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Prolog
ОглавлениеDurch das Loch in der Eisdecke sah ich mein Gesicht wie im Spiegel. Meine grünen Augen blickten mich ausdruckslos an. Wieder einmal hatte mich mein Schicksal eingeholt. Ich konnte nicht glauben, dass der Junge, der mir entgegensah, wirklich ich war. Die abstehenden roten Haare und das unschuldig rundliche Gesicht passten so gar nicht zu dem Bild, das ich vor Jahrhunderten begonnen hatte von mir selbst zu zeichnen. Mein eigener Blick war mir fremd. Das ausdruckslose Gesicht eines Jägers, der es wieder getan hatte.
Der Wind fuhr mir durchs Haar und zerwühlte meine Frisur — falls ich jemals eine hatte. Trotz der Kälte, die mich umgab und der spärlichen Kleidung aus Leder, drang der Wind nicht an meine Haut. Das Geflüster, das er im Wald hinterließ, war das einzige Geräusch, das der Landschaft Leben einhauchte. Der Atem kondensierte vor meinen Augen, doch mein Herzschlag und das Geräusch meiner Lungen waren nicht zu vernehmen.
Während ich weiter meine Reflexion betrachtete, erinnerte ich mich, dass ich eine Aufgabe zu erfüllen hatte. Mir selbst in die Augen zu sehen war immer noch schlimmer, als sich der Wirklichkeit zu stellen; doch ich brauchte mein eigenes Bild vor Augen. Ich musste mich daran erinnern, dass ich trotz der Zeit, die ich hinter mich gebracht hatte, immer noch der Mann war, der hinter der Fassade steckte. Vielleicht würde ich eines Tages mein Spiegelbild betrachten und entscheiden, dass dieser Weg der richtige gewesen ist, auch wenn er die einzige Option darstellte, die mir noch geblieben war.
Hinter meinem Rücken lauerte die Erinnerung an meinen Job. Widerwillig drehte ich mich um, da ich keine andere Wahl hatte. Niemals wünschte ich mehr eine Wahl zu haben, als wenn ich einen Körper sah, der meinetwegen seine Seele ausgehaucht hatte. Sie hatte verlieren müssen, da ich ansonsten das Opfer gewesen wäre. Der Werwolf lag auf dem Boden, Blut färbte den Schnee rosa. Seine Gliedmaßen waren völlig verdreht und der ganze Körper geschwärzt, wie mit Ruß überzogen. Man würde ihn kaum noch erkennen, aber das war meinem Auftraggeber sowieso egal. Er war es gewohnt, dass ich meine einzige richtige Waffe, meine pyrokinetischen Fähigkeiten, im Kampf einsetzte.
Körperlich wäre ich einem Werwolf wie diesem nicht gewachsen. Ich verfluchte denjenigen, der mich mit schwächeren körperlichen Fähigkeiten ausgestattet hatte, als sogar ein Mensch sie besaß. Als einzige Waffe blieb mir meine Magie, die gleichzeitig meinen sechsten Sinn darstellte. Vielleicht hatte die Ironie des Schicksals einen kurzsichtigen, Rückgrat geschädigten Mann wie mich zu einer zu großen Aufgabe auserkoren, als sie mich zum Magier machte.
Es war schwer, den Wolf an seinem Lauf hinter mir herzuschleifen. Ich hielt mehrere Male inne, um mich an den Schmerz zu gewöhnen, den mir meine Skoliose, die meine zwei Bögen in der Wirbelsäule verursacht hatte, bescherte. Der Weg zum Auto führte durch den Wald. Immer noch war der Wind alles, was ich vernahm, sodass ich die Schmerzen in der Gewissheit ertragen konnte, dass ich mich nicht in unmittelbarer Gefahr befand.
Der Morgen war so nahe, dass das Glitzern des Schnees im Mondlicht bedrohlich vergänglich wirkte. Die Bäume, die schon vor langer Zeit aus dem Boden emporgekrochen waren, schienen mir einen Weg freizumachen. Die Magie, die in meinen magischen Tätowierungen, meinen Wizzards, gefangen war, schien auf meinem Körper im Takt des Windes und des Waldes ein Lied zu singen. Sie waren wieder zum Leben erwacht, nachdem sie eine kurze Schweigezeit für den Toten eingehalten hatten.
Das Kribbeln meiner Haut, auf der sich die magischen Tätowierungen bewegten, machte mir ihre Formen und Farben bewusst. Die Zeichen und Bilder waren meine stärksten magischen Waffen — neben dem Feuer, das mich am Leben erhielt. Ihre Unruhe ging auf mich über und der Körper, den ich hinter mir herzog, wurde immer schwerer. Meine Wirbelsäule krachte und knackte, als wolle sie beim nächsten Ruck brechen. Je größer der Schmerz wurde, der mich durchfuhr, desto größer wurde meine Angst, es diesmal nicht zu schaffen.
Als ich endlich bei meinem weißen Audi ankam und den Kadaver in meinen Kofferraum hievte, war ich völlig verschwitzt, erledigt und hatte brüllende Schmerzen im Rücken, die ich noch sehr lange spüren würde. Wenigstens waren alle Wirbel noch an dem Platz, der ihnen von Natur aus sowieso nicht zustand.
Vorsichtig stieg ich ein und drehte den Zündschlüssel. Während ich die Lüftung ausschaltete, die kalte Luft im Wageninneren hin und her blies, versuchte ich mir mit dem Wagen einen Weg durch den Schnee zu bahnen und mich zu erinnern, wo Lacerato Silvas Hütte lag.
Die Fahrt durch den Schnee war trotz Vierrandantrieb schwer und holprig. Es störte mich, auf das Radio verzichten zu müssen, doch die Akustik des Waldes war meine wichtigste Warnung vor Gefahren. Das Scheinwerferlicht reflektierte den Schnee, sodass ich nur langsam vorankam, bis endlich der Forstweg auftauchte, der zur Hütte meines Auftraggebers führte.
Der Weg führte mich durch die Berge, immer höher, bis fast auf den Gipfel. Ich hielt vor einem Baum, um zu parken. Silvas Hütte lag auf dem höchsten Berg der Bergkette, die die Stadt umrahmte. Sie war klein und vollständig aus Holz erbaut, echte Handarbeit. Ich stieg in die kalte Morgenluft hinaus und öffnete meinen Kofferraum. Einmal musste ich diesen Körper noch schleppen, dann hätte ich es hinter mir. Ich wuchtete den Werwolf aus dem Wagen, wobei jeder gesehen hätte, dass mich das all meine Kraft kostete. Zum Glück hinterließ magisches Blut keine Spuren, so musste ich den Wagen wenigstens nicht reinigen lassen.
Ich ging auf den Eingang der Hütte zu. "Silva, komm raus. Ich habe hier etwas für dich!"
Ein Knirschen des Holzes zeigte an, dass er mich gehört hatte.
Die Tür zur Hütte öffnete sich und seine imposante Gestalt trat heraus. "Ayelees, schön dich zu sehen."
Silva war ein groß gewachsener Mann mit langen schwarzen Haaren, die er immer am Hinterkopf zusammengebunden hatte. Seine Haut war wettergegerbt und er trug immer nur seine Jeans, egal welche Jahreszeit oder welches Wetter gerade herrschte. Seine Augen waren von einem dunklen Braun und die Härte aller Jahrhunderte, die er überdauert hatte, spiegelte sich darin.
Als Antwort ließ ich den Wolf vor seinen Füßen zu Boden sinken. Er hob ihn ohne Mühe auf, drehte mir den Rücken zu und ging in seine Hütte. Ich folgte ihm, wobei mein Rücken mir dankte, dass der Kraftakt erledigt war. Wenn ich das Geld hatte würde ich verschwinden, so wie immer, was sicher besser und gesünder für mich war.
Ich blieb in dem großen Raum stehen, in dem ich mich befand. Neben mir waren hier nur ein Tisch mit zwei Stühlen und ein Sofa sowie ein Fernseher auf einem kleinen Schrank in der Ecke. Die Wände, die im Rhythmus des Windes knarrten und schaukelten, zeigten deutlich die Zeit, die diese Behausung schon überdauert hatte. Es war ein Auftrag von unendlich vielen, die ich für Silva erfüllt hatte.
Er kam aus dem hinteren Raum der Hütte zurück. "Zwanzigtausend, wie vereinbart."
Ich senkte den Kopf und nahm den Umschlag, den er mir reichte. "Wenn du wieder Probleme hast, du kennst meine Nummer." Ich ging, ohne mich umzusehen. Im Morgengrauen war Silva nie besonders gesprächig, auch wenn er immer wieder betonte, wie toll er meine Gesellschaft fand. Die Wahrheit kannte ich besser. Er brauchte den kleinen Killer, den er aus mir gemacht hatte, zu seiner Unterstützung.
Resigniert sah ich auf die Uhr in meinem Wagen und fuhr los, ehe ich mich noch einmal umdrehen konnte. Es war 5:30 Uhr morgens. Das gab mir noch dreieinhalb Stunden, um in die Stadt zurückzukehren und an meinem Arbeitsplatz aufzukreuzen. Warum hatte ich nicht Politiker, Anwalt, Konzernchef oder sonst etwas Nützliches werden können, das mir genug Geld einbrachte? Die traurige Antwort war, dass ich so eine Position als Unsterblicher nicht halten könnte.