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Zehn Wünsche für die Kirche 2060
Оглавление1.Weiße Männer werden als Letzte gehen und das Kirchenlicht ausschalten, wenn die Zahl der Kirchenmitglieder auf ein Minimum gesunken ist, wenn die Institution verschwunden sein wird und kirchliche Macht und Einfluss sich in Nichts aufgelöst haben.
2.Die post-institutionelle Kirche wird durch die empathische und geistliche Kraft von Frauen lebendig sein oder sie wird ganz verschwinden. Verschwinden wird sie, wenn die Plastiksprache, die emotionale Kälte, das betriebswirtschaftliche Kalkül oder der verblichene Glanz kirchlicher Macht die feminine Inspiration auffressen.
3.Die Zeit der Bibel wird vorbei sein, sie wird in verstaubten Ecken vergessener Bibliotheken allmählich zerfallen. Die zukünftige Gemeinde wird sich Geschichten erzählen: vom barmherzigen Samariter, von der Kraft Gottes, die in den Schwachen mächtig ist, vom himmlischen Jerusalem.
4.Die neue Gemeinde wird sich mutig der Verfolgung stellen, die ihr von der naturwissenschaftlichen Monokultur droht. Vertrieben aus Universitäten, von politischem Einfluss abgeschnitten, wird sie zum Sammelbecken derer, die sich mit technokratischem Krisenmanagement und kruder Diesseitigkeit nicht abfinden wollen. Sie wird wilde Feste feiern, in denen sie ekstatisch mit der Hoffnung tanzt und sich der Wiederauferstehung des Glaubens erfreut.
5.Schluss wird sein mit der verklemmten Feigheit: Auf den Trümmern der alten Kirche sitzend wird die neue Gemeinde Leben und Sterben aus der biomedizinischen Gefangenschaft befreien und die Welt mit der absurden und peinlichen Rede von der Auferstehung des Fleisches bis zur Weißglut reizen.
6.Die kirchlichen Sozialkonzerne werden verschwunden sein. Eine unerwartete Kraft strömt stattdessen aus den neuen Gemeinden: Die großen Krisen (der Ökonomie, des Klimas) konfrontiert die kleinen Christengemeinschaften überall mit Flüchtlingen, Kranken, Hungernden, Einsamen. Die Welt wird beginnen auszusehen wie ein globales Hospiz. Die auf glückliche Weise ohnmächtige Kirche tröstet, begleitet und pflegt, wo ihr Not begegnet. Demütig und ohne Alleinvertretungsanspruch.
7.Die neue Kirche wird begriffen haben, dass sie die wachsende Kluft zwischen arm und reich nicht schließen kann. Deswegen wird sie die Reichen aufgeben. Der Traum von einer gemeinsamen friedlichen Welt ohne Hunger und Krieg ist zu Ende. Stattdessen blühen Orte auf, an denen konviviale, freundschaftliche, solidarische, spirituelle Gemeinschaften wachsen. Die neuen Christen beginnen, verlorene Orte zu besetzen: Orte der Gemeinschaft inmitten allseits herrschender Einsamkeit, ‚Umsonstigkeit‘ inmitten fressenden Kalküls.
8.Die Kirche wird sich an der blühenden Frömmigkeit, an den vollen Kirchen und dem starken Glauben afrikanischer Christen orientieren. Denen war von weißen Experten längst ein Stempel aufgedrückt worden: typische afrikanische Rückständigkeit. Die seien doch in der modernen Welt noch nicht angekommen. In diese lebensvolle afrikanische Rückständigkeit wird die neue Kirche verliebt sein.
9.Die neue Kirche wird das Anthropozän verlassen, indem sie ihre Herzen öffnet für alle vom Menschen misshandelten Geschöpfe. Sie wird eine ‚Kritterkirche‘ sein, in der die Menschen sich nicht mehr als Krone der Schöpfung, sondern als Mitgeschöpfe verstehen. Der künftige barmherzige Samariter neigt sich nicht nur Menschen aus allen Nationen zu, sondern allen Lebewesen. Dann wird der Saft enthusiastischen Glaubens wieder in die ausgebleichten Knochen der Kirche fließen.
10.Die neue Kirche schließt nicht aus, dass Gott scheitert. Sie fürchtet, dass die Leute die Menschwerdung Gottes zurückweisen könnten. Das würde dann die Stunde unüberbietbarer Schwäche der Kirche sein. Und das wird das letzte große Geschenk der Kirche an die Menschen: die Selbstaufgabe, in der sie ihrem Meister und Messias folgt. Eine sympathische Kirche, die so abschmilzt wie das Eis an den Polen. Eine Kirche, die so verblasst, wie die Korallen am Great Barrier Reef. Ein Augenblick, in der die Kirchen und die Menschen nur noch mit zum Himmel geöffneten Händen auf das Manna, das vom Himmel fällt, warten können.
Dann wird die Ohnmacht der Kirche zu ihrer Sternstunde geworden sein.