Читать книгу Die Faxen Dicke - Reiner Hänsch - Страница 5
Urlaub - muss dat sein?
ОглавлениеDie einen sagen so, die anderen so. Auf jeden Fall scheint der Urlaub wohl den einzigartigen Effekt zu haben, dass man hinterher nicht mehr der ist, der man vorher war. Urlaub verändert also den Menschen, wie es aussieht. Und das könnte doch gut sein.
Aber: Es sieht nicht immer gut aus.
In der Ankunftshalle eines beliebigen deutschen Flughafens bekommen wir sie manchmal zu Gesicht. Die Urlauber. Sie sind gar nicht scheu. Mehr als zutraulich sogar. Man kann sie eigentlich kaum übersehen. Ledergegerbt, rotverbrannt, manchmal noch qualmend und versalbt oder verpflastert und soeben wieder brutal in der unwirtlichen Heimat ausgesetzt - aber noch nicht angekommen.
“Boah, is dat kalt hier bei euch!”
Klar, wenn man vierzehn Tage Thailand hinter sich hat, dann hat man überhaupt keine Erinnerung mehr an dieses Land im Norden der Welt, wo sozusagen ganzjährig und recht zuverlässig schockfrostige und nasse sieben Grad herrschen.
Und “bei euch!” sagen sie, so, als gehörten sie schon gar nicht mehr dazu - zu uns, den armselig Zurückgebliebenen. So, als seien sie schon längst selbst und selbstverständlich Südländer, Wüstenbewohner, Muscheltaucher oder neu-guineische Einbaumfahrer geworden und noch ganz eins mit dieser anderen verheißungsvollen Welt. So, als könnten sie sich keinesfalls mehr in die harten und widrigen Lebensumstände eines ganz normal miesepetrigen, fröstelnden Nordhalbkugelbewohners hineinversetzen. Einige von ihnen haben es nicht einmal geschafft, sich die Neon-Badelatschen von den Füßen zu ziehen, oder Bermudas, T-Shirts und Sonnenbrillen gegen dicke Mäntel, lange Unterhosen und Schneebrillen einzutauschen. So sieht’s aus.
Wir sehen re-integrationsunfähige Gestalten mit großflächig abgelösten und teilweise auch schon wieder nachgewachsenen Hautfetzen und fast verheilten Narben im Gesichts- und Schulterbereich. Wie gesagt, es sieht nicht gut aus, aber tatsächlich so, als hätte er was gebracht - der Urlaub. Veränderung.
Zumindest schon mal äußerlich.
Aber abgesehen von den sehr deutlichen und sicherlich auch schmerzhaften körperlichen Versehrungen, scheinen sie trotzdem ganz glücklich zu sein - unsere Zurückgekehrten.
Warum?
Und kaum haben sie uns farblose, totenbleiche Nachtschattengewächse des ewigen Eises entdeckt, schmettern sie uns atemlos die Erfolgsmeldungen “Spitzenhotäll!”, “Super-Büffeh!”, “Fümf Stärne!” und “Wätter einmalich!” entgegen. “Ach, war dat härrlich!” darf natürlich auch nicht fehlen
Ja, ein wenig beneiden wir sie schon, diese Aussätzigen, diese Gezeichneten. Sie sind so anders.
Wir wollen auch mal Urlaub!
Aber wir sind ja auch bald dran. Bald schon ist es soweit und dann geht es auch für uns los in das letzte wirklich große Abenteuer der Menschheit, das dann vielleicht “Zwai Woch’n Oll Inkel Dom Räpp achthundatfümmenneunzich Euro” heißt oder für manche auch vielleicht nur “Zelten am Steinhuder Meer - deutlich billiger”.
Urlaub - der nackte Kampf ums Überleben.
Ach, wird das schön. Die wochenlange Planung, das ewige Umschmeißen und Ändern dieser großartigen Pläne und Termine, weil alles so ja gar nicht geht. Ein kleiner erster Streit. Und dann das ganze schöne Gefreue vorher, bis es dann endlich, endlich soweit ist: Um vier Uhr nachts aufstehen, ohne eine einzige Sekunde von dem wirklich notwendigen Schlaf bekommen zu haben, Taxiabholung in der allerletzten Minute vor dem Herzanfall, dann zum Flughafen in der viel zu weit entfernten bösen Großstadt, Ladegerät und Deoroller vergessen, fast zu spät zum Gate gekommen, Koffer zu schwer, ein weiterer kleiner, ganz unbedeutender Familienstreit in der Abflughalle, kein Frühstück, schlechte Plätze in der zwanzigsten Reihe, von den Kindern getrennt, Handgepäck passt nicht in die verdammte Klappe über dem Sitz. Dann wieder anschnallen, heftige Turbulenzen, vierzehn Stunden Flug mit Übelkeit und Erbrechen, Toiletten ständig besetzt … ach, wird das herrlich!
Und dann erst: Ankommen, wo man noch nie war und wo man nix kennt, sich alles ganz anders vorgestellt hat, wieder ein wenig Familienstreit hat, außerdem Kopfschmerzen und kotzende Kinder. Wunderbar! Hitze, Mücken, fremde Währung, Diebe, Betrüger und schlechtes Essen, Krankheiten, Seuchen, Verletzungen, Entstellungen und erste Todesfälle. Die Reihen lichten sich. Vierzehn Tage! Das ist nur was für die ganz Harten. Doch wir kämpfen Tag für Tag unerbittlich. Dieser scheiß Urlaub wird uns nicht kleinkriegen. Nein. Uns nicht!
Und dann … geht es doch so schnell und unerwartet dem plötzlichen Ende entgegen und wir sagen “schade!”
Warum?
Ernste drängende Fragen und Unsicherheiten tauchen plötzlich in der letzten Minute auf. Alles gesehen? Nichts verpasst? Genug gekauft? Braun geworden? Bin ich erholt? Alles gemacht?
Denn man macht ja den Urlaub, das Land, die Region. “Lätz’s Johr homma Ägüppten gemocht! Soogenhofft! Näch’s Johr moch mer Dailond!”
Und jeder macht ja anders Urlaub. Man kann sogar nach Nationalitäten unterscheiden. Die Japaner zum Beispiel schaffen es locker, in fünf Tagen die Highlights Europas zu machen. Klar, da wird es schon mal etwas hektisch. Das ist aber kein Problem für das ohnehin recht emsige asiatische Völkchen. Ein durchschnitt-licher Sauerländer zum Vergleich macht in vierzehn Tagen gerade mal Neuharlingersiel und drei Fischbuden. Er urlaubt einfach intensiver und auch akribischer, wie es scheint. Die Japaner bekommen ja während ihrer Überfall-Blitztour überhaupt nichts mit. Eiffelturm, Brandenburger Tor, Colosseum. Sashimi Futomaki. Nix gesehen! Brauchen sie ja auch nicht. Sie fotografieren einfach alles und schauen gar nicht erst hin. Das spart richtig Zeit und hinschauen kann man ja dann hinterher zuhause hinter dem Papierparavent in Tokio bei einem schönen Glas Sake. Ist ja viel bequemer. Jaja, die Japaner saufen also. Aber in dezenter Zurück-haltung erst zuhause wieder.
Aber im Urlaub und ohne Zurückhaltung da saufen die alten Schweden und sind dementsprechend auch zwei Wochen ohne eigentliche Besinnung. Die Italiener machen Krach, streiten sich ständig und saufen natürlich auch. Auch die Engländer saufen, sind aber außerdem noch tätowiert, haben erst gar keine T-Shirts in den Urlaub mitgenommen und sind einfach eben asi. Und die Russen … naja, also die Russen … die saufen natürlich … aber nee, lassen wir die Russen mal lieber ganz außen vor.
Ach, ist das schön mit den Vorurteilen! Herrlich. Und meistens stimmt ja alles. Wir zum Beispiel, die Deutschen, saufen selbstverständlich auch und tragen außerdem noch weiße Socken in Sandalen. Wir legen abends Handtücher auf die morgendlichen Pool-Liegen und würden am liebsten auch einen Zaun drum bauen. Und wir haben in den urläublichen Speisesälen als Erste einen riesigen, äußerst belastbaren, hochrandigen Teller in der Hand und sind durchaus in der Lage, ganze Buffets leerzufressen, bevor die anderen kommen. Weil ja alles bezahlt ist. Oll Inkel eben. Nee, nee, wir haben alles unter Kontrolle und alles im Griff. Und wir verstehen nicht viel Spaß im heiligen Urlaub. Es muss eben alles geregelt sein. Man ist ja schließlich nicht zum Vergnügen hier.
Und dann spuckt uns endlich der unbarmherzige Urlaubsmoloch doch wieder aus - irgendwo auf einem heimatlichen fernen, fast vergessenen Flughafen. Und nun sind wir die Gezeichneten, die Anderen, die Urlauber. Fremde Wesen, zurück aus einer unwirklichen Zwischenwelt.
“Boah, is dat kalt hier! Komm, Hättwich, lass we schnell widder umdreh’n, woll!”
Ja, ja, das alles wollen wir erleben.
Also, Urlaub: Das muss sein!
Dann lies mal schön weiter. Jetzt fängt es an!