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Kümo-Fahrt

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Kümo-Fahrt

Onkel Rudi empfahl mir damals, mit der Fahrt auf einem Kümo (Küstenmotorschiff) in der Nord- und Ostseefahrt anzufangen. Dort gab es Schiffsgrößen von 299, 434 oder 499 BRT, also reine Vermessungstonnen, für die allerlei behördliche Auflagen galten. Die BRT-Zahlen waren keine Tonnagezahlen, was die Laien nervös machte, wenn wir ihnen erklären wollten, dass z. B. ein 499er Schiff durchaus ca. 800 Tonnen Ladung transportieren konnte. Später wurde dieses Zahlengewirr noch unverständlicher, denn den schlauen Schiffbauern gelang es kontinuierlich, die BRT-Zahlen weiter zu beachten, aber die Tonnen der Ladefähigkeit nach oben zu verändern.


Meine dreijährige Lehrzeit erlebte ich also in der interessanten Kümo-Fahrt. Erst als Schiffsjunge und Jungmann, danach als Leichtmatrose. Es war eine wirklich gute Fahrzeit mit Fahrten von und nach Skandinavien, um von dort Rund- oder Schnittholz abzuholen. Sommer wie Winter.

Die kurzen Seereisen dauerten nur wenige Tage bis zum Erreichen des Kiel-Kanals. Von dort brauchten wir wieder nur einige Tage bis zum Löschhafen. Meist auf den britischen Inseln.

Während des Ladens und Löschens hatten wir einige Tage Liegezeit mit möglichem Landgang am Abend. Außer in den Häfen des Ostblocks wurde nachts nur selten gearbeitet. Unsere eigene Arbeitszeit blieb dadurch überschaubar. Dafür hatten wir das Schiff vor allem betriebsklar zu halten und mussten nur viel entrosten und konservieren. Die Beladung erfolgte durch die Schauerleute nach deren Arbeitsregeln. Einige Jahre vorher war das noch nicht so klar geregelt, als die Seeleute noch selbst stauen mussten. Jetzt mussten wir nur noch nach Lade-Ende die Ladung seefest sichern und laschen. Das klingt heute wie Ferienreisen? – Ach was! Wir hatten genug zu tun während dieser festgelegten Arbeitsstunden im Hafen. Auf See galt dann die 12-Stunden-Regel. Pro Tag.

Für dich konnte ich noch ein Foto von 1967 ausgraben: Das 499er Kümo MS „BEWA“ bei einer Reise von Skandinavien nach England mit Rohmasten für Telefon- oder E-Leitungen.


Die Decksladung (ca. 1/3 der Gesamtladung) musste mir vielerlei Ketten, Drähten und starken Spannschrauben seefest geschnürt, also gelascht werden. Zur Kontrolle und zum Nachzurren dieser Laschings waren auf See tagtäglich akrobatische Übungen nötig, denn die Hölzer waren verdammt glitschig und noch rutschiger im Winter, dank Schnee und Eis. Dort lernte ich auch die wichtigste Seemannsregel: Eine Hand fürs Schiff, die andere dir dich selbst.

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Als du die wenigen Fotos mit dem Kümo und der Holzladung an Deck sahst, kräuselten sich deine kurzen Nasenflügel und der Kommentar war knapp: „Und dafür malocht ihr? Nur um diesen Kram über den Teich zu bringen? Wir verschifften beileibe nicht nur Holzstämme zu den Briten. Oft hatten wir Schnittholz, teilweise gebündelt, aber meistens lose, oder Grubenholz an Bord. Das Grubenholz war in üblichen Längen geschnitten und für Bergwerke bestimmt. Rundhölzer eben. Bei der anschließenden Rückfahrtwaren die Schiffe keinesfalls leer, sondern mussten mit dem Transport diverser Schüttgutladungen Geld verdienen. Zu den angenehmeren Ladungen zählte Getreide, für das nur wenige eingesackte Mengen zur Stabilisierung der oberen Schichten im Laderaum zur Verfügung standen, damit die Körner auf See bei der Schaukelei nicht nach einer Seite rieseln konnten. Die größte Menge war lose und wurde in die Laderäume geschüttet. Weniger angenehm waren Erze, Kohle und Koks. Hatten wir solche Landung an Bord, dann begann für uns das Saubermachen. Extra Geld gab es dafür nicht. Koks zählte für uns zur unerwünschten Ladung. Da Koks keine schwere Ladung war, wurde nach dem kompletten Füllen der Laderäume ein anderer Teil an Deck geschüttet. Dafür mussten wir Käfige mit Kaninchendraht bauen, damit während der Reise möglichst wenig über Bord fiel. Einmal schwemmte sich die überkommende See einen Weg zu den mangelhaft abgedeckten Luken-Öffnungen, und das Schiff begann langsam immer tiefer zu sinken. Da kamen sehr ungemütliche Gedanken auf und wir schufteten alle, auch der Koch und die Maschinenleute, um so viel und so schnell wie möglich das dreckige Kokszeugs über Bord zu schaufeln.

Deine Gedanken zu verschiffender Ladung blieben leider bei den blitzenden weißen Bananenjägern hängen.


Schnelle Schiffe, in denen Bananen und anderes Obst bei eng begrenzten Temperaturen konstant gekühlt wurden, das sie aus den karibischen Häfen holten. Diese sauberen, aber langweiligen Ladungen interessierten mich ebenso wenig wie der Transport von bejahrten Leuten auf Kreuzfahrtschiffen.


Allein die Berichte und Preise für solche Luxusreisen sorgen bei mir für stickte Ablehnung. Das alles klang zu uninteressant, wie auch die Verschiffung von Erdöl oder anderen Flüssiggütern.


Mein Interesse galt mehr den bekannten Kisten und Kasten und anderen Waren, die es im Schiff wie in einem Gemischtwarenladen möglichst schnell und immer heil und komplett von verschiedenen Ländern zu genauso verschiedenen Bestimmungshäfen zu bringen galt. Bei solchen Reisen gab es eigentlich weder einen Beginn noch ein Ende der Reise. Überall wurde geladen und gelöscht. Die Laderäume waren sollten komplett leer. Die Beladung musste sorgfältig geplant werden und erforderte sorgfältige Berechnungen zugunsten von Schiff und Ladung, denn bei aller Fürsorge für die Waren war der entscheidende Punkt immer die Erhaltung der Schwimmfähigkeit des Schiffes. Damit dieses sogenannte Stückgut während der Reise nicht verrutschte oder sonst wie beschädigt werden konnte, war vor allem die Erfahrung der alten Fahrensleute wichtig, denn das Sichern der Ladung, genannt Laschen, war fast überall Sache der Besatzung. Wir mussten oft genug noch Tage nach Verlassen des Ladeplatzes mit Drähten, Leinen und Holz daran bauen, dass die von den Schauerleuten gestapelten Dinge seefest gesichert wurden. Das änderte sich erst mit Beginn des Containerzeitalters.

Wenn ich mich heute an die verschiedenen Arten von Ladungen erinnere, komme ich nie an ein Ende. Dafür fallen mir die vielen Vor- und Nacharbeiten ein, zu denen wir auch später als Nautiker geordert waren. Wenn dann trotz aller Arbeit und Sorgfalt (oft noch während der Reise) Ladung beschädigt wurde, mussten ellenlange Berichte geschrieben werden, dass der Schaden möglichst nicht dem Schiff angelastet werden konnte. Auch das erforderte neben viel Erfahrung oft allerlei Phantasie, wofür kaum jemand von uns je ausgebildet wurde.

Aber mit den heiklen Themen will ich dich, liebe Tante, heute nicht langweilen.

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Wenn du mal zu Besuch an Bord kamst, mochtest du unsere Mannschaftsklos nie recht leiden. Obwohl wir sie immer gut sauber hielten. Die Nasszellen waren Gemeinschaftsklos. Also keine Einzelklos wie die der Offiziere. Auf jeden Fall waren die Klos beleibte Rückzugsorte. Fast Idyllen. Es gab dort immer Lesestoff, wie die Mappe der Unfallverhütungsvorschriften (UVV), die am Schott hing, und viele abgegriffene Illustrierte. Manchmal auch Western.

Die Illustrierten mussten vor dem Anlaufen bestimmter Häfen komplett und gründlich entsorgt werden, da sie dort als angebliche Pornohefte verboten waren. Die dortigen Behörden kontrollierten das und schienen oft enttäuscht zu sein, wenn sie keine solchen Blätter fanden.

Später erhielten wir Betriebsanleitungen zum Thema Pinkeln und Kacken, als wir immer mehr internationale Crews an Bord hatten.


Doch das half auch nur wenig, denn die Klobrillen brachen weiterhin durch das Hockverhalten einiger Exoten mittendurch.

Bei dir zu Hause war das sowieso nicht vorgesehen. Nur lüften musste ich dort immer nach meiner Zigarette. Und Lesestoff? Nein! In deinem fast desinfizierten Klo war nichts Lesbares zu finden. Bei so viel Ungemütlichkeit blieb ich da nie lange Zeit.

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Reiner Mothes: Meine Seefahrt

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