Читать книгу Willy Garaventa - Rebekka Haefeli - Страница 5

Einleitung

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Seilbahnen verbinden Berge und Täler, überspannen tiefe Schluchten und wilde Flüsse. Sie bringen uns an Orte, die zu Fuss unerreichbar sind, machen unwegsame, unentdeckte Gegenden zugänglich. Seilbahnen lassen uns neue, ungewöhnliche Ansichten der Welt gewinnen. Die Vogelperspektive verschafft uns atemberaubende Überblicke über Landschaften und lässt uns selbst winzig klein erscheinen. Eine Fahrt mit der Seilbahn vermag manches in die richtige Relation zu bringen.

Zweifellos gehört zur Faszination von Seilbahnen, dass ihre Entwicklung in den letzten Hundert Jahren mit einem immensen Tempo vorangetrieben wurde. Hinzu kamen Abenteuerlust, Entdeckungsdrang und Wissensdurst, die eine ganze Industrie entstehen liessen und diese voranbrachten. Die Erkundung von Berggipfeln mit fantastischen Aussichten, aber auch die Bewirtschaftung abgelegener Gegenden wäre ohne den Seilbahnbau nicht möglich gewesen. Die grosse Dichte an Seilbahnen, die es in den Alpenländern gibt, hängt eng mit dem Aufschwung des Tourismus zusammen.

Das Skifahren konnte erst durch den Bau von Luftseilbahnen sowie von Ski- und Sesselliften zu einem Volkssport werden. Die Bergwelt stand plötzlich allen offen, die sich das Hobby mit der entsprechenden Ausrüstung leisten konnten. Umgekehrt wirkte die Tatsache, dass der Wintersport für viele zur beliebten Freizeitbeschäftigung wurde, als Motor für das weitere Wachstum der Seilbahnindustrie. Die weltweite Nachfrage spornte die Schweizer Seilbahnbranche an, nach Wachstum zu streben und mit verrückten Innovationen aufzutrumpfen. Die Berge blieben aber freilich nicht den Wintersportlern vorbehalten: Auch im Frühling, Sommer und Herbst erschliessen Seilbahnen heute den Weg zu spektakulären Aussichtspunkten und sorgen während anstrengender Wanderungen für willkommene Verschnaufpausen.

Geht man den Ursprüngen des Seilbahnbaus auf den Grund, kommen spannende Geschichten zum Vorschein. Die ersten Konstruktionen entstanden, als es noch keine Reglementierungen gab. Dem Erfindungsreichtum waren keine Grenzen gesetzt, und so staunen selbst Laien über das technische Können, mit dem vor Jahrzehnten sichere Seilbahnen gebaut wurden. Bereits im letzten Jahrhundert waren Seilbahnen ein wichtiges Vehikel zum Transport schwerer Lasten in den Bergen. Förster und Waldarbeiter nutzten die Bahnen, um Holz ins Tal zu bringen, und Bergbauern bauten einfache Seilkonstruktionen, um Heuballen talwärts zu schicken.

Die Technik entwickelte sich seither sprunghaft. Heute dienen Seilbahnen selbstverständlich immer noch den Menschen, die in den Bergen arbeiten. Und auch im Tourismus spielen sie weiterhin eine wichtige Rolle. In der heutigen Zeit, in der die Bevölkerung und mit ihr das Verkehrsaufkommen wachsen, erfüllen Seilbahnen aber noch andere Funktionen. Grossstädte in aller Welt haben Seilbahnen als öffentliche Verkehrsmittel entdeckt, mit denen überfüllte Strassen entlastet werden können. Schwebebahnen fügen sich leise, platzsparend und umweltfreundlich ins urbane Leben und Geschehen ein. Ein Beispiel: In der bolivianischen Stadt La Paz ist ein ganzes Netz von Seilbahnen entstanden, das verschiedene Stadtteile miteinander verbindet.

Als Passagierin oder Passagier in einer Seilbahn zu fahren, ist eine der aufregenderen Arten, sich fortzubewegen. Die Kabine, die hoch über dem Boden von A nach B durch die Luft schwebt, kommt einem alten Menschheitstraum nahe: dem Traum vom Fliegen. Wir alle kennen das Gefühl beim Betreten einer Gondel. Es kribbelt ein wenig in der Magengegend, eine freudige Aufregung macht sich bemerkbar, das Herz schlägt ein bisschen schneller. Viele haben in einer Seilbahn schon besondere Geschichten erlebt. Ich erinnere mich an einen chinesischen Touristen in der Seilbahn zwischen Weggis und Rigi Kaltbad, der offensichtlich unter ausgeprägter Höhenangst litt. Er hatte sich in der hintersten Ecke der Kabine auf den Boden gesetzt und klammerte sich mit den Händen rechts und links an zwei Metallstangen. Er hielt sich mit solcher Kraft fest, dass die Knöchel weiss hervortraten. Der Tourist war Teil einer Reisegruppe. Der Gruppendruck war wohl zu stark gewesen, und er hatte sich nicht getraut, der Angst nachzugeben und auf die Seilbahnfahrt zu verzichten. Mit einer Mischung aus Mitleid und Verwunderung beobachteten wir anderen Fahrgäste, wie der arme Mann immer bleicher wurde und dann schliesslich in der Bergstation erleichtert die Kabine verliess.

Bei einer Recherche für einen Zeitschriftenartikel über Kleinseilbahnen lernte ich vor ein paar Jahren einige Menschen kennen, die vernarrt waren in Seilbahnen. Es waren Betreiber von Kleinseilbahnen, die mitunter nur einen einzigen Bergbauernhof erschliessen, für diesen aber lebenswichtig sind. Kleinseilbahnen sind Bahnen, die pro Richtung maximal acht Personen befördern. Einigen von ihnen droht das Aus, weil die Behörden kostspielige technische Anpassungen verlangen. Bedroht war vor einigen Jahren etwa die Seilbahn von Vitznau (LU) zum Gasthaus Wissifluh. Der Wirt des Gasthauses, ein kämpferischer Typ, setzte sich zur Wehr. Man erzielte schliesslich eine Einigung, und die Seilbahn fährt weiter.

Der Kampfgeist, den dieser Kleinseilbahnbetreiber an den Tag legte, scheint mir charakteristisch. Seilbahnen sind nicht nur praktische, effiziente Transportmittel – viele Menschen haben auch einen emotionalen Bezug zu ihnen. Seilbahnen, die seit Jahrzehnten im Betrieb sind, lösen nostalgische Gefühle aus. Doch Jahr für Jahr werden in der Schweiz ältere Modelle durch neue Anlagen ersetzt, oder sie verschwinden ganz. Insgesamt umfasst der Bestand aller Seilbahnen, die vom Bund und von den Kantonen reglementiert sind, in der Schweiz gegen 3000 Anlagen.1 Einige dieser Seilbahnen besitzen einen denkmalpflegerischen Wert; sie gelten als technische Denkmäler. Das Bundesamt für Kultur (BAK) hat im Jahr 2010 den Bestand an historischen Seilbahnen dokumentiert und 129 Seilbahnen aufgrund ihrer besonderen kulturhistorischen und/oder technischen Bedeutung ins Inventar aufgenommen. Dieses Seilbahninventar des BAK – in welchem Standseilbahnen, Pendelbahnen, Umlaufbahnen und Skilifte erfasst sind – führt 14 Anlagen auf, die von der Firma Garaventa erbaut worden sind oder an deren Bau Garaventa beteiligt war.

Der Name Garaventa begegnete mir in der Vergangenheit beim Wandern oder Skifahren als weisser Schriftzug auf dunkelblauem Grund. Schon oft bin ich mit einer Garaventa-Seilbahn gefahren oder habe mich von einem Garaventa-Skilift in die Höhe ziehen lassen. Erneut auf das Unternehmen aufmerksam wurde ich mit der Einweihung der neuen Standseilbahn auf den Stoos Ende 2017. Die steilste Standseilbahn der Welt mit einem futuristischen Design überwindet 110 Prozent Steigung. Entwickelt hat diese Bahn das Seilbahnunternehmen Garaventa mit Sitz in Goldau (SZ). Inspiriert von den Medienberichten über die Stoosbahn, begann ich noch ohne konkretes Ziel zu recherchieren.

Ich fand heraus, dass in Immensee (SZ) ein gewisser Willy Garaventa wohnt. Nach ein paar Klicks wusste ich, dass es sich bei Willy Garaventa um einen Schweizer Seilbahnpionier handelt. Sein Vater hatte im Herzen der Schweiz, am Fuss der Rigi, mit dem Seilbahnbau begonnen. Später übernahmen Willy Garaventa und sein Bruder Karl die Firma vom Vater. Mit viel Engagement und Herzblut führten sie das Familienunternehmen zu weltweitem Erfolg. Die Garaventas gehörten zwar nicht zu den Allerersten, die in der Schweiz Seilbahnen konstruierten. Doch sie waren ambitioniert, bereicherten die Branche mit eigenen Erfindungen und arbeiteten sich mit sicherem Gespür für Innovationen an die Spitze vor.

Die Brüder setzten auf Learning by doing und bildeten sich ihr Arbeitsleben lang weiter. Das Zweiergespann ergänzte sich perfekt, bis der Ältere von beiden, Karl Garaventa, 1989 starb. Vier Jahre später, 1993, gab Willy Garaventa die operative Tätigkeit im Unternehmen auf, um seine angeschlagene Gesundheit zu schonen. Die von ihm initiierte Nachfolgeregelung erwies sich schliesslich als zukunftsweisend: 2002 fusionierte die Innerschweizer Firma Garaventa mit dem österreichischen Unternehmen Doppelmayr. Die Doppelmayr-Garaventa-Gruppe ist heute, im Jahr 2019, der Weltmarktführer im Seilbahnbau.

Die wenigen Eckpunkte zur Firma Garaventa, die ich bei meiner kurzen Suche im Internet in Erfahrung gebracht hatte, weckten meine Neugier. Ich beschloss, Willy Garaventa anzurufen. Mein erstes Telefongespräch mit ihm verlief allerdings wenig ermutigend. Es gelang ihm zunächst, mich abzuwimmeln. Er stehe nicht für ein Interview zur Verfügung, sagte er mir. Da er aber meinen Namen aufgeschrieben hatte, fand mich seine Tochter Alexandra Garaventa wieder. Sie war es, die mich ein paar Wochen später anrief, sodass schliesslich dieses Buchprojekt ins Rollen kam. Auf unseren ersten Kontakt folgten viele Gespräche mit Willy Garaventa, aber auch mit seiner Frau Beatrice und den Töchtern Alexandra und Daniela Garaventa. Die Erinnerungen in den ersten Kapiteln zu Nonno Giuseppe Garaventa entnahm ich mehrheitlich den privaten Aufzeichnungen von Maria Carolina Merz-Garaventa, Willy Garaventas ältester Schwester.

Dieses Buch beruht aber hauptsächlich auf Willy Garaventas Erinnerungen. Wir trafen uns meist bei der Familie zu Hause in Immensee, wo er mir seine Lebensgeschichte erzählte. Seine Biografie verschmilzt über weite Strecken mit der früheren Firmengeschichte. Das Unternehmen wuchs parallel zum Aufschwung der Seilbahnbranche in der Schweiz. Ein Gespräch über die Bedeutung der Luftseilbahnen früher, heute und morgen rundet die Biografie des Schweizer Seilbahnpioniers ab.

Willy Garaventa ist ein Abenteurer, der die Welt als Seilbahnbauer entdeckte und dabei an Orte kam, an denen zuvor noch nie jemand war.

Willy Garaventa

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