Читать книгу Flüchtlingsjunge Kahn - Reinhard Henkel - Страница 2
ОглавлениеAls 2015 die große Flut von Flüchtlingen, aus unterschiedlichen Ländern, aus Kriegsgebieten, geflohen vor Terror und unerbittlich grausamen Krieg, gab es eine überwältigende Hilfsbereitschaft in der deutschen Bevölkerung.
in jeder Stadt, in jedem Land kamen die Menschen, um den Flüchtlingen zu helfen, ihnen das Notwendigste an Kleidung und Nahrung zu geben. Es wurden
Brote geschmiert, Obst und Wasser verteilt. Millionen, die erschöpft und überglücklich in Deutschland ankamen. Tausende, die strahlten, weil sie helfen konnten. Jeder wollte dabei sein, nur um zu helfen. Da konnte der Deutsche auf sich stolz sein, alle eigenen Probleme vergessen und ganz für diese Menschen da sein. Es war beinahe wie ein Rausch, dem die Bevölkerung unterlag. Es war wirklich unvorstellbar, wie die Bevölkerung im Grunde ihrer Seele war, wo im normalen Alltag oft Missgunst und Neid die Oberhand haben
Die Aussage der Bundeskanzlerin, „wir schaffen das“, machte Mut und verwandelte die Menschen. Es war eine wunderbare Mut und Hoffnung machende Aussage. Kaum kam aus dem katholischem Süden der Schrei nach Aufnahmestopp, sprangen die ewig Gestrigen mit auf den fremdenfeindlichen Zug und schon besann man sich, auf soziale Art, den Deutschen unbedingt nichts wegnehmen zu dürfen. Es wurde nie den Deutschen etwas weggenommen. Die Politik konnte aber diesen Streit für sich nutzen. Selbst die großen Parteien mischten mit, es ging ja auf die nächste Wahl zu. Welch eine moralische Verlogenheit.
Wir ließen uns von dieser feindlichen Stimmung nicht beirren. Wir sahen Menschen in Not und vor allem junge Menschen, Kinder einsam und in Not.
Daraus ergab sich folgende Begegnung.
Meine Frau und ich waren uns ganz schnell einig, zu helfen. Zuerst versuchten wir, Begegnungen aufzubauen. Unser Wunsch war, in der Not den Menschen ein Zeichen der Wärme und Geborgenheit zu geben.
(Da fällt mir ein, als ich mal in einer psychosomatischen Klinik war, weil ich total überarbeitet und erschöpft war, mir ein Helfersyndrom angedichtet wurde. Ich helfe, auch wenn es einige Menschen nicht verstehen, allein aus Liebe zu den Menschen und weil mir menschliches Leid mein Herz einschnürt.)
Als wir dann mitbekamen, wie viel Kinder, wie viel Jugendliche, aus ihrer Heimat geflohen waren, ohne Eltern, ganz alleine auf sich selbst gestellt, ging uns das so nahe, dass wir empfanden, dass das, was wir bis jetzt tun konnten, einfach zu wenig war. Kinder, mutterselenallein, in einer völlig fremden Welt. Fremde Sprache, aus absolut anderer Kultur, von der man vielleicht schon mal was gehört hat, aber so fremd als ob man in einer ganz anderen Welt plötzlich hineingeworfen sei. Kein vertrauter Mensch an der Seite, kein Vater, der sagte, wo es langging, keine Mutter, die einem Mut machte und in den Arm nahm. Nein, allein, einsam und fremd, nur, dass keine Bomben fielen und keine Terroristen, die einen umbringen würden oder zu Soldaten für ihre eigenen menschenverachtenden Ziele vereinnahmten.
Mit ihnen spielen, ihnen zeigen, dass man gutes Interesse an ihnen hat, das reichte nicht aus für uns. Die zarten Kinderseelen, die viel zu früh in eine grausige Welt hineingestoßen waren. Die gesehen haben, wie unsere und ihre Soldaten im verbrecherischen Krieg dahingemetzelt wurden. Kinderaugen, die diese Bilder eingebrannt bekamen. Kinder, die in ständiger Angst, lebensbedrohender Angst, Wochen und Monate lang auf der Flucht waren, in der Hoffnung, irgendwo Frieden zu finden. Unter Hunger und Durst tagelange Fußmärsche hinter sich haben. Nachts sich im Wald oder im Gebüsch verstecken mussten, um ein paar Stunden ihre geschundenen, jungen Körper zu erholen. In ständiger Angst, entdeckt zu werden, entdeckt von der jeweiligen Polizei oder Militärs, die die Grenzen bewachten um Flüchtlinge abzufangen.
In einem Land sogar, bei Entdeckung sogar sofort erschossen worden wären.
Auf dem Fluchtweg lagen oft Leichen, die von niemandem begraben wurden, von niemandem betrauert wurden. Die Kinder und Jugendlichen mussten nur weiter, weiter, wie wusste keiner und wo sie landeten ebenso nicht. Sie lebten nur in der Hoffnung, in einem friedlichen Land anzukommen, wo sie in Sicherheit waren.
Nur mit ihnen spielen, das reichte uns nicht um zu helfen, das war nicht, was diese jungen Menschen brauchten.
Diese Kinder und Jugendlichen haben hier alles, was sie brauchen: Zuwendung, Kleidung und ein Dach über ihren Köpfen. Zu Essen und zu Trinken. Ihre Körper bekommen alles, was sie brauchen, aber wer fragt nach ihren verzweifelten Kinderseelen? Ihre Seelen schreien nach Hilfe, sie schreien nach Liebe, Sie schreien nach Trost. Ja, sie schreien nach Trost, aber wer kann diesen zerrissenen jungen Seelen trösten? Kann man sie überhaupt trösten? Allein unser Schöpfer, allein, unser aller Gott bringt dem Trost, der bei ihnen etwas aufrichten kann.
Wir mussten uns entscheiden, diesem Leid hilflos zuzusehen, oder wenigstens
fragten einfach mal die Heimleitung, ob es nicht möglich wäre jemanden bei uns aufzunehmen. Am nächsten Tag hatten wir einen Termin und sie stellte uns einen Jungen vor, der so einen ehrlichen und warmen Ausdruck in seinen ängstlichen Augen hatte, dass wir uns sofort für ihn entschieden. Überglücklich nahm er gleich seine ganzen Habseligkeiten mit und kam zu uns.
Den ganzen Abend umklammerte er meine Frau. So langsam taute er auf und konnte sein Glück nicht fassen, eine Familie gefunden zu haben. Ganz langsam wich die Angst in seinen wunderschönen ausdrucksvollen Augen und es begann ein glückliches Strahlen aufzublitzen. Er hatte so eine Angst, verriet er mir später, von uns nicht aufgenommen zu werden, wieder zurück zu müssen in ein Asylantenheim, das kein Ort ist für Kinder.
Wir waren jetzt schon so überglücklich, unser Ziel, erreicht zu haben. Das Ziel war, das wurde uns eigentlich erst nach und nach bewusst, Liebe zu schenken, Liebe und Hoffnung weiter zu geben, die wir von oben bekamen.
Seitdem ist Kahn, so heißt unser lieber Junge, unser Engel, der so viel Licht in unser Haus, nein in unsere Herzen gebracht hat.
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