Читать книгу Flüchtlingsjunge Kahn - Reinhard Henkel - Страница 3
ОглавлениеKahn´s Geschichte
So machte er, nüchtern und ohne Emotionen, seine Angaben vor dem Bundesamt für Migration:
Ich, Kahn, bin am 01.02.1999 in Sar-e-pul geboren.
Meine Körpergröße gebe ich mit 163 cm an.
Ich bin aus folgenden Gründen aus meiner Heimat Afghanistan, aus dem Ort Sar-e-pul geflüchtet.
Zur Vorgeschichte:
Meine Mutter hat mich als Kleinkind zu einer fremden Familie gegeben. Mit 8 Jahren ging ich von diesen meinen Eltern fort, weil sie selbst einen leiblichen Sohn bekamen und mich nicht mit ernähren konnten. Sie stellten mich vor das Ultimatum, entweder ich sollte nicht mehr in die Schule gehen und nur noch für sie arbeiten, oder ich könnte nicht bei ihnen bleiben.
Von meinem 8. Lebensjahr musste ich auf eigenen Beinen stehen und mich selbst kleiden und ernähren. Ich habe in einem Geschäft bei einem Mann gearbeitet der mir die Schule finanzierte und für meinen Lebensunterhalt sorgte. Bei ihm konnte ich auch wohnen und schlafen. Ich war froh, dass ich trotz Arbeit, weiter zur Schule gehen konnte.
Kinderarbeit ist in Afghanistan die Regel, sodass dieses für mich normal erschien.
Mit 11 Jahren habe ich mich selbstständig gemacht. Mit einem anderen Mann gründete ich dann ein eigenes Geschäft. Was so viel abwarf, dass ich mir eine eigene Wohnung halten konnte. Meine Freunde halfen mir oft über die Traurigkeit hinweg, keine Eltern mehr zu haben. Ich war ja auch selbst schuld, dass ich alleine war, aber ich wollte unbedingt weiter in der Schule lernen. Wenn ich jetzt zurückblicke, war es doch eine schöne Zeit mit meinen Freunden und in der Schule. Meine Lehrer waren damals schon immer begeistert, wie gut ich bei den Tests abschnitt, so dass ich öfter Lernstufen überspringen konnte.
Natürlich bekam ich von dem Krieg, in unserem einst wunderschönen Land, mit, dass es immer gefährlicher wurde und wir Kinder uns draußen auch nicht so frei draußen bewegen konnten. Wir hörten von den schrecklichsten Dingen, wie kleine Gruppen von den Taliban in die Dörfer kamen und ältere Jungs einfach mitnahmen oder sie schlugen, bis sie sich nicht mehr rührten. Auch alte Männer wurden so geschlagen, bis sie tot liegen blieben. Wir Jungs lebten ständig in Angst, dass uns auch so etwas geschehen würde.
Ich musste das aber aushalten, bis zu jenem Tag, als sich folgendes ereignete.
Zur Begründung meiner Flucht:
Ich war gezwungen, das Geschäft aufzugeben, da ich verfolgt wurde. Die Taliban versuchten, mich, wie auch andere Jugendliche, zu kidnappen, um uns zu Kämpfern auszubilden und für sich in den terroristischen Kampf zu schicken.
Die Taliban haben eine benachbarte Stadt eingenommen und daraufhin hat das afghanische Militär dort die Taliban vertrieben, diese übernahmen daraufhin unsere Stadt. Da sie zu wenige eigene Kämpfer hatten, versuchten sie dort junge Männer zu rekrutieren. Ich wurde gewahr, dass Leute in meiner Stadt Spitzel der Taliban sind. Vor diesen Leuten hatte ich große Angst. Ich zeigte sie bei der Polizei an, jedoch ist diese in meinem Land zu schwach, um sich den Taliban entgegenzustellen.
Der Afghanische Staat ist nicht in der Lage, seine Bürger zu schützen.
Die Taliban sind so stark, dass jeder, der sich gegen sie stellt, in großer Lebensgefahr ist.
Daraus erwuchs mir das große Problem, dass ich mich nun noch stärker verfolgt fühlte. Dieses war nicht nur ein Gefühl, sondern eine ganz konkrete Bedrohung. Die Familie, die diese Spitzelfunktion innehatte, drohte mir, mich so lange zu verfolgen, bis die Taliban mich erwischen würden. Ebenso verfolgte mich nun auch diese Familie, weil durch einen Irrtum der Taliban, die annahmen, dass nicht ich der Verräter an die Polizei gewesen sein sollte, sondern der Mann dieser Familie. Deswegen wurde dieser von den Taliban ermordet. Die Söhne dieses Mannes drohten mir ewige Rache.
Also ist es verständlich, dass ich mich nirgendwo in Afghanistan mehr sehen lassen darf. Diese Familie, sowie die Taliban drohten mir, mich überall in meiner Heimat ausfindig zu machen, um mich zu töten.
Dieses ist mein Fluchtgrund und ich verstehe, was mein von mir erwählter Betreuer hier niedergeschrieben hat.
Ich bitte Sie, dieses so zu übernehmen und nichts an dieser Niederschrift zu ändern.
Göttingen, den 26.12.2015
Kahn
So machte Kahn seine Angaben zu seinem persönlichen Fluchtgrund.
Was er in Einzelnem erlebt hat, kann in so einem Protokoll gar nicht vermittelt werden. Er berichtete, warum er seine Heimat verlassen musste und wie seine Kindheit ausgesehen hat. Um dort wieder anzuknüpfen, wo er sich selbstständig gemacht hat, erzählte er mir folgendes:
Das Geschäft, welches ich mit 11 Jahren, zusammen mit einem anderen Mann eröffnet hatte, übernahm ich dann ganz. Etwa mit 14 Jahren sah ich einen Mann auf der Straße, der auf der Straße arbeitete und von der Polizei geschlagen wurde. Mir tat dieser Mann sehr leid. Ich nahm ihn zu mir und es stellte sich heraus, dass er eine schwer kranke Frau zu Hause hatte und auch vier kleine Kinder besaß.
Die Räume, die ich für das Geschäft angemietet hatte, waren für mich allein viel zu groß, so dass es mir möglich war, dieser armen Familie zu helfen. Ich überließ diesem Mann einen Teil der Räume sodass er sein eigenes Geschäft aufmachen konnte. Er brauchte dafür nichts zu bezahlen. Alles, was er verdiente, konnte er nun für seine Familie behalten und musste vor allem die Polizei nicht mehr zu fürchten.
Übrigens, dass unsere Polizei nicht, anders wie hier in Deutschland, dein Freund und Helfer ist, sondern bei den geringsten Ordnungswidrigkeiten, die Menschen, egal ob Erwachsene oder Kinder, zusammenschlagen, das musste ich auch selbst erleben. Es ist z.B. verboten, auf der Straße irgendwelche Ware zu verkaufen.
Öfters hatte ich das Problem, dass bei schlechtem Wetter, kein Kunde in mein Geschäft kam. Deshalb war ich gezwungen, um nicht hungern zu müssen und weiter in die Schule gehen zu können, mit einem Kasten vor meinem Bauch, in dem ich Frauenartikel hatte, diese auf der Straße anzubieten. Dabei hatte mich die Polizei erwischt und schlug mich. Dann verlangten sie meine Tageseinnahme. Was sollte ich machen, mir blieb nichts anderes übrig, als mich weiter schlagen zu lassen, sonst hätte ich wieder hungrig an diesem Abend ins Bett gehen müssen. Jeder, der mein Heimatland, welches übrigens wirklich sehr, sehr schön ist, bisher als Rechtsstaat ansah, müsste schon alleine durch diese Begebenheit eines Besseren belehrt worden sein.
So war es sicher auch diesem armen Mann geschehen, dem ich unbedingt helfen musste. Ich war sehr froh, einer ganzen Familie so geholfen zu haben.
Solche Ereignisse sind für Deutsche unvorstellbar. Sie kennen ihre Sicherheit, die vom Gesetz gewährleistet ist. Deshalb ist es auch für viele Politiker hier nicht vorstellbar, dass es solche Korruption bei Polizei und bis in die höchsten Regierungsstellen geben kann. Wer von Deutschland in meine Heimat fliegt und mit den Regierungsmitgliedern spricht, bekommt eine heile Welt vorgegaukelt und es werden Versprechungen abgegeben aber viele Versprechen können und wollen sie gar nicht einhalten. Unser Präsident hat ein Vermögen im Ausland und dann bettelt er die deutsche Regierung an, um angeblich für die Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen. Die Taliban, und nun auch der IS, haben mehr und bessere Waffen, als unser „rechtmäßiger“ Staat. Das Geld, das vom Ausland kommt, stecken sich die Politiker in die eigene Tasche und kümmern sich kein bisschen um die Sicherheit der Bevölkerung. Im Gegenteil, sie profitieren noch persönlich von den verbrecherischen Zuständen.
Wegen den Ereignissen, in meinem Ort und speziell in meiner Nachbarschaft,
war nun für mich das Leben in meiner Heimat unmöglich geworden, und ich zog alles Geld aus meinem Geschäft, damit ich für meine Flucht genug hatte. Ich stellte nun fest, dass der Mann, dem ich so geholfen hatte, mich auch noch bestohlen hat. Im ersten Moment habe ich mich natürlich geärgert, aber ich trage keinen Zorn gegen ihn in mir. Ich habe ihm verziehen und denke, ich habe es für Gott getan. Deshalb kann ich auch keinen Zorn in meinem Herzen tragen.
Mit viel Glück war ich nun 15 Jahre geworden. Mein ganzes Leben habe ich gearbeitet, es war für mich normal, doch es war oft sehr, sehr hart. Jeden Tag musste ich 2000 Afghani für die Miete meines Geschäftes aufbringen, das war sehr viel Geld.
Wenn es regnete, davor hatte ich immer Angst, kamen keine Kunden, sodass ich einen riesigen Verdienstausfall hatte. Ich verdiente mal 50 Afghani, oder 150 Afghani an einem Schal. 10 Stunden musste ich dafür im Geschäft sein und arbeiten. Ich musste ja auch leben und dafür musste ja auch etwas abfallen.
Leicht war es wirklich nicht. Ich denke immer wieder, wenn es hier in Deutschland regnet, wie es mir in Afghanistan gehen würde. Die Kinder und natürlich auch die Erwachsenen hier in Deutschland merken gar nicht, dass sie hier in einem Paradies leben. Sozialleistungen und Versicherungen, oder Hilfen durch den Staat, waren mir, bevor ich nach Deutschland kam, fremd. Wir brauchten zwar keine Steuern oder Versicherungen zu bezahlen, aber der Verdienst war bei den Meisten auch viel geringer.