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Der tote Hund

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Einen genauen Plan für diesen Tag hatten sie nicht. Brauchten sie auch nicht. Schliesslich waren sie ja in den Ferien. Das ist eben das Gute an Ferien, dass der Tagesablauf nicht verplant ist. Jelato meinte immer, es müsse doch möglich sein, sich mal wie ein Blatt im Wind zu verhalten und einfach mal abwarten und schauen, wo man landet. Wegen seiner naturwissenschaftlichen Ausbildung nannte er das manchmal auch anders: wir lassen uns mal von der Brownschen Molekularbewegung regellos herumtreiben.

Andererseits war ihm bewusst, dass ein strukturierter Tagesablauf jeder Form von Verwahrlosung vorbeugt. Sonst ist als Ergebnis nachher der kostbare Ferientag verbummelt und man hat nichts Richtiges unternommen.

Also gingen sie wie am Vortag am Strand entlang spazieren, das ist immer eine gute Lösung. Deswegen waren sie ja eigentlich auch hier. Spazierengehen am Strand, das war es.

Und wie schon gesagt: auf’s Wasser schauen. Und Muscheln sammeln.

Verlaufen kann man sich auf einer Insel kaum. Wenn man genügend lange geht, kommt man irgendwann zum Ausgangspunkt zurück. Gilt aber nur für kleine Eilande. Für sowas ist Fehmarn dann aber doch wieder zu gross und so hatten sie sich zur Sicherheit wenigstens eine Wanderkarte eingesteckt. Guter Gedanke und trotzdem falsch.

Die Wanderkarte konnten sie heute nämlich überhaupt nicht gebrauchen. Wieso denn nicht? Das ist doch immer gut. Vorschlag zum Selbstversuch: studieren Sie doch mal eine Wanderkarte bei so einem Wind! Selbst mit zwei Händen fest gehalten flattert die wild herum, die richtige Seite kippt dauernd weg, und sie droht trotz plastifizierter Ausgabe und somit erhöhter Stabilität beinahe zu zerreissen. Da hilft es auch wenig, wenn zwei zusätzlich helfende Hände bei der Zähmung der Wanderkarte mitmachen.

Die Wolken jagten wie ein Schnellzug durch den Himmel, ab und zu kam vollkommen überraschend die Sonne kurz durch, dann rasten wieder die Wolken vorbei. Es war ungemütlich. Ein lästiger Wind war das hier – fast schon Sturm. Speziell heute war der Wind richtig unangenehm, weil die Sonne immer nur ganz kurz und nie so prall schien. Bei knalligem Sonnenschein ist der Wind ja nützlich, aber nicht heute. Es war zeitweise sogar total bewölkt. Es sah auch bedrohlich nach Regen aus.

„Nix mit Sonneninsel heute.“

„Die Sonneninsel ist kaputt, funktioniert heute nicht. Die sollten besser werben mit dem Ausdruck Windinsel. Ich vermute mindestens Beaufort sieben, da schau, siehst du den weissen Schaum auf dem Wasser?“

„Ich würde am liebsten rückwärtsgehen, damit ich den Wind nicht so ins Gesicht kriege.“

„Das ist nicht dein Ernst. Sollen wir wirklich rückwärtsgehen?“

„Nein, sicher nicht. Das habe ich nur so gesagt. Da fallen wir bloss auf die Nase oder stossen mit anderen Wind-Wanderern zusammen! Aber so blöd das ist, ich muss doch meine Sonnenbrille aufsetzen, meine Augen tränen sonst zu viel in dem Wind und es hat auch Sandkörner in der Luft.“

„Das ist gut für den Teint. Die Haut wird sandgestrahlt und ist nachher wie neu. Porentief rein, nicht nur oberflächlich sauber.“

Jeder Atemzug war Arbeit.

„Ich kriege kaum noch Luft.“

„Mach es doch wie die Motorradfahrer und binde dir einen Schal vor den Mund.“

„Der Luftwiderstand ist unglaublich. Das ist mühsam!“

„Man kommt kaum vorwärts.“

„Die Fehmarnsundbrücke ist jetzt sicher wieder für Gespanne mit Wohnwagen und für leere LKW gesperrt!“

„Hoffentlich auch, sonst werden die einfach von der Brücke gepustet und weg sind sie.“

Sie kämpften weiter tapfer gegen den Wind an. Sie stützten sich gegenseitig und kamen sich mit ihrer schrägen und breitbeinigen Gangart vor wie alte sturmerprobte Seebären auf einem schwankenden Schiff.

Die Luft tat gut. Sauber gewaschen durch den nächtlichen Regen, der letzte Staub war nun weggeblasen vom Wind und kleinste salzhaltige Tröpfchen von Meereswasser in der Luft sorgten für den Zustand, den ein paar Personengruppen besonders schätzen. Das sind zum Beispiel alle Windmühlenbetreiber, Segler und Kitesurfer, Drachensteigenlasser und nicht zu vergessen – unsere lieben Allergiker, eine jährlich wachsende Pollen-Fangemeinde. Wer das halbe Jahr mit gequollenen Froschaugen und roter verschleimter Nase herumläuft, der schätzt diese Phasen, wo die Pollen irgendwo sind, nur nicht in der Luft, oder wenn doch, dann weit weg. Für Leute mit Heuschnupfen ist so ein Wetter ein wahrer Quell der Freude.

Sie hatten aber beide keinen Heuschnupfen – und wieso heisst das Heuschnupfen, wenn zum Beispiel die Haselnuss schuld ist? Sie zählten auch zu keiner der anderen Gruppen. Also war der Wind zunächst mal nur eines, nämlich lästig. Aber das ist ja immer auch abhängig von der Richtung. Wenn man mit dem Wind geht, ist es ok, man wird nur etwas schneller als sonst. Das kann bis zu einer bestimmten Windstärke sogar Spass machen. Wenn man gegen den Wind geht, dann nervt es. Bei Frauen hängt das alles auch noch von der Haarlänge ab und ob frau bestimmte Bändigungstechniken beherrscht oder technische Hilfsmittel einsetzt wie Stirnband, Wollmütze, Schal.

Radfahrer kennen noch ein ganz spezielles Wind-Phänomen nur zu gut. Wenn man gegen den Wind fährt, dann freut man sich auf die Rückfahrt mit der dann zu erwartenden Windunterstützung. Da geht dann aber die Post ab. Denkste. Erfahrene Radfahrer fallen darauf nicht rein.

Egal wie man fährt auf der Insel, man hat immer Gegenwind. Physikalisch eigentlich unmöglich, ist es aber psychologischer Alltag. Es gibt scheinbar so etwas wie eine ‚gefühlte bevorzugte Windrichtung‘, und das heisst konkret und immer: der Wind kommt von vorne, egal in welche Richtung man fährt. Da wird dann auch der eleganteste Pedaleur schnell zum breitbeinigen Stampfer und jeder Meter muss der Strasse abgekämpft werden. Kommen noch ein paar Regentröpfchen dazu, dann machen diese Drahtesel-Freunde einen überaus glücklichen Eindruck. Am schlimmsten fand Jelato diejenigen Esel auf den Drahteseln, die bei Wind noch die Idee hatten, einen Schirm aufzuspannen. Die haben doch tatsächlich so nebenbei eine neue Sportart erfunden – Kite-Radfahren. Aber Vorsicht – das ist eine Hochrisikosportart.

Sie blieben öfters stehen und schauten auf’s Wasser, hinaus auf das weite Meer, das heute aufgewühlt war. Ein faszinierendes Naturschauspiel. Gelegentlich schien die Sonne durch ein Wolkenloch auf‘s Meer und diese helle Stelle auf dem Wasser bewegte sich dann rasend schnell vorwärts und durch die feinen Tröpfchen in der Luft konnten sie sogar den Verlauf der Sonnenstrahlen gut sehen, wie ein Spot-Light bei einem Konzert mit durch Nebelmaschinen verpesteter Luft. Es gab ab und zu sogar so etwas wie einen Regenbogen, aber nie für lange.

Sie genossen die Vorstellung und bemerkten, dass sie sich bei ihrer Unterhaltung fast anschreien mussten. Der Wind blies ihre Worte einfach weg. Für Fremde sah das sicher aus wie ein handfester Ehekrach. Aber wir können beruhigt sein, es war eine ganz normale Unterhaltung.

„Kannst du dich noch an die Berichterstattung von der letzten Krise in Nordafrika erinnern?“, schrie er sie an.

„Was meinst du genau?“

„Da wurden doch viele Menschen mit grossen Fliegern evakuiert. Damit der Bericht authentisch wirkt, haben sie den Reporter vor so eine startbereite Maschine mit laufenden Triebwerken gestellt und dieser Dummling hat dann zwei Minuten lang seine Reportage ins Mikrofon geschrien! Man hat kaum was verstanden.“

„Ach ja, das war eine Glanzleistung. Sie machen ja bei uns auch immer den Wetterbericht vom Dach des Senders aus und es fliegt dann ein Flieger drüber oder unten fährt ein Krankenwagen mit Alarm.“

„Und hier ist es jetzt mit diesem Wind so ähnlich“, schrie er weiter.

„Beim letzten grossen Sturm wäre so eine Reporterin beinahe weggespült worden wie auf der Toilette. Die hat tatsächlich gemeint, sie müsste das aufgepeitschte Wasser mit auf dem Bild haben und hat sich an die Kai-Mauer gestellt. Dann kamen auch erwartungsgemäss schöne grosse Wellen und sie hatte ein Problem.“

Kaum hatte Jelato über die sensationslüsterne und quotengierige Journalistin abgelästert, da musste er mit einer blitzartigen Bewegung seine Kappe retten. Die war schon halb vom Kopf und wäre wohl ziemlich weit geflogen.

„Reflexe sind noch ok.“

„Die wär weg gewesen, die hättest du nicht mehr eingekriegt.“

So kämpften sie sich weiter vorwärts und weil sie dabei den Kopf immer etwas nach unten gebeugt hatten, bemerkten sie erst recht spät, dass es auf ihrem Weg auf dem Deich nicht mehr weiter ging. Es war abgesperrt worden. Die Polizei hatte rot-weisses Plastikband an einem Holztor, welches Weideabschnitte auf dem Deich voneinander trennen sollte, angebracht. Das Band flatterte wie wild im Wind, die Enden hingen nicht nach unten, sondern wurden vom Wind waagerecht in der Luft gehalten und ungefähr 100 m weiter hinten auf dem Deich sahen sie zahlreiche Leute, die mit irgendwas beschäftigt waren. Sie konnten weiter nichts erkennen. Sie beschlossen daher, das Plastikband zu respektieren und nicht oben auf dem Deich weiter zu wandern, sondern den bequemen und windsicheren Radweg auf der Landseite zu benutzen.

So ein Deich hat ja oft drei Wege. Da ist zum einen der Deichweg, das könnte gut der an der Wasserseite sein. Dann hat es den Deichverteidigungsweg, das wird wohl oben der sein auf der Deichkrone. Und auf der anderen, der wasserabgewandten Seite, das ist sicher ein Feldwirtschaftsweg, der heisst jetzt aber Radweg. Man müsste das mal nachlesen, wie das genau ist mit den drei Wegen. Es könnte auch andersrum sein. Jelato würde bald mal im Internet nachschauen.

Sie entschieden sich also für diesen Radweg, der vielleicht auch der Deichverteidigungsweg war, mit Sicherheit aber ein Feldweg ist. So konnten sie die gesperrte Stelle umgehen und kamen aber doch bis auf 20 m heran. Sie trafen auf ein paar Leute, die dem Treiben da oben zuschauten, was denn so läuft. Man muss doch informiert sein.

Man nennt diese Leute heute gerne Schaulustige oder Gaffer, es sei denn sie können nützliche Angaben machen, dann sind es plötzlich nicht mehr Gaffer, sondern gute Beobachter, aufmerksame Spaziergänger oder gar wichtige Zeugen. Man beurteilt die Leute also nach ihrer Nützlichkeit und Verfügbarkeit. Das machen sonst nur Chefs und Zuhälter und Priester – und eben die Polizei in ihren Meldungen bei irgendwelchen Unfällen und Ereignissen.

Jelato fragte einen dieser Mitmenschen am Zaun, was los sei.

Und siehe da, es war ein Zeuge, kein Gaffer. „Dort liegt ein toter Hund. Habe ich vor ungefähr einer Stunde gefunden.“

„Ach was? Nein! Und deswegen so ein Aufwand? Haben die nichts Besseres zu tun? Wenn dass das grösste Problem auf der Insel ist, dann geht es hier aber allen gut.“

„Nein, nein. Das scheint schon ernster zu sein. Das arme Tier wurde irgendwie vorher misshandelt und schliesslich wahrscheinlich totgebissen.“

„Ja, dann ist es klar. In so einem Fall wird ermittelt wie bei Tötungsdelikten bei Menschen. Die Kriminaltechnik sichert am Tatort alle möglichen Spuren und die Pathologie sucht die Todesursache.“

„Sind Sie vom Fach?“

„Ja, aber im Urlaub.“

„Schade, dass ich den Hund von hier aus nicht sehen kann. Ich kenne fast alle Hunde von Presen und Umgebung und könnte denen sagen, ob er von hier ist.“

„Das kriegen die schon raus. Die meisten Tiere haben heute einen Chip unter der Haut und sind damit gut zu identifizieren.“

„Womöglich auch DNA-Analyse?“

„Auch DNA-Analyse.“

„Tsss, das ist der Fortschritt heutzutage.“

„Hilft aber weiter.“

„Wissen Sie, mir ist da noch was ganz Merkwürdiges aufgefallen.“

„Was denn?“

„Da lag anscheinend so ein Stein bei dem Kadaver. Dieser Stein hatte die Form eines Tierskelettes, vor allem ein Schädel liess sich gut erkennen, sagen selbst die Polizisten.“

„Wenn das kein Zufall ist, dann würde es ja bedeuten, dass hier eine ganz gezielte Tötung eines Hundes stattgefunden hat, ein Ritualmord an einem Hund sozusagen.“

„So sieht es aus.“

„Na ja, wir gehen mal weiter. Hier wird nichts Spektakuläres mehr passieren. Das ist jetzt mühsame Detailarbeit der zuständigen Leute. Das braucht seine Zeit.“

„Ich muss noch dableiben. Ich habe schliesslich das Tier gefunden, also eigentlich hat mein Hund den Kadaver gefunden. Ich habe ihn schnell wegziehen müssen und dann die Polizei verständigt. Die haben nachher noch ein paar Fragen. Vielleicht kann ich den toten Hund auch genauer anschauen. Der lag in einer Decke und ich habe nur den Kopf ein bisschen gesehen. Ich habe extra nichts angefasst.“

„Das ist auch gut so. Also dann, Auf Wiedersehen.“

„Auf Wiedersehen.“

Sie gingen zurück zur Ferienwohnung und trafen wie praktisch immer in den letzten Tagen ihren Vermieter bei der Arbeit auf dem Hof. Sie erzählten ihm, was sich auf dem Deich ereignet hatte.

„Ein toter Hund?“ fragte er zurück und machte dabei einen ganz nervösen Eindruck. Er schaute sich sorgenvoll um. Er suchte was.

„Wir haben einen Hund, einen alten Dackel, haben Sie ja sicher schon gesehen. Das wird doch nicht unser Axel sein? AXEL! AXEL! Wo steckt der Kerl wieder? AXEL! Verflucht!“

Seine Frau erschien aus der Scheune und sagte: „Was schreist du denn so rum? Du machst ja noch die Ponys verrückt!“

„Was ist denn mit dem Axel? Wo steckt der?“

„Was soll schon sein? Die Kinder sind mit ihm weg. Die sollten eigentlich bald wieder da sein. Was ist denn los?“ Er berichtete die Neuigkeit vom toten Hund am Deich und wie er so sprach, da erschienen die Kinder mitsamt Axel und alle waren wohlauf.

„Ein Glück! Unser Hund ist es jedenfalls nicht.“

Jelato bückte sich zu dem Dackel und sagte: „Soso, Axel heisst du. Axel, komm mal her, alter Bärentöter.“

Der kleine Hund kam müde langsam zu ihm und bellte, aber nur einmal, zur Begrüssung sozusagen. Seine Besitzerin rief: „Axel, tu doch nicht so blöd!“

Jelato fragte die Kinder: „Ihr seid wohl weit mit ihm gelaufen, dass er so müde ist? Ihr dürft natürlich nicht vergessen, dass der ganz kurze Beine hat und vielmehr Schritte machen muss als ihr.“

„Nein, das ist nicht wegen den kurzen Beinen. Der Axel ist schon alt und mag nicht mehr so weit. Da bleibt er irgendwann einfach stehen wie ein störrischer Esel.“

„Wie alt ist er denn?“

„14 Jahre.“

„Oh, ein hohes Alter für einen Hund! Und der fliegt nicht weg bei dem Wind?“

„Nein! Der ist ja ganz flach!“

„Also so gesehen ist der Dackel tatsächlich der einzig wahre Windhund, weil er bei Sturm aufgrund seiner flachen Konstruktion und dem niedrigen Schwerpunkt nicht wegfliegt – interessanter Gedanke. Ein tiefer gelegter aerodynamisch optimierter Hund, getunt sozusagen. Und ihr, habt ihr Steine in den Taschen vom Anorak, damit ihr nicht wegfliegt?“

Sie lachten nur. „Eigentlich wollten wir heute Drachen fliegen lassen. Aber der Papa hat es nicht erlaubt.“

„Da hat er auch ganz recht. Bei dem Wind reisst euch entweder die Schnur oder ihr fliegt mit weg. Da geht es euch dann wie dem fliegenden Robert im Struwwelpeter.“

„Was ist mit dem passiert?“

„Der ist bei starkem Wind mit seinem Regenschirm einfach weggeflogen.

Wo der Wind sie hingetragen,

Ja! das weiss kein Mensch zu sagen!“

Seine Frau kramte in der Zwischenzeit ein Hundeguzzli hervor und Axel war anschliessend mit der Welt weitaus zufriedener als vorher. Als die Kinder wieder weg waren, sprachen sie weiter über den toten Hund am Deich.

„Die bekommen schon raus, wem der Hund gehört, glauben Sie mir.“

„Ja hoffentlich auch. Saukerle, die sowas machen. Sagen Sie, haben Hunde heute eigentlich auch generell einen Chip? Bei uns hat jede Kuh und jedes Pferd einen Chip irgendwo unter der Haut, aber der Axel hat keinen.“

„Ja, das weiss ich jetzt auch nicht so genau. Das könnte tatsächlich vom Besitzer abhängen, ob er das machen lässt oder nicht. Oder es gilt nur für neue Hunde. Für bestimmte potenziell gefährliche Hunde ist das sicher Pflicht. Aber die Polizei wird es als interne Information nicht bekannt geben bis zum Abschluss des Falles.“

„Sie haben mir doch auch das mit dem toten Fisch erzählt. Ich habe das so nebenbei mal unserem Sheriff gesteckt. Die Polizei ist also im Bilde. Wenn es da einen Zusammenhang geben sollte, dann kommt das raus.“

„Weshalb meinen Sie, dass es einen Zusammenhang zwischen dem toten Fisch und dem toten Hund gibt?“

„Na wegen den Steinen.“

„Ja, das wäre naheliegend, der Gedanke drängt sich auf. Elementary, Watson.“

„Häh?“

„Nie Sherlock Holmes gelesen? Das hat er immer zum Dr. Watson gesagt. Elementary, Watson.“

„Nee, habe ich nie gelesen. Aber ein paar Filme im Fernsehen habe ich gesehen.“

Jelato und seine Frau gingen in die Ferienwohnung. Sie setzten sich einen guten Kaffee auf und ein paar Stücke vom feinen Kuchen vom Vortag waren auch noch vorhanden. Ein gemütliches Käffchen ohne Wind – ein Genuss.

Er bemerkte so nebenbei, dass hier auf der Insel bei vielen Häusern die Fenster nach aussen zu öffnen sind. Das fand er jetzt speziell sinnvoll. Wenn also richtiger Sturm herrscht, dann werden die Fenster somit fester zugedrückt.

„Bei uns gehen alle Fenster nach innen auf“, sagte er zu seiner Frau. „Bei Sturm werden sie ein wenig aufgedrückt und verlieren so an Dichtigkeit, und hier werden sie bei Sturm fest zugedrückt und werden noch dichter als vorher. Die Alten haben sich da schon was dabei gedacht.“

„Dafür ist es bei uns praktischer die Fenster zu öffnen, wenn man ein Insektengitter aussen dran hat.“

„Auch wieder wahr.“

Der heisse Kaffee tat gut. Er verstand jetzt auch die Leute besser, die sich da noch was rein tun – bei so einem Wetter muss das ganz einfach erlaubt sein.

Die Erlebnisse der letzten Zeit gingen ihm aber nicht aus dem Kopf.

„Frau, hier passieren doch merkwürdige Sachen auf der Insel. Zuerst der tote Fisch, jetzt der tote Hund, und scheinbar auch hier wieder ein komischer Stein im Spiel. Komisch, komisch. Sicher kein Zufall. Unser Vermieter hat den Braten gerochen und das gleich als Verdacht geäussert. Das wäre aber dann ober-komisch.“

„Sooo komisch find ich das nun auch wieder nicht. Da dreht doch jemand ganz offensichtlich durch. Das ist doch krank. Ein krankhafter Hass auf Tiere womöglich?“

„Wenn es ein und derselbe Täter ist, dann kann das der Anfang von irgendwas sein. So etwas hat nicht die Tendenz, von selber aufzuhören. Das ist wirklich bedenklich. Hoffentlich nehmen die das genügend ernst hier. Da steigert sich vielleicht einer in was rein.“

„Wieso glaubst du das?“

„Tu ich gar nicht. Es ist eher eine Befürchtung. Bei dem toten Fisch haben wir doch festgestellt, dass da jemand vorsätzlich was arrangiert hat. Ich habe doch erzählt, dass so ein toter Fisch eine unbewusste Botschaft sein kann, ein Hinweis auf eine grosse Enttäuschung oder verlorene Hoffnung, jedenfalls interpretieren manche Menschen das da hinein.“

„Ja, ich kann mich noch erinnern. Das hast du bei unserem Gespräch mit den jungen Leuten mit dem Schlabrador gesagt. Und?“

„Das kann ja sein, dass der betreffende Mensch an solche Traumdeutereien glaubt. Und jetzt das mit dem Hund. Ein Hund in einem Traum kann einerseits ein Freund, andererseits ein Symbol für einen Feind sein. Im Islam, so habe ich gelesen, existiert folgende Vorstellung: wenn man im Traum einen Hund tötet, dann vernichtet man symbolisch seinen Feind.“

„Aber Traumdeutereien heisst doch, dass man deutet, was man geträumt hat. Das hier ist aber real. Das sind keine Träume.“

„Genau, das ist das, was mir im Kopf rumgeht. Hier könnte doch jemand in einer Scheinwelt leben …“

„… und das würde heissen …“

„… dass ein psychisch Kranker einen Realitätsverlust erlitten hat und nicht mehr unterscheiden kann zwischen Traum und Wirklichkeit … und … die Kreise um irgendeine zukünftige Tat immer enger werden … wie bei einem Hai auf der Jagd.“

„Beängstigend.“

„Oder auch nicht. Vielleicht erwischen sie ja den Tierquäler jetzt und der Spuk hat ein Ende. Die Chancen stehen sicher nicht schlecht. Wenn der Hund gechipt ist, dann ist man eventuell dem Ganzen entscheidend näher gekommen.“

„Und wenn nicht?“

„Egal. Auf jeden Fall wird jetzt ermittelt. Tierquälerei ist ein Offizialdelikt. Es wird von Amtes wegen verfolgt.“

„Na hoffen wir mal das Beste. Es kann einem ja richtig unheimlich werden hier.“

„Du wirst jetzt aber nicht vorzeitig abreisen wollen?“

„Auf gar keinen Fall! Wegen einem Fisch und einem Hund? Das wäre ja noch toller.“

„Das wäre auch zu schade. Das Wetter soll bald wieder besser werden.“

„Hier kann man wenigstens noch raus bei Wind und Wetter. Am Strand ist es, solange es so bleibt, ungefährlich. Bei uns fallen einem im Wald bei dem Wind schon die Äste auf den Kopf.“

„Und in der Stadt kriegst du einen Blumenkasten auf die Nuss. Da muss man ja mit einem Helm rumlaufen.“

„Bei Sturm hat man eigentlich auch draussen nichts verloren.“

„Ich habe mal gelesen, dass die grösste Gefahr bei einem Tornado nicht die ist, dass man hochgesaugt wird von so einer Rüsselwolke wie in einem Staubsauger. Die grösste Gefahr ist, dass man irgendwas an die Rübe bekommt, weil der ganze Dreck und die Steine und Schilder und alles mögliche Zeug herumgeschleudert wird.“

„Ich habe mal von hoch in die Luft geschleuderten LKW’s gelesen.“

„Da hat man echt schlechte Karten, wenn man sowas auf die Glatze kriegt!“

„Mal was ganz Anderes. Was machen wir heute eigentlich noch? Gehen wir essen?“

„Ein gemütliches Essen? Das passt zu dem miesen Wetter. Das machen wir. Am besten irgendwo, wo man von innen auf’s Wasser schauen kann.“

„Da fällt mir jetzt spontan nichts ein. Ich sehe mal auf dem Insel-Plan nach.“

„Aber nicht am anderen Ende der Insel!“

„Nein, weit fahren will ich auch nicht mehr. Ich suche uns was in der Nähe.“

Er guckte auf der Karte herum, fand viele Stellen, informierte sich im Reiseführer über Restaurants und sagte dann: „Das könnte was sein. Wir fahren an den Wulfener Hals.“

„Was ist das denn?“

„Ein Berg. Sagenhafte 18 m hoch, steht hier. Schade habe ich meine Hochgebirgsausrüstung nicht dabei. Steigeisen, Gletscherbrille, Pickel, Sturmhaube, Gamaschen, alles zuhause gelassen. Wir hätten uns einer Seilschaft anschliessen können oder wären mit der nächsten Expedition los. Oder ganz alleine auf eigene Faust mit drei oder vier Sherpas. Die errichten dann vom Basislager auf 9 m aus das erste Hochlager auf 14 m und von dort wagen wir dann den Gipfelsturm. Wir deponieren eine Fahne, machen zum Beweis ein paar Fotos und beginnen dann rechtzeitig mit dem Abstieg.“

„Geht dir schon wieder der Gaul durch? Dir fehlt es eindeutig an Ernsthaftigkeit. Das ist doch nicht seriös. Immer diese Spielchen. Wer dich nicht kennt, könnte dich für dumm halten – oder für einen Spinner – oder für beides.“

„Wer mich kennt – auch.“

„Dazu sage ich jetzt nichts. Ohne meinen Anwalt schon grad gar nicht. Aber zurück zum Thema: wir können dort nach dem Essen noch ein paar Schritte am Strand laufen.“

„Wenn der Wind nachlässt, gerne.“

„Normalerweise ist es abends immer ruhiger, der Wind lässt nach wegen den nicht mehr so grossen Temperaturdifferenzen, weil die Sonne weg ist.“

„Die Sonne war doch nie da.“

„Ja, trotzdem, sei doch nicht so pingelig.“

Burg auf Fehmarn:

Medieninformation der Polizei, 6. September

Toter Hund gefunden – Polizei ermittelt

Ein Anwohner von Presen hat am nahegelegenen Deich einen in eine Decke eingewickelten toten Hund entdeckt. Die Polizei ermittelt und sucht Zeugen.

Am Freitag informierte ein Anwohner der Ortschaft Presen die Polizei über einen am Deich abgelegten Hundekadaver. Die eingesetzten Beamten fanden einen in eine grüne Decke eingewickelten braunen Rüden der Rasse Rauhaardackel im Bereich des nahen Parkplatzes.

Beamte der Kriminalpolizei untersuchten den Kadaver, fanden jedoch keine Hinweise auf Herkunft oder Halter, dafür aber neben anderen Verletzungen erhebliche Bissverletzungen am Körper des toten Tieres. Diese Bissverletzungen könnten nach Auskunft eines zufällig anwesenden Jägers von einem Kampfhund herrühren. Wegen des Verdachts einer Straftat nach dem Tierschutzgesetz wurde ein Strafverfahren eingeleitet.

Unmittelbar neben dem toten Hund wurde ein sehr auffälliger Stein gefunden, welcher die Form eines Hundeschädels hatte.

Zeugen, die gesehen haben, wie die Tierleiche abgelegt wurde oder sonstige sachdienliche Hinweise zu dem Fall geben können, werden gebeten, sich bei der Kriminalpolizei Burg auf Fehmarn zu melden.

Die Polizei weisst ausdrücklich auf ein kürzlich vom Bundesgerichtshof bestätigtes Urteil des Landgerichts Hamburg hin, mit dem zwei Halter von so genannten Kampfhunden wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurden und erinnert in diesem Zusammenhang an den Leinen- und Maulkorbzwang für potenziell gefährliche Hunde.

Steine des Schreckens

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