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Eine Vollmondparty

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Eine alte Fabrik am Stadtrand im Osten Berlins: Hinter einer hohen steinernen Mauer, die oben mit Stacheldraht und Metallspitzen versehen war, und in der sich eine kaum wahrnehmbare Tür befand, ragten die Gebäude und ein Schornstein fast wie eine Festung. Das Gemäuer war teilweise verfallen. Trotzdem wirken die Gebäude im Vollmondschein imposant und man erkannte sogar die Spuren einstiger Schönheit. Die Mauern bestanden hauptsächlich aus Ziegelsteinen und waren mit etwas beschädigten Stuckaturen verziert, wie man sie noch an vielen solchen Gebäuden in Berlin sehen kann. Trotzdem erkannte man noch deutlich den Kunstsinn, mit dem Ende des 19. Jahrhunderts sogar Zweckgebäude verziert wurden. Auf der Westseite befanden sich alte Bahngeleise und bereits verfallene ungenützte Gebäude. Im Osten dehnte sich soweit das Auge reichte eine grüne Wiese.

Ein Saal lag im Untergeschoss. Der Boden schillerte in Goldfarbe. Drei Ziegelsteinwände waren dekoriert mit Geldscheinen aus aller Welt - echten! An einer Wand hing das Bild einer Mondlandschaft in einem schweren, vergoldeten Rahmen. Vitrinen enthielten Münzen aus allen möglichen Zeiten. Die Teppiche waren kostbar und fein geknüpft. Die Stühle waren versilbert. Sie standen nahe an den mit Geld verzierten Wänden. An der vierten Wand befanden sich ein Podium, und dahinter eine schwere Schiebetür. Auf dieser sah man ein fotografisches Abbild des Vollmondes mit schwarzem Hintergrund. In der Mitte des Mondes befand sich ein Stück der alten D-Mark. An der Decke des Saales war ein Sternenhimmel mit Vollmond abgebildet.

Es schien eine Party wie jede andere zu sein. Auffallend war höchstens, dass die meisten Herren silbergraue Anzüge trugen und goldfarbige Krawatten. Die Abendkleider der Damen bestanden aus goldenen oder silbernen Stoffen. Jim Thaler wandte sich mit dem Champagnerglas in der Hand einem Mann zu. Dieser, Egbert Leinau, sah so aus, wie man sich einen Formaljuristen vorstellt. Als erstes hatte man den Eindruck als würde er am liebsten über juristische Finessen und Theorien diskutieren. Aber wer ihn aufmerksam beobachtete und die Empfindung dafür hatte, konnte seine negative Ausstrahlung wahrnehmen. Dann wirkte er wie ein Schwarzmagier, und es gab Menschen die Brustbeklemmung und Brechreiz in seiner Gegenwart bekamen. Jim Thaler allerdings war nicht empfänglich für solche unsichtbaren Schwingungen. "Nun Thaler", fragte Egbert Leinau, "hat Lydia Elster Erfolg gehabt." - "Den bestmöglichen. Daniel und Katharina sind in unserer Hand. Rosa Schmitt hat Lydia ihren Sohn selbst ausgeliefert. Lydias Auftritt als Polizistin und ihr Trick mit dem Kinderhütedienst funktionierte ausgezeichnet. Ich bewundere immer wieder ihren Einfallsreichtum."

Ein zynisches Grinsen lief über das Gesicht von Egbert Leinau. "Ausgezeichnet! Graf Hochhausen, dieser Idealist, wird empört sein, wenn er erfährt, dass Kinder von einem seiner Angestellten entführt wurden. Um sie zu befreien, wird er uns sehr entgegenkommen." Jim Thaler überlegte. "Trotzdem, er ist sehr intelligent! Wenn er uns auf die Schliche kommt..." - "Wenn wir geschickt taktieren, wird er das frühestens dann, wenn er nicht mehr raus kann, ohne als Mittäter dazustehen.“ - "Aha, Hochhausen hat wohl trotz seines Idealismus einige Leichen im Keller, dazu ist er in der Finanzwelt umstritten." - „Ersteres ist nicht der Fall, das wissen Sie doch. Letzteres ist unser Vorteil“, antwortete Leinau. „Eine seriöse Privatbank – das ist heute eine Seltenheit - mit einem Chef der als Spinner gilt! Idealer geht's nicht für unsere Zwecke." - "Sie haben recht wie immer, Leinau", meinte Jim in bewunderndem Ton. Jim empfand eine echte wenn auch kühle Bewunderung für Egbert Leinau.

Eine Frau trat zu ihnen. Sie war ungefähr 40 Jahre alt, hatte rotblonde Haare, die sie zu einem strengen Knoten aufgesteckt hatte. In den Ohren und um den Hals trug sie Schmuckstücke mit echten Goldmünzen, die geheimnisvoll klingelten. Ihr silbernes Kleid mit einem goldenen Schlangenmuster passte vortrefflich zu ihrem Typ. Sie wandte sich mit einem hintergründigen Lächeln zu Jim Thaler. Leinau küsste ihr formell die Hand. "Nun können wir wohl einen Erfolg feiern, Lydia", meinte er. "Ich denke schon." - "Sind die Kinder gut untergebracht." - "Ja, sie weinen natürlich und rufen nach den Eltern. Das war ja zu erwarten. Ich habe ihnen ein harmloses Beruhigungsmittel verabreicht, und jetzt schlafen sie. Aber was soll weiter mit ihnen geschehen?" - "Vorläufig gar nichts! Behandeln Sie sie gut. Sie sind ein wichtiges Pfand in unserer Hand." Egbert sah auf die Uhr. "Bald ist es Mitternacht", stellte er fest.

Lydia Elster betrat das Podium, Jim Thaler stellte sich neben sie. Sie wirkte nun noch schlangenhafter als vorhin. Vor sich hatte sie ein kostbares goldenes Amphora. „Liebe Bundesmitglieder“, begann Jim Thaler, "wir sind wie jeden Sonntag vor Vollmond zusammengekommen, um der hohen Ziele unseres Bundes zu gedenken.“ Und dann zitierte Lydia, mit der Melodie eines Kirchenrezitatives:

„Das Geld ist unser Gott. Wir glauben an das Geld als die größte Macht, welche die Welt beherrscht.

Wir behandeln Geld mit Ehrfurcht.

Wir beten das Geld an.

Wir erwerben möglichst viel Geld.

Wir legen unser Geld gewinnbringend an.

Wir glauben an den Mond als die Verkörperung des Geldes.

Wir wollen eines Tages den Mond kaufen.

Wir tun alles, um dieses Ziel zu erreichen.

Wir versammeln uns in jeder Vollmondnacht und bringen ein Opfer.

Wir opfern Geld dem Geld auf dass es sich vermehre.“

Lydia nahm die Schale in beide Hände und alle Anwesenden zogen feierlich daran vorbei und warfen Geld hinein - hohe Summen.

Nachher verteilte sich die Gesellschaft wieder in den Räumen, man tanzte, lachte, bediente sich am reichhaltigen Büffet und unterhielt sich.

Wem gehört der Mond?

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