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Kraftworte –
Ein Blick in die Werkstatt

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Als Student habe ich mir Psalmen zu eigen gemacht. „To learn by heart“ heißt es im Englischen und das trifft es besser als „auswendig lernen“.

Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass es keine Einmalworte sind, dass Bibelworte sich öfter zu Wort melden und in verschiedenen Situationen Verschiedenes sagen. Da ist es gut, ein paar davon in sich zu tragen, dachte ich. Und ein Lehrer ermutigte uns mit einem Schmunzeln: „Woran soll Sie Gottes Geist erinnern, wenn Sie nichts im Kopf haben?“

So habe ich biblische Texte auswendig gelernt, auch Psalmen, nach der Lutherübersetzung. „Der HERR ist mein Hirte“ war mir schon aus Jugendzeiten vertraut. Jetzt kamen andere hinzu.

Die Worte haben sich festgesetzt. Haben ihre Kraft entfaltet. Haben mich ermutigt und getröstet, irritiert und neugierig gemacht.

Psalmen lernen, Worte kauen hat etwas Sinnliches. Spüren, was sonst unbewusst bleibt. Schmecken, was in der Seele ist. Einen Vorgeschmack auf das bekommen, was auch möglich ist und was noch werden könnte. Sich nicht zufriedengeben mit dem, was ist.

„Gott, du bist mein Gott. … Meine Seele dürstet nach dir … aus trockenem, dürrem Land“ (Psalm 63). Das ist immer wieder „mein Wort“ gewesen. Meine Seele hat sich so trocken angefühlt wie meine Kehle nach einer langen und heißen Bergwanderung. Ich habe mich nach Gott gesehnt. Ich wollte ihn spüren wie das kühle Pils in der ausgetrockneten Kehle. Der Psalm hat diese Sehnsucht lebendig gehalten. Er hat in Worte gefasst, was in mir war, und meiner Sehnsucht eine Richtung gegeben. Zu Gott hin.

Und die Worte haben mir geholfen, an Gott dranzubleiben, bis er sich wieder gezeigt hat. Bis er meinen inneren Durst gestillt hat.

Durch Menschen, die mich in den Arm nahmen. Durch überraschendes Glück im richtigen Moment. Durch eine neue Portion Gelassenheit im Umgang mit dem, was nicht gelöst war. Durch das Gefühl, wieder verbunden zu sein: mit Gott, mit meinem Ursprung, mit dem Leben, mit dem göttlichen Gegenüber, das zu mir steht.

„Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen“ (Psalm 103) ist auch so ein Satz, der mich lange begleitet. Und immer wieder andere Facetten entfaltet. Im Studium habe ich gelernt, dass „Seele“ auch mit „Kehle“ übersetzt werden kann. Dass nach hebräischem Denken die Seele dort ihren Ort hat, wo spürbar wird, wie bedürftig wir sind. Hunger und Durst werden durch die Kehle gestillt. Und der Atem fließt. Einatmen. Ausatmen. „Lobe den HERRN, meine Kehle.“ Viele Lieder wurden dadurch inspiriert. Einstimmen und mitsingen, das tut gut.

Diese Worte, in denen so viele Erfahrungen aus vielen Generationen verdichtet sind, haben ihre Kraft auch in meinem Leben entfaltet. Und umgekehrt: Mein Leben hat sich in ihnen entfaltet. Sie waren schon immer Kraftworte. Sie sind es auch für mich geworden. Manches „Werkstück“ in meinem Leben – der eine hilfreiche Satz in einem Gespräch, eine mutige Entscheidung, manches Buch etc. – wäre ohne sie nicht geworden.

Einiges von dem, was ich damals auswendig gelernt habe, hat sich verflüchtigt. Wurde nicht verwoben mit meinem Erleben. Hat keine Resonanz erzeugt und sich nicht mit Erfahrungen verbunden.

Anderes ist geblieben. Hat sich verankert und ist über die Luther-Übersetzung hinausgewachsen. Hat sich vermischt mit eigenen Worten; mit dem, wie ich es gerade erlebt habe. Irgendwann habe ich angefangen, die Psalmen so aufzuschreiben, wie sie gerade in mir waren. Teils Luther, teils eigene Formulierungen. Daraus sind mehr und mehr eigene Übertragungen und Neuformulierungen geworden und schließlich dieser Psalmenband.

Ich habe die Stücke so ausgewählt, dass sie die Vielfalt der Psalmen spiegeln. Fast alles, was grundlegend ist im Leben, ist ja zu finden in diesen uralten Gebeten. Und doch ist das 21. Jahrhundert etwas anderes als ihre Entstehungszeit vor 2.500 oder 3.000 Jahren. Unsere Zeit und ihre Lebensgefühle haben ihr eigenes Gepräge.

Sie unterscheiden sich auch von Luthers Aufbruch zwischen Mittelalter und Neuzeit.

So kraftvoll seine Sprache auch ist, wir haben unsere heutige Art zu reden und zu schreiben und brauchen Worte aus dem gegenwärtigen Erleben heraus: damit das Fremde vertraut werden kann; damit Annäherung möglich ist; damit Gottes Geheimnis Platz hat im eigenen Erleben. Und nicht plattgemacht wird von den tausend anderen Sachen, die sich so sehr in den Vordergrund drängen.

Manche „Stücke“ sind näher am biblischen Text, manche weiter davon entfernt. So ist das, wenn sich kraftvolle biblische Worte und eigenes Erleben verweben und am Ende nicht mehr ganz klar ist, welcher Faden woraus gesponnen ist und was genau er zum Gesamtbild beiträgt. Text ist Textur ist Gewebe. Aus lebendigen Worten. Gespeist aus dem eigenen Herzen, aus göttlicher Quelle, aus biblischen Vorlagen. Verwoben zu dem, was geworden ist.

Als „Bonus-Material“ sind ein paar Neuschöpfungen entstanden. „Neue Psalmen“ aus dem, was uns gerade bewegt, bedrängt und umtreibt. Nicht mit dem Anspruch, die Qualität biblischer Psalmen zu erreichen. Vielmehr mit dem Anliegen, gegenwärtiges Erleben zum Gebet werden zu lassen. Im Geist der alten und kraftvollen Gebete.

Ich habe die Psalmen gerahmt. Fünf Texte davor und fünf danach. Weil die Psalmen nicht im luftleeren Raum stehen, sondern Resonanzen sind darauf, dass Gott sich zeigt, von sich hören lässt, dann wieder unauffindbar erscheint. So habe ich Ur-Texte aus den ersten Büchern der Bibel gewählt. Schlüsseltexte vom Anfang. Es geht um Berufung, Sehnsucht und Segen. Das passt zur jüdischen Tradition, in der die Psalmen als Antwort auf Gottes Handeln verstanden werden, wie es die Tora bezeugt.

Auf die Psalmensammlung folgen Stücke aus dem Propheten Jesaja, der durch die Psalmensprache geprägt ist. Dort werden gesellschaftliche und politische Konsequenzen gezogen, die aus der Gebetshaltung der Psalmen erwachsen. Um Gottes heilsame Gegenwart geht es, um Versöhnung, Frieden und Gerechtigkeit. Es sind Worte, die Zuversicht stärken und ihre eigene Kraft entfalten.

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