Читать книгу Hannah von Bredow - Reiner Möckelmann - Страница 11
Die Nationalsozialisten früh im Blick
Оглавление„Heute ist Hitler 43 Jahre alt – ob er in einem Jahr schon Reichspräsident oder Kanzler ist? Eins von beiden sicher.“
(Tagebuch Hannah von Bredow, Mittwoch, 20. April 1932)
Hannah von Bredow war die älteste von fünf Geschwistern. Schwester Goedela war drei Jahre jünger als sie und unpolitisch; die Brüder Otto, Gottfried und Albrecht waren vier, acht und elf Jahre jünger. Alle Brüder hatten Jura studiert. Während Albrecht ohne Abschluss blieb und sich überwiegend in Italien im Handel von Antiquitäten und als Innenarchitekt betätigte, gingen die Brüder Gottfried und Otto den Weg in die Politik bzw. die Diplomatie.
Otto Fürst von Bismarck hatte sein Reichstagsmandat für die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) im Jahre 1927 mit dem Eintritt in die Diplomatie und anschließenden Tätigkeiten an den deutschen Botschaften in Stockholm, London und Rom niedergelegt. Gottfried Graf von Bismarck-Schönhausen unternahm nach dem Juraexamen Studienreisen, arbeitete für Wirtschaftsverbände und bewirtschaftete bis zum Machtantritt Hitlers drei Jahre lang das von ihm geerbte Familiengut im pommerschen Reinfeld.
Die Brüder Otto und Gottfried von Bismarck hatten ebenso Vorbehalte gegen das parlamentarische System der Weimarer Republik wie die von ihnen favorisierte nationalkonservative DNVP, obwohl diese zeitweilig auch zu Regierungstätigkeit bereit war. Nach seinem Rückzug aus dem Reichstag erlebte Otto im Mai 1928 große Verluste seiner Partei in den Wahlen zum 4. Reichstag. Die NSDAP Hitlers blieb zwar noch Splitterpartei, wurde gut zwei Jahre darauf, nach den Septemberwahlen 1930 zum 5. Reichstag, aber bereits zweitstärkste Kraft hinter den Sozialdemokraten. Der Stimmenanteil der DNVP halbierte sich in diesen Wahlen, sodass sie ihrerseits Splitterpartei wurde, während die NSDAP zur Massenbewegung aufstieg.
In Aufmärschen, Reden und Schriften vermittelte die politisch unverbrauchte NS-Bewegung den Deutschen in der Zeit des Übergangs der Republik vom parlamentarischen zum autoritären Regime Durchsetzungskraft und Dynamik. Sie versprach den Kampf gegen den Bolschewismus sowie die Überwindung der außen- und innenpolitischen Niederlage von 1918. Nachdem der Parteiführer der DNVP, Alfred Hugenberg, im Oktober 1931 in Bad Harzburg mit Hitler bei einer Veranstaltung der „nationalen Opposition“ zusammengetroffen war, erschien es auch Otto und Gottfried von Bismarck an der Zeit, Hitlers Ansichten genauer kennenzulernen.
Am 11. Januar 1932 luden die Bismarck-Brüder den NS-Führer Adolf Hitler, den SA-Führer und späteren Polizeipräsidenten von Potsdam, Wilhelm von Wedel, sowie den damaligen deutschen Botschafter in London, Konstantin von Neurath, mit Begleitung zum Frühstück in ein Extrazimmer des Berliner Hotels Kaiserhof. Otto von Bismarcks Frau Ann-Mari begleitete ihren Mann und schwärmte nach dem Treffen von Hitler. Gottfried von Bismarck berichtete seiner Schwester Hannah von Bredow, dass Hitler „siegessicherer denn je gewesen sei“. Er habe ihm angekündigt, dass es zwar „nicht angenehm“ sei, „Brüning den Hals umzudrehen, aber das Land geht vor.“ Auch habe Hitler eine Rücknahme seiner Gegenkandidatur zu Hindenburg bei der im März anstehenden Wahl zum Reichspräsidenten strikt abgelehnt.
Nach Gottfrieds Aussage schätzte Hitler die Rolle des Militärs gering ein und stellte fest: „Sie haben keine Resonanz beim Volk und niemand will sie haben. Schleicher ist ein geriebener Gauner, weiter nichts.“ Gottfried zeigte sich enttäuscht, dass seine Schwester Hannah nicht an dem Gespräch teilgenommen hatte, „allein schon des Gedächtnisses wegen“. Der ältere Bruder Otto dagegen, der Hannahs offene Sprache fürchtete, hatte sie aus fadenscheinigen Gründen von der Teilnahme abgehalten.
In Unkenntnis der Hintergründe war nicht nur Bruder Gottfried, sondern auch Mutter Marguerite enttäuscht darüber, dass Hannah nicht an dem Hitler-Treffen teilgenommen hatte. Sie schrieb Hannah später wenig schmeichelhaft: „Ich kann absolut nicht begreifen, warum Du damals z.B. nicht mit Hitler im Kaiserhof gefrühstückt hast, das wäre doch eine Gelegenheit gewesen. Es macht doch gar nichts, dass Ann Mari z.B. so viel jünger und hübscher ist wie Du – ich habe mir nämlich überlegt, ob das der Grund für Deine Zurückhaltung ist.“
Diese abwegige Annahme ihrer Mutter bewertet Hannah von Bredow am 29. Januar 1932 gegenüber Jessen: „Der Brief meiner Mutter ist so charakteristisch. Ich hatte ihr geschrieben, dass ich von Göring-Goebbels nichts hielte, Hitler nicht beurteilen könnte. Das verursacht ihr eine schlaflose Nacht.“ Allein aus Neugier hätte Hannah ihre Brüder zum Treffen mit Hitler, über den sie sich sehr wohl ein Urteil gebildet hatte, gern begleitet. Bereits am 12. Dezember 1930 stellte sie im Tagebuch ernüchtert, aber auch besorgt fest: „Die Menschen reden immer: Hitler oder Kommunismus. Hitler, dieser miese, aufgeregte, hysterische, weibische Trommler, ist Prolet und Kommunist mit nationalem Einschlag. Wenn er nur nicht Diktator wird. Dann wird Deutschland ein Irrenhaus. O. + G. machen bestimmt mit.“ Otto und Gottfried von Bismarck machten in der Tat mit.
Im Brief vom 29. Januar 1932 berichtet Hannah von Bredow ihrem Vertrauten Jessen von einem bevorstehenden Fest, zu dem die preußische Kronprinzessin Cecilie eingeladen hatte: „Ich werde hingehen und mir die Sache ansehen; mich beunruhigt am meisten die absolute Intimität, die Ihre Kaiserliche Hoheit mit Marius’ Partei hat.“ Marius’ Partei war die NSDAP und deren Führer Adolf Hitler. Hannah hatte Hitler den Namen des römischen Diktators Gaius Marius verliehen, der im ersten vorchristlichen Jahrhundert mit Gewalt die Macht von Sulla übernommen hatte und dem im anschließenden Terror viele Aristokraten zum Opfer fielen.
Im Hause Hohenzollern hatte sich bislang nur Prinz August-Wilhelm, von Hannah „Auwi“ genannt, als glühender Verehrer der Nationalsozialisten gezeigt. Hannahs Bemerkung spielt zweifellos darauf an, dass Kronprinz Friedrich Wilhelm im Januar 1932 Adolf Hitler in seinem Potsdamer Schloss Cecilienhof empfing. Der Kronprinz schlug Hitler eine Lösung zur Stabilisierung der politischen Lage vor, welche ihn selbst als Reichspräsidenten und Hitler als „seinen“ Kanzler vorsah. Kurz darauf publizierte der Prinz zum zweiten Wahlgang um die Reichspräsidentschaft im April 1932, in dem Hitler gegen Hindenburg antrat, in der Schlesischen Zeitung einen weithin wahrgenommenen Wahlaufruf zugunsten Hitlers: Der Thronfolger stellte sich öffentlichkeitswirksam hinter den NSDAPFührer und gegen den früheren Feldmarschall.1
Die Lektüre von Hitlers „Mein Kampf“ hätte dem Kronprinzen eigentlich verdeutlichen können, dass das Führerprinzip mit der Institution der Erbmonarchie unvereinbar war.2 Friedrich Wilhelm ließ sich vermutlich von den Avancen, die Hitler den Hohenzollern machte, und dem Kapitel seiner Kampfschrift über „Die monarchistische Idee“ blenden. Darin stellt Hitler fest, dass „der Wert und die Bedeutung der monarchischen Idee nicht in der Person des Monarchen selber liegen, außer der Himmel entschließt sich, die Krone einem genialen Helden wie Friedrich dem Großen oder einem weisen Charakter wie Wilhelm I. auf die Schläfen zu drücken.“3
Dass sich selbst der preußische Hofadel, die Familie Hohenzollern, in Gestalt von „Auwis“ Sohn Prinz Alexander Ferdinand, von Hitler einwickeln ließ, schildert Hannah von Bredow ihrem Briefpartner Jessen im September 1932. Sie gibt ein Gespräch wieder, in dem der Prinz ihr erklärt hatte: „Das einzig störende Element ist die sogenannte alte wirkliche Aristokratie, nicht der Militär-, nein der Hoch- und der Landadel. Mit dem Volk wird unsereins immer gut fahren, auch mit dem Bürgertum; von mir aus kann Hitler gar nicht scharf genug gegen diesen verfluchten Adel vorgehen, dann haben wir endlich Luft. Es sind ja alles renitente Kerle, diese Adligen, kommen sich vor, als seien sie wunder was!“ Hannahs lakonischer Kommentar: „Sehr ermunternd wirkt das Beispiel ja nicht!“
Nicht zu klären ist, ob die Brüder Otto und Gottfried von Bismarck angesichts ihres ausgeprägten Interesses an Hitler dessen generelle Einstellung zum Adel in „Mein Kampf“ zur Kenntnis nahmen. Im Kapitel über die „Herrschaft des Geldes“ bedauert Hitler, dass der Kaiser und „leider selbst Bismarck“ die drohende Gefahr des Finanzkapitals verkennen würden. Die ideellen Tugenden des Adels sah Hitler hinter den „Wert des Geldes“, den „Schwertadel in kurzer Zeit schon hinter dem Finanzadel zurücktreten“ und den „nächstbesten Bankjuden“ ausgeliefert. Konsequenz dieser Entwicklung war für ihn: „Der Adel verlor immer mehr die rassische Voraussetzung zu seinem Dasein, und zu einem großen Teil wäre viel eher die Bezeichnung ‚Unadel‘ für ihn am Platze gewesen.“4
Aber auch in seinem regenerativen Verhalten schnitt der Adel bei Hitler durch „eine dauernde Missachtung der natürlichen Voraussetzungen für die Ehe“ schlecht ab: „Hier hat man die Ergebnisse einer Fortpflanzung vor sich, die zu einem Teil auf rein gesellschaftlichem Zwang, zum anderen auf finanziellen Gründen beruhte. Das eine führte zur Schwächung überhaupt, das andere zur Blutvergiftung, da jede Warenhausjüdin als geeignet gilt, die Nachkommenschaft Seiner Durchlaucht zu ergänzen. In beiden Fällen ist vollkommene Degeneration die Folge.“5
Den Diplomaten Otto von Bismarck schließlich hätte Hitlers Ansicht beunruhigen können, wonach die Nationalsozialisten kein Verständnis dafür haben dürfen, „dass irgendein altersschwach gewordener Adelsstamm seinem meist schon sehr dürr gewordenen Reis durch Bekleidung des Gesandtenpostens neuen Nährboden gibt. Unsere diplomatischen Vertretungen im Ausland waren schon zur Zeit des alten Reiches so jämmerlich, dass weitere Ergänzungen der damals gemachten Erfahrungen höchst überflüssig sind.“6
Während die Brüder Otto und Gottfried von Bismarck einen Tag nach ihrem Treffen mit Hitler im Kaiserhof am 12. Januar 1932 bei Hermann Göring frühstückten, verfolgte Hannah von Bredow zu Jahresbeginn 1932 die weiteren Entwicklungen zunächst distanzierter. Die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen am 19. Februar beschäftigten sie indessen, und sie sieht das Ergebnis voraus: „Hitler kandidiert; das Ganze ist so ungeschickt. Ich sagte heute beim Lunch dem Prinzen Philipp von Hessen, dass ich mir maximal für Hitler 12 Millionen, für Hindenburg glatt 16–18 vorstellen könne. Er glaubt umgekehrt. Das ist unmöglich.“ Hannah lag richtig, denn Hindenburg gewann, wenn auch erst im zweiten Wahlgang am 10. April. Auf ihn entfielen sogar 19 Millionen, auf Hitler 13 Millionen Stimmen.
Besorgt und rigide beurteilt Hannah von Bredow Mitte April 1932 die Folgen der von Reichskanzler Brüning verfügten Auflösung der S.A., der paramilitärischen Kampfgruppe der NSDAP: „Wenn je ein Tag als ‚böses Omen‘ aufgefasst werden könnte, so ist es dieser 13.! Denn nun wird die Situation, die ohnehin verfahren genug ist, ganz und gar auf die Spitze getrieben. Ich gebe diesem miesen Brüning nicht mehr als 4 Wochen. Aber leider wird der Alte sicher noch wursteln anstatt die Nazis hereinzunehmen. Schleicher glaubt natürlich, dass er Kanzler wird. Davor bewahre uns Gott.”
Brüning war zwar noch sechs Wochen im Amt und Hannahs Hoffnung zu Schleichers Zukunft bestätigte sich nicht, denn am 3. Dezember übernahm dieser die Kanzlerschaft, wenn auch nur für knapp zwei Monate. Am 20. April 1932 lag Hannah indessen mit ihrer Prognose richtig: „Heute ist Hitler 43 Jahre alt – ob er in einem Jahr schon Reichspräsident oder Kanzler ist? Eins von beiden sicher.“
Knapp einen Monat zuvor, am 24. März 1932, waren Hannah und Leopold von Bredow sowie ihr Bruder Otto und dessen Frau Ann Mari zu Gast bei Hermann Göring, Hitlers Vertrauter und „politischer Beauftragter in der Reichshauptstadt“. Dessen wesentlicher Auftrag in Berlin bestand darin, die Nationalsozialisten in der besseren Gesellschaft hoffähig zu machen. Den Industriellen Fritz Thyssen hatte Göring bereits ein Jahr zuvor gewonnen, und dieser verhalf ihm in der Folge finanziell zu einem adäquaten Lebens- und Wohnstil.
Minutiös, mit wörtlichen Dialogen und auf mehr als einem Dutzend Seiten, schildert Hannah ihrem Briefpartner Jessen das Ambiente und die Gespräche im Hause Göring, beim „Witwer nach einer schwedischen Gräfin“, wie sie dessen Status nach dem Tod seiner 1931 verstorbenen schwedischen Frau Carin bezeichnet.7 Schon die Einrichtung des ersten Zimmers ließ sie staunen: „Schwere altvenezianische, rote Samtbehänge an den Wänden, in der Mitte des Zimmers ein großer Kamin. Über diesem ein Riesenmosaik: auf königsblauem, glasierten Grunde das riesige goldene Hakenkreuz.“
Nach ein paar Minuten des Wartens „kam ein kleiner, fetter Mann herein: Blonde, leicht gewellte Haare, blaue, ausdruckslose, aber ‚herrische‘ Augen, ein enormes Kinn, das die Nase ganz in den Schatten stellte, ein breites, rötliches Gesicht, ein genießerischer ‚loose-lipped‘ Mund, erstaunlich kurze Arme, fette, weiße Hände. Am Ringfinger ein Lapislazuli von so ungewöhnlicher Größe, dass eine Biegung des Gelenkes unmöglich war. Auf dem Stein das Wappen. Im Knopfloch das Hakenkreuz.“
Beim Mittagessen saß Hannah von Bredow rechts vom Hausherrn und eröffnete die Konversation: „Wunderbar sind die Farben Ihrer blauen Teppiche und Ihrer blauen Samte.“ Er: „Ja, blau ist die Farbe der göttlichen Runen, Blau und Gold die Sonnenrunen, und darum beherrscht Blau mein Leben. Blau ist arisch, kein Jude kann Blau sehen, daher auch mein Ring!“ Ich: „Sehr interessant, ich habe auch eine große Vorliebe für blau, die aber angeboren ist.“ Nach weiteren Dialogen zur Farbenlehre und Berichten Görings über seine Herkunft gab es „Erbsensuppe mit kleinen Stücken Schweinefleisch“, die Göring schmunzelnd mit: „Schwedisches Donnerstagsessen, wir leben einfach“ kommentierte.
Nach dem Essen führte Göring seine Gäste in den „Braunen Salon“, an dessen einer Wand „auf Gobelinstoff gemalt eine enorme Landkarte“ hing, „den Wunschtraum Deutschland (ein bisschen kleiner nur als das Hl. Röm. Reich deutscher Nation) darstellend.“ Eine Goldbronzebüste von Mussolini stand in einer Ecke. Vor dem Weggehen drängte Göring seine Tischdame etwas von den anderen ab, und Hannah von Bredow schreibt in wörtlicher Wiedergabe: „G.: ‚Also, ich komme bald nach Potsdam, Sie müssen zu uns.‘ Ich: ‚Ich glaube nicht, dass eine vielbeschäftigte Hausfrau für Ihre Partei Zeit hat. 7 Kinder füllen den Tag aus.‘ G.: ‚Sieben Kinder! Das ist ja fast wie ein Märchen! Ich kann das nicht verstehen!‘ Er wandte sich hilfesuchend an meinen Mann, der ihn nicht trösten konnte. G.: ‚Nur eins! Bei uns gibt es keine Rangunterschiede, bei uns gibt es keine Snobs.‘ ‚Was Sie nicht sagen!‘ erwiderte ich.“
Es war nicht die knappe Zeit, die Hannah von Bredow an einer Mitgliedschaft in der NSDAP hinderte; sie hatte eine grundsätzliche Abneigung gegen deren Personal, Methoden und Ziele. Die Haltung ihrer beiden Brüder Otto und Gottfried von Bismarck zur Partei war dagegen früh und bis ins Jahr 1943 hinein positiv.
Der jüngere Gottfried nahm bereits am 1. September 1932 das Parteibuch entgegen. Bruder Otto ließ sich mit der Mitgliedschaft in der NSDAP etwas mehr Zeit als der Bruder. Am 1. Mai 1933, dem ersten mit großem Aufwand gefeierten „Tag der nationalen Arbeit“ trat er in die Partei ein. Es war in der letzten Minute, bevor die Parteileitung noch am selben Tag bis Mitte 1937 einen Aufnahmestopp verhängte, um „Konjunkturritter“ abzuhalten. Die Mitgliederzahl war nämlich von rund 860.000 im Januar auf über 2 Millionen im April 1933 angewachsen.8
Drei Tage vor der Machtübergabe hatte Otto von Bismarck seiner Mutter am 27. Januar 1933 geschrieben, dass das NS-Regime durchaus auch Karrierechancen für ihn und Bruder Gottfried bieten könne.9 Für seinen Bruder traf dies zweifellos zu: Gottfried von Bismarck vertrat die NSDAP von 1933 bis 1945 im Reichstag, gehörte dem Freundeskreis Reichsführer SS an und wurde später SS- Oberführer und SS-Brigadeführer. Auf Rügen übernahm er 1933 das Amt des Landrats und NSDAP-Kreisleiters, im Jahre 1935 wechselte er als Regierungspräsident nach Stettin und 1938 in gleicher Funktion nach Potsdam.
Dagegen sprechen Otto von Bismarcks langjährige Zeit als Botschaftsrat in London und seine spätere Gesandtentätigkeit in Rom nicht für eine steile Karriere im NS-Staat. Wohl zeigte er aber früh Sympathie für die Nationalsozialisten. So notierte Joseph Goebbels am 1. Februar 1933, einen Tag nach der Machtübernahme Hitlers und eineinhalb Monate vor seiner eigenen Ernennung zum Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, in seinem Tagebuch:10 „Nachher noch Fürst und Fürstin Bismarck. Sie sind begeistert.“ Wichtiger als eine Karriere war für Otto Fürst von Bismarck zweifellos, dass die Nationalsozialisten die Landwirtschaft und den Grundbesitz mit ihrer ideologischen Überhöhung von Blut und Boden erheblich aufwerteten. Dementsprechend konnte der Eigentümer der Familiengüter in Schönhausen und Friedrichsruh schon Ende 1933 erleben, dass diese als Erbhöfe anerkannt wurden.
Den Weg in die Diktatur verfolgte Hannah von Bredow ihrerseits weiterhin genau und fragte sich am 1. Mai 1932, dem fünften Sonntag nach Ostern: „Rogate. Ob die Nazis nächstes Jahr ‚Jubilate‘ schreien? Ich bin davon überzeugt.“ Für die nächsten Maitage gibt ihr Tagebuch Auskunft über eine „große Schlägerei im Reichstag“, ebenso wie über die Eröffnung des Preußischen Landtags „mit einer Riesenprügelei“. Als Drahtzieher erkannte sie jeweils NSDAP-Abgeordnete. Am Montag, dem 30. Mai 1932, schreibt sie schließlich: „Brüning ist entlassen, auf die abrupteste Weise. Gott Lob. Hoffentlich nehmen sie jetzt die Nazis ins Kabinett. Noch sind sie billig zu haben!“
Franz von Papen, Heinrich Brünings Nachfolger im Kanzleramt, bemühte sich ab dem 1. Juni 1932 vergeblich, die Nationalsozialisten in seine Regierung zu bringen. Hitler wollte die ganze Macht. Den Kanzler von Papen erlebte Hannah dann rund drei Monate nach seinem Amtsantritt als Essensgast in ihrem Hause. Sie hatte auch ihre Brüder Otto und Gottfried sowie die Familie Planck geladen.
Freimütig berichtete Papen der Gastgeberin über ein Frühstück mit dem preußischen Kronprinzen einen Tag zuvor, am 2. September 1932. Friedrich Wilhelm habe Papen Lob für seine Arbeit bekundet und dass er „spätestens mit dem Frühling“ rechne. Auf Hannahs Nachfrage zu diesem Halbsatz zitierte Papen den Kronprinzen: „Nun, Deutschland muss demnächst einen Kaiser haben, denn sonst kommt unweigerlich der Bolschewismus“, habe dieser erklärt, „und Sie denken doch bestimmt an die Legalität, denn, was könnte legaler sein als die Wiedereinsetzung einer Dynastie wie der Unsrigen?“ Papen schloss sich dieser Meinung vollkommen an, worauf Hannah ihm, „sehr amüsiert über diese typische Verkennung der Lage“, erwiderte: „Sie hätten ihm klipp und klar sagen müssen: niemals, denn man kann in Deutschland erst Ordnung schaffen, wenn man diese Familie völlig ausgeschaltet hat.“
Hannah von Bredows Misstrauen und sogar ihre Verachtung dem Hause Hohenzollern gegenüber ist verschiedenen Tagebucheintragungen und Briefen zu entnehmen. Die seinerzeit weltweit mit Erstaunen aufgenommene Entlassung ihres Großvaters im März 1890 durch Wilhelm II. verurteilte sie verständlicherweise. Mehr aber bestimmte ihre Einstellung zu den Hohenzollern die von ihr als unwürdig empfundene Abdankung des Kaisers Anfang November 1918. Seitdem hatte die Familie Hohenzollern „aufgehört, irgendeine Bedeutung zu haben.“
Schon gar nicht wollte Hannah von Bredow die Hohenzollern in der Nachfolge des Reichspräsidenten von Hindenburg sehen. Hierum kreisten die politischen Gespräche im Herbst 1932 zunehmend, zumal Hindenburg bei seiner Wiederwahl im April im 85. Lebensjahr stand und in absehbarer Zeit mit seinem Ableben zu rechnen war. Ihrem Gesprächspartner von Papen hielt Hannah vor: „Wenn Sie die Restauration anstreben, und Sie damit als Verlegenheitslösung Erfolg haben, wird der Abgrund in rasender Fahrt erreicht werden.“ Papen war anderer Meinung und fragte sie: „Wer soll denn Hindenburgs Nachfolger werden? Etwa Hitler? Nein, der Tod des Alten ist der ‚moment psychologique‘ zur Wiedereinsetzung der Hohenzollern.“
Hindenburg zeigte noch über mehr als ein Jahr eine weitgehend robuste Gesundheit und verstarb am 2. August 1934. Franz von Papen konnte seinen Plan nicht verwirklichen. Dazu war sein Vorgehen als Reichskanzler, danach als Hitlers Vizekanzler und ab März 1934 als Beauftragter Hindenburgs für den Entwurf seines politischen Testaments zu arglos und durchsichtig. Unvorsichtigerweise vertraute der Beauftragte seinen testamentarischen Nachfolgeplan Adolf Hitler so frühzeitig an, dass dieser sich bereits einen Tag vor Hindenburgs Tod mit dem „Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches“ die Machtvollkommenheit im „Dritten Reich“ sichern konnte.11
Für den 1. August 1934 hält Hannah von Bredow im Tagebuch fest: „Hitler in Neudeck. Hindenburg trat um 6.30 p.m. ins Koma ein“; und am nächsten Tag: „Hindenburg gestorben um 9. a.m.“ Nur einen Tag darauf, am 3. August, erkennt Hannah die Tragweite der Vereidigung der Soldaten durch Reichswehrminister Werner von Blomberg nicht mit dem Schwur auf die Verfassung, sondern auf Hitler: „The army has been sworn and so we have an absolute dictatorship.“
Die Agonie der Weimarer Republik bis zu Hitlers Machtantritt am 30. Januar 1933 zeichnet Hannah von Bredow in Tagebuch und Briefen im Detail auf. Das Ergebnis der letzten Reichstagswahlen der Weimarer Republik am 6. November 1932 wertet sie am selben Tag in ihrem Tagebuch: „Nun fällt Papen bestimmt und ich wette 10:1, dass man erst Schleicher dranlässt statt Hitler.“ Hannahs Vorhersage traf knapp einen Monat später ein, als Hindenburg nach Papens Rücktritt am 17. November und vergeblichen Verhandlungen über Hitlers Regierungsbeteiligung Schleicher am 2. Dezember 1932, einem Freitag, mit der Bildung eines neuen Präsidialkabinetts beauftragte.
Nach einem Gespräch mit Erwin Planck befindet Hannah von Bredow: „An einem Freitag soll man nichts beginnen! Aber heute ist Schleichers Traum zur Hälfte erfüllt. Er ist Kanzler!! Nun hofft er natürlich auch noch auf den Reichspräsidenten.“ Auch dank der Hintergrundarbeit seines direkten Amtsvorgängers währte Schleichers Kanzlertraum nur kurz, bis zum 28. Januar 1933. Sein Versuch, den Hitlerrivalen und studierten Apotheker Gregor Strasser für sein Kabinett zu gewinnen und die NSDAP zu spalten, scheiterte kläglich.
Der unerwartete NSDAP-Wahlsieg in Lippe am 15. Januar 1933 hatte Hitlers Position gestärkt, wie Hannah von Bredow ihrem Briefpartner am 19. Januar bestätigt: „Nach den lippeschen Wahlen wurde der Apotheker weniger laut, und jetzt hat er erklärt, ohne das Einverständnis Marii [Hitlers] fühle er sich nicht im Stande, die Verantwortung zu ertragen. Er müsse leider, leider darauf verzichten, in Fouchés [Schleichers] Kabinett einzutreten.“
Im Hause Bismarck setzte Gottfried Anfang Januar 1933 noch Hoffnung in Gregor Strasser, den machtbewussten Reichsorganisationsleiter der NSDAP. Hannah warnte ihn, da sie Hitlers Chancen im Machtkampf weit höher einschätzte. Falls Gottfried seine Zukunft weiter in der NSDAP sehe, müsse er sich auf Hitler stützen, riet sie ihm. Gregor Strasser und dessen Bruder Otto stünden schon auf Hitlers schwarzer Liste. Sydney Jessen berichtet Hannah am 8. Januar 1933 in Englisch: „I told Gottfried, that this was the most crucial and decisive moment in his life, and that I could only repeat again and again: hands off both Hitler and Gregor, but if he absolutely insists, he must stick to Hitler to save his skin. Hitler means murder, and why should Gottfried be murdererd by that scoundrel.“
Zwei Tage darauf, am 10. Januar 1933, erklärt Hannah von Bredow ihrem Bruder Gottfried in Friedrichsruh: „I am certain that Hitler will win, alas, alas for Germany and for the world. ‚Goebbels ist klug‘, said Gottfried. Good Lord! As if that mattered.“ Resignierend zitiert Hannah dann am 28. Januar die Haltung vieler ihrer Gesprächspartner zu Hitler: „Den machen wir in 6 Wochen fertig.“ Und sie kommentiert: „Der macht uns alle so fertig, dass wir nie mehr zur Erholung kommen. Aber was hilft’s. Quem deus vult perdere!“12 Einen Tag nach diesen Gesprächen vertraut Hannah am 29. Januar schließlich ihrem Tagebuch an: „They say Hitler is not coming in! I offered bets 1:1000 he would be in by tomorrow. If only Gottfried were not in it.“
Die Ereignisse vor und nach dem historischen 30. Januar 1933 beobachtet Hannah von Bredow sehr genau.13 Die Sachverhalte, die zur sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten führten, konnte sie detailliert beschreiben, einordnen und bewerten, weil sie durch ihre Bekannten, insbesondere Erwin Planck und Rudolf von Schmidtseck, Geschäftsführer der Berliner Philharmoniker und NS-Mitglied, sowie ihre Brüder Otto und Gottfried von Bismarck unmittelbar Einblick in die damaligen Ereignisse hatte. Zur Machtübernahme Hitlers bemerkt sie am 30. im Tagebuch: „So, jetzt haben wir die Nazis. Hitler ist Kanzler. Die Begeisterung grenzenlos. Riesiger Fackelzug. Der alte Mann stand von 8–11.30 und ließ sich auch huldigen.“
Am folgenden Tag, dem 31.1., erkennt Hannah: „Die Welt ist aus den Fugen, und wir können nur abwarten, bis uns das Genick umgedreht wird. Schauerlich. Die Menschen sind alle toll. Ich habe so etwas doch nicht für möglich gehalten. Ach, Gottfried! Er wird furchtbare Dinge erleben.“ Entsetzen, Wut, aber auch Mitleid bestimmen den Eintrag am 1. Februar: „Es wird ja immer schöner. Die Tobsucht, die Hysterie und dazu der Greis Hindenburg. Papen verdient, gehängt zu werden. Der arme Planck!“
Wenig später, am 7. Februar 1933, hatte Hannah von Bredow ihre Schwägerin Ann Mari zu Gast und fand sie „in seliger Nazibegeisterung“. Hannah dagegen war vorausschauender und riet schon Mitte Februar 1933 ihrer Freundin Leonie, der Frau des jüdischen Bankiers Paul von Schwabach, an Auswanderung zu denken. Mit der Begründung, „dass Hitler sich bald totläuft“, antwortete Leonie ihr: „Das tut mein Mann nie, er ist ein deutscher Patriot.“ Schwabach musste die schlimmsten Auswüchse des nationalsozialistischen Rassenwahns, den Holocaust, nicht mehr erleben. Nachdem er sich im Jahre 1937 aufs Land zurückgezogen hatte, starb er Ende des Jahres 1938 im Alter von 71 Jahren eines natürlichen Todes. Vier Jahre später verstarb seine Frau Leonie mit 73 Jahren in Berlin.
Am 27. Februar 1933, dem Tag des Reichstagsbrands, hörte Hannah von Bredow in der Berliner Philharmonie ein Furtwänglerkonzert. Gleichzeitig mit der Nachricht vom Brand erfuhr sie am selben Tage, dass Kommunisten ihn vorgenommen haben sollten. Mit Blick auf den einsetzenden Terror stellt sie im Tagebuch drastisch fest: „Es soll um den Kopf gehen, wenn man behauptet, das Schwein Göring hätte die Fackel geschwungen. Sei’s drum. Wer mag so leben?“
Nur einen Tag später vermerkt Hannah von Bredow: „Nun haben die Nazis die Handhabe gegen den Kommunismus; dieser Brand war wirklich ein unerhörter Glücksfall. Göring ganz in seinem Element.“ An diesem Tag waren Georg und Lily von Schnitzler bei ihr zu Gast. Als sie den beiden NS-Sympathisanten mitteilte, „Göring hätte gekokelt, wurden sie scharf.“ Kurz darauf wurde Hannah dann von einem Freund gewarnt, dass ihre Äußerungen kolportiert würden. Sie zeigt sich aber unbeeindruckt: „Wenn schon. Mir ist es ja so einerlei, denn das Leben ist ohne Bedeutung, wenn man nicht kämpfen kann gegen das Böse, das Verruchte.“
Schmerzvoll war für die begeisterte Musikliebhaberin Hannah von Bredow, wie brutal und schnell sich „das Böse, das Verruchte“ bei den Berliner Philharmonikern zeigte. Am 4. März 1933 erlebt Hannah ein Konzert des deutsch-jüdischen Dirigenten Otto Klemperer und fürchtet: „Klemperer dirigierte wunderbar die ‚Missa Solemnis‘. Von morgen ab wird eine wildere Luft wehen, und Klemperer wird hoffentlich nicht ihr Opfer sein. Aber da sie seit Jahren Pogrom predigen, werden sie sich wohl irgendwie Luft machen.“
Am Folgetag erbrachten die letzten noch mit mehreren Parteien durchgeführten Reichstagswahlen einen überwältigenden Erfolg der NSDAP: „340 Mandate für rechts, davon 288 Nazis“ stellt Hannah von Bredow fest. SA-Schlägertrupps hatten den Wahlkampf geprägt und Hannah erklärt zum 5. März 1933: „This is the last day – from now on hell, hell, and I have seen so many March hares that I am sick.“ Die paranoiden Märzhasen, auf die Hannah anspielt, veranlassten Otto Klemperer wenig später, in die USA zu emigrieren. Seinem Kollegen und Freund Bruno Walter untersagten die Nazis am 20. März, die Berliner Philharmoniker zu dirigieren, und erzwangen seine Emigration nach Wien. Dort setzte die Judenverfolgung dann fünf Jahre später ein, und er musste über die Schweiz in die USA emigrieren.
Die sich überstürzenden Ereignisse nach den Märzwahlen beunruhigten Hannah von Bredow in mehrfacher Hinsicht. Am 10. März vermerkt sie im Tagebuch, dass die „Judenhetze und die Verhaftungen begonnen“ haben. Besorgt ist sie aber auch über die Einstellung ihres Bruders Gottfried von Bismarck: Er „strahlt vor Nazibegeisterung und er tut mir so leid, denn er wird viel mehr zahlen als z.B. Otto, der seinen Kopf nie verlieren wird. Ich habe Gottfried angefleht, auf mich zu hören, aber es hat keinen Sinn. Blind. Blind.“
Am folgenden Tag erklärt Hannah von Bredow ihrem Bruder Gottfried, „dass in 10 Jahren alles vorbeisein und es kein Deutschland mehr geben wird, es sei denn, Hitler wurde vorher umgebracht. Ich habe ihm vorgehalten, dass es nur eines gibt, um das arme Land zu retten: Kampf mit allen Mitteln des Verstandes und mit eiskalter Berechnung, denn die Irren kann man nie überzeugen.“ Ihre Prognose verfehlte Hannah zeitlich um zwei Jahre, lag mit dem Ergebnis der Hitlerherrschaft dagegen richtig. Gottfried von Bismarck benötigte aber zehn Jahre, um seine Blindheit abzulegen und der Aufforderung seiner Schwester zu folgen, zumindest ansatzweise kämpferisch gegen das Regime vorzugehen.
Den „Tag von Potsdam“ am 23. März 1933, die feierliche Konstituierung des Reichstags am Traditionsort preußischer Geschichte, erlebt Hannah in der Garnisonskirche: „Unter den hereinmarschierenden Abgeordneten war Gottfried im braunen Hemde leicht zu erkennen, weil er als einziger keine Mütze in der Hand trug. Hindenburg sah im großen Band des Schwarzen Adlers mit dem Feldmarschallstab monumental aus, und es war ein ergreifender Anblick als er, bevor er sich auf seinen Stuhl setzte, langsam und feierlich mit dem Feldmarschallstabe die vollbesetzte Kaiserloge grüßte und einen Augenblick nach dem Gruß reglos verharrte, um dann mit erstaunlicher Leichtigkeit zwischen Göring und Hitler Platz zu nehmen. Mir kam es wie ein letzter Abschied vor, man sieht die Dinge in solchen Momenten symbolisch, man denkt nicht an das, was die Loge im Augenblick fühlt, man denkt an das, was sie einst verkörperte.“
Bevor sich Hannah von Bredow während der anschließenden Parade ganz der Erinnerung an die besseren Tage in der Monarchie hingeben konnte, ernüchterte sie ein neben ihr stehender „baumlanger S.A. Mann“, der bemerkte: „Da steht nun der olle Greis mit dem janzen Klempnerladen auf der Brust und mit dem janzen Firlefanz von früher. Wie det alles in der Sonne blitzt!“ Mit ihrer propagandistischen Inszenierung vermittelte die NS-Führung dem In- und Ausland durchaus erfolgreich die symbolische Verbindung vom alten und neuen Deutschland.
Die Illusion einer harmonischen Koexistenz des alten mit dem neuen Reich verflog auch zwei Tage später, am 23. März, kaum, als die NSDAP mit der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes durch den Reichstag sich auch ihrer rechtlichen Bindungen an die Konservativen für die Verabschiedung von Gesetzen entledigte und den Parlamentarismus im Reich beendete.
Knapp eine Woche später, am 30. März, war Hannah von Bredow dann „mit all den neuen Männern“ zu einem Empfang im Hause von Papen geladen: „Der Hausherr charmant, aber nervös und elend und völlig hinter seinem Chef verschwindend“, bemerkt Hannah, und weiter: „Es war ein unheimliches Fest, jeder betrachtete misstrauisch den Nächsten, und die Anhänger Marii [Hitlers] musterten einen, als gehöre ihnen die Welt.“ Auch erlebte Hannah einen Wutanfall Hitlers, als der Markgraf von Baden ihn bat, den Leiter des Internats Salem, Kurt Hahn, aus der „Schutzhaft“ zu entlassen: „Nein, auf keinen Fall, Ausnahmen mache ich nicht“, schrie er. Hahn hatte zuvor schriftlich gegen die Ermordung eines jungen Kommunisten durch fünf SA-Männer protestiert. Unmittelbar nach seiner späteren Freilassung emigrierte Hahn in die Schweiz.
Hannah von Bredow ihrerseits spürte den wachsenden Druck auf Andersdenkende, als Hitler sie im Hause Papen mit einer Frage konfrontierte, welche sie mit kurzer Einleitung kommentarlos im Tagebuch wiedergibt: „Gestern sagte mir das Ekel Hitler: ‚Wollen Sie, dass Ihre Kinder in der Gosse aufwachsen?‘“ Bruder Otto von Bismarck hatte Hannah mit Hitler bekannt gemacht, und sie bemerkt gegenüber ihrem Briefpartner Jessen: „Er verneigte sich tief und küsste mir die Hand. Er ist sehr viel kleiner als ich, ich musste an die Hofbälle denken, wenn ich zum ‚Allerhöchsten‘ befohlen war.“
Mit seiner Frage an Hannah von Bredow deutete Hitler an, welche Folgen es für sie haben könnte, wenn sie sich Aktivitäten in der NSDAP verweigern würde. Späteren Hinweisen von NS-Chargen, dass sie mit ihrer großen Kinderzahl ganz der Rolle der „arischen“ Mutter entspreche und ihre positive Gesinnung in einer NS-Mitgliedschaft zum Ausdruck bringen solle, begegnete Hannah regelmäßig mit der Antwort, sie habe das Ihrige fürs Vaterland bereits vor Antritt der Nazis geleistet und benötige jetzt ihre Zeit, um sich ganz im Interesse des Volkes der Kindererziehung widmen zu können.
Für alle Deutschen sichtbar zeigte sich Hitlers Rassenwahn erstmals am 1. April 1933, als im ganzen Reich jüdische Geschäfte, Kanzleien und Ärztepraxen boykottiert wurden. Das bevorstehende Ereignis beschäftigte am 30. März Hannah und ihre Brüder, als sie zusammen mit Freunden vor dem Empfang bei Papen im Hotel Adlon Gottfrieds 32. Geburtstag feierten: „Alle sprachen ausschließlich über das am Sonnabend beginnende Judenpogrom“, berichtet Hannah und fährt fort, dass Gottfried es „als eine primitive, aber gesunde Reaktion“ bezeichnete, „die man den Leuten nur gönnen kann“.
Wahrscheinlich teilte Otto von Bismarck nicht die Ansicht seines Bruders, als er mit Hitler beim anschließenden Empfang über das bevorstehende Pogrom sprach und von diesem „mit wild fuchtelnden Armen“ unterbrochen wurde: „Da lass’ ich mir nichts dreinreden! Es wird mit äußerster Schärfe vorgegangen, und der Einwand, dass es uns Geld kosten könne, zählt bei mir nicht. Ich denke nicht daran, diesem Geschmeiß entgegenzukommen.“
In ihrem Tagebucheintrag vom 1. April 1933 kommentiert Hannah von Bredow, vermutlich nach Gesprächen mit Bruder Otto, deutlich die zu erwartenden ausländischen Reaktionen auf den Boykott: „Das gibt eine Riesenwut im Ausland. Wenn die Nazis stark genug sind, eine völlige Isolierung zu vertragen, soll es mich wundern. Denn dass es genau wird wie im Krieg, ist klar.“ Indessen trat die Isolierung nicht so bald ein, da sich in den USA Überlegungen zu einem Handelsboykott auf Drohungen beschränkten.
Der Boykott vom 1. April war ein erstes Zeichen, dass die Nationalsozialisten es mit der Verfolgung von Juden ernst meinten. Die systematische Entrechtung begann noch im selben Monat. Von heute auf morgen brachte das NS-Regime mit mehreren Gesetzen „Nichtarier“ um Amt und Brot. Sehr bald erstreckte sich die NSWillkür darüber hinaus auf „nichtkonforme Arier“ und wenig später zudem auf Personen, die es wagten, Umgang mit „Nichtariern“ oder „Nichtkonformen“ zu haben und hierauf trotz Drohungen, Schikanen und Verhören weiterhin bestanden. Zu diesen zählte Hannah von Bredow.
Briefpartner Dr. rer. pol. Sydney Jessen im Jahre 1926
Brief Hannah von Bredows an Dr. Sydney Jessen Nr. 187 aus Potsdam vom 2. Dezember 1932
Familie Hannah und Leopold von Bredow mit 7 Kindern im Jahre 1931
Hannah von Bredow mit dem schwedischen Gesandten Arvid Gustaf Richert im Jahre 1938
Staatssekretär Dr. Erwin Planck und Reichstagspräsident Hermann Göring in Berlin 1932