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Feuer frei

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Das Gestänge unter der Decke, an dem die Scheinwerfer und Rauchmelder hingen, war eigentlich zu hoch, um daran zu kommen. Sonst hätten sie jedes Wochenende besoffene Junggesellen herunterholen müssen. Aber wenn man einen Hocker auf die Bar stellte, über eine gute Sprungkraft verfügte und leicht war, konnte man es fast schaffen.

Fast.

»Verdammte Fickscheiße«, keuchte Sofie, als ihre Finger abrutschten. Links hing sie nur noch mit Mittel- und Zeigefinger an den Metallstreben. Mit der Rechten sah es besser aus, aber auch die glitt langsam ab. Die Schwerkraft zog an ihrem Körper, tonnenschwer. Zu schwer.

Unter ihr versuchte Nat immer noch, mit dem Rattenkönig zu reden und ihm gleichzeitig auszuweichen. Nur eine der Strategien hatte Erfolg. Rollend und Hechtsprünge ausführend bewegte er sich durch den Raum, viel zu knapp entkommend. Die Schreie des Rattenkönigs drangen an Sofies Ohren, aber die Schallwellen erreichten sie nicht. Die schoss das Vieh präzise parallel zum Boden ab. Rasend schnell.

Ihre einzige Chance war es, das Tier von oben zu erwischen.

Aber doch nicht, indem ich drauf falle, dachte sie verzweifelt. In diesen Haufen verwesender Rattenteile. Wahrscheinlich richtet es nicht mal was aus.

Ihre Finger rutschten weiter. Der linke Mittelfinger verlor den Halt und sie verkrampfte sich. Die Flasche drückte gegen ihr Steißbein und sie spürte den Rum darin gluckern.

»Nicht aufgeben, Mädchen«, flüsterte sie und versuchte dabei, ihren alten Ausbilder zu imitieren. »Los jetzt.«

Sie bündelte alle Kraft in der rechten Hand, riss die linke hoch und umklammerte die Stange weiter oben. Das verdammte Ding quietschte und knackte. Aber nun hatte sie Halt. Ächzend zog sie sich hoch. Alles tat weh, ihr Schädel brummte und der Rattenbiss brannte. Egal. Über den Stangen verlief ein schmaler Steg, ein Metallträger, auf dem ihre Füße kaum nebeneinander Platz hatten. Darüber krabbelte sie.

Sie wollte nicht nach unten schauen. Aber das musste sie, um die richtige Stelle zu finden. Vorwärts kriechend positionierte sie sich direkt über dem Rattenkönig. Dann holte sie die Flasche hervor. Verkrampft wühlte sie den Streifen giftgrünen Stoffs hervor, den sie eingesteckt hatte und stopfte ihn in die Flaschen. Gut. Oder nicht.

Schlagartig wurde ihr klar, dass sie noch nie einen Molotov-Cocktail gezündet hatte. Was, wenn der in ihrer Hand explodierte? Was, wenn er ihre Finger zerfetzte? Was, wenn er einfach nicht funktionierte?

Sie sah nach unten. Nat hechtete gerade nach vorn, rutschte aus und landete auf dem Bauch. Sofort waren die Ratten über ihm. Er versuchte, hochzukommen, aber es waren zu viele.

Wollen sie ihn fressen?, dachte Sofie.

Ach, sie hatte eh mehr Finger als sie brauchte. Sie wühlte die zerquetschte Tabakpackung aus ihrer Hosentasche, in der das Feuerzeug …

Nein.

Entsetzt sah sie, wie die Packung Zigarettenpapier, die sie locker unter die Lasche geklemmt hatte, rutschte. Und fiel. Die blaue Packung segelte genau auf den König zu, drehte sich im Fall …

»Verreck, du Scheißkönig!«

Ein Barhocker flog auf das Monster zu. Oh, Jean war wieder wach. Der König schrie und der Hocker zerriss in der Luft. Holzspäne sprühten. Jean wurde zurück gegen die Theke geschleudert.

Aber es reichte. Die Zigarettenpapiere fielen unbemerkt zu Boden. Mit zitternden Fingern entzündete Sofie den giftgrünen Stoffstreifen.

Sei brennbar, dachte sie. Bitte sei brennbar!

Er war brennbar. Verdammt! Ruckartig ließ sie die Flasche los und sie segelte nach unten, den Stoffstreifen und die Flamme hinter sich her ziehend wie einen Kometenschweif.

Der Rattenkönig sah auf. Alle Schädel ruckten gleichzeitig hoch. Wie hatten sie es gemerkt?

Die weißen Kiefer öffneten sich zum Schrei.

Die Flasche landete in einem von ihnen, zwischen gelben Nagezähnen, und dann explodierte sie.

Sofie zuckte zurück. Glassplitter schossen an ihr vorbei, schnitten in ihre Hosenbeine, verfehlten ihre Augen.

»Es hat funktioniert«, sagte sie und rutschte ab. Schreiend fiel sie rückwärts. Sie sah das Gestänge kleiner werden, ihre Haare flattern. Ihr Magen hob sich.

Sie prallte auf Fell. Jemand ächzte.

Bin ich auf Ratten gelandet?

Dann sah sie das grinsende Maul über sich.

»Isa?«, ächzte sie.

»Ja. Sorry, muss weiter.«

Sofie verstand die Antwort kaum hinter all den schrillen Rattenschreien. Und, weil so ein Werwolfskiefer wohl nicht zum Sprechen gedacht war. Die Worte klangen seltsam flach.

Sie wurde auf dem Boden abgesetzt, und erhob sich schwankend. Um sie herrschte Chaos. Ratten rannten unkontrolliert in alle Richtungen, versuchten, die Wände hochzulaufen, und schafften es zum Teil sogar. Und sie fiepsten, ohrenbetäubend. Aber nicht so schrill wie ihr König.

Der Rattenkönig brannte. Lichterloh. Aufgerissene Knochenmäuler hinter Flammen, warf er sich von einem Ende des Raums zum anderen, überschlug sich und wurde zu einem wilden Ballen aus brennenden Körperteilen. Jede Ratte, die nicht schnell genug auswich, wurde in Brand gesetzt.

Sie sah, wie Jean sich fluchend aufrichtete. Über Nat stand Isa, gigantisch, knurrend und verjagte die Ratten, die kreischend vor ihr flüchteten. Ihr Rückenfell war aufgerichtet und sah aus wie ein Meer aus Stacheln.

Eigentlich ist so ein Wolf nur ein großer Hund, dachte Sofie. Ein sehr großer Hund. Drei Meter Rückenhöhe, würde ich sagen.

Ihr Nachbar daheim hatte zwei Mastiffs gehabt, die ihr eine Höllenangst eingejagt hatten. Neben diesem Werwolf hätten sie wie Welpen gewirkt. Trotz der hohen Schreie, des brennenden Monsters und der Ratte, die versuchte, in Sofies Hosenbein zu kriechen, fühlte sie sich seltsam ruhig.

Ich glaube, es ist geschafft, dachte sie.

Ein Zischen. Die Sprinkleranlage setzte ein.

Die Wächter von Magow - Band 1: Rendezvous mit dem Rattenkönig

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