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Die Begegnung am Bach

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Das Aufstehen am Morgen richtet sich nach der Zeit des Sonnenaufganges. Erst im tiefen Herbst und im Winter, wenn die Tage zu kurz werden, werden die Tranlampen angezündet oder werden frühmorgens und früh abends schon die Feuer aufgeschürt und die Handarbeiten in der Nähe der Feuer verrichtet.

Aram ist die erste heute Morgen und streckt sich in dem zurückgeschlagenen Zelteingang wohlig in den ersten warmen Sonnenstrahlen.

Sie streift ihre Lederlatschen über und macht sich mit dem kleinen Welpen zum nahen Bachlauf auf den Weg, den ihr die jungen Jäger am Tag zuvor beschrieben hatten, denn in dieser Gegend war sie noch nie vorher gewesen und hätte sich sicher verlaufen, wenn sie die Markierungen nicht gekannt hätte. Der Weg, nur ein Pfad, eher eine Fährte, die durch umgeknickte Äste und durch aufgespießtes Laub kenntlich gemacht worden war, schlängelt sich um riesige Felsbrocken herum, die irgendwann einmal vom Eise hier liegengelassen worden waren, verläuft unter heruntergestürzten Baumkronen, dann weiter entlang eines Kieferndickichts, durch ein Stück Moor und Morast und windet sich schließlich durch einen Schilfgürtel bis hin zu einem breiten plätschernden Bach, der um diese Jahreszeit nur wenige Zentimeter tief ist.

Aram füllt die mitgebrachte Schweinsblase mit dem frischen Wasser für die Morgensuppe. Vergnügt tollt der kleine Wildfang neben ihr her und versucht einen der im flachen Wasser patschenden Fische zu fangen.

Plötzlich verstummen die Vogelstimmen ringsum, kein Laut mehr, Aram hört ein leises Knacken und sieht hinter sich einen riesigen Schatten, der ihren eigenen Schatten verschluckt, näher kommt und größer und größer wird. Sie dreht sich blitzartig um.

Zuerst kann sie nicht erkennen, was das für ein Riesenwesen ist, das hinter ihr erschienen ist. Sie ist geblendet von dem Sonnenkranz, der die Silhouette umgibt und zugleich von dem Schatten, den das große Tier auf sie wirft. Ein Bär. Ein Mordsexemplar von einem Höhlenbären, der an dieser Stelle offensichtlich ältere Rechte an der Tränke geltend machen will.

Der kleine Wildfang hat sich in Arams Schutz zurückgezogen und bellt wie verrückt und keift aus sicherer Entfernung.

Aram ist vor Angst erstarrt, das Blut schein ihr in den Adern zu gefrieren. Sie versucht dennoch halbwegs bei klaren Gedanken zu bleiben und ihren Verstand zu gebrauchen. Auf einen Kampf darf sie es nicht ankommen lassen, schießt es Aram durch den Kopf, ein einziger Tatzenhieb nur würde sie kampfunfähig machen und danach ...

Trotz ihres Schreckens, der ihre Glieder lähmen will und sie gleichzeitig an panikartige Flucht denken lässt, erinnert sich Aram verzweifelt an das, was die Alten und die erfahrenen Jäger an den Lagerfeuern erzählen: sich niemals plötzlich oder ruckartig bewegen, nach Möglichkeit kühlen Kopf bewahren und nur wohl überlegt handeln; es käme in diesen Momenten darauf an, das ebenso überraschte, aber keineswegs erschreckte Gegenüber zu überlisten, - hatten einige erzählt-, und den Moment auszunutzen, solange keine unmittelbare Angriffsgefahr bestünde; lebenswichtig sei, den Gegner die eigene Angst nicht spüren und vor allem nicht riechen zu lassen; deshalb solle man sich mit vorsichtigen Bewegungen zum einen auf einen geeigneten Schutz zubewegen, sich zum anderen aus der Windrichtung bewegen, falls der Wind ungünstig stand.

Also nach diesen Regeln hatte Aram ja bereits einiges falsch gemacht, dachte sie verzweifelt.

Egal, war ihr nächster Gedanke, Ruhe bewahren.

Das Überraschungsmoment ausnutzen, das war es, schoss es Aram durch den Kopf, selbst wenn das Tier Aram schon länger beobachtet und das Mädchen regelrecht angepirscht hatte. Aber dem schien nicht so, der Bär rührte sich nicht und beäugte die junge Frau aus seinen braunen, eher zutraulich wirkenden Augen, die so gar keine Aggressivität vermuten ließen.

Aram bewegte sich vorsichtig auf eine Kiefer zu, die nur etwa zwei, drei Schritte halblinks hinter ihr stand, ein Baum, dessen Geäst es ihr erlauben würde, sich zu den ersten stärkeren Astenden hinaufzuschwingen, um dann geschwind weiter hinaufzuklettern, bis sie hoffentlich in Sicherheit war. Natürlich konnte der Bär ihr folgen, Bären waren geschickte Kletterer, doch taten sie dies nur, wenn sie wirklich Hunger hatten und ihre Beute einholen wollten. Ansonsten würde er sie in Ruhe lassen, hoffte Aram und würde sich irgendwann davontrollen.

Der kleine Wildfang musste selber sehen, wie er sich in Sicherheit brachte, und sollte sich mit seinen kleinen stämmigen Beinchen am besten schnell aus dem Staub machen, dachte Aram, nicht, ohne sich dabei ein wenig schäbig vorzukommen, aber was sonst konnte sie für den Kleinen tun?

Noch ein vorsichtiger Schritt zur Seite, Aram erreichte den Baum und schwang sich mit einem einzigen Satz zu den unteren Ästen empor, immerhin für eine kleine Frau von nur knapp einem Meterundsechzig eine ganz schöne Leistung. Sie kletterte rasch weiter, hangelte sich hoch von Ast zu Ast und verschnaufte erst und sah erst nach unten, als sie inzwischen vielleicht so zehn, zwölf Meter hoch geklettert war.

Der Bär schaute zu ihr hoch und grunzte.

Wildfang, nun ohne den Schutz seines Frauchens, war kläffend davongesaust.

Viel zu eng, dachte Aram, es ist hier alles viel zu eng und zu verzweigt für einen so gewaltigen Bären, der kommt hier gar nicht rauf.

Sie schnaufte zufrieden, setzte sich auf einem dicken ausladenden Ast zurecht, lehnte sich gegen den Stamm und versuchte sich erst einmal zu beruhigen. Wer weiß, wie lange ich hier sitzen muss, dachte sie besorgt; hoffentlich ist die Schweinsblase nicht geplatzt, die ich vor Schreck hatte fallen lassen, als der Schatten des Bären auf mich fiel, dachte Aram, denn das war ihre einzige und Wildschweine gab es nur selten hier und Rentierblasen sind bei weitem nicht so fest und strapazierfähig wie Schweinsblasen ...

als wenn es darauf jetzt ankäme.

Der Bär unter ihr machte sich an dem Baum zu schaffen. Er kratzte an der Rinde und rüttelte, dass es Aram richtig schüttelte dort oben und lieber kletterte sie geschwind noch ein paar Äste höher hinauf, wo es vielleicht doch sicherer war.

Sie war sich ziemlich sicher, dass der Bär ihr nicht folgen konnte, aber eben nur ziemlich; alles in allem war es ihr gar nicht wohl zumute und sie hoffte, dass sie Recht behielt.

Ein riesiger Kerl, den Aram jetzt von ihrer sicheren Position aus in Ruhe beobachten konnte. Der Kopf so groß wie eine Rentierkeule, bestimmt so mindestens drei Meter groß, wie er da aufrecht unter dem Baum stand und zu Aram hochäugte.

Und der stank ganz fürchterlich, erst jetzt bemerkte Aram den grässlichen Geruch dieses Zottels, dessen Fell zwar recht sauber und geputzt aussah, aber fürchterlich stank.

'Niemals hätte der mein bisschen Angstschweiß riechen können', dachte Aram.

Schon wieder rüttelte der Bär an dem Kiefernstamm und diesmal so kräftig, dass die junge Frau beinahe von ihrem Ast gefallen wäre, hätte sie nicht im letzten Moment Halt an einem darüberhängenden Ast finden können.

Mit gewaltiger Kraft und mit ungeduldigem Brüllen zerrte und rüttelte der Bär ... und ließ plötzlich ab. Er drehte den Kopf nach hinten, hob die Nase und schnupperte in die Luft; irgendetwas anderes musste seine Aufmerksamkeit abgelenkt haben, jedenfalls ließ er sich nieder auf seine vier Pfoten und trabte fort von dem Baum, latschte quer durch den Bach und verschwand schließlich im Dickicht auf der anderen Seite.

Erst jetzt hatte Aram Zeit für ein Stoßgebet und dankte dem Gott des Waldes und der Feen, dass er ihr geholfen und den Bären auf eine andere Fährte gelockt hatte.

'Wie lange mag das schon her sein seitdem ich hier hochgeklettert bin', überlegte Aram nach einer Weile, vielleicht vermisst mich Merolf schon und kommt mit ein paar Jägern, mich zu suchen.

Die Sonne stand jetzt schon weit über dem Horizont, es war wieder ein Pfeifen, Zwitschern und Geflatter um sie herum, auch die Vögel und das andere Getier im Walde hatten sich von ihrem Schrecken erholt und machten so weiter wie vorher.

Im Lager waren bereits alle auf und Merolf hatte sich gewundert, dass Aram noch nicht zurück war und die Morgensuppe noch nicht im Feuer dampfte, als Wildfang angesaust kam und wie verrückt bellte und dabei mit dem Hinterteil wedelte und an Merolf hochsprang, als wenn er ihm etwas mitteilen wollte.

“Aber du bist doch mit Aram zusammen fortgegangen“, meinte Merolf zu dem Hund, “wo ist denn dein Frauchen geblieben? Bist du ihr davongelaufen?” - Oder ist etwas passiert ...?

Beim letzten Gedanken stürzte Merolf zurück ins Zelt, griff seine Holzlanze und stürzte auch schon davon. “Komm“, rief er Wildfang zu,“ zeig mir den Weg!“. Und Wildfang raste auch schon voraus.

Verdammt, Merolf machte sich Vorwürfe, während er so schnell es das Gestrüpp zuließ, in Richtung Bachlauf lief, “Können wir helfen?”, riefen Kilur und Sögram, die beiden Freunde, als Merolf an ihrem Zelt vorbeihastete. “Kommt mit, irgendetwas ist mit Aram passiert”, rief Merolf ihnen atemlos zu und war auch schon vorbei.

Die beiden Brüder schnappten sich ihre Bögen und die Pfeilköcher und liefen hinterher.

Der kleine Trupp näherte sich bald dem Schilfgürtel, Merolf blieb stehen, legte die Hände an den Mund und rief nach Aram.

Was für ein schöner Laut, durchrieselte es Merolf, als er im nächsten Moment seinen Namen rufen hörte. Aram hatte die Männer von ihrem unfreiwilligen ‘Hochsitz’ aus kommen sehen und hatte gerufen und gewunken. Merolfs Augen folgten der Stimme und entdeckten Aram oben etwas unterhalb des Gipfels einer alten Kiefer und winkte ihr freudig zu. “Was machst du denn da oben?” rief er hinauf, als er mit den Freunden unter dem Baum angelangt war und Wildfang, wieder ganz mutig und außer Rand und Band, sprang an dem Baumstamm hinauf und wollte zu seinem Frauchen.

“Ich hatte gedacht, ich schaue mir die ganze Gegend hier mal so von oben an”, antwortete Aram, als sie wenige Momente später den Baum hinuntergeklettert war und keuchend wieder neben ihrem Merolf stand; dankbar und erlöst schloss sie ihn fest in ihre Arme.

Aram erzählte ihr Abenteuer und ertappte sich dabei, wie sie ein bisschen dick ausmalte, wie umsichtig und erfahren sie sich verhalten hatte und wie beinahe furchtlos sie der anscheinend ausweglosen Situation entronnen war.

Alle lachten zuerst, wurden dann aber doch nachdenklicher und schauten sich vorsichtig um. So ein Höhlenbär war ungleich gefährlicher als eine Horde Wisente oder ein Mammut, denn er war enorm wendig, schnell und trickreich und kannte die Wirkung seiner gezielten Tatzenhiebe offensichtlich sehr genau.

Andererseits: wo ein Höhlenbär war, musste auch irgendwo eine Höhle sein und das höchstens im Umkreis von wenigen Kilometern, möglicherweise nur ein, zwei Tagesmärsche entfernt. Und der Stamm suchte sowieso wieder eine neue Höhle für den kommenden Winter, da die alte, die man noch bis zum Frühjahr benutzt hatte, teilweise eingestürzt, jedenfalls nicht mehr sicher genug war. Was lag näher, als das Gute aus dieser Begegnung zu ziehen und den Spuren des Bären zu folgen, um so vielleicht ein neues Winterquartier zu finden?

Es würde nicht einfach werden, den Bären daraus zu vertreiben, mit ziemlicher Sicherheit musste man ihn sogar töten, was dann allerdings wiederum Fleisch, Fett und ein begehrtes Winterfell bedeutete.

Die Vier beschlossen, erst einmal wieder zum Lager zurückzukehren und das ganze mit Widur, dem Stammeshäuptling, zu besprechen und das ganze im Altenrat zu diskutieren, denn immerhin waren wenigstens sechs Jäger dazu notwendig, diesem Meister Petz für vielleicht länger als nur ein paar Tage zu folgen, bevor er wieder einmal zu seiner Höhle zurückkehrt. Und diese Leute würden fehlen beim Transport des Mammut, bei der Zubereitung und Konservierung des Fleisches und für die anderen Arbeiten; und zusätzlich mussten dann andere deren Plätze einnehmen, denn irgendwer musste ja schließlich den Stamm später wieder mit Fleisch versorgen.

Es wollte alles gut überlegt und geplant sein und ohne die Erfahrungen und den reichen Wissensschatz der Alten und ohne deren oft genug weise Entscheidungen, konnte selbst Widur nichts ausrichten.

Die Brüder markierten den Ort und die Richtung, in die der Bär nach Arams Schilderung davongetrottet war, prägten sich dessen markanten Prankenabdruck ein, den Meister Petz im feuchten Lehmboden am Bachufer hinterlassen hatte, - eine eindeutige Fährte, denn an einer Hinterpfote fehlte eine Zehe -, und marschierten zurück ins ‘Notlager’ auf der Lichtung.

Am Nachmittag, als die Sonne immer noch hoch am Himmel stand und Bäume und Sträucher, Felsen und auch die Zelte des Stammes bereits wieder längere Schatten warfen, brach die Gruppe auf, die ausgewählt worden war, dem Bären zu folgen und dessen Höhle ausfindig zu machen.

Die Alten waren schnell einig geworden, dass ihnen gar keine andere Wahl blieb, denn ein neues Winterquartier war überlebensnotwendig und es war nie zu früh, sich darum zu kümmern, immerhin konnten Wochen vergehen und das erste Laub konnte bereits gefallen sein, bis sich der Bär vielleicht bequemte und damit begann, seine Vorräte für den Winter in seine Höhle zu schaffen.

Danach war dann die Frage zu lösen, den Bären vertreiben oder erlegen und wie? Denn das würde mit allen Vorbereitungen noch einmal einige Tage dauern und, wer weiß, wenn der Bär den ‘Braten’ roch, würde er sich vielleicht noch länger Zeit lassen, ehe er sich in einen Hinterhalt locken ließ.

Also kein großes Palaver, der Jagdtrupp wurde eingeteilt und ausgerüstet, eine neue Gruppe wurde gewählt, die in der Zwischenzeit die Frischfleischbeschaffung übernehmen sollte und der Schamane Ugulus traf alle Vorbereitungen für das Zeremoniell, mit dem die Götter um Hilfe gebeten und denen für eine gute und erfolgreiche Mission der Jäger geopfert werden sollte.

Für eine erfolgreiche Jagd war ein angemessenes Blutopfer notwendig und man entschied sich, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden und für die bevorstehende Reise, die wahrscheinlich in einer Jagd auf den Bären enden würde, eines der eingefangenen Wildpferde zu opfern, da ohnehin eines geschlachtet werden sollte, bevor der Glücksfall mit dem Mammut dazwischen gekommen war.

Die Zeremonie wurde in der Anwesenheit aller, auch der Kinder und Frauen, zelebriert und so gesegnet und mit dem guten Geist der Götter versehen, konnten sich die sechs Jäger, Bilus, Roluf, Sögram, Tore, Fyne und Ragor auf den Weg machen.

*

Die Arbeit am Mammut machte sich nicht von alleine und so wurde es Zeit, wenn man noch vor Anbruch der Dämmerung mit dem Abstreifen des Felles, dem Schneiden der Fettschicht in Streifen und dem Portionieren fertig werden wollte, um am nächsten Tag mit dem Zerteilen und Entbeinen weiterzumachen.

Die Arbeit musste sorgfältig getan werden, damit möglichst viele Teile im eiskalten Wasser des Maar am Grunde des Kraters zur Konservierung bis zum Herbst, wenn die Lufttemperaturen sowieso auf um die 0° Celsius sanken, aufgehoben werden konnten. Dazu mussten Teile der Haut über dem Muskelfleisch erhalten bleiben, damit man daraus Taschen nähen konnte, die mit dem Fleischstück verbunden blieben und in die man zum Beschweren Steine einnähen konnte; das hielt, so war die überbrachte Erfahrung vieler Generationen bereits, das Fleischstück trotz der Lufteinschlüsse in den Zellen von Muskeln, Gewebe und Knochen soweit unter Wasser, dass der Verwesungsprozess bei den niedrigen Wassertemperaturen nicht einsetzen und das Fleisch nicht faulen konnte. Und nicht zuletzt konnten sich keine ungebetenen Gäste wie Wolf, Luchs und Bär an den frischen Brocken bedienen.

Salz zum Einpökeln, wie es bereits in den Mittelmeerregionen verwendet wurde, kannten die Leute dieses Stammes noch nicht.

Und nur durch Zufall kam man Jahre später erst darauf, Fleisch und Fisch zu räuchern, um die Stücke für lange Zeit haltbar zu machen.

Die Frauen nähten an den vorbereiteten Stücken geschickt mit Sehnen und Knochenahlen die hängengelassenen Hautlappen am Muskelfleisch fest und ließen nur gerade eine Öffnung zum Einfüllen der abgerundeten, etwa faustgroßen Steine übrig, die die Gletscher in ihren Endmoränen entgratet und gleichmäßig rund geschliffen zu Millionen liegengelassen hatten. Diese Steine waren so hervorragend als Gewichte geeignet, weil sie die Haut nicht durch scharfe Schlagkanten oder Spitzen und Grate verletzen konnten, wie es mit den sonst von den Männern als Werkzeuge und Waffenteile behauenen Steinen der Fall wäre; denn so ideal rund hätte man durch mechanische Bearbeitung von Hand so einen einzelnen Stein erst nur mit langwieriger und mühseliger Arbeit bekommen, wenn überhaupt.

Die Dämmerung zog herauf und die Leute vom Krater zogen sich vor ihre Zelte zurück. Im allgemeinen kannten sie keine Eile; der Tagesrhythmus wurde durch den Sonnenauf- und -untergang bestimmt, durch das Wetter, durch Gefahren, die das Naturgeschehen für die Menschen mit sich brachte oder durch Beute suchende Tiere wie Höhlenlöwen, Luchs und Höhlenbär. Dann zog man sich einfach in die Schutz bietenden Behausungen zurück und wartete ab.

Auch die Nacht bedeutete für die Menschen dieser Zeit eine gewisse Bedrohung, da man nicht in der Lage war, außer durch Beleuchtung im Zelt, der Hütte oder der Höhle, Licht zu erzeugen, mit dem man sich im Gelände hätte frei bewegen können. Es gab bereits Steinlampen, die neueste Errungenschaft, die man sich im vergangenen Sommer bei einem anderen, auf dem Weg in den Süden ziehenden Stamm abgeschaut hatte und die zusätzlich zu den Koch- und Heizfeuern für Licht sorgten; hierzu arbeitete man in flache Steine kleine Mulden, in die dann Fettstücke eingelegt wurden, die man anzündete. Aber diese Lampen waren sehr windempfindlich und taugten nicht für die Verwendung im Freien, es sei denn, es war völlig windstill, was allerdings durch die Temperaturausgleiche zwischen dem eisigen Nordteil und dem wärmeren Land etwas weiter südlich und durch die dadurch erzeugten Luftströmungen, den Wind, fast nie vorkam.

Also zogen sie sich bei Einbruch der Dämmerung zurück und gingen den nächtlichen Gefahren so gut sie konnten aus dem Wege. Schlimm genug, wenn einer von ihnen nachts raus musste, weil ihn Darm oder Blase drückten.

Und dann waren da noch die Geister der Nacht, der Dunkelheit und des Ungewissen, das man nicht greifen und nicht begreifen konnte; das waren unsolide Gesellen, immer zu irgendwelchem Schabernack und zu irgendwelchen groben Scherzen aufgelegt und denen begegnete man besser nicht.

Und dann diese eigenartigen Erscheinungen, die man sich überhaupt nicht erklären konnte und die von Wesen geschaffen sein mussten, die Zauberer und Dämonen zugleich waren: wenn droben am Himmel, der kolkrabenschwarz war und wolkenlos, diese vielen Lichter oder Lagerfeuer zu sehen waren oder war hinter dem schwarzen Tuch ein neuer heller Tag, der wartete und konnte man diese hellen Punkte nur sehen, weil dieses schwarze Tuch so löchrig war wie die abgezogene Haut eines Wisent nach Dasselfliegenbefall?

Zu anderen Jahreszeiten war alles noch unheimlicher und trieben die Götter ihre Lichterspiele dort oben, wenn große bunte Lichtwolken am Himmel zuckten, so, wie nach einem Gewitter oder nach einem großen Regen, wenn ein bogenartiges Gebilde von einem Punkt zum anderen weit über den Himmel spannte und in allen Farben bunt leuchtete.

Man tat gut daran, es sich mit diesen Überwesen nicht zu verscherzen und regelmäßige Opfer zu spenden, so, wie es jeder von Ihnen eben haben wollte. Denn wer wollte sich schon deren Gnade und Beistand verscherzen?

So blieben die Geheimnisse der Nacht weitgehend ungelöst und nur der Schamane des Stammes schien eine andere Beziehung zu diesen Wesen und Erscheinungen zu haben.

Mit den Schamanen hatte es schon immer etwas besonderes auf sich, das waren sowieso keine normalen Wesen: schon von Kind auf, ja schon als Säugling wurde an der Art, wie das Kind auf die Welt kam, daran, was es dann als erstes tat und wie es beim Schlagen des Feuerzeichens reagierte, wie es schrie, festgestellt, ob dies der Nachfolger des Stammeszauberers war, der vom Schamanen in die Handhabung und richtige Auslegung aller Rituale, aller Einzelheiten des täglichen Alltags und der besonderen Tage eingewiesen wurde und dem mit Erleben von fünfzehn mal zwölf Monden das Amt des Schamanen mit allen Würden übergeben wurde.

Dies konnte nur ein Kind sein, das in der Mittsommernacht geboren wurde, da es all die Kraft der Sonne für sein späteres Leben im Dienste des Stammes brauchen würde.

Oft kam es vor, dass viele Sonnenwenden vergehen mussten, ehe wieder so ein Kind geboren wurde und nicht immer stellte sich dann heraus, dass es den Aufgaben des Schamanen gewachsen sein würde. Und so kam es, dass viele Schamanen ‚steinalt‘ werden mussten, ehe sie ihr schweres Amt in die Hände eines Jüngeren legen konnten eines Nachfolgers, der die Bürde würde tragen können, dem Stamm zu dienen und die Verbindung zwischen den Überwesen und den Menschen aufrecht zu erhalten und den anderen verständlich zu machen, was ohne geschultes und überliefertes Verständnis nicht möglich war, richtig zu verstehen und zu deuten und für die Befragungen zu Lösungen in schwierigen Aufgaben beizutragen.

Aber man konnte sonst gut zurechtkommen mit den Göttern und Geistern, wenn man eben gewisse Regeln beachtete und sich ansonsten an den Ratschlag hielt, den der Zauberer nach eifriger und intensiver Befragung der Zeichen in der Asche eines mit Tierblut gelöschten Feuers, oder eines Haufens hingeworfener Knöchelchen eines totgeborenen Welpen oder einer Rentierleber oder anderer vielfältiger und für sämtliche Anlässe und Befragungen genau festgelegter Gegenstände dem Ratsuchenden gab. Was wollte man ohne den Schamanen nur machen? Wie kein anderer kannte er die religiösen Gesetze und die Gesetzmäßigkeiten, die die selbstverständliche Folge allen Handeln und Tuns waren.

Wie sollte man wissen, ob man zum Beispiel eine gefundene Furt durchqueren durfte, wenn nicht zuvor die Zeichen am Erdboden und an den Pflanzen ringsum, der Stand der Sonne und andere wichtige Kriterien eindeutig zugeordnet waren und festgestellt war, ob es ein gutes oder schlechtes Zusammentreffen war, das entweder für eine oder gegen eine Durchquerung sprach. Natürlich wurden auch Steinformen im Wasserlauf, das Kräuseln fließenden oder stehenden Wassers und anderes Praktisches mit zur Entscheidungsfindung berücksichtigt.

Wie gut, dass es jemanden gab, den man um Rat fragen konnte!

Aber gegen die Angst in der Nacht, auch der Mutigsten und Kühnsten unter ihnen, konnte auch der Schamane nichts raten, es sei denn das Kauen von beruhigenden, tranquillierenden Wurzeln oder Beeren, die einen sicheren Schlaf versprachen oder vergorene Obst-, Beeren- und Kräutersäfte, die man allerdings immer nur zu besonderen Anlässen zubereitete und die eine leicht berauschende und gleichzeitig beruhigende Wirkung brachten.

Und die Feuer vor den Zelten durften nie ganz niederbrennen und das Feuer in der Mitte des Zeltkreises zum Schutz gegen wilde Tiere, die nachts herumstreunten und nach leichter Beute suchten, wurde immer im Wechsel jede Nacht von einem anderen Stammesangehörigen aufgeschürt und am Brennen gehalten.

Das Flackern der Flammen und deren Schattenwurf, das Knistern des Holzes oder der Knochen und Dungfladen, die teilweise mit verbrannt wurden, gaben Geborgenheit und Sicherheit.

Und nie lag einer der Leute allein in seinem Zelt, es sei denn, ein Jäger, der als Einzelgänger einer Fährte folgte oder von einem Stamm ausgestoßen worden war.

Ugulus, der Schamane, sprach so oft davon, wie wichtig es sei, dass wir den Familienhalt hätten, wie lange Tradition hinter dieser Ruhe, Sicherheit und Geborgenheit steckt, die nur die Familie geben kann oder der ganze Familienverband, dann im größeren gesehen, schließlich die Sippe, zu der man gehörte; und später dann die eigene, selber gegründete Familie, für die dann eine ganz neue Verantwortung übernommen werden musste, eine Verantwortung, die Kraft gibt, auch wenn sie viel fordert und die dem Familienoberhaupt durch dessen neue Aufgaben, den Schutz und die Versorgung von Frau und Kindern, den Rücken stärkt und erst wahrhaft einen Mann aus ihm macht.

*

Aram wälzte sich auf ihrem Lager und dachte über so vieles nach, dachte daran, was gewesen wäre, wenn der Bär nicht so ‘zurückhaltend’ gewesen wäre, oder wenn Wildfang nicht Hilfe geholt hätte. Die Angst saß ihr noch tief in den Knochen und ließ ihr einen Schauer über den Rücken laufen. Und dieser ekelhafte Gestank des Bären, den sie noch zu riechen glaubte!

Aber irgendwie passte dennoch alles zusammen, auch wenn sie anscheinend nur knapp einem großen Unglück entgangen war, auch wenn die Frucht in ihrem Leibe dann niemals ein Kind geworden wäre. Irgendetwas oder irgendeine Kraft von außen, vielleicht aus der unbekannten Welt hinter dem Himmel, schien das Ganze zu steuern und so wie Pflanzen, Tiere, ja Bäume, Gräser und selbst der kleine Käfer dort am Boden in einer gewissen, für sie nur schemenhaft greifbaren Harmonie miteinander lebten, miteinander existierten, bildete alles miteinander ein Gleichgewicht, das die Existenz des einen eng mit der des anderen verband;

und so hätte es ein Ungleichgewicht bedeutet, wenn ihr jetzt etwas zugestoßen wäre, dachte Aram, wenn der kleine “Wurm“ in ihr drin noch nicht einmal die Gelegenheit gehabt hätte, sich diese Welt überhaupt anzusehen.

Aber gleichzeitig wusste Aram auch, dass es sehr wohl solche unbarmherzigen und ihrer Meinung nach unharmonischen Begebenheiten und Schicksale gab, dass Kinder ungeboren blieben und Mütter den Totgeborenen nur allzu oft noch in der gleichen Stunde folgten.

Der Schrei eines Käuzchens draußen vor dem Zelt rüttelte sie aus ihren trüben Gedanken. Aram setzte sich etwas auf in ihrem Reisiglager und drehte sich zu Merolf; der schlief “wie ein Bär“, wie man bei ihnen sagte und sich überhaupt nicht rührte. Seine Atemzüge gingen gleichmäßig und ruhig. Ein gnadenvoller Schlaf, dachte Aram. Woher kommen wohl diese Ausdrücke, ging es ihr durch den Kopf “Stinkt wie ein Bär” oder “Schläft wie ein Bär”. Bis jetzt hatte sie sich über deren Herkunft und Hintergrund noch gar keine Gedanken gemacht, einem wirklichen Bären war sie ja bislang auch noch nie begegnet, hatte Meister Petz allenfalls mal von weitem vorbeitrotten gesehen oder einen Bären beim Fischfang. Erst jetzt gewannen diese Begriffe für sie eine ganz andere und nachfühlbare Bedeutung - und über diesen letzten Gedanken schlief sie endlich ein.

*

Der Morgen versprach mit den schon wärmenden Sonnenstrahlen und den dünnen faserigen, zarten Wolkenfetzen, die am Himmel vorbeizogen, einen schönen Tag.

Die ersten Morgensuppen dampften bereits in den Feuern.

Es gab verschiedene Zubereitungsarten, nicht nur in der Auswahl der Zutaten, die immer auch davon abhingen, was den einzelnen Familien für Gerätschaften und Hilfsmittel zur Verfügung standen: die einen benutzen Tierhäute, die sie in Erdmulden legten, dort das Wasser hinein gaben und einen heißen Stein, der das Wasser und die Zutaten für die Suppe zum Kochen brachte; andere benutzten stabile Blasen oder Darmteile; einer, Bilus, ein älterer Jäger von vielleicht 40 Wintern, hatte sich die Knochen eines Rentierbrustkorbes so zurechtgestutzt, dass er durch Bespannen eines Felles, an dem er innen eine dünne Fettschicht belassen hatte und Festbinden an den einzelnen Rippen ein festes Behältnis hatte, das er immer wieder verwenden konnte.

Und natürlich waren auch die Geschmäcker verschieden;

Hägrind zum Beispiel, eine kleine stramme Frau von fünfunddreißig, etwa Einsfünfzig klein, wusste, dass ihr Widur

am liebsten Innereien in der Suppe hatte, Nierchen, Leberteile, Herzstücke, Milz und dazu ein bisschen Mark aus aufgebrochenen Knochen; sie würzte die Suppe mit etwas Inhalt aus dem Wiederkäuermagen von Ren oder Hirsch und mit ein paar Kräutern, die sie gesammelt und getrocknet hatte.

Hägrind war sehr fürsorglich und ging ganz darin auf, ihre Familie zu versorgen und ihnen alles behaglich zu machen.

Und obwohl ihre Söhne Sögram und Kilur schon selbständig waren, blieben sie doch im Zelt der Familie und lebten noch immer mit Ihrer Schwester und ihren Eltern zusammen. Ega, die kleine Schwester von erst vierzehn mal zwölf Monden, ein rothaariges, zierliches Geschöpf, war der Sonnenschein der Familie. Ein fröhliches Mädchen voller Sommersprossen, das meist irgendeine Melodie summte, die sie sich gerade ausgedacht hatte, verrichtete gern und gewissenhaft die ihr übertragenen Arbeiten. Längst war sie schon in einem Alter, in dem ihre Freundinnen schon das Zelt mit einem jungen Mann teilten und ihre eigenen Familien gründeten; doch Ega hatte bis jetzt dem Werben aller Burschen widerstanden und wärmte sich noch im Schoß und der Geborgenheit ihrer Familie.

*

Nach dem ersten Mahl machte sich jeder wieder an die Arbeiten, die vom Vortage fortgesetzt werden mussten. Heute wollte man die ersten vorbereiteten Stücke des Mammut ins Lager im Krater schaffen und übermorgen oder vielleicht noch später dann hier abbrechen; es war nur eine Frage der Organisation und wie viel jeder so schleppen konnte. Die Mammutkuh wog, so schätzte der Schamane, etwa fünftausend Kilogramm und da man alles verwendete und forttragen musste, bis auf das, was man inzwischen bereits gegessen oder an die Hunde verfüttert oder geopfert hatte und bis auf die etwa fünfzig Kilo, die man den Bärenjägern mitgegeben hatte, bedeutete das, dass noch mehr als zweihundert mal der Weg in den Krater und zurück bewältigt werden musste, ehe man sämtliche Beuteteile ins Lager gebracht hatte.

Für jeden der zehn Männer und Jungmänner, die zum Tragen eingeteilt werden konnten, bedeutete dies, die Entfernung zum Kraterlager insgesamt etwa zwanzigmal bewältigen zu müssen.

Bei guten Voraussetzungen und wenn das Wetter mitspielte und die Träger unterwegs nicht von hungrigen Löwen angegriffen wurden, konnte jeder am Tag etwa dreimal die Strecke bewältigen; zurück ging’s natürlich ohne Last viel schneller und nach dem ersten Zug war dann auch der Pfad bereits so ausgetrampelt, dass die Füße ihren Weg alleine finden konnten.

Insgesamt also fünf bis sechs Tage, schätzte Widur, der Stammeshäuptling, und bis dahin konnten dann allerdings die Frauen und Kinder auch schon ins Lager zurückgekehrt sein und hatten dann auch schon das eine oder andere Stück mitgenommen, sicher auch schon die großen Stoßzähne, die immer nur vier Frauen auf einmal tragen konnten, während die anderen dann deren Kinder mitbetreuten oder auf den Armen trugen.

Ein hartes Stück Arbeit, dachte Merolf, und überlegte nicht zum ersten Mal, wie man sich das ganze vereinfachen könnte.

Mit den Schleppen, das hatten sie schon versucht; das taugte aber nur auf relativ breiten Schneisen oder auf durch Erosion und Wind freigeräumten Streckenabschnitten oder wenn der Untergrund eben war und nicht mit Gestrüpp überwachsen oder verlegt durch Baum- und Strauchreste, durch Geröll, Felsbrocken oder einfach unwegbar durch mannstiefe Schlammlöcher; im Grunde, so überlegte Merolf, gab es nur selten Einsatzmöglichkeiten für die Lastschleppen, auch wenn das Material dafür ziemlich überall vorhanden war: ein paar längere, stärkere Zweige oder Äste und ein paar belaubte oder benadelte Zwischenäste. Die Sehnen oder Hautstreifen zum Verbinden an den Ecken hatte man sowieso immer einstecken.

Aber gerade in dieser Vegetationsregion, in der sie erst den lichten Wald durchqueren mussten, dann durch versumpfte, morastige Wiesen, anschließend durch den Gestrüppgürtel am äußeren Fuße des Kraterkegels und schließlich die Steigung hinauf durch Felsbrocken und erstarrtes Ergussgestein hindurch; überall zu schmal oder zu verwachsen, um hier durch das Ziehen der Lastteile mit den Schleppen merklich entlastet zu werden; also blieben der Buckel und allenfalls der Schulterholm, den Merolf schon als Jungendlicher erdacht hatte und den die Leute seines Stammes seither als Lasttrage für Hängendes benutzten. Merolf suchte sich hierzu einen stabilen Ast so von seiner Größe; er entrindete und entastete den Ast von kleineren Zweigansätzen und trug ihn dann ganz einfach quer über den Schultern, wobei er an die rechts und links überstehenden Enden erlegtes Wild, wie Vögel oder Fische binden konnte oder die Fellbahnen, die man zum Bau der Zelte verwendete. Zwei-, dreimal spiralig um den Ast geschlungen konnte so ein Mann relativ einfach sämtliche Häute für ein komplettes Zelt allein transportieren. Oft war es allerdings auch für diese Hilfsmittel einfach zu eng und es wäre zu aufwendig gewesen, sich erst eine Schneise zu bahnen, damit man dann die sperrigen Schulterholme benutzen konnte.

Die Faulheit war es oft oder auch nur die Suche nach einer einfacheren Handhabung immer wiederkehrender, sich wiederholender Handgriffe und Tätigkeiten, die Merolf die Ideen zu schon so vielen kleinen Erfindungen und Hilfen im Alltag eingegeben hatten.

Jedenfalls war der Anstieg und waren die engen Passagen zwischen den Geröllbrocken hinauf zum Kraterrand und dann wieder hinab bis zum Kratersee nicht dafür geeignet, anderes als menschliche Schultern, Arme und Köpfe als Transportmittel für alles zu verwenden, was zum Leben herangeschafft werden musste. Vielleicht änderte sich das schon bald, wenn man irgendwann in ein neues Winterquartier umzog, vielleicht in die Höhle des Bären, dem die Jäger jetzt auf der Spur waren.

*

Der erste Trupp zog los, fünf Mann, und schleppten jeder so ihre fünfundzwanzig bis dreißig Kilo, vorausging einer der Jäger, der für die Sicherheit der Träger sorgen würde. Für die Entfernung bis zum Lager, vielleicht drei Meilen insgesamt, brauchten die sechs bis zum späten Vormittag;

sie schwitzten unter ihren Lasten als sie aus dem Wald kamen und die morastigen Wiesen durchquerten; nicht mehr weit und sie folgten bereits dem ausgetretenen Fußpfad, den sie im Laufe der vergangenen Monate auf ihrem Weg zu den Standplätzen des Wildes immer wieder gegangen waren; ab hier war es etwas einfacher, hier hatten sie wieder festen Boden unter den Füßen, wenn es auch leicht anstieg; der Weg führte sie an großen Geröllbrocken vorbei, zwischen dicken Magmawülsten hindurch, die hier irgendwann vor Tausenden von Jahren erstarrt waren;

immer parallel zum Kratergipfel, serpentinenartig, bis sie nach dreihundert Höhenmetern den Rand des Kraters erreicht hatten; unten am Fuße im Kratertrog sahen sie die stehengebliebenen Zelte der beiden alten Frauen und des Mannes mit nur einem Bein.

Die drei waren zurückgeblieben, um hier die Feuer zu schüren; die beiden Frauen schafften es nicht mehr ohne fremde Hilfe hinaus aus dem Vulkankrater zu kommen und da sowieso bei längeren Unternehmungen der ganzen Sippe einige zurückbleiben mussten, um die Vorräte zu bewachen und die Feuer in Gang zu halten, konnten dies ebenso gut die beiden Alten zusammen mit Laer tun. Laer hatte gelernt, sich auf Harpune und Pfeil zu verlassen, da die Lanze für seine humpelnde Fortbewegung nicht mehr das Richtige war; er war der beste des ganzen Stammes im Umgang mit diesen Waffen, hatte er doch auch lange damit üben müssen und das besonders ehrgeizig, da er nicht aufgeben wollte, um durch seine Behinderung keine Belastung für die anderen zu sein.

Am Rande des Eises

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