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Dunkle Gestalten und Gerome

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Jelato und seine Frau fuhren also wie besprochen am nächsten Tag morgens zusammen nach Wismar, trennten sich dort und verabredeten sich auf eine bestimmte Zeit später an der Wasserkunst. Wir kommen noch darauf zu sprechen, was das genau ist. Auf jeden Fall ist das ein charakteristischer Punkt, ideal für Verabredungen. Heute heissen solche idealen Treffpunkte auf neudeutsch Meeting-Points. Na dann doch lieber die Wasserkunst. Das klingt doch nach was, irgendwie spektakulär, irgendwie avantgardistisch, kultur-elitär – macht auf jeden Fall einfach mehr her.

Jelato traf dort in der Nähe zufällig seinen alten Freund Gerome wieder. Gerome, wer ist das überhaupt? Wie kam es zu diesem Treffen? Dazu müssen wir etwas zurück in der Zeit ...

… früher:

Gerome und Jelato waren vor gefühlten Millionen Jahren zusammen auf der Polizeischule gewesen und hatten sich dann irgendwie später aus den Augen verloren. Es war viel Zeit inzwischen vergangen.

Ein einziges mal hatten sie sich in den vergangenen Jahren zufällig in der Schweiz getroffen. Jelato besuchte damals zur Weiterbildung einen Kongress an der Universität in Lausanne mit dem Arbeitstitel „European Meeting of Forensic Science”. Sein Hauptinteresse galt zwei oder auch drei Gebieten, wo er sich mit den neuesten Entwicklungen aus der Welt der Spurensicherung vertraut machen wollte.

Karli, der Forensiker aus Basel, der, den sie immer Mr. Hmm nannten (warum, erfahren wir später auch noch), hatte ihn auf den Kongress aufmerksam gemacht. Jelato hatte sich das Programm schicken lassen und dann drei Schwerpunkte ausgesucht: Forensic Paint Analysis – Forensic Drug Analysis – Firearms And Gunshot Residues.

Da könnte er auch als Nicht-Forensiker sicher jede Menge nützlicher Details lernen. Und natürlich Kollegen aus der ganzen Welt kennenlernen. Vor allem mit den Jungs vom FBI hätte er sich doch ganz gerne mal unterhalten, was da so läuft auf der anderen Seite vom grossen Teich.

Nach dem Mittagessen auf dem Weg zurück zum Vortragssaal fiel ihm ein dunkelhäutiger Kongressbesucher auf. Er kam im Pulk der anderen Zuhörer zur Tür rein und Jelato erkannte ihn sofort. Das war doch Gerome, sein Kumpel aus alten Tagen! Die Überraschung! Da gab es natürlich erstmal eine anständige Begrüssung und die nächste Veranstaltung wurde selbstverständlich geschwänzt, um die genannten alten Zeiten auch entsprechend aufzuwärmen.

Gerome war englischsprachig, aber er sprach auch exzellent deutsch. Jelato beherrschte im Gegenzug auch ein bisschen englisch, so etwa auf Schulniveau, aber ausreichend. Die Sprache war also noch nie ein Problem gewesen. Nebenbei, die Hautfarbe auch nicht. Ich sage das hier nur, damit das klar ist, denn die beiden pflegten gelegentlich einen robusten Umgangston miteinander und Aussenstehende könnten schon manchmal denken, da wird einer in rassistischer Weise fertig gemacht. Das stimmt aber nicht, das gegenseitige Foppen ist absolut gleichberechtigt und findet, wie man heute so sagt, auf Augenhöhe statt, und das, obwohl sie nicht gleich gross sind.

Und wie zu erwarten wurde das gegenseitige Gefrotzele von früher nahtlos wieder aufgenommen, so als wäre die Zeit stehen geblieben.

„Na, schwarzer Mann, du willst wohl hier ein paar Tricks lernen, damit sie dich nicht erwischen, alter Gauner, häh?”

„Und du, weisser Mann, glaubst du im Ernst, dass du in deinem Alter noch was dazulernen kannst?”

„Ha, ich habe schon viel gelernt. Zum Beispiel die Bestimmung des Todeszeitpunktes von Mordopfern am Schmatzgeräusch der Maden.”

„Habe ich auch gehört. Manche Themen sind originell seltsam oder seltsam originell, wie man will.”

„Erinnert mich an eine andere Arbeit, da haben wir schon als Schüler darüber gelacht: Der Sauerstoffverbrauch des Maikäfers im Rückenflug.”

„Schutz des Grashalmes vor dem Sensenschnitt.”

„Ja, ja. Kenne ich. Einfluss des Blitzschlages auf das Wachstum der Eiche und so.”

„Alles ganz wichtige Beiträge.”

„Das beste, was ich bei Doktorarbeiten bis jetzt gelesen habe, das war bei einem Mediziner. Thema: Untersuchungen zur optimalen Lochgrösse in Salzstreuern.”

„Häh?”

„Ja. Die Mediziner sind doch der Meinung, dass zuviel Salz gesundheitsschädlich ist. Bluthochdruck und so. Und da hat einer untersucht, wie sich der Salzverbrauch in der Kantine über die Lochgrösse von Salzstreuern steuern lässt.”

„Und was hat Schweinchen Schlau rausgefunden?”

„Ist das Loch zu gross, kommt zuviel Salz.”

„Nein.” „Doch.” „Ohh!”

„Warte, es kommt noch besser. Ist das Loch zu klein, dann ist das noch schlechter.”

„Wieso das denn?”

„Weil die Gäste es dann mit der Gabel grösser bohren und es kommt noch mehr Salz.”

„Nein.” „Doch.” „Ooohh!”

„Warte, ich bin noch nicht fertig. Er hat schlussendlich auch noch rausgefunden, wie der Salzverbrauch in der Kantine am effizientesten zu senken ist.”

„Wie?”

„Der Salzverbrauch ist am niedrigsten, wenn keine Salzstreuer auf dem Tisch stehen.”

„Nein.” „Doch.”

„Bo eye! Das ist jetzt aber nicht wahr! Diese Bildungsbestie!”

„Das ist eben die geistige Elite hierzulande, da können wir einfach strukturierten Leute abstinken.”

„Sicher summa cum laude.” „Mindestens!”

„Nobelpreiskandidat.”

„Sooo schlau. Dem platzt bestimmt mal der Kopf.”

„Nur so kommt die Menschheit voran, glaub mir’s.”

So ging das damals auf dem Kongress eine Stunde lang und jeder erzählte dann auch, wie es ihm in der Zwischenzeit ergangen war. Jelato war bei der schweizer Polizei gelandet und fühlte sich dort als Kommissar auch wohl. Gerome war ebenfalls bei der Kripo, irgendwo im grossen Kanton, wie man in der Schweiz zu Deutschland sagt, im Norden. Gerome hatte schon länger die deutsche Staatsbürgerschaft, er war sogar auch irgendwie Doppelbürger, scheinbar geht das, sonst hätte das ja mit dem Beruf nicht geklappt.

Das war also Gerome, diese Begegnung auf dem Kongress war schon Jahre her und nun trafen sie sich also zufällig in Wismar wieder …

… heute:

Ihr Zusammentreffen hier stand aber zu Beginn unter keinem guten Stern. Das hätte leicht auch anders ausgehen können.

Jelato kam gerade vom Frisör, den er selbstverständlich nach schweizer Art Coiffeur nannte, und suchte eine Buchhandlung, irgend sowas wie eine Papeterie mit Büchern und Landkarten und Reiseführern.

Gerome hatte Jelato in der Stadt vor sich von weitem erkannt und wollte ihn einholen. Er folgte ihm mit schnellem Schritt, und als er auf ungefähr 30 Meter heran war, da sah er mit kriminalistisch geschultem Blick für sich anbahnende Gefahren, wie vier Jugendliche Jelato entgegenkamen und ihm auf dem Bürgersteig keinen Platz liessen.

Gerome sah also, wie Jelato und die vier Kapuzengestalten aufeinander zu gingen.

Gefährlich sah das aus.

Spannend.

Eigentlich eine coole Western-Szene. Django beim Duell. Wer zieht schneller? Show-down in Wismar.

Aber es war kein Spiel, sondern Wirklichkeit.

Da wurde kein Platz gemacht für Jelato. Das könnte schnell bitterer Ernst werden. Gerome wollte schon hinlaufen, um Jelato bei der drohenden Auseinandersetzung zu helfen. ‘Das wird eskalieren, das ist doch vorprogrammiert, da läuft eine Provokation’, dachte er. Vier gegen einen, da müsste er eingreifen.

Sein Adrenalinspiegel stieg. Er war körperlich bereit, die Muskeln waren angespannt, die Sinne geschärft. Er beobachtete gespannt jede Bewegung.

Aber dann sah er seinen alten Freund Jelato, wie der einfach durch ging durch die vier Kapuzen-Träger, einfach durch die Mitte, als wäre das gar nichts, und links und rechts flog so ein Kerl etwas unsanft zur Seite. Die stürzten nicht, aber der Rempler machte Jelato den Weg frei.

Danach geschah etwas, was wohl keiner erwartet hätte. Die zwei so hart zur Seite Gestossenen murmelten sowas wie „Entschuldigung” und alle gingen weiter. Kein Streit, kein Gezänk, nichts.

Gerome war inzwischen bei Jelato und begrüsste ihn. „Na, weisser Mann, immer noch der Alte, was?”

„Hey, Gerome, du Sohn der Dunkelheit, was treibst du denn hier? Mensch, so eine Überraschung. Wielange haben wir uns nicht gesehen? Wo kommst du denn her?”

Gerome antwortete nicht, sondern fragte: „Was war das denn eben?”

„Die Vier wollten keinen Platz machen für einen alten Mann.”

„Die haben wohl nicht gewusst, dass du früher Handball gespielt hast.”

„Genau. Durch die Abwehrreihe des Gegners durch ist ohne Ball viel leichter als mit Ball.”

„Ich hätte trotzdem Stürmerfoul gepfiffen.”

„Du meinst übertriebener Körpereinsatz?”

„Na ja, die haben sicher was gelernt.”

„Hoffentlich. Ist doch wahr, die hätten mir doch auch eine kleine Lücke lassen können.”

„Schon. Hattest du einen Plan B? Es waren immerhin vier und es hätte auch anders ausgehen können. Und der Jüngste bist du auch nicht mehr.”

„Doch, doch, einen Plan B habe ich immer. Ich bin zwar schon älter, aber ich kann noch ganz gut wegrennen.”

Sie lachten und sprachen noch eine ganze Weile miteinander. Leider war ihre Zeit knapp. Jeder hatte noch was zu erledigen in der Stadt.

Aber bei so einem zufälligen Treffen konnte es doch nicht bleiben! Nicht bei diesen beiden, nicht nach so langer Zeit!

Sie verabredeten sich daher auf den nächsten Tag im Hafen, ist doch klar, wenn man sich solange nicht gesehen hat, vielleicht Stadtrundgang, vielleicht Kaffee trinken, vielleicht was ganz anderes, es würde ihnen sicher was einfallen, auf jeden Fall, wir kennen es: alte Zeiten aufwärmen.

Alte Zeiten aufzuwärmen scheint ein menschliches Grundbedürfnis zu sein. Übrigens auch von denen, die sich früher über ihren Opa nervten, weil der immer vom Krieg erzählt hat.

Nachdem die diversen Vorhaben wie Ferienliteratur und Stadtführer inclusive Stadtplan erledigt waren, traf sich Jelato wie abgesprochen mit seiner Frau an der Wasserkunst (wir kommen wirklich noch drauf zu sprechen, was das ist, das wird nicht vergessen) und sie waren beide sichtlich stolz auf ihre jeweilige neue Haartracht.

Seine Frau sagte voller Stolz: „Siehst du, jetzt bin ich kein Esel mehr! Neue Frisur, neue Farbe. Nix Graues mehr zu sehen! Total ent-eselt.”

Jelato nickte anerkennend. Wehe, wenn nicht! Mann kennt das, frau ist so. Dann sah er gegenüber einen sogenannten Schwedenkopf im Portal des Hauses, das Alter Schwede heisst, und sofort ging ihm der literarische Gaul durch und er fing an:

„Am Lockenkopf und Spitzenkragen

Empfandet Ihr ein kindliches Behagen,

Ihr trugt wohl niemals einen Zopf?

Heut schau ich Euch im Schwedenkopf.”

„Was war das denn?”

„Das war Goethe, Faust II, zweiter Akt, Gotisches Zimmer.”

„Gesundheit.” „Danke.”

„Und wie kommst du jetzt da drauf?”

„Ist doch klar. Der Schwedenkopf war damals eine moderne Kurzhaar-Frisur. Goethe wollte also sagen, dass da ein moderner, frei denkender Mensch vor ihm stand und nicht einer mit der damals üblichen, womöglich verlausten Perücke.”

„Das war also ein Kompliment für mich?”

„So solltest du das sehen. Das erspart uns den Paartherapeuten.”

„Bei dir hat es sich aber auch gelohnt. Du siehst jetzt mit deinen kurzen Haaren wieder aus wie ein Mensch.”

„Danke. Übrigens, ein paar Zeilen weiter sagt der Goethe:

Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist.”

„Ich fühle mich ertappt.”

Gemütlich schlenderten sie zufrieden zurück zum Parkplatz. Auf der Rückfahrt in die Ferienwohnung fragte Jelato seine Frau: „Rate mal wen ich vorhin in Wismar getroffen habe?”

„Ach, Mann, es gibt ein paar Milliarden Menschen auf der Welt, ich habe keine Lust, lange zu raten, also sag schon.”

„Den Gerome.”

„Welchen Gerome?”

„Ach, ich habe dir doch mal erzählt. Der schwarze Kollege, der mit der Geschichte mit den Kindern auf dem Spielplatz. Ich bin sicher, ich habe das schon erzählt.”

„Kann ja sein, aber mir sagt das jetzt nichts.”

„Gut, dann erzähle ich es halt nochmal. Du vergisst in letzter Zeit sehr viel. Muss ich mir Sorgen um dich machen?”

„Das musst du gerade sagen. Wer sucht denn in letzter Zeit immer seine Brille, du oder ich? Und jetzt erzähl schon diese Geschichte.”

„Gut. Also: Gerome ging mal in einem Dorf an einem Spielplatz vorbei und die Kinder bemerkten ihn. Aber nicht abwertend oder rassistisch, sondern einfach so, wie Kinder halt etwas bemerken, was sie nicht so häufig sehen. Er hatte sofort die Anerkennung der Kinder. Sie bewunderten ihn und sagten: „Guck mal, der hat‘s gut, der muss sich nicht waschen“. Die Kinder meinten das durchaus ernst, kein bisschen bösartig. Jemand der sich nicht waschen muss, das ist doch klasse, das will ich auch, so ungefähr. Er realisierte das und anstatt sie zu beschimpfen, wie sie dazu kämen, sich über einen Neger lustig zu machen, dämpfte er ihre Begeisterung und zeigte ihnen seine helleren Handinnenseiten: „Wieso? Ich wasche mich doch.“ Da war er bei ihnen sofort der Grösste, sie erkannten das neidlos an. Ich bin sicher, seitdem haben sie grossen Respekt vor Schwarzen.”

„Ach die Geschichte. Ja, das hast du schon erzählt, jetzt erinnere ich mich. Du hast damals auch gesagt, dass Kinder, die solche Lehrer hatten, niemals Rassisten werden können. Und was macht dieser Gerome jetzt?”

„Der ist auch bei der Kripo, hier im Norden irgendwo, muss ihn mal fragen wo.”

„Sachen gibt’s.”

„Wir haben uns für morgen mittag im Hafen verabredet, und ich gehe mit ihm vielleicht durch die Stadt oder so. Ist das okay für dich? Wir haben uns solange nicht gesehen.”

„Das trifft sich sogar gut. Dann mache ich morgen mein Wellness-Programm. Ich habe irgendwo in der Ferienwohnung einen Prospekt gelesen, da trifft sich jeden Tag eine Gruppe am Strand. Gymnastik, Joggen, Walking, immer was anderes.”

„Das passt ja prima!”

„Aber was anderes. Du hast vorhin Neger gesagt. Darf man das überhaupt noch, ich meine von wegen pc?”

„PC – Personal Computer?”

„Nein, pc, political correctness.”

„Ah. Gute Frage. War mir auch nicht klar. 40 Jahre lang haben wir das gesagt, ohne an was Böses zu denken. Damals gab es sogar noch den Sarotti-Mohr. Und jetzt wird man nieder gemacht, wenn man das sagt. Man wird ja richtig unsicher. Da habe ich einfach mal den Gerome gefragt.”

„Und, was hat der gesagt?”

„Der hat nur den Kopf geschüttelt wegen dem Blödsinn. Neger wäre absolut okay und überhaupt nicht rassistisch, jedenfalls für ihn nicht. Im Gegenteil, der zwanghafte Wahn, das Wort Neger zu vermeiden, führt jetzt zu neuem Rassismus.”

„Wie das denn?”

„Diese Zwangsneurose, nur ja nicht rassistisch sein zu wollen, führt dazu, dass nun alle diejenigen diskriminiert und verfolgt werden, die das Wort verwenden. Obwohl die das nicht rassistisch meinen. Jetzt gibt es sogar Fanatiker, die alle möglichen Bücher und Geschichten umschreiben lassen wollen. Zehn kleine Negerlein soll gestrichen werden, Wilhelm Buschs Geschichte Die Rache des Elefanten mit dem Neger und dem Elefanten soll womöglich verboten werden. Da ist zum Beispiel folgende Stelle drin:

Ein Mohr, aus Bosheit und Pläsier,

Schiesst auf das Elefantentier.

Da dreht der Elefant sich um

Und folgt dem Neger mit Gebrumm.

Vergebens rennt der böse Mohr,

Der Elefant fasst ihn beim Ohr.

Weiter kann ich es nicht mehr. Aber merkst du was? Das grenzt fast an die bekannte Bücherverbrennung, nur jetzt angeblich gut gemeint. Das haben die Braunen früher auch gesagt. Diese Zwangsneurotiker hetzen jetzt gegen alles, was nicht in ihr Rassismus-Antirassismus-Bild passt.”

„Also vielleicht nur Show und oberflächlich?”

„Ich fürchte, die meinen das bitterernst und verfolgen jeden Lehrer, der solche Gedichte noch in der Schule behandelt. Aber wie sagt der Dichter:

Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher Verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“

„Hesse?” „Nein, Heine!” „Das bekannte Palindrom darf der Lehrer dann auch nicht mehr sagen.”

„Was?”

„Na der Satz: ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie. Der ist vorwärts und rückwärts gelesen gleich. Jetzt ersetz doch mal Neger durch was angeblich politisch Korrektes, dann funktioniert es nicht mehr. Das ist dann politisch korrekter Mist – hihi, eine neue literarische Kategorie – politisch korrekter Mist.”

„Also Neger ist okay?”

„Ja, Neger ist okay, aber nur, wenn man es anständig meint. Das hat Gerome gesagt, und der sollte das wohl besser wissen als wir. Im scharfen Gegensatz allerdings zu Nigger, was ein absolut rassistisches Schimpfwort darstellt, vor allem wegen des geschichtlichen Sklavenhintergrundes.”

„Und was ist mit Mohrenkopf?”

„Was soll damit sein. Schmecken gut, die Dinger.”

„Aber man darf das nicht mehr sagen, oder?”

„Dann sag halt Negerkuss.”

„Ist doch auch rassistisch?”

„Ach was! Was ist mit Berliner? Wiener Würstchen? Lyoner? Amerikaner? Frankfurter? Oder auch sehr verbreitet, der Hamburger. Ist doch alles Quatsch. Da ist nix rassistisch dran. Schmeckt alles gut – oder auch nicht. Egal. Gegen Zigeunerschnitzel haben die Saubermänner auch noch nicht gewettert, das kommt noch. Das wird dann von allen Speisekarten gestrichen. Dann kommt das Jägerschnitzel dran. Am Schluss verbieten diese Pseudo-Demokraten noch den Champagner, weil wir damit Verachtung für diese Gegend und ihre Bewohner ausdrücken würden.”

„Apropos, wir sollten heute abend eine Flasche köpfen. Was meinst du?”

„Aber kein Champus. Wir nehmen ein Rotkäppchen!”

„Gut.”

„Aber zurück zum schwarzen Mann. Diese tapferen Kämpfer für korrekte Sprache würden am liebsten beim Schach die schwarzen Figuren unter besonderen Schutz stellen. Die dürfen dann von den weissen Figuren nicht mehr geschlagen werden. Das halten die dann für die konsequente Fortsetzung der Sklavenbefreiung.”

„So ein Quark! Man könnte allerdings Schach auch mit grünen und roten Figuren spielen – wie beim Mensch-ärgere-dich-nicht oder Halma.”

„Neulich hat einer gemeint, dass in Zukunft überwacht wird, ob in einem Klavierstück die schwarzen Tasten genau so oft gedrückt werden wie die weissen.”

„Hihi, ist ja irre. Was da alles an Musikstücken verboten werden müsste. Erinnert mich an Ebony and ivory…”

„Live together in perfect harmony. Oh, frau kennt die Beatles.”

„… in der Version von Paul McCartney und Stevie Wonder.”

„Das waren noch Zeiten. Lange her.”

Verdammt lang her, ja. Also diese Leute sind rassistische Antirassisten, weil sie Rassismus unterstellen und Leute, die diese Wörter verwenden, in fast rassistischer Weise diskriminieren.”

„Kannst auch Klugscheisser dazu sagen.”

„Lehrer?” „Oberlehrer!”

„Diskriminieren wir jetzt Lehrer?”

„Nein. Wir benutzen das Wort Lehrer nur als Synonym für Besserwisser. Motto: der liebe Gott weiss alles, der Lehrer weiss alles besser. Das Wort Lehrer beinhaltet aber keine ethnische Komponente, ist also kein rassistisches Schimpfwort.”

„Die betreiben ja dann sowas wie Volksverhetzung?”

„Ja, vielleicht, sie hetzen, und alle anderen sind doofe Rassisten, nur sie, sie sind reinen Gewissens und sauber, und sie hetzen fleissig weiter, aber natürlich nur für das Gute, diese sprachlichen Saubermänner.”

„Und wenn die recht haben mit ihrer sprachlichen Säuberung?”

„Dann würde mir das wohl Gerome als erster sagen. Schliesslich ist er ja ein direkt Betroffener.”

„Stimmt.”

„Aber siehst du, das Wort sprachliche Säuberung ist auch schon ein deutlicher Hinweis, dass da was nicht gut ist an diesem Antirassismus-Getue bei Sachen, wo gar kein Rassismus im Spiel ist.”

„Eigentlich kannst du ja auch ganz viele Worte als normales Wort und als Schimpfwort gebrauchen. C’est le ton qui fait la musique.”

„Oh, man parliert perfekt auswärts, besser frau parliert perfekt auswärts. Aber recht hast du. Man kann doch nicht das Wort ‘Huhn’ verbieten, bloss weil einer es abschätzig verwendet und zu seiner Frau ‘du Huhn’ sagt.”

„Da hätten wir noch viele Worte aufzuzählen.”

„Genau wie Neger. Wenn man das anständig meint, dann ist es anständig. Und wenn man das als Schimpfwort verwendet, dann ist es ein Schimpfwort. Die Absicht dahinter zählt.”

„So meint er das! Da ist doch Sauschwob, was wir bei uns gelegentlich hören, wohl eher und eindeutiger diskriminierend.”

„Eindeutig – obwohl das Bundesgericht anders entschieden hat. Die Verwendung der Bezeichnung „Sau” in Verbindung mit einer bestimmten Nationalität stellt keine Rassendiskriminierung dar. Es ist kein Angriff auf die Menschenwürde, sagt das Gericht.”

„Aha.” „Genau wie Tschingg.”

„Klar, aber das müssen wir wohl erklären. Tschingg nennt man in der Schweiz abschätzig italienisch sprechende Menschen, weil sie oft cinque sagen und oft auch einen Cinquecento fahren.”

„Rassistisch?”

„Auf jeden Fall nicht politisch korrekt. Ausser Tschinggeli, das ist nicht so schlimm, das ist fast ein Kosename. Das Bundesgericht unterscheidet zwischen rassistischer Diskriminierung und primitiver, fremdenfeindlich motivierter Ehrverletzung.”

„Das unterscheidet dann aber auch nur das Gericht. Der Bürger im Alltag differenziert hier wohl eher nicht und verwendet beides mit gleicher Absicht. Man könnte die Meinung vertreten, das Gericht sei weltfremd.”

„Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass die Worte Sauausländer, Drecksasylant und Scheissjugo von Polizisten verwendet wurden, die man unbedingt frei sprechen wollte.”

„Ohje, das hat es Gschmäckle, wie der Schwabe sagt. „Mag sein, mag sein.”

„Ich habe früher auch immer geglaubt, dass Kümmeltürke ein Schimpfwort ist.”

„Was zum Teil auch stimmt. Aber es handelt sich dabei dann um eine Fehlinterpretation. Mit den Kümmeltürken von Halle waren die Studenten gemeint, nicht etwa türkische Landsleute. Das ist also wie bei Huhn. Es ist Wort und Schimpfwort zugleich, je nachdem wie man es verwendet.”

„Haha, da fällt mir ein Ausdruck ein, den finde ich klasse. Da können die Sprachputzer dann auch lange hirnen, ob das rassistisch und diskriminierend ist, haha, der ist gut…”

„Nämlich?”

„Dänisches Protestschwein!”

„Das ist aber sicher eine schwere Beleidigung?”

„Überhaupt nicht. Das ist eine spezielle Züchtung. Der dänischen Minderheit war es früher in Friesland verboten, ihre rot-weisse Landesfahne zu hissen. Da haben die Bauern diese speziellen Schweine gezüchtet, die sind rot und in der Mitte weiss, und diese Schweine haben sie dann in ihren Vorgärten laufen lassen als Ersatz für die Fahne. Deswegen Dänisches Protestschwein.”

„Das ist ja saulustig!”

„Im wahrsten Sinne des Wortes.”

„Die haben wir in Hamburg gesehen, im Zoo, weisst du noch?”

„Ja, im Hagenbeck, ich erinnere mich.”

„Siehst du, und vorhin hast du gedacht, Dänisches Protestschwein wäre eine diskriminierende Beleidigung, und was ist es tatsächlich? Saulustig!”

„Ach, nur noch so nebenbei, die Chinesen nennen uns Europäer Langnasen.”

„Wer sich darüber aufregt, ist doch selber schuld. Man könnte ja auch drüber lachen.”

Bei diesem Gespräch, dessen eigentliches Thema menschlicher Anstand und anständige Erziehung war, verging die Zeit wie im Fluge. Sie waren schon etwa in der Mitte der Insel, da bog Jelato spontan ab und sie verbrachten noch einen gemütlichen Abend im Hafen von Kirchdorf. Schliesslich kann man da Fisch essen und gleichzeitig auf’s Hafenbecken rausschauen.

Nach dem Essen machten sie noch einen Verdauungspaziergang, eine Runde um die historische Kirche, in der sie eine interessante Konstruktion bewunderten. Eine alte Sitzheizung. Praktische Sache, das, speziell im Winter, speziell für ältere Leute.

Wellenwasser

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