Thetas Stimme verursachte Thetin eine wohlige Gänsehaut. Sie fand die gestürzte Herrscherin nicht unbedingt sympathisch; ihre offene Arroganz nötigte ihr allerdings Respekt ab. Anmaßung war etwas, das man sich leisten können musste, und Theta war eine Frau, die trotz ihrer prekären Situation in jedem Moment Haltung bewahrte. In ihrem früheren Leben hätte Mirona Thetin sie ohne Zögern zu einem Meister der Insel gemacht. »Die Überrangcodes aller militärischen Einrichtungen sind nur der amtierenden Imperatrice bekannt. Und die bin – allen gegenteiligen Versicherungen des Hauses da Gonozal zum Trotz – immer noch ich.«
Atlan breitete die Arme aus. »Von mir wirst du nichts Gegenteiliges hören, Verehrteste«, sagte er. Er und Theta waren seit der gemeinsamen Zeit im Kristallpalast auf Arkon eng miteinander vertraut – und später von Imperator Zoltral XIII. während seiner kurzen Amtszeit beide als Feinde des Imperiums geächtet gewesen. Seitdem hatte es jedoch keinen weiteren Kontakt gegeben. »Außerdem siehst du auf dem Kristallthron ohnehin sehr viel besser aus als mein Vater«, fügte er süffisant hinzu.
»Shek'tar!«, zischte Theta. Thetins Arkonidisch war noch längst nicht gut genug, um zu wissen, was das hieß, aber es war ganz bestimmt kein Kompliment gewesen – zumal der Translator keine automatische Übersetzung lieferte.
»Wir sollten sachlich bleiben«, bemühte sich Rhodan einmal mehr um Ausgleich. »Im Augenblick kommen wir nur weiter, wenn wir uns gegenseitig helfen. Und persönlich hoffe ich, dass sich daran auch in Zukunft nichts ändert. Menschen und Arkoniden haben dieselben Wurzeln. Wenn wir es nicht schaffen, friedlich und partnerschaftlich an einer positiven Zukunft für alle zu arbeiten – wer dann?«
»Ein passendes Schlusswort«, sagte Thora Rhodan da Zoltral und erhob sich. »Imperatrice, wären Sie so freundlich, mich in die Zentrale der CREST II zu begleiten? Ich würde mit Ihnen gern die Daten zu Amthak'Tur in den arkonidischen Sternkatalogen durchgehen.«
Theta nickte großmütig. Es war ihr anzusehen, dass es ihr gefiel, von Thora mit ihrem Titel angesprochen zu werden.
»Möchtet ihr ebenfalls bleiben?«, wandte sich Rhodan an Atlan. »Ich stelle euch gern eine Kabinenflucht neben der von Thora und mir zur Verfügung.«
»Danke«, antwortete Mirona Thetin, bevor ihr Partner etwas sagen konnte. »Aber wir kehren zur GARTAVOUR zurück. Natürlich bleiben wir in Ihrer Nähe und in Verbindung.«
Perry Rhodan senkte kurz den Kopf. Dann verließen die Anwesenden den Konferenzraum und strebten ihren diversen Zielen zu.