Читать книгу Perry Rhodan Neo 215: Botschafter des Imperiums - Rüdiger Schäfer - Страница 8

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4.

Amatae

Zuerst kamen die Schmerzen, dann folgte der Gestank.

Amatae verspürte ein heftiges Ziehen, das in ihrem rechten Knöchel begann und sich bis in die Leistengegend fortsetzte. Dazu kam ein starkes Druckgefühl in der Hüfte, das sich bei der geringsten Bewegung in ein unerträgliches Pochen verwandelte.

Sie versuchte, still zu liegen und nur durch den Mund zu atmen, doch der Gestank schien ein Eigenleben zu entwickeln und kroch wie von selbst in ihre Nase. Es roch nach Metall, nach verschmortem Kunststoff, nach verbrannten Haaren. Außerdem war da noch etwas anderes, irgendein Gas, das die Geruchsrezeptoren mit winzigen Nadeln traktierte und ihr die Tränen in die Augen trieb.

Amatae wusste, dass viele der Versorgungsleitungen durch die Hangars verliefen, weil dort bei einem möglichen Leck die Gefahr am geringsten war, dass Mehandor zu Schaden kamen. Wenn also eine der Leitungen defekt war, atmete sie im Moment womöglich etwas ein, was ihr nicht gut bekam.

Trotz der Schmerzen, die jede Bewegung durch ihren Körper schickte, stemmte sie sich in eine halbwegs sitzende Position. Ringsum herrschte rötliches Zwielicht. Von weiter entfernt drang ein Zischen zu ihr herüber. Irgendwo schlug Metall gegen Metall.

Als sie mit der Hand die schmerzende Hüfte abtastete, spürte sie klebrige Feuchtigkeit. Blut! Was sollte es sonst sein? Dann stießen ihre Finger auf etwas Hartes, Scharfkantiges. Es hatte sich in das weiche Gewebe zwischen unterem Rippenbogen und Becken gebohrt.

Es kostete Amatae einige Mühe, die aufwallende Panik niederzukämpfen. Sie war verletzt, ja, aber sie lebte noch. Die Druckwelle einer der Explosionen hatte sie erfasst und gegen einen Container geschleudert. Der Schmerz war nur kurz gewesen, dann hatte sie das Bewusstsein verloren. Nun musste sie die Nerven behalten und herausfinden, wie schlimm es wirklich war.

Ihre Umgebung bestand aus purem Chaos. Viele der Frachtbehältnisse waren aus ihren Verankerungen gerutscht, hatten sich ineinander verkeilt und bildeten nun einen ungeordneten Haufen aus eingedrückten Wänden, verbogenen Metallrahmen und geborstenen Verbindungsstreben. Es war ein mittleres Wunder, dass Amatae inmitten dieses Durcheinanders nicht zerquetscht worden war.

Sie lauschte angespannt. Die Hauptaggregate der VETRONA waren verstummt. Der Frachter atmete nicht mehr. Das unterschwellige Schnurren und Brummen, das sich nach und nach verstärkte, je näher man dem Maschinenraum kam, war verschwunden. Trieb das Walzenschiff etwa führungslos im All? Oder war die VETRONA gar auf die Oberfläche von Neptun gestürzt?

Amatae hatte sich niemals zuvor in ihrem Leben so machtlos und verzweifelt gefühlt. Darauf, dass ihr jemand zu Hilfe kam und sie aus ihrer misslichen Lage befreite, durfte sie nicht hoffen. Wenn es die VETRONA so schwer erwischt hatte, wie der Zustand des Hangars vermuten ließ, war sie womöglich die einzige Überlebende – ein Gedanke, der sie mehr als alles andere erschreckte.

Ich muss hier weg, dachte sie zum wiederholten Mal. Ich muss mich im Schiff umsehen und herausfinden, was passiert ist.

Immerhin: Künstliche Schwerkraft und Atmosphäre schienen intakt zu sein – sah man von dem stechenden Gasgeruch ab. Die Lebenserhaltungssysteme eines Raumschiffs liefen notfalls mehrere Tage über spezielle Notstromaggregate. Diese waren besonders geschützt und arbeiteten selbst dann noch, wenn der Rest nur ein Trümmerhaufen war. Was die altersschwache VETRONA betraf, hätte Amatae allerdings keine Wetten abgeschlossen.

Ihr erster Befreiungsversuch endete in einem Schmerzorkan. Amataes Schrei hallte geisterhaft durch den Hangar. Das scharkantige Etwas, wahrscheinlich der Teil eines beschädigten Containers oder ein Stück ihres zertrümmerten Kontrollpults, hatte sich tiefer als angenommen in ihren Körper gebohrt. Wenn sie Pech hatte, war eine der großen Arterien verletzt worden, und das Ding saß wie ein Korken in der Gefäßwand. Wenn sie es einfach herauszog, würde sie binnen kürzester Zeit verbluten.

Beim zweiten Mal ging sie behutsamer vor. Sie stützte sich mit beiden Armen ab und hob den Rumpf langsam an, indem sie den Rücken durchdrückte. Es tat höllisch weh, doch sie biss die Zähne zusammen und machte weiter. Sie konnte spüren, dass der Fremdkörper wie in Zeitlupe aus ihr herausglitt. Schweiß lief ihr in Strömen über das Gesicht und brannte in den Augen. Doch dann hatte sie es geschafft. Schwer atmend, gönnte sie sich ein paar Minuten, um wieder einigermaßen zu Kräften zu kommen, auch wenn sie diese Zeit eigentlich nicht hatte.

In ihren Eingeweiden rumorte es. Die verletzte Hüfte fühlte sich taub an. Amatae hatte nicht die geringste Ahnung, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Eventuell war ihr Rückenmark in Mitleidenschaft gezogen worden. Allerdings nutzte es ihr im Moment wenig, wenn sie sich alle möglichen Horrorszenarien ausmalte.

Während sie sich mühsam aufrichtete, fiel ihr Blick auf das gut zwanzig Zentimeter lange Metallstück, das wie ein Dolch von einem größeren Trümmerbrocken abstand. Es war mit Blut befleckt und jagte ihr den nächsten heftigen Schreck ein.

Instinktiv fuhr ihre Hand zu der tauben Stelle an ihrer Seite. Dort war die Kombination noch immer feucht, doch Amatae war sich einigermaßen sicher, dass die Blutung nachgelassen hatte. Trotzdem benötigte sie so schnell wie möglich medizinische Hilfe.

Die Trümmerwand lag wie ein unüberwindlicher Berg aus Stahl und Plastik vor ihr. Wie sollte sie jemals aus diesem Wirrwarr herausfinden? Egal – sie musste es zumindest versuchen. Nach und nach wich der erste Schock und wurde durch die bedrückende Erkenntnis ersetzt, dass die VETRONA havariert war. Infolge der modernen Technik konnte man an Bord eines Raumschiffs schnell vergessen, dass man sich trotz allem durch das lebensfeindlichste Medium bewegte, welches das Universum zu bieten hatte – und dass man in jeder einzelnen Sekunde nur durch ein paar dünne Schichten Metall und Kunststoff von ihm getrennt war.

Kurz darauf sah sie das erste Tier. Der schlangengleiche Körper einer Tigalischen Faulnatter war wie ein dickes Tau in der Mitte auseinandergerissen worden. Tröstlicherweise hatte sie zu den sedierten Exemplaren gehört und nicht gelitten. Dennoch saß Amatae ein dicker Kloß im Hals. Sie war für die bedauernswerte Kreatur verantwortlich gewesen, und nun war sie tot.

Ein dumpfes Knurren machte ihr auf drastische Weise bewusst, dass da auch einige wenige Tiere gewesen waren, die nicht im biologischen Tiefschlaf gelegen hatten. Erschrocken fuhr die Mehandor herum, doch sie sah nichts. Dafür bedankte sich ihr geschundener Körper für die schnelle Bewegung mit einer neuen Schmerzattacke.

Totras riechen das Blut ihrer potenziellen Beute auf zwei Kilometer Entfernung, fuhr es ihr durch den Kopf.

Sie wollte den Gedanken abschütteln, doch das gelang ihr nicht. Totras waren Jäger. Ihre komplette Biologie und ihr gesamtes Sinnen waren darauf ausgerichtet, die erheblichen Mengen an Frischfleisch zu beschaffen, die ihr permanent auf Hochtouren laufender Metabolismus benötigte. Und falls sich das Tier irgendwo im Hangar herumtrieb, war Amatae vorerst die einzige attraktive Nahrungsquelle, da Totras lebende Beute bevorzugten.

Das Erklettern des Trümmerbergs verlangte der Mehandor alles ab. Zwar war der Schmerz in der Leiste abgeebbt; dafür machte sich nun ihr Bein bemerkbar. Wenigstens schien nichts gebrochen zu sein. Bei einer Fraktur des Knochens hätte sie weitaus größere Schmerzen verspürt. Das wusste sie noch von einer der erfolgten Überlebensübungen, denen sich jedes Besatzungsmitglied regelmäßig zu unterziehen hatte.

Als Amatae irgendwann den höchsten Punkt des Trümmerhaufens erreichte, hatte sie keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war. Jeder Muskel tat ihr weh, und die Taubheit in ihrer Seite war von einem dumpfen Brennen abgelöst worden, als würde ihr Fleisch dort wie ein großes Stück Holzkohle langsam verglühen.

Keuchend blickte sie sich um. Soweit sie es im herrschenden Zwielicht erkennen konnte, gab es kaum einen Container, der noch intakt war. Der Hangar wirkte wie die Ruinenlandschaft einer durch einen schweren Bombenangriff zerstörten Stadt. An mehreren Stellen stieg Rauch auf und sammelte sich unter der hohen Decke.

Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr. Ganz in der Nähe klapperte es. Mehrere Trümmer rutschten in sich zusammen. Es zischte. Dann kehrte wieder Ruhe ein. Plötzlich empfand sie das allgemeine Chaos gar nicht mehr als bedrohlich. Wenn die Totra irgendwo dort herumschlich, würden die kreuz und quer stehenden Splitter und Metallfragmente dem Tier einen gezielten Angriff erheblich erschweren.

Amatae wischte sich die vom Schweiß tropfnassen Haare aus dem Gesicht. Sie fühlte einen leichten Schwindel, den sie auf ihre wachsende Erschöpfung zurückführte. Die Wirkung des Adrenalins, das im Blutstrom durch ihren Körper pulsierte, ließ nach. Wenigstens war das Stechen in der Nase verschwunden. Oder hatte sie sich lediglich daran gewöhnt?

Sie orientierte sich. Die geringste Zerstörung machte sie in Richtung des Tupanthi-Containers aus. Das war nicht ungewöhnlich, denn der Behälter war nicht nur besonders gesichert gewesen, sondern hatte auch einzeln gestanden.

Amatae seufzte. Der Weg dorthin würde nicht einfach werden. Sogar ohne ihre Verletzungen wäre die Kletterpartie über die Trümmerwüste, die sich vor ihr erstreckte, ein riskantes Unterfangen gewesen. Aber sie hatte keine Wahl. Und je früher sie sich aufraffte, desto wahrscheinlicher war es, dass ihre Kräfte nicht schwanden, bevor sie ihr Ziel erreichte.

Eine Viertelstunde später war sie am Ende. Die Energie schien geradezu aus ihrem Körper herauszufließen, und mit jeder Sekunde wurde das Zittern ihrer Glieder stärker. Außerdem hatte ihre Hüftwunde erneut zu bluten begonnen. Tränen liefen ihr über die Wangen; teilweise aus Verzweiflung, teilweise aus Wut über die eigene Schwäche.

Sie fühlte sich wie ein Roboter, wie eine Maschine, die ihre Arme und Beine nach einem simplen Programm bewegte, bis die Batterie irgendwann leer sein würde und sich alle Systeme abschalteten. Sie spürte, dass dieser Zeitpunkt nicht mehr weit entfernt war.

Nachdem sie die letzten Hindernisse überwunden hatte und plötzlich auf dem eigentlichen Hangarboden stand, begriff sie es zunächst gar nicht. Sie war lediglich verwirrt, weil der Weg auf einmal frei und unverstellt vor ihr lag. Mit einem Schluchzen brach sie in die Knie, fiel nach vorn und kam auf allen vieren zur Ruhe.

Minutenlang verharrte sie bewegungslos in dieser Position. In ihrem Kopf herrschte eine schwer in Worte zu fassende Leere. Es schien, als hätten sich alle Gedanken, alle Gefühle, alles, was sie wusste und was ihre Persönlichkeit ausmachte, ins Unterbewusstsein zurückgezogen. Ihr Verstand war eine ausgetrocknete Ebene, und für einen Moment befiel sie die lähmende Angst, dass sich das nie mehr ändern würde. Doch dann kehrten die Gedanken zurück. Erst einige wenige, dann – mit einem Schlag – alle anderen. Es war, als bräche sie nach einem endlos langen Tauchgang in einem dunklen See endlich durch die Wasseroberfläche und schnappe gierig nach Luft.

Amatae quälte sich auf die Beine. Als sie sich zur Seite drehte, sah sie die Notfallbox an der Wand. Die signalgelbe Farbe leuchtete ihr wie eine kleine Sonne entgegen. Amatae wankte darauf zu und riss die Plombe von dem breiten Schnappverschluss. Die Vorderseite sprang auf, und die Hälfte des Inhalts fiel ihr entgegen. Nun erst bemerkte sie, dass sich der gesamte Hangar um einige Grad geneigt hatte. Zwischen den Trümmern war ihr das gar nicht aufgefallen.

Die Mehandor griff nach den Beuteln mit der Vitaminpaste und steckte sich zwei davon in den Mund. Die dünne Hülle fühlte sich wie Plastik an, bestand aber aus einer Algenmasse, die sich schnell auflöste und direkt mitverzehrt werden konnte. Mit einem fingerlangen Injektorstift injizierte sie sich ein Schmerzmittel und einen Kreislaufstabilisator. Sie riss eine Direktkompresse aus ihrer sterilen Verpackung und drückte das weiche Material auf die Hüftwunde. Innerhalb weniger Sekunden verband sich die nanoaktive Oberfläche mit ihrer Haut. Gerinnungsfördernde Substanzen und ein spezieller biologischer Klebstoff sorgten dafür, dass sich die Wunde schnell verschloss. Augenblicklich fühlte sich Amatae besser, und mit dem körperlichen Wohlbefinden kehrte auch ein Teil ihrer Zuversicht zurück.

Sie schob sich den Rest der Vitaminbeutel, ein halbes Dutzend Nahrungskonzentrate und den neu geladenen Injektorstift in die Taschen ihrer Kombination. Dann wandte sie sich dem Tupanthi-Container zu und musterte ihn genauer. Ihr war schon zuvor aufgefallen, dass etwas anders war, als sie es in Erinnerung hatte. Nun erst erkannte sie, was sie störte.

Eine Seite des Behälters war fast über die gesamte Länge aufgerissen. Die Stabilisierungsstreben waren gebrochen und gaben den Blick ins Innere frei.

Amatae fröstelte.

Der Container war leer! Und der Tupanthi war spurlos verschwunden!

Perry Rhodan Neo 215: Botschafter des Imperiums

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