Читать книгу Rob - Regina Mars - Страница 4

1. Ein schockierender Abend

Оглавление

Valentins Glas stand noch auf dem Tisch. Ein Tropfen Schaum lief an der Innenseite hinunter, zäh und weiß wie Zuckerguss vereinte er sich mit der Schicht am Boden. Valentin selbst war vor über einer Minute aus dem Pub gestürmt. Warum, das hatte Rob nicht ganz kapiert. Anscheinend war er wütend. Dabei war der Kleine doch nie wütend.

Langsam lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und sah in die Runde. Stumme Gesichter in einer lärmerfüllten Bar voll Gelächter und Gläserklirren. Milan, Eva, Jannik, Luisa und Zebulon schwiegen. Die durchgetretenen Bodendielen des Hemingways knarrten, als die Kellnerin sich näherte.

»Was war denn mit dem los?«, fragte sie und nahm den Fünfeuroschein an sich, den Valentin auf die zerkratzte Tischplatte geschleudert hatte.

»Keine Ahnung«, sagte Rob. »Er ist sauer, dass sein Mitbewohner auf ihn steht oder so. Beziehungskrempel.«

Ausgerechnet Zebulon sah ihn ungläubig an. Zebulon, der nie eine Beziehung gehabt hatte, so lange Rob denken konnte. Und sie kannten sich schon mindestens fünf Jahre lang. Leider.

»Du fragst, was passiert ist?«, knurrte Zebulon. Seine schiefergrauen Augen verdunkelten sich. »Valentin ist ein Vollidiot, das ist passiert. Sein Mitbewohner liebt ihn und er ist zu blöd, um zu kapieren, dass er ihn auch liebt. Deshalb zickt er herum und flüchtet wie ein Kleinkind.«

»Wer benimmt sich hier wie ein Kleinkind?« Eva verdrehte die Augen. Die ältere Krimiautorin nahm ihre Bierflasche auf und schenkte Zebulon einen mitleidigen Blick. »Warum hast du den Kleinen angebrüllt?«

»Kein Grund.«

»Weil Zebulons Ex ihn angerufen hat. Das ist der Grund.« Rob lächelte. Irgendetwas nagte an ihm, und seinen Kollegen zu ärgern, war der schnellste Weg, das zu verdrängen. »Zebulon, erzähl mal was von deinem Ex. Ich weiß gar nichts über den. Nur, dass du dich benimmst, als hätte dich ein Kaktus gefistet, sobald der sich meldet.«

»Nein.« Zebulon blickte in sein glutenfreies IPA und grunzte. Die straßenköterblonden, ausgebleichten Strähnen hingen ihm ins Gesicht und sein Bart wirkte, als hätte er eine tagelange Wüstenwanderung hinter sich. Die gebräunte Haut verstärkte den Eindruck noch. Zebulon hätte wie ein Surfer wirken können, wenn der ewig genervte Gesichtsausdruck nicht gewesen wäre.

»Komm schon.« Rob beugte sich zu ihm hinüber. Etwas erregte seine Aufmerksamkeit: er selbst. Im Spiegel über der Bar sah er sein Antlitz und nahm sich einen Moment, seinen muskulösen Körper und die kunstvoll frisierten Haare zu bewundern. Immerhin einen ordentlichen Frisör konnte er sich leisten. Also, das konnte er nicht, aber der Frisör war ein alter Freund von ihm und gab ihm einen Rabatt. »Zebulon. Ich kann mir nicht vorstellen, wie dein Ex aussieht. Ist der wie du, nur schön? Habt ihr euch auf einer Unterwassertrommeltour in Papua-Neuseeland oder so kennengelernt?«

»Das wüsstest du wohl gern.« Zebulon verzog das Gesicht. »Du Geografie-Legastheniker.«

»Och.« Rob hatte nicht wirklich geglaubt, heute etwas über Zebulons mythischen Exfreund herauszufinden. Aber es machte Spaß, ihn zu nerven. Überhaupt machte es Spaß, Leute zu nerven. »Milan, wie ist das Familienleben? Kannst du schon Windeln wechseln?«

»Ja.« Milans Granitgesicht regte sich nicht. Der nahm sein Pils und trank, als hätte er nicht gerade eine absolute Widerwärtigkeit von sich gegeben.

»Was, echt? Mit Babykacke drin und so?«

»Ne, mit Goldstücken drin. Was dachtest du denn?«

»Aber ist das nicht«, Rob überlegte, »total zum Kotzen?«

»Muss halt sein, ab und zu.« Milan zuckte mit den Achseln. »Jules hilft mir.«

Was hatte die Liebe aus dem armen Kerl gemacht? Einst hatte Rob ihn bewundert. Milan war wie er gewesen: ein Raubtier, immer auf der Jagd. Schöne Männer, schneller Sex … Ja, vor allem nach schönen Männern und schnellem Sex. Und nun war er mit einem Langweiler zusammen und Teil einer öden Patchworkfamilie. Armer Teufel.

»Ich hoffe, ihr verwendet Stoffwindeln«, sagte Zebulon, der alte Jute-Jesus. »Weißt du, wie viel Kilo Müll täglich durch die Windelindustrie produziert werden? Ich war in Jimbaran am Strand und bin durch die Dinger gewatet. Die wurden da angeschwemmt wie Quallen, dabei war es vor Jahren noch ein echtes Naturparadies!«

»Haaach, also seid ihr jetzt eine richtige Familie«, seufzte Luisa. Ihr rundes Gesicht glänzte vor Glück. »Muss das schön sein.«

Jannik, ihr Freund, nahm panisch einen Schluck Bier. Eva schaute, als würde sie das alles nichts angehen. Sie waren nur noch zu sechst, seit Valentin seinen Tobsuchtsanfall gehabt hatte.

Milan zuckte mit den Achseln. Aber er wagte es, zu lächeln.

Rob schüttelte unmerklich den Kopf. »Okay, weg von Windelkack- und Familienthemen. Ich krieg sonst Ausschlag. Eva, wie läuft's mit dem Doppelmord?«

»Schlecht. Hab heute kaum 1000 Wörter geschrieben.« Sie neigte den Kopf. »Ick würde nachher weitermachen, aber ick muss morgen früh aufstehen. Wir besuchen Harriets Eltern.«

»Ich dachte, du hasst die beiden?« Rob hatte ganz deutlich gehört, dass sie die beiden verdorrten Arschkrampen nie wiedersehen wollte.

»Ja, dit tue ich.« Sie seufzte. »Aber Harriet will sie besuchen, also …« Sie wedelte mit den schlanken Fingern. »Ick habe keine Wahl.«

»Doch, hast du. Sag Nein.«

Sie lachte. »Robbel, du hast keine Ahnung, wie dit läuft, oder? Wenn ick jetzt nicht mitkomme, leide ick da noch Jahre drunter. Wenn Harriet den beiden Trollen alleine gegenübertreten muss … Ne, da bringe ick es lieber jetzt hinter mich. Mit ein bisschen Glück streiten sie sich wieder und wir müssen ein halbes Jahr nicht hin.«

»Ehrlichkeit reinigt die Seele«, sagte Zebulon. Was auch immer das bedeutete. »Du musst ehrlich zu Harriet sein. Ihr deine Bedürfnisse mitteilen. Man sollte seinen Partner nie zu etwas zwingen, zu dem er nicht bereit ist.« Ach, das meinte er. »Sag ihr einfach, dass du nicht mitkommst, weil du ihre Eltern hasst.«

Eva lachte erneut. »Ja, klar. Dit müsste ick ihr mal sagen. Dann könnte ick eine lustige Mordszene schreiben.«

Zebulon wirkte schockiert. »Eva, das ist nicht witzig.«

»Echt? Finde ick schon.« Sie kicherte. »Ne, so einfach ist dit leider nicht. Ick will meine Frau behalten, also komme ick zu ihren entsetzlichen Eltern mit und lächle.«

»Oder du lässt es«, sagte Rob. So wie er es seit Jahren ließ, jemandem so nahe zu kommen, dass er seine furchtbaren Eltern kennenlernen musste. Und es ging ihm gut damit. Flüchtige Bekanntschaften waren immer besser als jemand, der einem das Herz brechen konnte. Immer. Die Einzigen, denen er wirklich vertraute, saßen hier am Tisch. Und die verschwanden in die Beziehungshölle, einer nach dem anderen. Erst Eva, dann Jannik, sogar Milan. »Ich wette, Valentin ist bald auch verpartnert.«

»Als ob dieser Trottel das hinkriegen würde«, knurrte Zebulon. »Er ist dabei, das größte Geschenk von allen wegzuwerfen und merkt es nicht einmal.«

»Du auch, Zebulon?« Rob griff sich an die Brust. »Willst du dich etwa auch verpartnern und mich als letzten Single zurücklassen? Muss ich bald der Einzige sein, der ein ausschweifendes Sexleben und absolute Freiheit genießt?« Er schloss die Augen. »Entsetzlich.«

»So entsetzlich wie deine Prosa, du Schmonzetten-Luder«, grollte Zebulon. »Wie kannst du im echten Leben noch schwulstiger daherlabern als in deinen Romanen?«

»Was, liest du etwa meine Romane? Welche? ›Mein grausamer Milliardär‹? ›Herr ihres Herzens‹? ›Bestraft aus Liebe‹?«

Zebulons Wangen bekamen einen Grünstich. »Hör auf zu reden. Es wird nicht besser.«

»Welches hast du nun gelesen?«

»Keins. Ich habe in eine Leseprobe irgendeines deiner entsetzlichen Machwerke, die du unter einem ebenso entsetzlichen Frauennamen veröffentlichst, hineingeschaut. Und es sofort bereut.«

»Ich habe mal kurz auf deinen Blog geschaut und es noch mehr bereut. Was hast du gegen Touristen?« In jedem zweiten Satz hatte Zebulon davon geschwärmt, wie frei von dieser Plage der Menschheit die Strände der obskuren Insel des Archipels Raja Ampat waren, auf der er sich gerade aufgehalten hatte.

»Touristen zerstören alles, was gut ist.« Heiliger Zorn entflammte Zebulons Züge. »Sie zertrampeln Kulturen, kommerzialisieren unberührte Regionen und sind immer im Weg.«

»Du bist doch selbst ein Tourist«, sagte Rob.

»Das nimmst du zurück«, grollte Zebulon.

»Warum denn, Touristenboy?«

»Weil ich ein Forscher bin, du verlogenes Milliardärsschreiberlein! Ein Entdecker! Ich reise, um meinen Horizont zu erweitern, um meiner Seele Nahrung zu geben, nicht, um …«

»Ick muss dann mal los.« Eva holte das Portemonnaie aus ihrer Tasche.

»Ich auch.« Milan winkte der Kellnerin.

»Ja, gute Idee.« Jannik lächelte nervös. »Schatz?«

»Okay.« Luisa schmiegte sich an seinen Arm.

Zwei Minuten später waren sie allein. Irritiert blickte Zebulon Rob von der anderen Seite des Tisches aus an.

»Sind die wegen uns gegangen?«, fragte Zebulon.

»Nein, nur wegen dir. Wenn du zu einem Vortrag ansetzt, flüchtet halt alles.« Rob nahm einen Schluck Weizenbier. »Reiß dich mal zusammen, Zebi.«

»Wer die Wahrheit nicht verträgt, flüchtet vor ihr.« Majestätisch strich der Jutesack seinen geknüpften Leinenpulli zurecht. Der Körper darunter sah nicht einmal schlecht aus. Es war Zebulons Charakter, der ihn so unattraktiv machte.

»Wer dein Gelaber nicht erträgt, flüchtet«, korrigierte Rob. »Und? Manobar? Nachher?«

»Das letzte Mal, als du mich an diesen gottverlassenen Ort geschleppt hast …«

»Ja, ja, bist du auf einen Pauschaltouristen reingefallen. Du hast mir immer noch nicht gedankt, dass ich dich mitgenommen habe. Wenn ich dich nicht ab und zu in die Manobar schleppen würde, würdest du nie flachgelegt.«

»Im Gegenteil, mein Lieber.« Das »Lieber« klang irgendwie unlieb. »Ich garantiere dir, dass ich auf meinen Reisen äußerst befriedigende Abenteuer hatte.«

»Ach, echt? Ich dachte, wenn du andere Rucksackträger triffst, gibt's nur einen Schwanzvergleich, wer das entlegenste Dorf auf der am weitesten entfernten Insel gefunden hat.«

»Manchmal endet das in einem realen Schwanzvergleich.«

War das ein Witz? Und ein Lächeln? Rob richtete sich auf und grinste.

»Mensch, Zebi! Herzlichen Glückwunsch!«

»Wozu?«

»Dass du dir unter all den Leinensäcken und der Selbstgerechtigkeit einen Funken Humor bewahrt hast. Dafür geb ich dir ein Bier aus!«

»Tatsächlich.« Misstrauisch war gar kein Ausdruck.

»In der Manobar.«

»Das war ja klar.« Zebulon seufzte. »Nur, wenn du es unterlässt, dich über meine Reisen lustig zu machen.«

»Gut, dann darfst du nicht über meine Romane reden. Oder darüber, dass ich dreimal so viel schreibe wie du.«

»Worüber sollen wir dann reden?«

Rob

Подняться наверх