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1. „So gar nicht wie ein Mädchen von zwölf Jahren“ Eine Kindheit in Steventon (1775–1786)

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Mehr als ihr halbes kurzes Leben verbrachte Jane Austen in dem kleinen Dorf Steventon in Hampshire. Ein verschlafenes Nest unter vielen: grün, hübsch und freundlich, aber wenig spektakulär. Janes Mutter Cassandra soll beim Anblick ihres zukünftigen Zuhauses kurz vor ihrer Hochzeit mit George Austen ein wenig enttäuscht gewesen sein, konnte die Landschaft hier mit ihren sanften Hügeln und seichten Tälern doch nicht mit der ihrer Heimat Gloucestershire mithalten. Bis heute hat sich die Gegend kaum verändert. Wer durch Hampshire reist, der wird angesichts der gewundenen und von Ulmen und Eichen gesäumten Wege keine Schwierigkeiten haben, sich hier das Leben einer Pastorentochter im 18. Jahrhundert vorzustellen.

So unaufregend Steventon selbst auch war, glücklicherweise lag es auch für damalige Verhältnisse recht günstig: London war nur etwa 100 Kilometer entfernt, eine Tagesreise mit der Kutsche, und Basingstoke, wo im Winter einmal im Monat zum County Ball geladen wurde, war in etwa einer Stunde zu erreichen. Auch auf die Post war Verlass, die Kutsche nach London hielt zweimal am Tag in Deane, eine halbe Stunde Fußweg vom Pfarrhaus entfernt.

Das Pfarrhaus von Steventon, Janes Geburtshaus, wurde in den frühen 1820er-Jahren abgerissen und an anderer Stelle durch ein neues, herrschaftlicheres ersetzt. Lediglich eine alte Pumpe, die im Garten des früheren Pfarrhauses gestanden haben soll, trotzt noch immer der Zeit und steht beharrlich mitten auf der Wiese. Beschreibungen von Zeitgenossen und umfangreiche Grabungen in jüngster Vergangenheit lassen trotz dieser kargen Überreste ein ungefähres Bild entstehen: Das Haus, in dem Jane Austen die ersten 25 Jahre ihres Lebens verbrachte, hatte zwei Stockwerke und sieben Zimmer. Groß genug, aber nicht gerade repräsentativ für eine Familie mit acht Kindern (von denen allerdings eines nicht hier lebte), Personal und den einen oder anderen Schüler, den Vater George aufnahm und unterrichtete, um die Familienkasse aufzubessern. Auch die Verwandtschaft mietete sich regelmäßig bei den Austens ein und blieb oft über Wochen und Monate. Janes Neffe James Edward Austen-Leigh, der Sohn ihres ältesten Bruders James und Autor der ersten Jane-Austen-Biografie A Memoir of Jane Austen, beschreibt das Haus der Austens als zwar überdurchschnittlich im Vergleich zu anderen Pfarrhäusern jener Zeit, bemängelt aber doch dessen Einfachheit, den fehlenden Stuck an den Decken und die „nackte Schlichtheit“ der einfach verputzten Deckenbalken im Erdgeschoss. Das Gesamturteil des Hauses lautet ähnlich wie jenes für die Landschaft, in der es stand: schlicht, aber gemütlich. Im unteren Stockwerk befanden sich Küche und Esszimmer, ein Nähzimmer für Mutter Cassandra mit Blick auf sich eventuell nähernden Besuch und ein Arbeitszimmer für Vater George. Im Obergeschoss lagen die Schlafzimmer. Jane und ihre einzige Schwester Cassandra teilten sich ein Schlafzimmer und einen Ankleideraum, in dem sie stickten und nähten, malten, musizierten und lasen. Er war eingerichtet mit einem kleinen Tisch, Janes Klavier, einem schokoladenbraunen Teppich und einem ovalen Spiegel zwischen den Fenstern. Hier war es auch, wo die etwa zwölfjährige Jane zu schreiben begann und wo später die ersten Versionen von Verstand und Gefühl (Sense and Sensibility) und Stolz und Vorurteil (Pride and Prejudice) entstanden.


Karte von Südengland

Beeindruckender als das Innere des Pfarrhauses muss der Garten gewesen sein, der sich dahinter erstreckte und in dem Mutter Cassandra Austen, wie sie es zeit ihres Lebens tat, pflanzte, jätete, erntete. Sie war eine der Ersten, die Kartoffeln züchtete, und als sie bei einem Besuch der Frau eines Pächters das Gleiche empfahl, antwortete diese: „Nein, nein, sie mögen gut für die feinen Leute sein, aber mit Sicherheit ist ihre Zucht furchtbar teuer.“ Ein schattiger Weg führte unter alten Erlen hindurch, vorbei an üppigen Gemüse- und Blumenbeeten. Hier und da standen alte Bänke im Schatten großer Hecken.


Jane Austens Geburtshaus in Steventon

Das restliche Steventon war schnell erschlossen: im Süden das Herrenhaus, bewohnt von der Familie Digweed, mit deren Sprösslingen die Austen-Kinder viel spielten, und ein ungepflasterter, nach Bedarf schaufelweise mit Kies ausgebesserter Weg hinauf nach St. Nicholas, einem schlichten Bau aus dem 12. Jahrhundert, in dem Jane Austen getauft wurde. Auf der Kirchturmspitze erinnert heute eine Wetterfahne in Form eines Federkiels an die Schriftstellerin.

Die Familie, in die Jane Austen hineingeboren wurde, gehörte zur Gentry, der landbesitzenden Oberschicht Englands, an deren unterem Rand sich das gehobene Bürgertum befand, am oberen der niedere Adel. Eine starke, einflussreiche Klasse zu Janes Jugendzeit. Janes Mutter Cassandra entstammte einer vornehmeren Familie als ihr zukünftiger Ehemann, sie war eine geborene Leigh aus Gloucestershire, die ihren Vornamen von ihrer Großtante erhielt, der Herzogin von Chandos. Unter ihren Vorfahren waren so illustre Personen wie Sir Thomas White, Gründer des St. John’s College in Oxford im Jahr 1555, oder Sir Thomas Leigh, Londons Oberbürgermeister zur Zeit der Thronbesteigung durch Elizabeth I.

Cassandra, geboren 1739 als Tochter eines Geistlichen, wird als eigenwillige, humorvolle Frau beschrieben, von der Jane die hervorstechenden Eigenschaften erbte, die sie zum Schreiben in so besonderem Maße befähigten: „Sie vereinte einen gesunden Menschenverstand mit lebhafter Fantasie und drückte sich in Briefen und im Gespräch oft sehr pointiert und mit großer sprachlicher Kraft aus“, so charakterisierte sie Austen-Biograf James Edward Austen-Leigh. Cassandra scheute sich nicht anzupacken, sie war eine kleine, energiegeladene Frau, die unentwegt in ihrem Garten arbeitete und auch wusste, wie man ein Schwein schlachtete. Je älter sie wurde, desto zahlreicher wurden allerdings ihre Zipperlein, was ihre Töchter hin und wieder entnervt kommentierten. „Es tut mir leid, dass meine Mutter so leidet“, schrieb Jane etwa an Cassandra, „und ich fürchte, das vorzügliche Wetter ist zu gut, um ihr zu bekommen“ (Dezember 1815). Allen Klagen zum Trotz überlebte Cassandra am Ende ihren Mann, zwei ihrer Kinder und fünf Schwiegertöchter und wurde stolze 88 Jahre alt.

Ob es Liebe war, die Cassandra Leigh und George Austen zueinander führte, oder doch die Tatsache, dass Cassandra zwar eine recht gute Partie, aber immerhin schon 25 Jahre alt und mit ihrer eigenwilligen Art nicht gänzlich einnehmend war, lässt sich nicht entscheiden. Es ist aber gut vorstellbar, dass George an Cassandras Witz und Spitzzüngigkeit Gefallen fand, sollte er doch später genau diese Eigenschaften bei seiner jüngsten Tochter erkennen und fördern.

Cassandra Leigh und George Austen heirateten im April 1764 in Bath, vier Jahre, nachdem sie sich in Oxford kennengelernt hatten. Dort gehörte Cassandras Vater zum Hochschulpersonal und dort war George 1761 ordiniert worden, nachdem sich sein Onkel Francis, ein wohlhabender Rechtsanwalt, seiner Ausbildung angenommen hatte.

George Austen, Spross einer verarmten Tuchhändlerfamilie aus Kent, war im Alter von neun Jahren bereits Vollwaise gewesen und auf die Zuwendung seines Onkels bitter angewiesen. Francis kaufte ihm später noch die Pfarre im Nachbarort Dean, wohin George und seine frisch Angetraute zunächst zogen. Thomas Knight von Godmersham in Kent, sein zweiter wichtiger Gönner, übertrug ihm zusätzlich diejenige in Steventon, sodass sich George ab 1771 ein nicht eben luxuriöses, aber dennoch behagliches Leben mit seiner schnell wachsenden Familie erlauben konnte. Die Austens hatten genug, um sich Personal, zwei Pferde und eine Kutsche leisten zu können und sicherzustellen, dass ihre Söhne es zu etwas bringen würden. Geld genug, dass ihre zwei Töchter wählerisch sein durften, war nicht vorhanden.


Vater George Austen (1731–1804)

Reverend Austen widmete sich gewissenhaft seiner Aufgabe als Pastor einer kleinen Gemeinde, doch seine Leidenschaft gehörte anderen Dingen. Er war ein Mann der Bücher und ein engagierter Lehrer; er unterrichtete alle seine Kinder größtenteils zu Hause, anstatt sie zu diesem Zweck fortzuschicken, und nahm auch Söhne aus wohlhabenden Familien auf, die sich die außerhäusliche Erziehung leisten konnten. Das erste Kind, das bei den jungen Eheleuten einzog, war kein leibliches, sondern George Hastings, Sohn des Generalgouverneurs von Britisch-Indien, Warren Hastings. Der kleine George war mit nur drei Jahren von Indien nach England verschifft worden, in die Obhut George Austens, und sollte seinen in Indien zurückbleibenden Vater nie wieder sehen. Das Kind starb mit sechs Jahren an Diphtherie, worüber die Austens sehr unglücklich waren. Die Verbindung zu Warren Hastings allerdings blieb bestehen: George Austen hatte eine Halbschwester, Philadelphia, die nicht das Glück hatte, wie ihr Bruder Bildung bezahlt zu bekommen, sondern mit 20 Jahren auf ein Schiff nach Indien gesetzt wurde, in der Hoffnung, sie möge dort einen Mann finden, der sie versorgt. So geriet Philadelphia an den britischen Arzt Tysoe Saul Hancock, der ihr stärker zugetan war als sie ihm und ihr vielleicht aus diesem Grund keine Fragen stellte, als sie ihm endlich, nach fast zehn kinderlosen Ehejahren, eine Tochter gebar. Etwa ein Jahr zuvor hatte Philadelphia über ihren Mann den schneidigen Warren Hastings kennengelernt, und es war ein offenes Geheimnis, wessen Kind das Mädchen tatsächlich war. Nach Tysoe Hancocks Tod 1775, einen Monat vor Janes Geburt im Dezember, reiste Philadelphia mit ihrer Tochter zurück nach England und verbrachte in den kommenden Jahren viel Zeit bei der Familie ihres Bruders in Steventon. Hastings selbst übernahm die finanzielle Versorgung der beiden. Dieses kleine Mädchen namens Betsy sollte als schillernde Eliza de Feuillide noch eine spannende Nebenrolle in Jane Austens Leben spielen, und auch für die Jane-Austen-Forschung ist sie von großer Bedeutung, denn aus ihren Briefen an Philadelphia Walter (eine weitere Cousine Janes) erfahren wir einiges über die Schriftstellerin.


Mutter Cassandra Austen (1739–1827)

Es grenzt an ein Wunder, dass jedes der acht leiblichen Austen-Kinder erwachsen werden durfte, war die Säuglings- und Kindersterblichkeit zu jener Zeit doch extrem hoch. Nur ein Sprössling, der 1766 als zweiter Sohn geborene George, war nicht ganz gesund. Den damaligen Gepflogenheiten entsprechend, wurden alle Kinder der Austens nach der Geburt ins Dorf zu einer Amme gegeben, die sich kümmerte, bis man halbwegs etwas mit den Kleinen anfangen konnte, bis sie laufen und sich ansatzweise verständlich machen konnten. Zu Besuch kam man regelmäßig, doch zu frühkindlicher Bindung oder zu irgendwelchen Bedürfnissen der Kinder über satt, sauber, trocken hinaus hatte man freilich keine Meinung. Da George sein gesamtes Leben bei einer anderen Familie im Dorf verbrachte und sich die Austens auch weitgehend über dieses Kind in Schweigen hüllten, sind die genauen Umstände seines Schicksals ungewiss. Es sind lediglich zwei Erwähnungen erhalten, eine davon stammt aus einem Brief von Mutter Cassandra aus dem Jahr 1770:

„Mein armer kleiner George kam mich heute besuchen, es scheint ihm recht gut zu gehen, obwohl er kürzlich einen Anfall hatte; es sind fast zwölf Monate vergangen seit seinem letzten, also hatte ich gehofft, er wäre von ihnen befreit, doch nun darf ich mir nichts mehr vormachen.“

Hatte George vielleicht epileptische Anfälle? War er geistig zurückgeblieben? Jane erwähnt 1808 in einem Nebensatz, dass sie „mit den Fingern gesprochen“ habe. Daraus leiten einige Biografen ab, dass sie die Gebärdensprache erlernt hatte, um mit ihrem tauben oder taubstummen Bruder kommunizieren zu können. Was auch immer sein Leiden war, George wurde immerhin 72 Jahre alt.

Der Erstgeborene James (1765 bis 1819) teilte mit Jane das Interesse an Literatur vermutlich am stärksten. Er selbst schrieb, in erster Linie Gedichte, und war während seiner Studienzeit in Oxford zusammen mit seinem Bruder Henry Herausgeber einer Zeitschrift namens The Loiterer. Zwar erschienen die insgesamt 60 Ausgaben lediglich im Zeitraum eines Jahres, doch wurden sie durchaus bemerkt und besonders James, der den Löwenanteil von 29 Essays beisteuerte, wird oft als maßgeblicher Ideengeber und Richtungsweiser für seine kleine Schwester Jane angegeben, die inspiriert durch den großen Bruder schon früh ihre eigene Stimme finden konnte. Ob sie tatsächlich, wie weitgehend vermutet, selbst etwas beitrug, lässt sich nicht eindeutig belegen, nachvollziehbar ist aber in jedem Fall der Gedanke, dass sich über das literarische Ausprobieren der Brüder auch Janes Ton herausbildete: Ihr Jugendwerk ist ähnlich ironisch-sarkastisch und nimmt wie The Loiterer den sentimentalen Frauenroman aufs Korn. Bei diesen Überlegungen spielen auch die Theaterstücke eine Rolle, die die Austen-Kinder im Sommer in der Scheune und im Winter im Esszimmer aufführten. James war hier federführend. Die Aufgeschlossenheit der Eltern und älteren Geschwister jedenfalls, die Experimentierfreude und der Spaß an Sprache sorgten insgesamt für ein intellektuelles Klima im Hause Austen. Dass James später doch in die Fußstapfen seines Vaters trat, 1805 die Pfarre in Steventon übernahm und dann das relativ ereignislose Leben eines Dorfpfarrers führte, mag an seinem Selbstwertgefühl genagt haben. Jedenfalls muss er mit zunehmendem Alter recht unwirsch und freudlos geworden sein, wenn sich sogar Jane, die die Mitglieder ihrer Familie in hohem Maße schätzte und kaum kritisierte, negativ über ihn äußerte und seine Ungeduld und Launenhaftigkeit monierte. James Austen war zweimal verheiratet. Seine erste Frau Anne Mathew, eine Nachfahrin des Herzogs von Ancaster, starb früh und hinterließ die gemeinsame Tochter Anna. Mit der zweiten, der langjährigen, wenn auch nicht gerade wohlgelittenen Freundin Mary Lloyd, bekam er Caroline und James Edward. Alle drei Kinder stellen mit ihren biografischen Notizen über ihre berühmte Tante heute wertvolle Quellen für die Jane-Austen-Forschung dar.


James Austen (1765–1819), Janes ältester Bruder

Edward (1768 bis 1852), Cassandras Lieblingsbruder und als Kind von allen Neddy genannt, war ein heiterer, liebenswürdiger, aber nicht besonders ambitionierter Mann. Er hatte das große Glück, dass die Familie Knight einen Narren an ihm gefressen hatte, ihn adoptierte und zum Alleinerben des Vermögens und der beiden Herrensitze in Chawton (Hampshire) und Godmersham (Kent) machte, wo er die meiste Zeit wohnte. Der Vater von Edwards Gönner war der bereits erwähnte Thomas Knight, der schon George Austen ein Auskommen gesichert hatte. Edward Austen, ab 1812 Edward Knight, heiratete 1791 Elizabeth Bridges, die 1808 bei der Geburt des elften Kindes starb, woraufhin die Austen-Schwestern im Wechsel nach Godmersham reisten, um ihrem Bruder und den Kindern zu helfen. Dieser Tragödie verdanken wir die zeitweilige Trennung der Schwestern und damit eine beträchtliche Anzahl an Briefen von Jane an Cassandra. Die beim Tod ihrer Mutter erst fünfzehnjährige Fanny, von der nun erwartet wurde, dass sie ihre Mutter vertrete, so gut es ging, entwickelte sich zu Janes Lieblingsnichte. Dieser Kontakt wiederum bescherte uns einige der raren Äußerungen zu persönlichen Ansichten Jane Austens, sie wurde zu Fannys vorsichtigem Ratgeber in Sachen Liebe. Heute ist Fanny, die spätere Lady Knatchbull, bei Jane-Austen-Fans und -Forschern wegen ihrer gehässigen Äußerungen über ihre Tante weitgehend in Ungnade gefallen.


Edward Austen (1767–1852) wurde in jungen Jahren von Thomas Knight adoptiert.

Der vierte Sohn war Henry (1771 bis 1850). Er wird als geistreich und lebendig beschrieben, der schönste der ohnehin recht ansehnlichen Austen-Männer und Janes Lieblingsbruder. Er hatte also alles, was es brauchte, um im Leben Erfolg zu haben. Zunächst besuchte er wie seine Brüder das St. John’s College in Oxford, danach ging er zum Oxford-Regiment und wurde dort sogar Oberst, ein vielversprechender Anfang. Doch seine Heirat mit der zehn Jahre älteren und lange umworbenen Cousine Eliza de Feuillide (ehemals Betsy) brachte den ersten beruflichen Wechsel: Die beiden zogen nach London, wo Henry sich und seiner weltgewandten Frau als Banker ein Leben von einigem gesellschaftlichen Ansehen ermöglichen konnte. Hiervon profitierte auch Jane, die regelmäßige Ausflüge in die Hauptstadt unternahm. Im Jahr 1813 starb Eliza, und wenig später ging die Bank, die Henry mitgegründet hatte, bankrott. Henry beschloss sein Leben, neuverheiratet aber kinderlos, wie sein Vater und ältester Bruder als Geistlicher. Für Jane spielte Henry als ihr geschäftstüchtiger Berater, eine Art Literaturagent, eine wichtige Rolle, war es ihr doch als Frau nicht möglich, selbst in Verhandlung mit Verlagen zu treten. Sie vertraute ihrem Bruder nicht nur ihre Manuskripte an, sie bat ihn auch um Diskretion bezüglich der Autorenschaft – aber Henry war zu stolz und zu mitteilsam, und so wurde kurz vor Janes Tod das Geheimnis um die Verfasserangabe „By a lady“ gelüftet.


Henry Austen (1771–1850), Janes Lieblingsbruder

Und dann endlich kam Cassandra (1773 bis 1845), Janes einzige Schwester und ihre Seelenverwandte. Für Cassandra war Jane die „Sonne ihres Lebens“ und an dem legendären Zitat ihrer Mutter, dass, wenn Cassandra ihr Kopf abgeschlagen würde, Jane mit Freuden ihr Schicksal teilen würde, ist wahrscheinlich sogar etwas dran. Der größte Teil der erhaltenen Briefe von Jane Austen ist an Cassandra gerichtet, und es ist ein Jammer, dass nicht ein einziger Brief von Cassandra an Jane erhalten ist. Denn glaubt man ihrer Schwester, muss sie eine brillante Schreiberin gewesen sein:

„Der Brief, den ich just in diesem Moment von dir erhalten habe, hat mich über alle Maßen erheitert. Ich könnte mich darüber totlachen, wie man früher in der Schule gesagt hat. Du bist wahrhaftig die beste humoristische Schriftstellerin der Gegenwart.“ (1. September 1796)

Im Vergleich zu Jane wird Cassandra als kühler und ruhiger beschrieben, sie zeigte ihre Gefühle nicht so offen wie ihre Schwester und hatte ein „weniger sonniges Gemüt“. Wie dem auch sei, Jane betrachtete Cassandra immer als „weiser und besser“ als sich selbst. Wie Jane blieb Cassandra zeit ihres Lebens unverheiratet. Sie verlobte sich allerdings 1795 mit Thomas Craven Fowle, einem ehemaligen Schüler ihres Vaters, dessen Familie mit den Austens befreundet war. Thomas hatte eine Pfarrstelle in Allington, Wiltshire, die jedoch nicht einträglich genug war, um eine Familie zu gründen. Weil ihm eine andere in Aussicht gestellt wurde, die aber noch nicht frei war, segelte er zur Überbrückung mit seinem Cousin Lord Craven als Kaplan in die Karibik – und starb dort an Gelbfieber. Cassandra verbrachte ihr restliches Leben an der Seite von Schwester und Mutter und kümmerte sich, als diese gestorben waren, vermehrt um die Armen in ihrer Gemeinde in Chawton. Viel ist es nicht, was wir über die treueste Gefährtin der Schriftstellerin wissen.


Schattenriss von Cassandra Austen (1773–1845), Janes Schwester und engste Vertraute

Der fünfte Sohn, Francis (1774 bis 1865), legte eine steile Karriere bei der Marine hin, er war der Stolz der Familie. „Der Offizier, der in der Kirche kniet“, brachte es bis zum Flottenadmiral und starb über neunzigjährig und hoch angesehen als Sir Francis William Austen. Ein pflichtbewusster, loyaler Mann, gerecht und diszipliniert, immer leicht an der Grenze zur Pedanterie, wie die vielberichtete Anekdote beweist, nach der Francis seine Taschenuhr zum Uhrmacher brachte, weil diese zehn Sekunden nachging. Schon als kleiner Junge war er ehrgeizig: Mit sieben kaufte er sich für ungefähr ein Pfund ein eigenes Pony, trainierte es zwei Jahre lang und verkaufte es dann für das Doppelte weiter. Francis, von der Familie auch Frank genannt, wusste früh, dass er nicht in Oxford studieren, sondern zur See fahren wollte, und mit zwölf Jahren wurde er seinem Wunsch entsprechend auf die Marineakademie nach Portsmouth geschickt. Mit nur 14 Jahren besegelte er die Weltmeere, mit 18 war er Leutnant, dann Offizier und schließlich Kapitän. Francis muss im Vergleich zu seinen Brüdern gewusst haben, was Entbehrung bedeutet, denn die Ausbildung auf einem Kriegsschiff war bestimmt von Drill und Disziplin. Der Krieg gegen Napoleon führte zu jahrelanger Abwesenheit, die britische Flotte war immer im Einsatz, und es gab genug Gelegenheiten für Francis, sich auszuzeichnen. 1806 heiratete er Mary Gibson und bekam mit ihr elf Kinder, genau wie sein Bruder Edward mit seiner Frau. 1823 starb die bei den Austens sehr beliebte Mary, und Francis heiratete die Jugendfreundin Martha Lloyd, die Schwester von Mary Lloyd, die in zweiter Ehe mit James Austen verheiratet war.


Francis Austen (1774–1865) machte Karriere bei der Marine.

Der jüngste Spross des Austen-Clans, Charles (1779 bis 1852), eiferte seinem großen Bruder nach und machte ebenfalls bei der Marine Karriere. Wenn ihm auch der Sir verwehrt blieb – er war in seinem Beruf wie im Privatleben äußerst beliebt und angesehen, ein unbekümmerter, entspannter Mann, ausgeglichener als Francis. Charles war zweimal verheiratet: mit der Tochter des Justizministers der Bermudainseln und, nach deren Tod, mit ihrer Schwester. Er hatte insgesamt sieben Kinder und starb auf seinem Schiff in Burma an der Cholera.


Charles Austen (1779–1852), Janes jüngster Bruder

Es ist bezeichnend, dass von allen männlichen Familienmitgliedern repräsentative Porträts existieren, vom betagten Francis sogar eine Fotografie, wir uns das Aussehen von Mutter und Schwestern jedoch mithilfe von Aussagen anderer selbst zusammenreimen müssen. Die vorliegenden Schattenrisse sind derart unterschiedlich, dass sie kaum einen Anhaltspunkt bieten. Man kann von Glück sagen, dass Cassandra gerne zeichnete und malte und es daher neben einer Rückenansicht wenigstens ein halbwegs glaubwürdiges Porträt ihrer Schwester gibt.

Der „schöne Proktor“, wie Vater George Austen zu Studienzeiten genannt worden war, hatte seine guten Gene großzügig an seine Kinder weitergegeben. Die zwei Schwestern waren groß und schlank, Cassandra ein wenig gefälliger als Jane, dafür besaß diese wohl ein besonderes Charisma, das die Menschen entweder als eigenwillig empfanden oder sie gerade für die jüngere Schwester einnahm. Ihre Tante Philadelphia Walter, George Austens bereits erwähnte Halbschwester, war der jungen Jane weniger zugetan:

„Die jüngste (Jane) ist ihrem Bruder Henry sehr ähnlich, überhaupt nicht hübsch und sehr spröde, so gar nicht wie ein Mädchen von zwölf Jahren. […] Jane ist launisch und affektiert.” (Juli 1788)

Eliza de Feuillide hingegen beschreibt sie und Cassandra einige Jahre später als „zwei der hübschesten Mädchen Englands“. Sie seien „perfekte Schönheiten“, und eroberten „dutzendweise Herzen“ (August 1791). Eliza gab Jane den Vorzug, was auch an der Zuneigung Janes ihr gegenüber gelegen haben mag; Eliza war exotisch und extrovertiert, im Alltag der Heranwachsenden mit Sicherheit eine inspirierende Abwechslung.

James Edward Austen-Leigh beschreibt Jane in seinem Memoir wie folgt:

„Sie war sehr attraktiv; ihre Gestalt eher groß und schlank, ihr Schritt leicht und fest und ihre ganze Erscheinung sprühte vor Gesundheit und Lebendigkeit. Sie besaß den satten Teint einer Brünetten; sie hatte volle, runde Wangen, wohlgeformt waren Mund und Nase, ihre Augen haselnussbraun und ihr braunes Haar umrahmte in natürlichen Locken ihr Gesicht. Wenn sie auch nicht so ebenmäßig hübsch war wie ihre Schwester, so hatte ihr Antlitz in den Augen der meisten Betrachter doch einen ganz eigenen Charme.“

Der Beschreibung Austen-Leighs ist wohl eher zu trauen als der ebenfalls vielzitierten ihres Bruders Henry, der sich mit seinen gnadenlos weichgezeichneten Aussagen zu seiner berühmten Schwester teilweise recht dicht am Karikaturesken bewegt. Man mag sich jedenfalls vorstellen, dass Jane selbst herzlich über Henrys Worte gelacht hätte:

„Sie besaß eine beachtliche Menge an persönlichen Vorzügen. Ihre Statur war höchst elegant. Ein wenig größer, und sie hätte das Mittelmaß überschritten. Ihre Haltung und ihr Auftreten waren zurückhaltend und doch würdevoll. Ihre Züge waren besonders schön. Deren Zusammenspiel erzeugte den unübertroffenen Ausdruck der Heiterkeit, des Zartgefühls und Wohlwollens, die ihr wahres Wesen ausmachten. Ihr Teint war von feinster Beschaffenheit. Es darf behauptet werden, dass ihr beredtes Blut durch ihre bescheidenen Wangen sprach. Ihre Stimme war über alle Maßen süß. Sie drückte sich mit Gewandtheit und Präzision aus. Wahrhaftig, sie war wie geschaffen für eine elegante und vernünftige Gesellschaft.“

So befremdlich und albern man heute die Schönfärbereien der Familie findet – es entsprach dem Verständnis und Bedürfnis der Zeit, die Dinge in ein möglichst günstiges Licht zu rücken, und die Übertreibungen dieser Äußerlichkeiten geben einen Hinweis darauf, wie schwer es die Biografen von Jane Austen haben, unter all den viktorianisch drapierten Schichten die Schriftstellerin freizulegen, deren Temperament und Intelligenz es ihr unmöglich machten, „Zuflucht in der Stille“ (Henry Austen) zu suchen. Interessant sind auch die Eindrücke, die eine Spur Unbehagen und Befremdung verraten. Jane Austen hatte sich mit zwölf Jahren entschieden, was ihr gefiel. Was ihr nicht gefiel, wurde recht gnadenlos der Lächerlichkeit preisgegeben. Ihre Jugendschriften lassen auf ein schlaues, vielleicht manchmal sogar unheimlich schlaues und willensstarkes Kind schließen, dass in seiner pubertären Hochzeit möglicherweise ein wenig anstrengend werden konnte.

Die Familie war immer Dreh- und Angelpunkt in Jane Austens Leben, in diesem Punkt darf Mansfield Park (1811) wohl autobiografisch gelesen werden:

„Die Kinder einer Familie, mit dem gleichen Blut, mit den gleichen frühen Vorstellungen und Gewohnheiten, haben die Kraft einer ganz bestimmten Freude aneinander, die keine spätere Verbindung zu geben vermag; und es muss schon eine lange und unnatürliche Entfremdung gegeben haben, eine Trennung, die keine spätere Verbindung rechtfertigen kann, wenn diese wertvollen Überreste der frühesten Verbundenheit komplett ausgelöscht werden können.“ (MP 24/523)

Dass die Verbindung zu den einen stärker ausfiel als zu den anderen, ist nur natürlich, doch allen Berichten zufolge muss das Familienleben in Steventon insgesamt recht unbeschwert gewesen sein, mit für die damaligen Verhältnisse viel Raum zum Sich-Ausprobieren, zum Lernen und zum Kindsein.

Bei den Austens wurde viel gelesen, besonders Romane. Im Dezember 1798 berichtete Jane ihrer Schwester von einer gewissen Mrs Martin, die plante, in der Gegend eine Leihbibliothek zu eröffnen, wie sie gerade überall in England entstanden, und die erfolgreich versuchte, die Austens als Abonnenten zu gewinnen:

„Als Anreiz zu abonnieren informiert uns Mrs Martin darüber, dass ihre Sammlung nicht allein aus Romanen bestehen werde, sondern aus aller möglichen Literatur etc. – das hätte sie sich bei unserer Familie sparen können, wir sind große Romanleser und schämen uns nicht dafür.“

Solche Leihbibliotheken lieferten den lesehungrigen Kindern alle Werke jener Autoren, die man kennen musste, um sich am Streit um eine Literaturgattung zu beteiligen, die von einem guten Teil der intellektuell tonangebenden Gesellschaft als banal und geistlos, als jugendgefährdend und verdammenswert empfunden wurde. Tom Jones, Camilla, Tristram Shandy – so hießen die Helden der heranwachsenden Jane Austen, und auch den leidenden Werther hatte sie gelesen. Zwar gibt es keine überlieferte Literaturtheorie Jane Austens, doch wird an vielen Stellen deutlich, auf welcher Seite sie selbst in dieser Diskussion stand: Im eigenen Werk sind es immer die Angeber, die Aufschneider, die Einfältigen und die Verbohrten, die Romane ablehnen. Austens Helden hingegen lesen sie allesamt mit großer Leidenschaft. Konkret wird Jane Austen in Kloster Northanger, ihrem einzigen durch und durch satirischen Werk, wenn man von den Juvenilia absieht. Hier ist es die junge, unbedarfte Antiheldin Catherine Morland, deren Lesebedürfnis die allwissende Erzählerin mit von Satz zu Satz zunehmender Wut und Empörung verteidigt:

„Obwohl unser Schaffen größere und ungetrübtere Freude bereitet hat als jede andere literarische Gattung der Welt, ist keine andere so in Verruf gebracht worden. Aus Stolz, Dummheit oder Modegründen sind unsere Gegner fast so zahlreich wie unsere Leser, und während die Künste des 900. Zusammenfassers der Geschichte Englands […] mit tausend Federn gepriesen wird, scheint es das allgemeine Bestreben zu sein, das Können des Romanautors zu verunglimpfen und herabzusetzen und dabei die Darstellungen zu beleidigen, die nur von ihrem Genie, Witz und Geschmack empfohlen werden können […]. ‚Und was lesen Sie da, Miss …‘ – ‚Oh, es ist nur ein Roman!‘, erwidert die junge Dame, während sie ihr Buch mit gespielter Gleichgültigkeit oder vorübergehender Scham weglegt. ‚Es ist nur Cecilia oder Camilla oder Belinda‘ oder, kurz gesagt, nur irgendein Werk, das die größten Geisteskräfte veranschaulicht, in dem der Welt ja nur die umfassendste Kenntnis der menschlichen Natur, die glücklichste Beschreibung ihrer Spielarten, die lebhaftesten Ergüsse von Witz und Humor in der erwähltesten Sprache vermittelt werden.“ (KN 5/917)

Kloster Northanger ist das einzige Werk Austens, in dem die Autorin selbst zu sprechen und Stellung zu beziehen scheint und nicht durch ihre Figuren dem Leser lediglich Anhaltspunkte in Bezug auf ihre eigenen Überzeugungen und Sympathien gibt.

Das Heim der Austens war also erfüllt mit Geschichten, und allen Kindern kam eine Bildung zu, mit der sie sich in ihrer Welt bewegen konnten, ohne sich zu blamieren. Die Brüder wurden zu Hause unterrichtet, bis sie zur Marine oder aufs College gingen, und auch die zwei Schwestern unternahmen einen kurzen Ausflug nach draußen, um in allem geschult zu werden, was man als Mädchen können musste, ihnen die vielbeschäftigte Mutter aber nicht beibringen konnte. Schließlich wurde der Platz im Haus für die Söhne reicher Eltern benötigt, und die Lehre, in die die Mädchen gehen sollten, war günstig zu haben. Zwar war Jane mit sieben Jahren noch recht jung, aber Schwester Cassandra und Cousine Jane Cooper gingen, also musste sie mit. In Mrs Cawleys Mädchenpensionat in Oxford hatten sie nicht viel zu lachen, Cawley war eine strenge und unbeliebte Frau. Als sie mit der Schule nach Southampton umzog, kamen die Mädchen mit und infizierten sich dort mit Diphtherie. Jane war so krank, dass ihr Leben am seidenen Faden hing. Für Jane Coopers Mutter, die sich ansteckte, als sie ihre Tochter in Sicherheit bringen wollte, kam jede Hilfe zu spät.

Im Sommer 1785 wurden die Austen-Schwestern und Cousine Jane nach Reading in die bekannte Abbey School entsandt. Hier führte Mrs Latournelle mit ihrem Korkbein ein recht laxes Regime – ihre Lieblingsbeschäftigungen waren Kochen, Nähen und Tratschen. Zwar hatten die Mädchen jeden Tag ein paar Stunden Unterricht, doch einen Gutteil ihrer Zeit werden sie kichernd, lästernd und träumend im weitläufigen Garten des Pensionats verbracht haben. Mrs Latournelle war dementsprechend beliebt, aber keine sehr engagierte Lehrerin, und genau wie Harriet Smith in Emma besuchte man ihre Schule „ohne Gefahr zu laufen, als Genie zurückzukommen“. Unzufrieden mit dieser Situation, holte George Austen seine Töchter nach knapp zwei Jahren wieder zurück nach Hause. Ohnehin war zumindest Cassandra mit fast 14 Jahren nun alt genug, ihrer Mutter eine wirkliche Hilfe zu sein. Sie und ihre Schwester hätten zu Hause zweifelsohne mehr gelernt als während ihrer zweijährigen „Ausbildung“: Literatur, Musik, Theater, Geschichte und Politik – George Austen war ein belesener und vielfältig interessierter Mann. Doch war der Austensche Haushalt zwar vergleichsweise offen und zeigen gerade die ersten schriftstellerischen Gehversuche der jungen Jane, dass ihre Intelligenz und ihr Witz gefördert wurden. Ein Mädchen blieb aber immer noch ein Mädchen und sollte sich in erster Linie günstig verheiraten lassen, wozu ein überschaubares Maß an Bildung vollkommen ausreichte.

Das Material ist dürftig – was lässt sich noch über die Kindheit Jane Austens sagen, ohne Gefahr zu laufen, sie mit einer ihrer Figuren zu verwechseln? Mit Catherine Morland etwa, diesem liebenswert-linkischen Gegenentwurf zur typischen Romanheldin zu Janes Zeit, die lieber Cricket spielt als mit Puppen, sich nichts aus Rosensträuchern oder Kanarienvögeln macht und, statt Schreiben und Rechnen zu lernen, den Hang hinterm Haus hinunterrollt. Aber was, bis auf die Liebe zu Romanen, hat die ansonsten naive, schüchterne, stets so verloren wirkende Catherine aus Kloster Northanger mit dem frühreifen Naseweis Jane zu tun? Wir müssen uns damit abfinden, dass pubertierenden Mädchen im 18. Jahrhundert nicht allzu viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

Bis heute wird Jane Austen das weitgehende Fehlen einer klaren politischen Haltung in ihrem Werk und in ihren Briefen vorgeworfen. R. W. Chapman kommt 1932 das Verdienst zu, Austens Briefe zum ersten Mal vollständig herauszugeben, was allerdings eine herbe Enttäuschung für die Literaturkritik war: Harold Nicolson etwa fand sie „belanglos und dumm“, eine „Wüste von Familienklatsch“. Die Briefe würden „das Schlechteste in Jane Austen“ zeigen und es bliebe zu befürchten, sie selbst sei genauso: „eine sehr kleine spitze Schere, mit einer rosa Schleife an einem sehr ordentlichen, jüngferlichen Nähkörbchen festgebunden“ (Southam 1987, 117). Die Welt war aus den Fugen – Französische Revolution, napoleonische Kriege, Industrialisierung – und sie schrieb über nichts als Herzeleid, Hochzeiten, Beinahe-Hochzeiten. Man hatte gehofft, die Abrechnung mit einer heuchlerischen Gesellschaft würde in den Briefen der Schriftstellerin weniger subtil ausfallen als in ihren Geschichten. Es erscheint paradox, dass ein Mensch mit derartiger Beobachtungsgabe, mit einem so messerscharfen Verstand und einer so unbändigen Freude am satirischen Sezieren der menschlichen Unvollkommenheit nicht stärker Stellung bezieht. Eine politische Gesinnung hatte Jane Austen jedoch sehr wohl, sie war wie ihre Eltern eine Anhängerin der Torys, eine große Verehrerin der Stuarts und damit geprägt von einem Konservatismus, der sich die Frage nach einer möglichen Umordnung der Verhältnisse gar nicht stellte. Ihre Welt hörte an den Grenzen ihrer Klasse auf. Bemitleidenswert war hier, wer wie Edward in Verstand und Gefühl von seiner reichen Mutter enterbt, wer wie Eliza in derselben Geschichte verführt und damit entehrt wurde, oder wer glaubte, einen Mann auch ohne Liebe heiraten zu müssen – Jane Austens Hauptthemen. All das sind tatsächlich schwere Lose, und doch so völlig unberührt von dem Leid, der Armut, der Ungerechtigkeit, wie sie in einer Stadt wie London das Leben vieler Menschen bestimmten, wo Kinder wegen Diebstahls gehenkt wurden und Menschen wegen geringer Verbrechen in den feuchten Verliesen des Towers verreckten. Die napoleonischen Kriege führten Ende des 18. Jahrhunderts zu einer Agrarreform, die mit ihrer Umverteilung und Umnutzung von Gemeindeland gerade die Kleinbauern in bittere Armut trieb. Mary Wollstonecraft veröffentlichte 1792 die Verteidigung der Rechte der Frau, die industrielle Revolution machte den Menschen zur Maschine – von all dem finden sich kaum Spuren in Jane Austens Werk. Ihr Leben fiel zusammen mit großen gesellschaftlichen Veränderungen nicht nur in England, doch fühlte man sich in den Herrenhäusern der grünen Grafschaften sicher – man war ja weit genug weg von den furchtbaren Dingen, die man aus dem Sündenpfuhl London oder gar aus Frankreich vernahm. Es wird bei den Austens mit Sicherheit eine Auseinandersetzung über diese Themen gegeben haben, nur fand sie keinen Weg in Janes Geschichten. Ja, ihre Romane sind bevölkert von Offizieren, einige werden sogar im Krieg gegen Napoleon verletzt, aber sie gehören zur Kulisse, in der sich die eigentliche Handlung abspielt. So gibt es wohl Bezüge zu politischen Ereignissen der Zeit, sie sind aber kaum von Bedeutung.

Eine Erklärung für Jane Austens thematische Zurückhaltung ist ihr Anspruch, nur das wiederzugeben, was sie selbst erlebt hat oder was zu erleben zumindest im Bereich des Möglichen lag. Sie war nur konsequent, wenn sie beschrieb, was sie um sich herum sah, nämlich die menschlichen Abgründe, die Heucheleien und Lästereien ihres Standes sowie die Vergnügungen und Interessen, die Alltäglichkeiten in einer unterschiedlich stark privilegierten Welt. Dass sie durchaus anders gekonnt hätte, zeigt unter anderem ihre Geschichte Englands, die sie erst 16-jährig schrieb und die neben ihrem satirischen Talent auch ihr historisches Wissen belegt. Aber Jane Austen war keine Unruhestifterin, keine Rebellin, auch wenn man, in Reaktion auf die gleichermaßen unheilvolle Unterschätzung und Ausbeutung ihres Werkes für die Romantikindustrie, gerne mehr davon in ihren Geschichten sehen möchte, um sie besser gegen derlei Anfechtungen verteidigen zu können. Doch die Schriftstellerin blieb in der ihr vertrauten Welt der Gentry und revolutionierte von dort aus, ganz unaufgeregt, den Roman. Es ist hilfreich für ein besseres Verständnis Austens, sich diese Welt genauer anzusehen und deren Verhaltenskodex, deren Selbstverständnis und deren Bedeutung nachzuvollziehen.

Von 1714 bis 1830 saßen nacheinander vier Georgs aus dem Hause Hannover auf dem britischen Thron. Die letzten sieben Lebensjahre Austens fielen in die „Regency“, die Zeit der Regentschaft des lebenslustigen Georg III., unter der die königliche Moral empfindlich litt. Doch im ländlichen Süden Englands war die Welt noch in Ordnung. Hier sorgte ein stabiles hierarchisches System für Orientierung, während sich die Welt zum Ende des 18. Jahrhunderts hin unaufhaltsam und immer schneller zu drehen begann. Die Moderne griff um sich, und während Jane Austen noch den Siegeszug des Pittoresken satirisch thematisierte, schickte sich William Turner bereits an, mit seinen licht- und farbberauschten Wasserorgien den werdenden Impressionisten auf dem Kontinent Vorschub zu leisten. Jane Austen reiste noch unbequem per Postkutsche, die Dampfmaschine existierte aber bereits und genauso das Gaslicht, doch im Pfarrhaus wurde das Dinner für gewöhnlich noch vor Sonnenuntergang eingenommen, damit man sah, was man auf dem Teller hatte.

Die Gentry des 18. und frühen 19. Jahrhunderts war eine Gesellschaft der Codes, in der man sich durch eine falsch ausgeführte Verbeugung, ein unangemessenes Tischgespräch, durch einen uneleganten Gang oder einen unangemessenen Blick leicht selbst ins Abseits stellte. Der gentleman war ein Mann, der high accomplished war, gebildet eben nicht nur in Geistesdingen, sondern auch formvollendet in seinem ganzen Gebaren. Dieses Prädikat, zu dem es keine deutsche Entsprechung gibt, konnte man sich verdienen – eine wichtige Besonderheit der englischen Gesellschaft, die zwar Hierarchien kannte, welche aber in sich durchlässiger waren als etwa die deutschen. So war Jane Austen zwar keineswegs reich, aber sie war eine gentlewoman und als diese berichtet sie aus erster Hand aus einer sozial privilegierten Welt.

Der Alltag wurde strukturiert durch die Pflichten im Haushalt und in der Gesellschaft. Die Austens hatten zwar Personal, doch viele Arbeiten wie das Nähen der eigenen Kleider, der Hemden und Uniformen für die Brüder wurden von den Damen des Hauses selbst verrichtet. Zum guten Ton gehörte es, die Armen und Bedürftigen der Gemeinde zu unterstützen, und so machte man sich regelmäßig mit einem Korb mit Eingemachtem und Selbstgestricktem am Arm auf den Weg. Spaziergänge, Lesen, Malen, Musizieren, sich in den Dingen bilden, deren Kenntnis die Spreu vom Weizen trennte, ein bisschen Italienisch und Französisch – so verging der Rest des Tages. Die Pflege der Kontakte im nahen und weiteren Umfeld war außerdem wichtig.

Für die Austens gab es in der Umgebung neben den Digweeds im Herrenhaus drei Familien, mit denen sie besonders eng verbunden waren und viel verkehrten. Auf Manydown lebten die Bigg Withers mit ihren drei Töchtern und ihrem Sohn, der Jane Austen 1801 ihren ersten und einzigen gesicherten Heiratsantrag machen sollte. Waren Cassandra und Jane auf dem Weg zu einer Veranstaltung nach Basingstoke, machten sie oft hier Halt und übernachteten bei den Bigg Withers.

Ebenfalls ganz in der Nähe, in Deane und nach ihrem Umzug in Ibthorp, lebte die Witwe Mrs Nowes Lloyd mit ihren drei Töchtern Martha, Eliza und Mary. Die Verbindungen zwischen den beiden Familien waren zahlreich: Als Mrs Nowes Lloyd 1805 starb, zog ihre einzige unverheiratete Tochter Martha bei den Austens ein. Martha war den Austen-Mädchen immer nah gewesen, sie sollte später auch eine der wenigen Eingeweihten sein, die wussten, wer sich hinter der Verfasserangabe „By a lady“ verbarg. Ihre Anwesenheit bedeutete außerdem mehr Freiheit für die Schwestern, die nun auch einmal gemeinsam verreisen konnten, ohne ihre Mutter allein zu lassen. Nachdem Bruder Francis’ Frau gestorben war, heiratete er Martha, ganz so, wie es seinen Schwestern schon als kleinen Mädchen vorgeschwebt war. Mary, die jüngste, heiratete den ebenfalls verwitweten Bruder James, und Eliza ihrerseits war die Frau eines Bruders von Thomas Fowle, dem späteren Verlobten Cassandras. Zwei weitere Familienmitglieder der Lloyds sind in Hinblick auf Jane Austen interessant: Mrs Lloyd war die Tochter der berühmt-berüchtigten Lady Craven, die ihre Töchter so lange quälte, sie einsperrte, schlug und hungern ließ, bis es diesen endlich gelang, in sichere Ehen zu fliehen. Die junge Jane Austen verarbeitete diese verstörende Geschichte in der Erzählung Burg Lesley (Lesley Castle, 1792) und dem Briefroman Lady Susan (1793). Die angeheiratete Cousine der Lloyds, Elizabeth Craven, hatte durch ihren zweiten Ehemann nicht nur verwandtschaftliche Verbindungen zu Königin Caroline (gestorben 1737), sie war auch ein reiselustiger Freigeist, Schriftstellerin und in der englischen Theaterszene keine Unbekannte. Jane Austen wusste mit Sicherheit von ihr.


Anne Lefroy, Janes Freundin und Förderin

Der wichtigste Kontakt für die Austens aber war die Familie Lefroy aus Ashe. Anne Lefroy, Pastor Isaac Lefroys Frau, war nach Cassandra Janes engste Vertraute, eine mütterliche Freundin und Impulsgeberin, eine elegante und angesehene Frau. Annes Bruder Sir Egerton Brydges schrieb in seiner Autobiografie, Jane Austen sei „sehr vertraut mit Mrs Lefroy“ und in den Anfängen ihrer Arbeit „sehr von ihr ermutigt“ gewesen. So war Annes Tod, ein Sturz vom Pferd ausgerechnet an Jane Austens 29. Geburtstag, ein großer Verlust, den Jane noch vier Jahre nach dem Vorfall in einem Anne gewidmeten Gedicht betrauerte. Es wird vermutet, dass die Zuneigung nicht so weit ging, als dass Anne Lefroy die nicht eben reiche Jane Austen gerne als Familienmitglied gesehen hätte; ihre genaue Rolle in der kurzen Liebesgeschichte zwischen Jane und Annes Neffen Tom Lefroy ist unklar. Am Ende fanden sie jedenfalls nicht zueinander.

Die ersten erhaltenen Briefe der 20-jährigen Jane an ihre Schwester haben Tom Lefroy zum Thema. Cassandra hielt sich gerade bei ihren zukünftigen Schwiegereltern in Kintbury auf, um sich von ihrem Verlobten Thomas Fowle zu verabschieden, der seine unglückliche Reise in die Karibik antreten sollte. Jane berichtet aufgedreht von einem „überaus guten Ball“ am Abend zuvor:

„Du schimpfst mich in dem schönen langen Brief, den ich in diesem Moment von dir erhalten habe, so sehr aus, dass ich fast Angst habe, dir zu erzählen, wie mein irischer Freund und ich uns aufgeführt haben. Stelle dir das liederlichste und schockierendste Benehmen vor, wenn es um die Art geht, miteinander zu tanzen und zusammenzusitzen. […] Ich versichere dir, er ist ein echter Gentleman, gutaussehend und angenehm […]; er hat nur einen Fehler, den die Zeit, darauf vertraue ich, vollständig beseitigen wird – sein Gehrock ist entschieden zu hell.“


Tom Lefroy, Jane Austens Jugendliebe

Fast drei Jahre Korrespondenz, ehe Toms Name erneut auftaucht – doch der Überschwang der ersten Berichte ist gänzlich verflogen. In jenem Brief schreibt Jane Austen von einem weiteren Freund der Lefroys, der, so scheint es, ein passender Heiratskandidat hätte sein können, wenn seine finanziellen Mittel einen Antrag erlaubt hätten. Es handelte sich bei dem nicht mit Namen Genannten aller Wahrscheinlichkeit nach um den Geistlichen Samuel Blackall, dessen Hochzeit mit einer anderen Frau Jane in einem Brief an ihren Bruder Francis im Jahr 1813 erwähnt.

Wie sehr diese beiden so früh gekappten Liebesbande Jane Austen beschäftigten, wissen wir nicht. Ob es etwa stimmt, dass sie lieber unverheiratet und damit kinderlos geblieben ist, nicht nur, weil ihr der Tod von Gebärenden oder Frauen im Kindbett mehrfach begegnet war, sondern auch, weil sie als Ehefrau und Mutter mit großer Sicherheit weniger Zeit zum Schreiben gehabt hätte. Aus ihren Briefen geht keine Reue, keine Trauer über ihr Unverheiratetsein hervor, doch wie bei der Frage nach ihren politischen Ansichten müssen die Briefe als das gelesen und eingeordnet werden, wozu sie zu der Zeit ihrer Entstehung dienten: als Austausch unter Vertrauten, die zeitweilig voneinander getrennt waren, über die täglichen Ereignisse im Leben eines jeden. Sie wurden für die Familie geschrieben, nicht für die Nachwelt, und die Familie wusste in Janes Fall so viel, wie sie aus persönlichen Gesprächen wissen durfte.

By a Lady

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