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Briefe über meine Seefahrt an Liesbeth

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Briefe über meine Seefahrt an Liesbeth

Der Autor erzählt hier einer alten Tante,

wie er seine Zeit auf den Schiffen Ende des 20. Jahrhunderts erlebte, als See-Container und Computer noch unbekannt und der

Ruf der Seeleute trotz der harten Arbeit noch unter „aller Sau“ war.

* * *

Liebe Liesbeth,

seit Jahren hattest du darum gebeten und ich versprach dir, ein bisschen mehr von meiner Seefahrtszeit zu schreiben. Jetzt wird es wohl endlich Zeit dafür. Bevor wir beide in die letzte Kiste springen. Natürlich werde ich mich bemühen, bei der Wahrheit zu bleiben. Was sonst? Das schulde ich dir und Onkel Rudi, der sich leider viel zu früh endgültig verabschiedet hatte. Die Sprücheklopferei war nie unsere Sache gewesen. Die Neigung zu „he lücht“ hatten wir drei ja nie.


Das konnten die Hafenprofis besser, wenn sie die Touristen unterhalten müssen. Wir alle erlebten genug Interessantes mit und bei der Seefahrt. Du an Land und ich an Bord.

Mein Berufsleben war voller Abwechslungen. Dauernd ergaben sich Änderungen, mit denen wir Seeleute konfrontiert wurden. Die meisten Neuerungen boten wenig Vorteile für uns. Der einzige Trost dabei war, dass es den Leuten an Land später auch so erging. Sowohl in den Fabriken, wie auch in den Büros.

Dass ich das alles miterleben konnte und fast schadensfrei überstand, verdanke ich vielen Zufällen und oft völlig fremden Menschen. Aber vor allem euch beiden. Für uns galt immer, gegebene Versprechen einzuhalten. Dabei soll es bleiben. Jetzt bin ich wieder an der Reihe. Diesmal um mich zu erinnern. Hoffentlich hast du genug Geduld zum Durchlesen. Und auch die richtige Brille dazu griffbereit.

Immer dein, ja wer wohl?

Im Winter 2012

Für immer dein…

* * *

Früher liefen wir oft zu den Landungsbrücken, um Schiffe zu gucken.


Dort gab es so viel zu sehen. Bei all dem Betrieb auf der Elbe. Da fallen mir zuerst die Werften von gegenüber ein mit dem Arbeitslärm, der von dort herüber grüßte.


Wir konnten nur darüber staunen, dass die großen Schiffe in den Schwimmdocks im Trockenen standen und dabei ihre blank geputzten Propeller präsentierten. Dicht daneben stand der irre Kran der Stülcken-Werft.


Überall herrschte viel Betrieb, und die Werften beschäftigten damals fast 50.000 Leute, von denen die meisten vor und nach der Schicht mit den Barkassen und Fähren über die Elbe gebracht wurden, falls sie den Elbtunnel nicht benutzten.


An den Duckdalben lagen Schiffe, die mit viel Gestank und Staub herübergrüßten.


Onkel Rudi erklärte dann, die löschten Düngemittel, Fischmehl, Panzen oder anderes Stinkzeugs. Er konnte riechen, welche Ladung es war. Die Schiffe sahen oft recht verdreckt aus, und ich schwor mir damals, dass ich nie, nie, nie auf solchen Pötten fahren werde. Aber auf den Hafenschleppern auch nicht.

Manchmal zogen die Schlepper schöne Schiffe vorbei.


Viele davon hatten einen schwarzgemalten Rumpf und weiße Aufbauten. Man nannte sie Drei-Insel-Schiffe, weil ihre drei Aufbauten auf dem Hauptdeck standen. In der Mitte ragte ein großer Schornstein aus dem Kasten mit vielen Decks. Dort sollten die Kammern der Offiziere und einiger Passagiere sein, samt ihrer Messen und der Kombüse. Darunter, im Keller also, befand sich der Maschinenraum.


Der war nur zu ahnen, denn dort waren keine Bullaugen angebracht. Die vordere Insel wurde Back genannt, Dort war Platz für Werkstatt und Ausrüstung.


Die hintere wurde Poop genannt, wo sich Messe und Unterkünfte der Mannschaftsmitglieder befanden. Deshalb wurde diese Gegend vor dem Achtersteven auch das „Hotel zur Schraube“ genannt.

Das alles erklärte mir Onkel Rudi mit Geduld und Ausdauer. Auch versuchte er mir den Sinn für die vielen Masten und Ladebäume zwischen den Inseln zu erklären. Meist vergeblich, denn wir hatten doch genug Kräne im Hafen, die für das Laden und Löschen parat waren. So oder so. Es gab viel zu sehen und zu erklären. Dort fing eigentlich meine Seefahrtszeit an. Erinnerst du dich?

* * *

Ihr wolltet mir die Seefahrt immer ausreden. Dafür hattest du viele gute Sprüche, wie diesen: Der Ruf der Seeleute ist unter aller Sau. Dabei bräuchten wir euch beide. Die Sau, damit wir satt werden und die Seeleute, damit wir die Sau billig und gut würzen könnten.

In deiner Schublade hattest du eine Gewerkschaftszeitung mit einem für mich unterstrichenen Artikel, den du gerne und oft vorlast: In der BRD … kamen auf 22 Millionen Beschäftigte 6.300 tödliche Unfälle. In der Seeschifffahrt … bei 45.300 Beschäftigten 185 tödliche Unfälle. Damit liegt die Unfallquote in der Seeschifffahrt etwa 14mal so hoch wie an Land. Den Artikel habe ich noch heute. Von dem Thema wollte ich aber genauso wenig wissen wie Onkel Rudi. Der mokierte sich vor allem über das Kürzel „BRD“. Das müsse Deutschland heißen. Zu den Unfällen sagte er gar nichts. Er fuhr ja schon lange nicht mehr hinaus und hörte nur Lieder von Freddy und Shanties.


Das waren alte Arbeitslieder aus der Segelzeit und wurden für Touristen und Wehmut-Typen wieder aufgenommen, wie es Onkel Rudi geworden war – weil du es so solltest. Du schlaue Maus.

* * *

Seemannsschule

Das Angeblich so romantische Seemannsleben fing völlig unromantisch an.


Zuerst musste ein freier Platz in einer Seemannsschule gefunden werden. Schulen? – Ha! Es waren Internate, in denen man bordtauglich getrimmt wurde. Nach dem Wecken hatten wir dort nur wenige Minuten Zeit, um aus der Koje in die Strümpfe zu kommen. Dann wurde zum Appell gepfiffen. Die Schuhe gut poliert, die kurzen Haare brav gescheitelt, die Fingernägel überprüfbar clean, der Kamm vorzeigbar, auch sauber natürlich und, und, und.

Nach einigen Stunden Unterricht wurde die tägliche Arbeit eingeteilt: Einige durften Kartoffeln schälen, andere erhielten Order, die wichtigsten Räume zu fegen und zu feudeln. Die weniger Beliebten wurden für die Reinigung der Schlaf- und Essräume samt Klos eingeteilt, die Älteren durften draußen fegen. Die erlaubten Zeiteinheiten wurden mit der Trillerpfeife mitgeteilt.

Am Abend galt es, rechtzeitig ein Ei zu legen, um sich nicht später zum Klo vortasten zu müssen. Danach erfolgte Kammer und Spind-Kontrolle. Nachts wurde Wache geübt: Immer zwei Stunden. Auch das wurde kontrolliert. Kaum jemand überstand das strenge Ritual ohne Strafarbeiten. Und Ausgang? Der wurde erst nach einigen Wochen für kurze Zeit genehmigt, falls dem Wachhabenden keine der üblichen Gemeinheiten einfiel, wie Schuhe nochmal putzen oder neues Taschentuch holen oder Schnürsenkel wechseln oder Fingernägel noch mal bürsten und, und, und. Für die sogenannten Vergehen drohte Landgangs- oder Taschengeldsperre oder Schlimmeres. Für den Unterricht konnte man sich ein einziges Lehrbuch, das „Matrosen-BC“ der ÖTV-Gewerkschaft kaufen. Das gab es seit 1961. die Reeder als Lehrherren hatten so was nicht zu bieten. Geprüft wurde trotzdem, um dann nach drei Lehrjahren endlich Matrose werden zu können.

* * *

Reiner Mothes: Meine Seefahrt

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