Читать книгу Perry Rhodan Neo 215: Botschafter des Imperiums - Rüdiger Schäfer - Страница 7
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Thora Rhodan da Zoltral
Da war sie wieder, diese Ruhelosigkeit. Sobald Thora mit sich und ihren Gedanken allein war, sobald ihr die Welt ein paar Sekunden Zeit zum Atemholen gönnte, kehrte die Unrast zurück und übernahm ihr Denken, ihr Fühlen, füllte sie bis in den letzten Winkel ihres Verstands aus.
Thora Rhodan da Zoltral seufzte – und der kaum merkliche Widerhall ihrer Stimme in der ansonsten leeren Kabinenflucht machte ihr die Einsamkeit nur umso schmerzhafter bewusst. Selbstverständlich war sie nicht zum ersten Mal von ihrem Ehemann getrennt. In der Vergangenheit waren die Zeiträume sogar oft sehr viel länger und die Distanzen weitaus größer gewesen. Doch niemals zuvor hatten die Zweifel an Perrys unversehrter Heimkehr stärker an ihr genagt.
Die FANTASY hatte das Solsystem erst vor wenigen Tagen verlassen, und doch kam es Thora so vor, als wäre ihr Mann bereits vor Monaten aufgebrochen. Nach Lashat. In ein Raumgebiet, das völlig unbekannt war und noch dazu nah am Zentrum der Milchstraße lag. Dort standen die Sterne so dicht, dass sich sogar die Raumschiffe des Großen Imperiums nur hineinwagten, wenn es sich nicht mehr vermeiden ließ.
Auf der Erde schlug die Entführung des Experimentalraumers noch immer hohe Wellen. Manche sprachen offen von Diebstahl. Immerhin überwogen die Stimmen, die Perry Rhodan mit den verschiedensten Begründungen das Recht zusprachen, die FANTASY für eine Expedition ins Omnitische Compariat zu nutzen. Im Zweifel sogar ohne eine politische Legitimation. Das galt allerdings nur für die breite Bevölkerung. In den Reihen des Unionsrats und der Vollversammlung sah es völlig anders aus. Mit dem nicht autorisierten Start der FANTASY hatte der Protektor die Terranische Union politisch bloßgestellt und bis auf die Knochen blamiert. So etwas würden die meisten ihrer Vertreter nicht so schnell vergessen.
Einige Botschafter hatten den Protektor sofort öffentlich angeklagt und eine Verhandlung vor den juristischen Gremien des Rats gefordert. Das hatte Stella Michelsen unter Hinweis auf die laufenden Untersuchungen vorerst abwenden können. Doch die Administratorin der Terranischen Union hatte gegenüber Thora keine Zweifel daran gelassen, dass die Lage ernst war. Zwar galt formell zunächst die Unschuldsvermutung, aber die Beweise waren erdrückend – was die Arkonidin sehr wohl wusste. Die alleinige Übernahme der Verantwortung für die nicht genehmigte Mission des wertvollen Experimentalraumschiffs war eine der Bedingungen ihres Manns gewesen, um den Flug überhaupt anzutreten.
Wie immer, wenn sie in einer Krisensituation nicht aktiv handeln konnte, war Thora wütend. Auf sich selbst, auf andere ... auf alles, was sich nicht schnell genug vor ihren Launen in Sicherheit bringen konnte. Sie kannte diese größte ihrer Schwächen sehr gut, war sich bewusst, dass ihr Impulsivität und emotionaler Aufruhr nicht weiterhalfen. Aber Vernunft und Abgeklärtheit konnte man nicht nach Belieben ein- und ausschalten.
Situationen wie diese gehörten zu den wenigen Momenten in ihrem Leben, in denen sie sich wünschte, in ihrer Jugend die Ark Summia absolviert zu haben. Die bestechende Logik eines Extrasinns hätte ihr nun fraglos geholfen. Doch wie sagten die Menschen so treffend: Dieses Schiff war abgeflogen ... nein, abgefahren. Sicherlich konnte sie die Prüfung noch immer nachholen, aber wollte sie das?
Solche und ähnliche Zweifel waren Ausdruck der natürlichen Ambivalenz ihres Daseins. Seit ihrem Kontakt mit den Bewohnern der Erde vor über fünfzig Jahren saß sie zwischen den Stühlen, war die Getriebene zweier Kulturen. Wenn sie mit Perry zusammen war, dominierte das überwältigende Gefühl, am richtigen Ort zu sein, am einzigen Ort, an dem sie wirklich glücklich sein konnte. Doch wenn die Dinge wieder mal aus dem Ruder liefen, wenn sie sich Problemen gegenübersah, die wie eine Flutwelle auf sie zurasten und sie unter sich zu begraben drohten, wurde ihr bewusst, dass sie für die meisten Terraner immer eine Fremde bleiben würde.
Am Ende währte nur diese unterschwellige Furcht, die sie bis in ihre Träume verfolgte. Die Angst davor, dass ihre Liebe zu Perry Rhodan eines Tages nicht mehr ausreichen würde, um die Sehnsucht nach Arkon zu stillen.
Das Summen des Interkoms ließ sie zusammenzucken. Sie nahm sich ein paar Sekunden Zeit, um sich das salzige Sekret aus den Augenwinkeln zu wischen, bei Arkoniden ein sicheres Zeichen für starke innere Erregung. Erst dann aktivierte sie die Verbindung in die Zentrale der CREST II.
»Ich hoffe, es ist wichtig«, sagte Thora ohne Begrüßung. »Ich hatte mir ausgebeten, nicht gestört zu werden.«
»Ein Dringlichkeitsanruf von Stella Michelsen, Ma'am.« Akilah bin Raschids schwarze Haare umflossen ihr Gesicht wie dunkler Samt. Die ehemalige GHOST-Agentin ließ sich von Thoras merklich schlechter Laune nicht beirren. Die beiden Frauen kannten sich lange genug.
»Danke«, gab Thora eine Spur sanfter zurück. »Stellen Sie direkt durch. Höchste Verschlüsselung.«
»Verstanden, Ma'am.« Das Hologramm der Ersten Offizierin erlosch und machte dem Antlitz der TU-Chefin Platz.
Michelsen lächelte. »Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen.«
»Für Sie habe ich immer Zeit, Stella. Das wissen Sie doch.« Thora musste die Wärme in ihrer Stimme nicht heucheln. Sie kannte die Administratorin seit deren Amtseinführung vor rund zwanzig Jahren. Im Laufe der Zeit hatte sich zwischen ihnen eine von Sympathie und gegenseitigem Respekt geprägte Freundschaft entwickelt. Die Vorsitzende des Unionsrats war schon mehrfach Gast auch in der rhodanschen Privatresidenz am Goshunsee gewesen.
»Ich habe leider keine guten Nachrichten, Thora.« Das Lächeln in Michelsens Zügen war von einer Sekunde zur anderen wie weggeblasen.
»Die habe ich auch nicht erwartet«, sagte die Arkonidin. »Ich kann nur hoffen, dass sich der Rat nicht allzu sehr in innenpolitischen Lappalien verstrickt, während sich auf Plophos eine Gefahr zusammenbraut, die die gesamte Solare Union bedroht.«
»Betrachten Sie die öffentliche Missachtung einer Entscheidung der TU-Vollversammlung als Lappalie?« Für einen Moment schwang so etwas wie Unmut in der Stimme der Administratorin mit.
»Nein«, lenkte Thora sofort ein. »So habe ich es nicht gemeint. Ich ...«
»Schon gut.« Michelsen winkte ab. »Entschuldigen Sie, aber dieser Tage sind wir wohl alle ein bisschen gereizt. Es kommt schlicht zu viel auf einmal.«
»Da stimme ich Ihnen zu. Also? Werde ich standrechtlich erschossen, oder komme ich mit einer Verbannung in den Minengürtel davon?«
»Ich wollte es Ihnen persönlich mitteilen, bevor Sie die offizielle Note des Unionsrats erhalten.« Stella Michelsen ging nicht auf Thoras Scherz ein. »Sie stehen mit sofortiger Wirkung unter Hausarrest. Ich habe zwar erreicht, dass Sie das Kommando über die CREST II vorerst behalten. Allerdings werden Ihnen zwei Mitglieder des Sicherheitsdienstes zugeteilt, die während der kompletten Dienstzeit nicht von Ihrer Seite weichen. In Ihrer Kabinenflucht sind Sie – von einer positronischen Präsenzkontrolle abgesehen – selbstverständlich ungestört.«
»Halten Sie das nicht für ein wenig ... übertrieben?« Thora wiegte den Kopf und legte die Stirn in Falten. »Ich meine ... Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich mich heimlich davonstehle und damit indirekt eine Schuld eingestehe, die es nicht gibt?«
»Was ich glaube, ist irrelevant«, erwiderte Michelsen. »Aber gibt es in der Vollversammlung einige Vertreter, die – verzeihen Sie meine drastische Ausdrucksweise – Blut sehen wollen. Betrachten Sie die Überwachung als notwendiges Zugeständnis, mit dem ich diese Leute dazu gebracht habe, ihre Messer vorerst wieder wegzustecken. Allerdings kann ich Ihnen nicht sagen, wie lange dieser Burgfrieden hält.«
»Wie ernst ist es, Stella?«, fragte Thora. »Sie wissen, dass Sie mir die Wahrheit sagen können. Ich habe am Hof des arkonidischen Imperators gelebt. Dagegen sind die politischen Intrigen und Manöver auf der Erde bessere Sandkastenspiele.«
»Es ist nicht nur für die Ermittler offensichtlich, dass Protektor Rhodan die FANTASY unmöglich allein gekapert haben kann«, kam die Administratorin sofort auf den Punkt. »So etwas hätte selbst Ihr Mann niemals geschafft. Es stellt sich also nicht die Frage, ob ihm jemand geholfen hat, sondern wer.«
»Und ob man es beweisen kann«, ergänzte Thora.
»Richtig. Ich habe den ersten vorläufigen Bericht der Experten vorliegen. Der Rat hat alles eingesetzt, was gut und teuer ist. Spezialisten von GHOST, private Berater, Fachleute der Terranischen Flotte und Spitzenwissenschaftler der Lunar Research Area. Dazu die modernste forensische Technik, die es im Umkreis von zehntausend Lichtjahren gibt. Wenn da etwas ist, wird man es früher oder später finden. Ich wünschte nur, Sie würden mich endlich ins Vertrauen ziehen. Ich kann Sie nicht schützen, wenn ich nicht weiß ...« Michelsen brach ab und schüttelte den Kopf.
»Ich muss mich schon wieder entschuldigen«, fuhr sie dann fort. »Es steht mir nicht zu, derart in Sie zu dringen. Sie haben fraglos gute Gründe für das, was Sie tun ... oder auch nicht tun.«
»Stella ...«, setzte Thora an.
Die Administratorin unterbrach sie sofort. »Nein. Es ist in Ordnung. Wirklich! Sie sollten sich nur darüber im Klaren sein, dass es längst alle wissen. Natürlich hat NATHAN seine imaginären Finger im Spiel, und es wird sehr schwer werden, ihm etwaige Manipulationen nachzuweisen. Wenn Sie Glück haben, wird es also nicht zu einer Anklage kommen. Das gilt ebenso für Systemadmiral Bull, Mister Marshall oder Ihre Söhne. Seien Sie sich aber bewusst, dass etwas zurückbleiben wird. Dass der Schmutz, mit dem man Sie von allen Seiten bewerfen wird, sich nie mehr vollständig abwaschen lässt. Und was Ihren Mann betrifft ...«
»Perry wird sich dem Rat und allen Anschuldigungen gegen ihn stellen, wenn er mit der FANTASY zurückkehrt«, fiel Thora ihr eine Spur zu laut ins Wort – mit einer trotzigen Überzeugung, die sie nicht in vollem Umfang fühlte.
»Ja, das wird er.« Stella Michelsen nickte ernst. »Daran zweifeln selbst seine größten Kritiker innerhalb der Union nicht. Allerdings wird er seinen Posten als Protektor verlieren. Und damit sämtliche mit diesem Amt verbundenen Privilegien. Der Rat kann gar nicht anders, als diese Entscheidung zu treffen. Können Sie sich vorstellen, was das für Ihren Mann bedeutet?«
Thora Rhodan da Zoltral schloss für einen kurzen Moment die Augen. Selbstverständlich konnte sie das. Für Perry Rhodan würde eine Welt zusammenbrechen. Aber er würde sich auch wieder fangen. Irgendwie. Und mit ihrer Hilfe.
»Er kämpft um sein Leben, Stella«, brachte sie leise heraus. »Und indirekt auch um meines und das der anderen Aktivatorträger. Was ich Ihnen jetzt sage, eröffne ich nur Ihnen, und ich werde es nicht wiederholen. Aber ich glaube, Sie sollten es wissen: Perry war bereit, den Unionsbeschluss zu akzeptieren. Er wäre lieber gestorben, als die Regeln und Gesetze der von ihm mitbegründeten Terranischen Union auf so elementare Weise zu verletzen – gerade weil er erlebt hat, wie viel Gutes und Schönes aus ihnen entstanden ist. Aber das konnte ich nicht zulassen. Also habe ich ihn vor vollendete Tatsachen gestellt. Ich habe sein Lebenswerk mit Füßen getreten, und anstatt mich dafür zu hassen, hat er meine Schuld auf sich genommen. Das ist die einzige Wahrheit, die für mich Bedeutung hat, Stella. Ich kann diesen Mann nicht einfach sterben lassen. Niemals! Und wenn ich dafür meine Seele, meine Integrität und den letzten Funken Stolz, den ich in mir trage, verkaufen muss, ist das ein Preis, den ich ohne Zögern bezahle.«
Lange Sekunden sagte niemand etwas.
Es war die Administratorin, die das Schweigen als Erste brach. »Ich werde tun, was ich kann.« Ihr Lächeln war aufrichtig und tat Thora gut.
»Sie haben schon so viel getan«, gab die Arkonidin zurück. »Schwächen Sie nicht Ihre eigene Position, indem Sie denen helfen, die bereits verloren sind.«
Stella Michelsen lachte herzlich. »Da ist sie wieder!«, rief sie. »Die Thora, die ich kenne und schätze. Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Ich glaube, ich würde mich im Spiel der Kelche auf Arkon I gar nicht so schlecht machen.«
Thora Rhodan da Zoltral nickte und lächelte zurück. »Ja, das glaube ich auch ...«