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VORWORT

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Rebecca Ramon ist natürlich nicht mein richtiger Name. Der Vorname stimmt schon, aber es ist mein dritter, den niemand kennt, ein paar Beamte vielleicht ausgenommen. Der Nachname stimmt auch ein bisschen - er ist der Geburtsname meiner Großmutter.

Ich lebe in einer Kleinstadt im Norden Deutschlands und bin glücklich verheiratet, mit Ben, den Sie noch näher kennen lernen werden. Ben - er heißt natürlich anders - ist Fotograf, mit einem international recht erfolgreichen kleinen Unternehmen. Mehr verrate ich nicht.

Getroffen habe ich ihn vor zehn Jahren, und im Nachhinein glaube ich, das Schicksal hatte es so geplant. An diesem Tag warfen sich mir gleich drei Ereignisse in den Weg, damit ich meinen Zug verpasste, der mich zu einem wichtigen Vorstellungsgespräch bringen sollte. Erst klingelte der Wecker nicht, dann blieb das eilig herbei gerufene Taxi in einem Stau stecken, und als ich dennoch den Bahnhof gerade noch rechtzeitig erreichte und die Treppe zum Bahnsteig hinauf hastete, brach beim „Bitte einsteigen, Türen schließen selbsttätig, Vorsicht bei der Abfahrt“ der Absatz meines linken Schuhs ab und ich stürzte, mit allem, was dazu gehört: das Portemonnaie fiel die Stufen herunter, meine Strümpfe waren zerrissen, und ich hatte eine Schürfwunde am Arm, aus der das Blut auf meine Bluse tropfte. Der Zug war natürlich weg.

Im nächsten Zug, der gedrängt voll war, stieß ich mit ihm zusammen, als wir uns beide gleichzeitig auf den letzten freien Platz im Großraumabteil setzen wollten. Sein Schädel war hart, und mir stiegen die Tränen in die Augen. Es war einfach zu viel. Ritterlich überließ mir den Platz und entschuldigte sich für den Zusammenstoß. „Alles in Ordnung?“ Er sah mich forschend an, und er hatte Augen, in denen ich hätte versinken können. „Ja“, sagte ich, presste die Lippen zusammen, obwohl das mein Gesicht immer ganz hässlich werden lässt und drehte den Kopf zum Fenster. In der Scheibe fing ich noch das Spiegelbild seines besorgten Blicks auf und hoffte, dass er verschwinden würde, obwohl er wirklich sympathisch aussah. Und außerdem war der Zusammenprall eigentlich meine Schuld. Innerlich verfluchte ich den Tag. Ich wusste, die Stelle würde ich auch nicht bekommen; ich war in einer unmöglichen Verfassung.

Dann war er weg, und ich beruhigte mich ein wenig. Als der Zug beim nächsten Halt etwas leerer wurde, stand er plötzlich mit einem Tablett neben mir. „Ich glaube, ein Kaffee wird Ihnen gut tun. Und die Croissants sehen passabel aus. Ich wette, Sie haben noch nicht gefrühstückt.“ So hat es angefangen, und ein dreiviertel Jahr später waren wir verheiratet. Wie gesagt, ich denke, es sollte so passieren.

Ben dagegen glaubt nicht an Schicksal und Fügung. Er nimmt das Leben, wie es kommt. „Es gibt mehr als einen Menschen, mit dem man glücklich sein kann“, sagt er. „Es wäre doch schrecklich, wenn es für jeden Menschen nur den oder die eine gäbe.“ Das gibt mir manchmal einen Stich; ich hätte gern, dass ich wenigstens für ihn die einzige bin, mit der er glücklich sein kann.

Ben hat mal Chemie studiert, und ich glaube, obwohl er schon so lange Fotograf ist, denkt er oft wie ein Chemiker. Als wir wieder einmal über Zufall und Schicksal diskutierten, hat er mir ein Video gezeigt, von schwarzen Rußteilchen, die in einem Wassertropfen hin und her zitterten. Sie bewegten sich dabei langsam durch den Tropfen, stießen mit anderen zusammen, trieben wieder auseinander, aber manchmal klebten sie aneinander fest und gingen zusammen auf die weitere Reise. „Das alles folgt keinem Plan“, sagte er, „und genau so ist es im Leben.“

Ben ist wie ein solches Teilchen. Er nimmt das Leben, wie es kommt und genießt das Spiel des Zufalls und die Begegnungen, die sich daraus ergeben. Ich dagegen sitze als Mauerblümchen am Rand des Tropfens und warte darauf, dass etwas passiert. Ich schicke Wünsche in den Himmel, dass das passende Teilchen auf mich zuschwimmt, mich anstößt und mich mit sich reißt. Manchmal klappt es. Aber meist klebe ich am Rand. Dort herrschen starke Beharrungskräfte.

Und daher ist Ben viel mehr im Fluss als ich, die ich mich so bemühe, das Richtige zu tun, zu planen und vorzubereiten und gleichzeitig versuche, das Leben leicht zu nehmen. Ich schreibe meine Träume auf, meditiere täglich und habe doch Mühe, meine Mitte zu finden.

Dabei habe ich vieles verpasst. Wenn auf Partys über die 70er und 80er gesprochen wird, weiß ich nicht, was gemeint ist. Ich war dabei, aber ich habe nichts davon richtig mitbekommen. Die größten Defizite, scheint mir, habe ich beim Sex: ich hatte keine Dreiecksbeziehungen, habe keine Orgien erlebt, hatte nichts mit Fesseln, anderen Frauen, mehreren Männern, keinen Sex im Aufzug und auch nicht im Museum - wie langweilig!

Klar geworden ist mir das erst durch Ben. In der ersten Woche mit ihm bin ich öfter gekommen als in manchen jahrelangen Beziehungen. Er wusste genau, wo und wie er mich anzufassen hatte, spürte, was mir gut tat und gleichzeitig vermittelte er mir das Gefühl, dass ich ein Werkzeug seiner Lust war. Schließlich hatte er mich so weit, dass er nur noch seine warme Hand irgendwo auf meinen nackte Haut legen musste, damit ich mich mit ihm schlafen wollte.

„Wo hast Du das alles gelernt?“, habe ich ihn irgendwann gefragt, und dann hat er mir im Flüsterton eine Geschichte aus seinem Leben erzählt. Das Wispern an meinem Ohr, sein Geruch, seine offenherzige Beschreibung und die Vorstellung, ihn beim Sex mit einer anderen zu sehen, haben mich so scharf gemacht hat, dass ich dabei gekommen bin. So hat er mir mehr erzählt, und wir haben ein Ritual daraus gemacht.

Ob er das alles so erlebt hat? Ich weiß es nicht. „Erinnerung“, sagt Ben, „ist die Schwester der Fantasie.“ Er sagt auch, dass ihm vor allem die erotischen Begegnungen am lebhaftesten in Erinnerung geblieben sind, die ihr Ende fanden, bevor der Rausch verflog und bevor das Stadium erreicht war, nach dem keine Steigerung mehr möglich ist.

Es kann also sein, dass Ben die Schwestern in seinen Berichten manchmal verwechselt oder absichtlich vertauscht, aber das ist mir egal. Meine Fantasie ist stark aufgeblüht. Und je mehr von seinen Geschichten ich höre, um so mehr macht es mich an, um so mehr entdecke ich plötzlich die knisternden Situationen und all die Gelegenheiten im Alltag, und desto mehr bin ich bereit, selber ein Abenteuer zu wagen.

Ben, ich und all die anderen

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